Beilage zum „Calwer Wochenblatt"
Rro. 135.
Nnchdruck. verboten.
Der Schiffbruch der „Felicitas".
Erzählung von Ferdinand Herrmann.
(Fortsetzung.)
Noch niemals war Bernhard Heldrungen von so großer Aengstlichkeit gewesen, sich zu verspäten, als am folgenden Tage.
„Ein so gewissenhafter Geschäftsmann wie Röhrsdorf ist ohne Zweifel an die äußerste Pünktlichkeit gewöhnt", wiederholte er einmal über das andere, wenn Felicitas noch immer um ein wenig Zeit für die Beendigung ihres Anzuges bitten mußte. „Es würde einer offenbaren Beleidigung gleichkommen, wenn wir ihn warten ließen."
Aber seine Ungeduld verwandelte sich in lebhafte Freude, als Felicitas endlich im vollen Prangen ihrer jugendlichen Schönheit vor ihm stand und ihm lächelnd erklärt«, daß sie nunmehr bereit sei, ihn in die Höhle des Löwen zu begleiten. Sie hatte ganz unverkennbar eine besondere Sorgfalt auf ihre Kleidung und den Schmuck ihrer schlanken, biegsamen Gestalt verwendet, und Heldrungen konnte sich nicht enthalten, sie in einer Aufwallung liebevollen Vaterstolzes zärtlich in seine Arme zu schließen.
„Wie hübsch Du aussiehst, mein Goldkind! — Man könnte wahrhaftig glauben, daß es Deine Absicht sei, auf Erobemngen auszugehen!"
„Aber Papa!" flüsterte Felicitas vorwurfsvoll, und dabei wandte sie sich hastig ab, um ihm das dunkle Rot auf ihren Wangen zu verbergen.
„Nun, es war nicht gar so ernsthaft gemeint", bemhigte lachend der Gutsbesitzer. „Röhrsdorf ist sicherlich ein ausgezeichneter Mann, aber ich brauche wohl nicht zu fürchten, daß er Dir gefährlich werden könnte. Er bekommt ja schon graue Haare!"
Das junge Mädchen gab ihm keine Antwort, und während der Fahrt, bei welcher Heldrungen seine Erregung hinter großer Gesprächigkeit zu verbergen suchte, schaute sie fast unausgesetzt mit einem merkwürdig sinnenden und verträumten Ausdruck ins Weite.
Die stille Bewunderung, welche Felicitas ihrem neuen Bekannten entgegenbrachte, erlitt eine kleine Einbuße, als sie unter seiner Führung die Räume seines Junggesellenheims durchschritt. Sie hatte sich daraus gefaßt gemacht, überall nur spartanische Einfachheit zu finden, wie sie dem Manne der eisernen Arbeit zustand, und statt dessen sah sie aufdringlichen Prunk und eine Ueberladung mit Luxusgegenständen, deren geschmacklose Zusammenhäufung ihr an wirkliche Vornehmheit gewöhntes Auge empfindlich verletzte. Da gleißte und glänzte Alles um sie her. Alle Farben des Regenbogens fanden sich unmittelbar neben einander, und der Beschauer dieser bunten Herrlichkeiten mußte notwendig die Empfindung haben, daß bei der Auswahl der einzelnen Dinge vielmehr ihre Kostbarkeit als ihr künstlerischer Wert und ihre edle Schönheit maßgebend gewesen sei.
„Es ist die hohle Prahlerei eines Emporkömmlings!" würde Felicitas unter anderen Umständen gedacht haben; aber diesem Manne gegenüber, den ihre Einbildungskraft nun einmal mit dem Glanz eines Helden umgeben hatte, suchte sie geflissentlich nach einer anderen Erklärung. Er selber hatte ihr ja gestern gesagt, daß eine rauhe, entbehrungsreiche Jugend seine Empfänglichkeit und sein Verständnis für das Schöne gewaltsam erstickt habe; durste es ihm da noch zum Vorwurf gereichen, wenn er in seinem Streben nach höheren und edleren Genüssen auf falsche Bahnen geriet?!
„Sie werden keine größere Tischgesellschaft vorfinden", hatte Röhrsdorf gesagt. „Es ist niemand da außer Herr Sarnow, einem jungen Manne von meinem Personal, dem ich wegen seiner Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit besonderes Wohlwollen zuwende. Ich halte eS nicht wie Andere für einen Verstoß gegen die gute Güte, auch Leute von untergeordneter Lebensstellung an meinem Tische zu bewirten."
