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fassender Reisebericht eingetroffen. Er machte die Fahrt von Hamburg aus auf dem Schiff „Gretchen Bohlen", dessen Kapitän, einen LehrerSsohn, und Offiziere er als ganz liebenswürdige Herren schildert, wie auch die Passagiere sich zu einer gemütlichen Gesellschaft zusammenfanden. Das Wetter war wechselnd, teilweise so stürmisch, daß man beim Essen der Suppe, obgleich Fächer auf dem Tisch angebracht sind, statt eines Löffels den ganzen Teller voll bekommen konnte. Im Anfang war das Schiff von Seeschwalben und Möven umschwärmt, später zeigten sich Delphine und fliegende Fische, auch 2 Walfische erkannte man an den ausgestoßenen Wasserstrahlen und den ungeheuren Rücken, und ein großer Haifisch machte an der Südspitze von Spanien seine Aufwartung. Durch die Straße von Gibraltar fuhr die „Gleichen Bohlen" in die Bai von Tanger und die Reisenden stiegen ans Land, um sich die sehr belebte, sehr schmutzige, von verschiedenen Nationalitäten bewohnte Stadt Tanger in Nordafrika (Marokko) anzusehen. Auf der Weiterfahrt an der marokkanischen Küste ließ sich auch ein Hammerhai blicken. In Magador, dessen Hafen eine sehr gefährlicye Einfahrt hat, wurden die Reisenden von dem deutschen Arzt und seiner Gattin aufs liebenswürdigste empfangen und bewirtet, während auf den Inseln des grünen Vorgebirges der Briefschreiber von einem französischen Arzt um einen kranken Zahn und 20 Frks. erleichtert wurde. Die Reise bis Klein-Popo ging vollends gut von statten, und der Empfang des neuen Lehrers seitens der deutschen Beamten sowie der zu diesem Zweck versammelten Häuptlinge ließ nichts zu wünschen übrig. Der Briefschreiber hat sich dort Affen, Enten, Tauben, Papageien eingethan und ein Hühnerhaus einstweilen auf's Papier gezeichnet. — Das Lehrgeschäft geht über Erwarten gut von statten, da die schwarzen Kinder, wenn auch im Durchschnitt wohl etwas weniger begabt als die deutschen, doch viel Lust und Eifer zeigen und namentlich im Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen, auch Turnen wackere Fortschritte machen.
Nagold, 16. Febr. Nachdem Seminaroberlehrer Schwarzmeyer kürzlich schon für die Seminarlehrer und deren Familien einen mit Versuchen begleiteten Vortrag über die Entwicklung und den heutigen Stand der Elektrizität gehalten, that er dies letzten Sonntag für die Mitglieder des Gewerbevereins, wozu der Lehrsaal und die Apparate vom Seminar zur Verfügung gestellt waren. Redner zeigte die Entwicklung der Strom- oder galvanischen Elektrizität von Volta und Galvani an bis zur Verbindung mit den Elektromagneten, sowie die neueren Fortschritte in der Verstärkung des Stroms und beleuchtete die chemische, die kraft- und arbeiterzeugende (Lauffen- Frankfurt), die licht- und wärmeerzeugende und die
galvanoplastische Wirkung des Elektromagnetismus. Für seinen zweistündigen, sehr belehrenden Vortrag wurde dem Redner durch Kommerzienrat Sannwald der Dank des Gewerbevereins ausgedrückt.
Stuttgart, 18. Febr. Der Besuch der elektrischen Ausstellung betrug gestern 200 und von 5—8 Uhr 650 Eintretende. Die Nähmaschine von Provo, die von der W. Reißer'schen Zentralhalle in Bewegung gesetzt wird, hat eine bessere Aufstellung und zwar vor dem Reißer'schen Tableau erhalten; die Damenwelt widmet diesem Ausstellungsgegenstand besondere Aufmerksamkeit.
Ludwigsburg, 17. Febr. Der gegen 5 Uhr abends hier ankommende Stuttgarter Güterzug entgleiste bei seiner Einfahrt in den hiesigen Bahnhof, wohl infolge der wegen des bedeutenden Schneefalls nicht mehr richtig funktionierenden Zentralweiche; 4 Güterwagen wurden aus dem Geleise gehoben.
Bissingen, O.A. Ludwigsburg, 15. Febr. Heute wurde die von Sr. Mas. unserem König genehmigte Telegraphenanstalt mit Telefonbetrieb eröffnet und dem Verkehr übergeben. Aus dieser Veranlassung hatte sich im Gasthaus zum Adler, wo die Telegraphenanstalt sich befindet, eine ansehnliche Versammlung eingefunden, wobei an Se. Mas. den König für die der Gemeinde zu Teil gewordene königliche Huld und Gnade ein Danksagungstelegramm abgesendet wurde. Die Versammlung war noch in freudiger Stimmung beisammen, als ein Telegramm aus dem K. Kabinet folgenden Inhalts an den Gemeindevorstand eintraf: Se. Königl. Majestät haben die Danksagung der Gemeinde Bissingen für Errichtung einer Telegrafenanstalt wohlwollend entgegengenommen und lassen einen günstigen Einfluß des neuen Verkehrsmittels auf die fernere Entwicklung der Gemeinde wünschen. Kabinetschef Griesinger. Schultheiß Hegel brachte hierauf ein dreifaches Hoch auf den König aus, in das die Versammlung begeistert ein- Mnmte.
