Beilage zumCalwer Wochenblatt

Nro. 28.

^ . Nachdruck verbalen.

Der ^chwedenhof.

Novelle von Fritz Brentano.

I.

Des Sommers fröhliche Tage waren vorüber.

Der Wald da drüben hatte sein grünes Gewand abgelegt und sich in sein rotgelbeS Sterbekleid gehüllt; stiller war es geworden in Feld und Au, nur verein­zelt drang noch der Ton eines Sensenhammers, das Klingen einer Sense, die durch das Riedgras fuhr, hinüber zum Waldrand, und abgerissene Töne eines alten Volks­liedes klangen aus dem Munde des verspäteten Mähers dazwischen melancholische Töne, halb verweht von dem Abendwind, der über die Stoppeln strich und die Äste der Bäume bald leise, bald stärker wiegte, dah die roten Blätter herniederwirbelten, noch einmal leuchtend und glitzernd im Herbstglanz, um dann im Schooße der mütter­lichen Erde zu verwesen.

Abendsonndurchglühte Wolkenzüge schwebten hoch über den Wipfeln ein stilles, gespenstisches Heer, mit jedem Windstoß seine Gestalten wechselnd.

Mehr und mehr verblaßten die roten Tinten. Die Schatten der Dämmerung huschten zwischen das leuchtende Gewölk aus der Ferne hob sich noch einmal die Stimme des heimkehrenden Sängers; der letzte Ton des Volksliedes ^verhallte, und der letzte Sonnenstrahl blitzte durch die Zweige.-

Unten im Walde aber, wo die Quelle aus dem moosumwucherten Felsen rann, stand der Förster neben dem alten Baum, der seit undenklichen Zeiten im Munde des Volkes die Mordeiche hieß.

Flüchtige Wallonen hatten dort beim Spiel ihren Rottmeister erstochen und waren dann unstät weitergeirrt. Der Erschlagene aber hatte drei Tage da gelegen, in der erstarrten Rechten den Würfelbecher haltend, die Linke krampfhaft auf die klaffende Wunde gepreßt, während die toten Augen nach dem Himmel stierten, als wollten sie von dort oben den Rächer dieser Frevelthat Herabrufen.

Andere Kriegsleute, welche des Weges durch den Wald kamen und an der Quelle ihre müden Gäule tränkten, hatten den Toten am Fuße des Baume», wo er lag, eingescharrt, ohne Sang und Klang. Und auch sie waren weiter gezogen, und am anderen Tage war der tote Kamerad vergessen, denn drüben im nächsten Dorf, da wurden sie von den Schweden ereilt die Schwerter blitzten, die Haken­büchsen donnerten «ine Stunde lang und die Totengräber von gestern lagen selbst kalt und starr und harrten der milden Hand, die sie der Erde übergab.

Und als der nächste Sommerwind über die Gräber der Gefallenen wehte, da dachte kaum einer noch ihrer. Spielende Kinder tummelten sich auf dem Anger und pflückten die Feldblumen, welche auf den Leichenhügeln wucherten, lachende Kränze daraus windend für ihre blonden Häupter. Der Landmann aber bestellte friedlich daneben sein Feld und dachte erst der Schrecken des Krieges wieder, wenn sein tief einschneidender Pflug ein Stück Menschengebein aufwarf. Die Kinder starrten eS einen Augenblick an, mit großen, verwunderten Augen, um in der nächsten Mmute wieder lachend und jubelnd zu ihren Spielen zurückzukehren.

Aber wunderbar! Während Niemand mehr der vielen Leichen am Dorfrain gedachte der einsame Tote am Quell drüben im Wald war nicht vergessen worden.

Denn das ist der geheimnisvolle Zauber, den der Mord um sich verbreitet, daß sein Angedenken nicht zur Ruhe kommen kann, und sich fortspinnt von der Ahne zum Enkel, im Flüstern der Winde, im Rauschen der Blätter.

Mo aber Blutschuld auf einer Stätte liegt, da umschweben sie rächende Geister und lauern auf den wiederkehrenden Mörder,' heißt es im Munde des Volkes.

Und auch diesmal hatte sich das prophetische Wort bewahrheitet. Der schreck­liche Krieg hatte endlich ausgetobt und Frirdenslüfte wehten wieder über den großen, weiten Kirchhof, das Deutsche Reich genannt. Da fanden sie draußen an der Eiche beim Quell, wo der tote Wallone faulte, einen.im zerlumpten Soldatengewand, mit zerschmettertem Haupt, kalt und starr.

