108. Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw. 66. Iahrgauk
Erscheint Dienstag» Donnerstag und SamStag. Die Einrückungsgebühr betrügt im Bezirk und nächster Umgebung S Psg. die Aeilr, sonst 12 Psg.
Samstag, den 12. September 1891.
Abonnemente»«!« »ierteljShrltch in der Stadt »0 Pfg. und ro Psg. TrSgerlohn, durch di« Post bezogen Mk. I. IS, sonst in ganz Württemberg Mk. I. Sb.
Deutsches Reich.
München, 9. Sept. Die große Parade der bayerischen Armee hat bei prachtvollem Wetter statin gefunden. Um ^/-9 Uhr verließ der Kaiser München.
<Er fuhr zur Rechten des Prinz-Regenten; zwei Hof- equipagen mit dem persönlichen Ehrendienst des Kaisers folgten. Die Prinzen und Prinzessinnen des königlichen und herzoglichen Hauses hatten sich schon vorher auf das Manöverfeld begeben. Auf der Hoftribüne sammelten sich die Staatsminister, das diplomatische Korps, der Erzbischof, die Bürgermeister von München u. s. w. Vor der Mitte des 1. Treffens sah man den Prinzen Leopold, den Oberbefehlshaber der Parade mnd hinter ihm Prinz Arnulf, Führer des I. Armeekorps. Auf dem rechten Flügel der gesamten Aufstellung sammelte sich die farbenprächtige Suite. Von allen Seiten her marschierten nach 8 Uhr die Truppen heran und stellten sich, zuerst die Artillerie und der Train, dann die übrigen Abteilungen an ihren Plätzen auf. Die Fußtruppen standen in Doppelkolonnen, die Kavallerie in Eskadron, die Artillerie und der Tram in Tiefkolonnen. Das 2. Armeekorps stand -unter Befehl des Generals der Infanterie v. Parseval. Auf dem rechten Flügel des 1. Treffens stand der Feldmarschall Graf v. Blumenthal als Chef der 4. Armeeinspektion, mit dem Marschallstabe in der Hand. Vor dem rechten Flügel stand die große Zahl der militärischen Zuschauer, fremdherrliche und deutsche Offiziere aller Kontingente, die Kadetten u. s. w.; vor der Tribüne die Kriegervereine mit dem bair. Bundesbanner. Von einem Fesselballon aus wurden photographische Aufnahmen gemacht. *Clm 9 Uhr erschien an der Seite des Prinz-Regenten der -Kaiser auf einem prachtvollen Rappen. Die gesamte Paradeaufstellung präsentierte. Die Klänge des Fahnenmarsches übertönte der gewaltige dreimalige Hurrahruf, beide hohe Herren empfingen vom Prinzen Leopold den Frontrapport, begrüßten die fürstlichen
Damen und begannen dann, der Kaiser zunächst den Truppen, den Abritt der Fronten. Jedem Bataillon rief der Kaiser sein „Guten Morgen" zu und „Guten Morgen, Ew. Majestät" hallte es mit kräftigem Gruße zurück. Beim dritten Treffen zog der Kaiser vor der Front seines Ulanenregiments den Säbel, salutierte Sr. K. Hoheit dem Regenten und geleitete ihn als Negimentsinhaber längs der Front des Regiments. Dann setzten der Kaiser und der Prinzregent ihre Pferde in Trab und begaben sich zu den Kriegervereinen. Der Kaiser beehrte einzelne, namentlich Inhaber des Eisernen Kreuzes, mit Ansprachen. — Dann begann der Vorbeimarsch der Truppen. Die Prinzen des königlichen Hauses führten ihre Regimenter vor, der Kaiser sein Ulanenregiment, wobei das Publikum in stürmische Hochrufe ausbrach. Nach dem Vorbeimarsch der Truppen erfolgte noch ein Parademarsch der Kavallerie im Gallopp. Auch diesmal stellte der Kaiser, vom Publikum mit lebhaftem Zuruf begrüßt, sich mit gezogenem Säbel an die Spitze seines Regiments, dasselbe dem Prinzregenten vorführend. Nach beendetem Vorbeimarsch gab der Kaiser den in weitem Kreise um ihn versammelten höheren Befehlshabern, vom Brigadekommandeur an aufwärts, die Kritik und darauf verließen die beiden Allerhöchsten Herren das Paradefeld.