Freudenstadt, 17. Febr. Eine eigenartige Jagd fand gestern früh in Dietersweiler statt. Die Kuh eines dortigen Einwohners riß beim Tränken derselben los und entsprang in den 1 km entfernten Wald. Erst mit Hilfe einer Anzahl Personen gelang es nach mehreren Stunden, die Kuh, nachdem solche durch Schläge auf den Kopf (!) zu Fall gebracht war, zu fesseln und in den Stall zurückzubringen.
Schramberg, 14. Febr. Heute blieb den Schwarzwäldern das Zeitungslesen erspart, hoffentlich ohne großen Nachteil. Auf Freudenstadts Höhen müssen bedeutende Betriebsstörungen infolge der Schneegestöber , stattgefunden haben, da erst die Mittagspost die Stuttgarter und Oberndorfer rc. Neuigkeiten brachte.
die aber wegen des Sonntags nicht mehr ausgetragen wurden.
Rottenburg, 15. Febr. Ein lOjähriges Pferd, das schon längere Zeit kränkelte, wurde gestern geschlachtet. Hiebei fand sich zwischen Herz und Leber ein glatter, runder Stein in der Größe einer Kegelkugel vor, der ein Gewicht von 8 Pfd. hatte.
Gmünd, 15. Febr. Vor einiger Zeit brachten die Zeitungen die Notiz, daß man auf der Markung Mittelbronn (OA. Gaildorf) auf ein Steinkohlenlager gestoßen. Wir nun mitgeteilt wird, haben seither dort eifrige Nachgrabungen stattgefunden und ist ein ergiebiges Resultat erzielt worden. Infolge dessen wurde in jüngster Zeit von der Regierung ein Bergrat nach dem Fundorte gesandt, um die Ausgrabungen in Augenschein zu nehmen.
Ulm, 17. Febr. Schwurgericht. In der gestern und heute stattgefundenen Verhandlung gegen die wegen Raub- und Mordversuchs angeklagten Plank von Thaldorf, Bezirksamts Kelheim, 27 Jahre alt und Haug von Döffingen, Oberamts Böblingen, 25 Jahre alt wurde Plan! zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe und Haug zu 15 Jahren verurteilt, sowie zur Stellung unter Polizeiaufsicht. Sie hatten am 16. August 1891 bei Göppingen zwei Raubanfälle ausgeführt und dabei dem 66 Jahre alten Lehrer Reichert von Heiningen zwei Revolverschüsse in den Kopf gegeben; der Mann blieb leblos liegen und braucht noch lange zu seiner Wiederherstellung. Eine Kugel ist noch ganz im Kopfe des Lehrers, von der anderen noch ein Stück. Plank wird nach Nürnberg zur Aburteilung ausgeliefert.
Riedl in gen, 17. Febr. Die letzten paar Tage haben uns wieder ganz in den Winter versetzt, denn ununterbrochenes Schneegestöber überzogen Feld und Flur mit einer dichten Schneedecke, die indes durch gestern eingetretenes Tauwetter schon wieder sichtlich zusammengeschmolzen ist, und heute herrscht bei heftigem Südwestwind das richtige Sudelwetter. Diese unbeständige Witterung scheint auf die Gesundheitsverhältnisse einen sehr ungünstigen Einfluß zu üben, namentlich herrscht unter der Kinderwelt die Halsbräune, die manches Opfer fordert. Auch sonst unter den bejahrten Leuten ist die Sterblichkeit sehr groß. So fanden venn binnen 3 Tagen nicht weniger als 5 Beerdigungen statt, und morgen steht schon wieder eine weitere in Aussicht. Trotz Schnee und Sturm haben sich aber die ersten gefiederten Frühlingsboten schon seit mehreren Tagen in zahlreichen Flügen eingestellt, namentlich die Staare und dieLerchen;. hoffentlich werden diese den Frühling bald zum Gefolge haben. Von großen Festlichkeiten zu dem bevorstehenden Karneval hört man nicht viel, als daß der Narrenverein einen größeren Ball hält, zu einem großen
6 ^ ^ ^ 6 1 ^ , Nachdruck verbnteu.
Kapitän Herbol-'s Tochter.
Novelle von F. Herrmann.
(Schluß.)