Und wie jener den Würfelbecher, so hielt dieser das abgeschossene Faustrohr in der Hand, neben ihm aber lag ein Zettel, darauf stand, daß er vor Jahren den Rottmeister aus Hibernien um schnöden Geldgewinn hier erstochen; wie er seitdem icht Rast noch Ruhe gefunden und nach langer Marodeurfahrt gestern die Stätte seines Frevels erkannt habe. Das sei ihm als eine absonderliche Mahnung der ewigen Gerechtigkeit erschienen, und darum wolle er auch hier vor seinen Richter treten.

Und als der Selbstmörder neben seinem Opfer verscharrt war, da richteten mitleidige Seelen ein rohes steinernes Kreuz an der Stelle auf. Der entweihte Quell aber kam in Verruf; der Wald überwucherte im Lauf der langen Zeit den breiten Pfad, der dort vorüberiührte, und die Sage wob ihre Schauer um die Blut­ställe. Hundert Jahre waren verflossen seitdem, doch die Geschichte war nicht er­storben und der Zauber des Mordes nicht erloschen.-

Warum der Förster heute gerade so lebhaft der beiden längst vermoderten Toten gedachte warum ihm heute die alte, halbverklungene Sage nicht aus dem Sinn kam? Er hatte doch die Stelle, wer weiß wie oft betreten und hatte nie der Geschichte gedacht.

Er war hierher gekommen, um die Spur eines Hirsches zu verfolgen, die sich deutlich in dem feuchten Grund ausprägte, welcher die Quelle und den kleinen Teich, den sie bildete, umgab. Aber er hatte noch eine andere Spur gefunden, diejenige eines Mannes, eines Wilderers. An die Mordeiche hatte derselbe sein Gewehr ge­lehnt; da unten zeigte sich in dem lockeren Boden deutlich der Abdruck des breiten Kolbens, und oben am Stamm, wo der Lauf geruht hatte, war das feine glatte Moos abgeschürst.

Drüben am Teich aber waren die Schilfgräser auseinander gebogen worden von Menschenhand und daneben was war das, was daneben lag? Der Förster

hob es auf und betrachtete cs lange, während ein Zug jähen Erschreckens über sein wettergebräuntes Antlitz flog.

Er!" klang es fast stöhnend aus seiner tiefsten Brust.Er! Es ist sein Tuch, ich habe es wohl hundertmal an ihm gesehen!"

Er schob den Fund in seine Jagdtasche und stand noch eine Weile in tiefem Sinnen. Der Schaft seiner Büchse ruhte auf dem halbverwitterten Kreuz und sein Blick bohrte sich fest auf die Oberfläche des kleinen Teiches.

Und sonderbar er dachte nicht mehr an den Wilderer der hundertjährige Mord kam ihm wieder und wieder zu Sinn. Ihm war, als kreise da» grünliche Wasser, und dort, wo eben der letzte Lichtstrahl hinfiel, der sich durch die Zweige stahl, da hob cs sich wirbelnd und wallend; das bleiche Antlitz des toten Nottmelster» tauchte auf und hinter ihm sein Mörder mit zerschmettertem Haupt. Und wie er länger und länger hinblickte, da war es ihm, als verwandle sich das Gesicht, als sei er selbst der tote Hibernier, und das Antlitz des fremden Mörders nahm andere, jhm wohlbekannte Züge an.

Wie kaltes Grauen faßte e» ihn an, aber der Lichtstrahl erlosch und mit ihm das gespenstige Gesicht. Ein starker Windstoß fuhr durch die Bäume und schreckte den Förster aus seinen Sinnen auf. Er schüttelte sich wie im Fieber, warf die Büchs» über die Schulter und schritt heimwärts.

Und hinter ihm flüsterten und rauschten die Büsche, und der Wald sang , wieder das geheimnisvolle Lied, und aus den krachenden Ästen der Eiche klang eS wie Stöhnen und Wehlaut.-

II.

Wett abseits vom Dorfe, nahe dem Rain, stand ein einsamer Hof der Schwedenhof geheißen. In jenem furchtbaren Kriege hatte sich eine Schar Schwedischer in dem Gebäude verschanzt und eS drei Tage lang gegen die stürmenden Kaiserlichen verteidigt, bis die rauchenden Trümmerhaufen den Rest der totwunden Ostseekrieger begruben.