Gestern abend 7 Uhr fand zu Ehren des Kaisers im K. Hoftheater eine Festvorstellung statt. Gegeben wurde Cornelius' romantische Oper „Der Cid". Das festlich beleuchtete Haus war dicht besetzt. Der Kaiser erschien zur Rechten des Prinz-Regenten in der Königsloge, ihm zur Seite Prinzessin Terese. Während der ganzen Vorstellung blieben die hohen Herrschaften auf ihren Plätzen.
— Die Kaiserin trifft am Donnerstag den
10. ds., abends 8 Uhr, auf Wilhelmshöhe ein. Empfang findet nicht statt. Der Kaiser, welcher am
11. um 10 Uhr morgens Röhrmoos verläßt, kommt mittelst Sonderzugs abends 8 Uhr in Kassel an und
die Kaiserin begrüßt ihren Gemahl auf dem Bahnhöfe, wo dann großer militärischer Empfang stattfindet. Im Orangerieschloß findet die Vorstellung der Zivilbehörden statt. Nach dem Festmahl, an welchem außer dem Kaiserpaar und dessen aus 60 Personen bestehendem Gefolge 270 Mitglieder des Kommunallandtages, der königlichen und städtischen Behörden usw. mit ihren Damen teilnehmen, hören der Kaiser und die Kaiserin vor dem Schlosse die Serenade des Niederhessischen Sängerbundes an und begeben sich dann durch die festlich geschmückten Straßen nach Wilhelmshöhe. Samstag den 12. ds. beginnt die Parade ves Armeekorps um 9 Uhr. Um 6 Uhr ist Paradetafel im Roten Schloß. Um 6 Uhr 30 Min. verläßt der Kaiser die Stadt und fährt nach Erfurt, um die Führung des 4. Korps zu übernehmen.
— Der Kaiser soll am 21. Sept. zur Jagd in Rominten (Ostpreußen) eintreffen und den norwegischen Bau in Theerbude, „Jagdhaus Rominten" benannt beziehen; der Kaiser wird auf dieser Jagdreise auch einem Teck des Manövers beiwohnen.
— Bezüglich des Entwurfs zu dem sogen. Trunksuchtgesetz werden zunächst noch die Aeußer- ungen der einzelnen Bundesregierungen in Berlin erwartet. Es ist bereits bekannt, daß einzelne Regierungen über den Entwurf in Beratung getreten sind und hie und da sogar ein Enqueteverfahren angeordnet haben. Nach der Köln. Z. verlautet, daß in verschiedenen Einzelstaaten sich bereits Widerspruch gegen grundsätzliche Bestimmungen des Entwurfs geltend gemacht hätten.
— Der an der Küste von Mozambique gestrandete Reichspostdampfer „Kanzler" ist, wie ein weiteres in Sansibar aufgegebenes Kabeltelegramm des „Berl. Tagblatt" meldet, total wrack geworden, Passagiere und Post sind gerettet. Durch den Verlust dieses Dampfers hat die Deutsche Ostafrika-Linie einen empfindlichen Schlag erlitten. Der verunglückte
6 44 4 bbo 1 44» Nachdruck verboten.
Jürstin WclvcrnorV.
Novelle von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)
Der Professor unterbrach sie mit einer ungeduldigen Geberde.