Felicitas würde das Verdienst einer solchen Handlungsweise noch größer gefunden haben, wenn der Bankier selbst cs minder nachdrücklich betont hätte, um so mehr, als er — wie ihr scheinen wollte — den hübschen und bescheidenen jungen Mann, auf welchen sie im nächsten Zimmer stießen, bei der Vorstellung, doch etwas hochmütig und von oben herab behandelte. Sie machte im Stillen die Wahrnehmung, daß dieser Herr Sarnow an Haltung und gesellschaftlichem Anstand dem Hausherrn um ein Beträchtliches überlegen war und daß sein kluges Gesicht einen sehr angenehmen Ausdruck von freimütiger Offenheit zeigte.
Während des Mittagessens, das mit der Vortrefflichkeit seiner Speisen und Getränke selbst den verwöhnten Heldrungen in wirkliches Entzücken versetzte, wurde natürlich mit keinem Worte von Geschäften gesprochen. Felicitas hatte den Ehrenplatz zwischen Röhrsdorf und ihrem Vater erhalten, während der Buchhalter Sarnow ihr gegenüber saß. Er beteiligte sich anfänglich sehr wenig an der Unterhaltung, die zumeist aus gleichgiltige Dinge Bezug hatte; als dann aber Heldrungen auf seine ausgedehnten Reisen zu sprechen kam und mit Bedauern erwähnte, daß er eine beabsichtigte Vergnügungsfahrt durch Egypten schon in Kairo, wo er durch die Nachricht von dem plötzlichen Tode seines Vaters ereilt worden sei, habe abbrechen müssen, machte Röhrsdorf den Gutsbesitzer darauf aufmerksam, daß sein Buchhalter nicht nur durch ganz Egypten, sondern bis tief in den Sudan hineingekommen sei. Nun wurde der junge Mann ohne sein Zuthun in das Gespräch gezogen, und Felicitas war auf das Höchste überrascht, als sie ihn mit Geist und Beredtsamkeit von seinen Erlebnissen und Beobachtungen sprechen hörte. Trotz der zurückhaltenden Bescheidenheit, die er auch jetzt noch zu bewahren wußte, offenbarten seine Schilderungen das feinsinnige Verständnis eines klugen und gebildeten Mannes, und es war nur natürlich, wenn die glänzenden Augen der jungen Dame mit wirklicher Spannung an seinen Lippen hingen. Herrn Hugo Röhrsdorf aber wollte die Teilnahme, welche seine schöne Nachbarin dem Buchhalter zuwandte, sichtlich wenig gefallen, und er nahm die erste Gelegenheit wahr, um in einer für Sarnow fast verletzenden Weise die Unterhaltung wieder auf andere Gegenstände zu testen. Felicitas
verhehlte sich nicht, daß der Bankier trotz seines sicheren Auftretens die Spuren schlechter Erziehung doch noch recht merklich an sich trage, und sie bemühte sich, seine Unhöflichkeit gegen den Buchhalter dadurch wieder gut zu machen, daß sie wiederholt das Wort an denselben richtete.
Nach aufgehobener Tafel flüsterte Röhlsdorf dem Gutsbesitzer erst einige Worte zu und kehrte sich dann gegen Felicitas.
„Ich sprach Ihnen vorhin von meinem Gewächshause, Fräulein Heldrungen, und Sie legten einige Begierde an den Tag, dasselbe kennen zu lernen. Ich glaube da wirklich mit großen Opfern etwas Sehenswertes zu Stande gebracht zu haben, und es macht Ihnen vielleicht Vergnügen, unter Herrn Sarnow's Führung einen Gang durch das Treibhaus zu machen, während ich hier mit Ihrem Vater einige Geschäfte bespreche. Ihr Begleiter kann Ihnen über jedes einzelne Pflänzchen Auskunft geben wie ein Buch, denn er ist ein großer Botaniker vor dem Herrn."
Die letzten Worte waren mit einem so unverkennbar spöttischen Anklang gesprochen, daß sie viel eher dazu bestimmt schienen, Sarnow herabzusetzen, als ihn zu rühmen. Auf Felicitas aber mußten sie diesen Eindruck doch wohl nicht hervorge- bracht haben, denn sie nahm mit großer Bereitwilligkeit den dargebotenen Arm des jungen Mannes, und sah im Fortgehen heiter plaudernd zu ihm auf, während sich Heldrungen nicht ohne gewaltige Herzbeklemmung bereit machte, die Vorschläge und Mitteilungen seines mächtigen Gastgebers in Empfang zu nehmen.
Und Herr Hugo Röhrsdorf war nicht der Mann, auf mühseligen und zest- raubenden Umwegen seinem Ziele zuzustreben. Nachdem er dem Gutsbesitzer eine seiner vorzüglichen Cigarren gereicht hatte, sagte er, sogleich in seinen kühlen, ge- schäftsmännischen Ton verfallend:
„Ihre Tochter wird voraussichtlich bald zurückkehren, und wir müssen uns darum so kurz als möglich fassen. Ich kann, wie ich schon gestern bemerkte, die unter den obwaltenden Umständen beinahe ganz wertlose Hypothek auf Dreilinden nicht nehmen; aber ich würde mich unter einer bestimmten Voraussetzung bereit finden lassen, das Gut zu kaufen."