Die geflüchteten Bewohner waren, als der Kampf in jener Gegend avsgetobt und sich nach anderwärts verzogen hatte, zurückgekehrt und richteten mit unverzagtem Mute an derselben Stelle ihr Heim auf's Neue wieder auf. Zwischen den Brand­ruinen keimte sprossend da» junge Leben; Lenz um Lenz zog in das Land, und nach wenigen Jahren schaute der Hof wieder stolz und trotzig in das Weite, nur noch durch seinen Namen an jene Zeit gemahnend.

Und stolz und trotzig war auch das Geschlecht, welches den Hof bewohnte, stolz und trotzig sah der Bursche drein, welcher dort im Abenddämmerschein am Fenster stand. Seine rechte Faust umschloß fest den Lauf einer Flinte, welch« er auf einem hölzernen Schemel zu seinen Füßen aufgesetzt hatte, und sein scharfer Blick bohrte sich in den Horizont über dem nicht allzu fernen Wald, als verfolge er dort das stetige Hereinbrechen der Nacht, das sich in dem wechselnden Wolkenspiegel kund gab.

Auch das scharfe Knarren der Thür hinter ihm schreckte ihn nicht aus seinem Sinnen auf.

Seine Mutter war eingetreten, die Schwedenhofbäuerin. Ihr erster Blick fiel auf dm Sohn am Fenster ihr zweüer auf die Flinte in seiner Hand, und wie ein leichtes Zittern ging es über ihr mildes, weiches Antlitz, welches so wenig zu ihrer fast übergroßen Gestalt paßte.

Ulrich!" sprach sie beinahe tonlos.

Er hörte nicht.

Ulrich," rief sie lauter, und fuhr, als er sich umdrehte, fort:

Was soll das Gewehr?"

Er wände sich wieder ab und seine Faust umschloß fester die Waffe.

Du willst hinaus zum Wald, Ulrich?" sprach sie dringender.

Ja, Mutter!" antwortete er kurz.

Du wirst nicht gehen."

Doch Mutter!"

Eine feste Entschlossenheit klang aus der knappen Rede. Die Bäuerin trat ihm näher und legte die hagere Hand auf seine Schulter, daß er sich unwillkürlich zu ihr drehte. Einen Augenblick sah er ihr inS Gesicht, dann senkte er dm trotzigen Blick vor dem Mutterantlitz zu Boden.

Und weißt Du," fragte sie leise,welch einen Tag wir heute haben? Denkst du daran, was in der Nacht heute vor vier Jahren geschah?"

Just weil ich daran denke," antwortete er dumpf,geh' ich hinaus mehr aber noch, weil mir nicht aus dem Sinn will, was heute morgen vor einem Jahr geschah."

Laß die Toten ruhen," bat sie weich,und sie ist tot für Dich muß «S sein, mein Sohn."

Aber der Räuber ist es nicht darf es nicht sein, Mutter!" stieß er wild heraus.Nein, sieh mich nicht so bittend an quäle mich nicht! Ich war dir immer ein gehorsamer Sohn und habe alles gettan, was Du wolltest, aber hier endigt Deine Macht über mich. Es treibt mich hinaus in den Wald, wo heute vor vier Jahren der Vater fiel, von derselben Hand fiel, die nm vor einem Jahre mein Liebstes stahl. Es ist eine unsichtbare dunkle Gewalt, der ich mich bmgm muß und die mir allabendlich das Gewehr in die Hand zwingt. Mich reizt die Jagd, der heimliche, verbotene Genuß, eS ist wahr, aber mehr noch treibt mich das wilde, heiße Sehnen, ihn nur einmal zu treffen, ihm allen Groll und Haß, die ich so lange in mir trage, in das Gesicht zu schleudern zu sehen, mit eigenen Augen, wie der Mörder meines Vaters und meines Glückes vor mir zittert und bebt. Und ich weiß es, daß er mich fürchtet! Seit sie sein Weib ist, weicht er mir aus auf seinem eigenen Grund und Boden haha, der Förster dem Wilderer! Und er weiß mich draußen, denn er weiß alles, was vorgeht in seinem Revier.

Fortsetzung folgt.