„Wir aber werden wohl thun, auch mit diesem Engel des Herrn noch zu 4 Mgen, soweit unsere Kräfte reichen! — Ich verfüge nicht über die Gabe, dergleichen überirdische Dinge wahrzunehmen, und Sie werden es verzeihlich finden, wenn ich vorläufig auf meine Wissenschaft mehr vertraue, als auf Anzeichen, für die mir das Verständnis fehlt, und die ich für recht trügerisch halte. Auf das Bestimmteste aber hoffe ich, daß auch Sie sich durch Ihren vermeintlichen Scharfblick nicht hindern lassen werden, bis zum letzten Augenblick Ihre Pflicht zu thun!"
„Es bedarf dazu keiner Mahnung, mein Herr! Aber Ihre stolze Gelehrsamkeit wird den Willen Gottes ebenso wenig aufhalten, als meine schwache Kraft. Lasten Sie uns beten, daß er der Mutter Mut verleihe, ihren Schmerz mit Ergebung zu tragen."
Und sie faltete die Hände und senkte das Haupt, während ihre Lippen sich in lautlosem Gebet bewegten. Dem Professor aber schien es schwül zu werden in dem kleinen Gemach. Er strich sich das Haar aus der Stirn und trat auf die Terrasse hinaus. Wahrscheinlich wußte er nicht, daß er Alice dort treffen würde, denn als Hre schlanke Gestalt an die hölzerne Balustrade gelehnt, nun plötzlich vor ihm stand, 4var er sichtlich nicht minder betroffen als sie selbst, die sich bei dem Geräusch seiner Schrille hastig und erschrocken umgewendet hatte.
„Dem Kinde ist doch nichts geschehen?" fragte Alice ängstlich, schon bereit 4»r Thür wieder zuzueilen; aber Nordenfeld hielt sie mit einer beruhigenden Be- «egung zurück.
„In Guido's Befinden hat sich nichts geändert!" sagte er. .Aber es überrascht mich, Sie noch hier zu finden, Alice! Sie bedürfen der Ruhe und der Schonung sehr dringend, glauben Sie mir das!"
„Sie meinen es gut mit mir, Herr Professor, aber es ist nutzlos, mich daran zu mahnen. So lange das Kind in Gefahr ist, vermag ich doch keine wirkliche Ruhe zu finden, und ich werde später Zeit genug haben, mich zu erholen."
„Später? — Sie sagen das in einem so wehmütigen Ton, als ob Sie der Zukunft ohne Freudigkeit cntgegensähen!"
Alice bewegte verneinend den Kopf, aber sie wendete ihr Gesicht dabei von ihm ab.
„Sie haben meinen Worten eine falsche Deutung gegeben," sagte er mit gepreßter Stimme. „Ich habe so wenig Ursache, mich auf die Zukunft zu freuen, als sie zu fürchten."
Nordenfeld trat noch näher zu ihr heran. Es war etwas still Schmerzliches in ihrem Wesen, das seine Teilnahme für das liebliche Geschöpf noch wärmer und inniger werden ließ.
„Das ist nicht die Sprache, welche Ihrer Jugend ansteh't, Alice! Eine so müde Gleichgültigkeit ist das traurige Recht des Alters oder einer tief bekümmerten Seele, es berührt schmerzlich, ihre Aeußerungen aus einem frischen, lebenschwellenden Munde zu vemehmen."
„Vielleicht ist es auch nur die Sorge um den Knaben, die mich niederdrückt," sagte sie ausweichend. „Wie soll ich an eine fröhliche Zukunft denken können, da die Gegenwart so traurig ist!"
„Gerade deshalb sollten Sie es thun!" — Und seine Stimme 'nahm unbewußt wieder einen herben Klang an. „Dreimal glücklich Derjenige, der über einem lachenden Phantasiegebilde der Zukunft wenigstens für eine kurze Spanne Zeit den dumpfen Druck des Augenblicks zu vergessen vermag. Nicht Jeder ist in dieser Lage, Alice, Sie aber haben glücklicher Weise kein Recht, sich zu jenen Bedauernswerten zu zählen. Vor Ihnen liegt ein ganzes Leben voll Blumen und Sonnenschein! Ihre