Schon war die Angelegenheit, von der mehrere Tage hindurch ganz Hamburg gesprochen hatte, im Publikum fast ganz in Vergessenheit geraten, als die E nwohner
der B.üraße eines Tages — es waren wohl sechs Monate seit JasmundS
Beerdigung vergangen — durch ein außergewöhnliches Ereignis abermals daran erinnert wurden. Um die Ecke bog nämlich eine sehr vornehm aussehende Equipage, deren schön aufgeschirrte Pferde die gerechte Bewunderung der gesamten Jugend erregten, und in deren Inneres die Erwachsenen neugierige Blicke zu werfen versuchten.
Und dieses prächtige Gefährt hielt vor der „See- und Reise-Buchhandlung" des Kapitän Herbold zur allgemeinen Verwunderung still. Ein stattlicher alter Herr stieg zuerst heraus und ihm folgte ein hoch gewachsener junger Mann, der zwar etwas blaß und schmalwangig, aber durchaus nicht mehr krank aussah, und in dem einige scharf blickende Frauen sogleich denselben Herrn Kurt Petersen wieder erkannten, der früher ein so regelmäßiger Besucher im Hause Kapitän Herbolds gewesen war. Die beiden Herren traten in das Grschästslokal des Kapitäns ein und Herr Werner Petersen drückte die Thür hinter sich ins Schloß, so daß die rasch angesammelten Zuschauer zu ihrem Bedauern vorläufig darauf verzichten mußten, ihre Neugierde befriedigt zu sehen.
Kapitän Herbold saß auf seinem alten Platz unter der Hängelampe, als er de» unerwarteten Besuchs ansichtig wurde. ES war das erste Mal seit den Tagen jenes unglücklichen Ereignisses, daß er seinen ehemaligen Rheder wiedersah und wie er nun aufstand und den Eintretenden ein paar Schritte entgegenging, da war es ihm, obwohl er sich gewaltig zusammennahm, doch anzumerken, daß ihn diese unvorhergesehene Begegnung, mächtig erregte. Daß Werner Petersen in freundschaftlicher Absicht zu ihm käme, vermochte er nicht zu glauben, aber welche neue Feindseligkeit konnte er denn im Schilde führen?
Es war ein Augenblick peinlicher Verlegenheit, als dir beiden alten trotzige»
Männer sich gegenüberstanden, aber er ging zum Glück sehr rasch vorüber. Der Kaufherr war es, der zuerst das Wort ergriff.
„Kapitän Herbold," sagte er, „ich komme zu Euch, um ein schweres Unrecht wieder gut zu machen. Wenn eS nicht früher geschehen ist, so hat das seinen Grund darin, daß ich zunächst die Genesung meines Sohnes abwarten wollte, denn nicht ohne ihn wollte ich bei Euch erscheinen! Ich w ll nicht sprechen von dem, was vor- gegangen ist. Wir sind wohl Beide nicht frei von Schuld, und wenn meine Ver- sündivung die größere gewesen ist, so habe ick auch schwerer dafür leiden müssen! Ich denke, Kapitän, wir könnten darum die alten Geschichten begraben! Aber mein Sohn ist Euch noch etwas schuldig, rmd da er binnen Kurzem als Teilhaber in meine Fnma eintritt, kann ich nicht zugeben, daß seine Schulden ungetilgt bleiben! Kapitän Herbold, ich halte für meinen Sohn um die Hand Eurer Tochter Elsbeth an."
Vielleicht hatte der Kaufherr trotz der Einfach,eit und Herzlichkeit, welche er an den Tag legte, doch erwartet, daß seine Werbung eine überwältigende Wirkung auf den asten Seemann haben würde; aber er hatte sich dann vollständig getäuscht. Zwar sckrmeg Kapitän Herbold eine kleine Weile, dann aber sagte er ganz ruh.g:
„Sie haben Recht, Herr Petersen! Das w wen Sie mir schuldig, und ich hätte mir's wohl denk'N können, daß ein Mann wie Sie glatte Rechnung macht. Die Antwort mag sich Ihr Sohn von meiner Tochter selber holen."
Er öffnete die Thür des Nebengemaches und bedeutete Kurt durch eine Handbewegung, einzutreten. Man hörte einen kleinen Schre« der Überraschung aus weiblichem Munde; dann blieb es eine geraume Weile still. Und dann — nun, dann trat Arm in Arm ein glückstrahlendes Paar über die Schwelle, und bei dem Anblick ihrer Kinder, die in der Seligkeit dieses Augenblicks alles Herzeleid vergaßen, das ihm voraufgegavgen war, schwand auch im Herzen der beiden Männer der letzte Groll dahin.
„Dagegen ist nichts zu machen, Herr Petersen," sagte Kapitän Herbold, in dem er seme Rührung hinter einem lustigen Auflachen zu verbergen suchte. „Bon Rechtswegen sollte ich ja nun eigentlich Nein sagen, — aber — weiß Gott! ich bringe es nicht über da» Herz!"
Ende.