Heldrungen war überrascht und bestürzt. Eine solche Lösung entsprach seinen Hoffnungen sehr wenig.
„Der Besitz ist seit hundert Jahren in meiner Familie, Herr Röhrsdorf. Ich glaubte nicht, daß ich mich jemals genötigt sehen könnte, das Haus zu verlassen, in welchem ich geboren wurde und in welchem meine Tochter das Licht der Welt erblickt hat."
„Hm! Diese Notwendigkeit hätte ja leicht unter noch ungünstigeren Nebenumständen an Sie herantreten können, Herr Heldrungen."
Die unzarte Anspielung auf einen Zwangsverkauf trieb dem Anderen das Blut in die Wangen. Auch die Demütigung, welche er bereit war, auf sich zu nehmen, mußte irgendwo eine Grenze erreichen.
„Das Unabänderliche mußte ich wohl oder übel über mich ergehen lasten, — eine freiwillige Aufgabe des alten Familiensitzes aber würde mir fast als eine Versündigung an dem Andenken meiner Vorfahren erscheinen", sagte er nicht ohne Stolz. „Wohin sollte ich auch mit meinen Sammlungen und mü all' den kleinen Liebhabereien, an denen mein Herz nun einmal hängt? Nein, ich bin zu alt, um mir jetzt noch eine neue Heimat zu suchen."
„Sie haben meine Bedingung noch nicht gehört. Vielleicht denken Sie anders über mein Anerbieten, wenn ich Jhnm sage, daß Dreilinden zwar mit seinem gesamten toten und lebenden Inventar in meinen unbeschränkten Besitz übergehen müßte, daß ich aber die Einrichtung des Herrenhauses nicht unter dieses Inventar rechnen und Ihnen ausdrücklich das Recht einräumen würde, bis an Ihren Tod darin zu wohnen, wenn — nun, sagen wir eS kurz heraus — wenn Sie sich mit meiner Bewerbung um Ihre Tochter Felicitas einverstanden erklären und mir ihre Einwilligung verschaffen."
Heldrungen starrte den Sprechenden an, als habe ihn der Bankier zum Gegenstand eines unziemlichen Scherzes gemacht. Unter allen Möglichkesten, auf die er gefaßt gewesen, war ihm gerade diese doch nicht für einen einzigen Augenblick in den Sinn gekommen.
„Ihre — Bewerbung — um meine Tochter Felicitas? Ja, mein Gott, Herr Nöhrsdorf — ist denn das wirklich Ihr Ernst?"
„Gewiß! Und ich glaube kaum, daß Sie ernsthafte Bedenken hegen werden! Ich bin reich und werde die Zukunft meiner Gattin nach jeder Richtung hin sicher stellen. Eine große Auswahl von annehmbaren Freiern werden Sie unter den obwaltenden Verhältnissen kaum noch haben, und wenn ich auch zugebe, daß ein gewisser Unterschied der Jahre vorhanden ist, so wäre doch Fräulein Felicitas selbst die Einzige, welche daran Anstoß nehmen könnte."
Er blies ohne alle Aufregung einige Rauchwolken aus seiner Cigarre und sah den Gutsbesitzer mit seinen kalten, durchdringenden Augen fragend an. Heldrungen stand noch immer zu sehr unter dem Eindruck der ersten, gewaltige» Ueber- raschung, als daß er sogleich eine bestimmte und bündige Antwort gefunden hätte, aber er hatte doch die Empfindung, daß Röhrsdorf unter keiner Bedingung verletzt und beleidigt werden dürfe.
„Ihr Antrag ist mir natürlich eine Ehre", sagte er unsicher, „eine sehr große Ehre, wenn auch ein wenig unerwartet, wie ich nicht zu leugnen vermag. So viel ich weiß, kennen Sie einander erst seit vierundzwanzig Stunden und es scheint doch gewagt —"
Röhrsdorf machte eine ungeduldige Bewegung.
„Das Wagnis wäre lediglich auf meiner Seite, denn was mich anbetrifft, so dürfte meine Vergangenheit zur Genüge für die Zuverlässigkeit meines Charakters bürgen. Aber was will das überhaupt bedeuten? Man kann sich meiner Ueber- zeugung nach überhaupt erst nach der Hochzeit kennen lernen, und für ein langes Girren und Schmachten bin ich eben nicht gemacht."
(Fortsetzung folgt.)