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Körper .so, daß er auf den Waden sitzt, die Knie reichen fast bis an das Kinn. Der Blutumlauf muß auf diese Weise gehemmt und die Ernährung der Beine verkümmert werden. Drollige Dingerchen sind die Kleinen. Es kostet nur einen Blick, um zu erkennen, daß dieser Stamm auf einer gar nicht unbedeutenden Kulturstufe angelangt, und daß seine Bildungsfähigkeit eine sehr beträchtliche ist.
Reutlingen, 16. Juli. Heute abend 5 Uhr begann auf der hiesigen Schießstätte das Probeschießen für das am nächsten Sonntag, Montag und Mittwoch stattfindende 13. Württembergische Bundesschießen. Nachdem auf dem 300 Meter-Stand etwa 50—60 Schüsse gefallen waren, senkten sich sämtliche 6 Scheiben und durch das angebrachte Telephon wurde gemeldet, daß ein hiesiger Bürger geschossen sei. Eine Kugel hatte einem braven Bürger, der mehr als eine Viertelstunde vom Schießplatz entfernt mit Heuladen beschäftigt war, die ganze Brust durchbohrt. Der Verunglückte ist noch am Leben. Ob ihm dasselbe jedoch erhalten bleibt, ist äußerst fraglich, da die Lunge nach dem Ausspruch dreier Aerzte quer durchschossen ist. Das Unglück war gleich einem Lauffeuer in der ganzen Stadt verbreitet und die Teilnahme mit dem braven Familienvater und seiner Familie ist eine allgemeine. Wer und was an dem Unglück die Schuld trägt, wird die nähere Untersuchung ergeben.
Reutlingen, 19. Juli. Erstes Schießergebnis des heutigen Tages 2 Becher auf Feldscheibe 300 Meter: 1) Adolf Vogel, Regimentsbüchsenmacher in Stuttgart, 2) Ludwig Sontheimer in Tübingen.
Friedrichshafen, 16. Juli. Mit Rücksicht auf Allerhöchst-Jhre Gesundheit, welche Seiner Königlichen Majestät besondere Ruhe und Schonung auferlegt uud daher zu Allerhöchst-Jhrem Bedauern den Empfang von Besuchen und das Erlassen von Einladungen verbietet, haben Ihre Majestäten Sich auch genötigt gesehen, die Einladung, die Allerhöchst-Sie an Se. Hoheit den Prinzen und Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Hermann zu Sachsen-Weimar, sowie J.J. H.H. die Prinzessin Olga und den Prinzen Alexander zu einem mehrwöchigen Aufenhalt in Friedrichshafen hatten ergehen lassen, auf spätere Zeit zu verschieben. Demgemäß sind die prinzljchen Herrschaften, welche in den letzten Wochen in der Seiner Hoheit dem Herzog von Sachsen-Meiningen gehörigen Villa Carlotta amComer- See verweilt hatten, von dort direkt nach Stuttgart zurückgekehrt. Zur Begrüßung der Weimar'schen Herrschaften bei der heutigen Durchreise durch Friedrichshafen waren die Damen und Herren des K. Gefolges am Hafen erschienen. Staatsanz.
Friedrichsruh, 16. Juli, lieber die Abreise des Fürsten Bismarck bringen die Hamb. Nachr. folgenden Bericht: Fürst Bismarck hat, wie schon kurz erwähnt, heute nachmittag um 1 Uhr Friedrichsruh verlassen, um nach einem kurzen Aufenthalt in Schönhausen Bad Kissingen zur gewohnten
Kur aufzusuchen. Fürst Bismarck fährt heute zunächst nach seinem Gute Schönhausen, wo sein Aufenthalt auf ein bis zwei Tage berechnet ist. Letzterer gilt vorzugsweise der Besichtigung der in Schönhausen unter Leitung des Grafen Herbert erfolgten Aufstellung des Bismarck-Museums. Von Schönhausen reist der Fürst alsdann über Magdeburg-Güsten, Thüringen nach Bad Kissingen. Im Gegensatz zum Vorjahre wird ihn seine Gemahlin dieses Jahr nach Kissingen begleiten. Dort gedenkt der Fürst 3—4 Wochen zu verweilen, um sich später nach Varzin zu begeben, bis dann im Herbst die Rückkehr nach Friedrichsruh erfolgt.
Berlin, 14. Juli. Von neuen falschen Fünfzigmarkscheinen wird folgende Beschreibung amtlicher- seits veröffentlicht: Das Papier besteht aus zwei zusammengeklebten Blättern, zwischen welche die aus gefärbter Jute und Hanf bestehenden Fasern eingestreut und dann unter Anfeuchtung eingepreßt worden sind. Die Tönung des Faserstreifens der echten Reichskasienscheine ist durch Ueberpinseln mit blauer Farbe, die Riffelung durch ungleichmäßig verlaufende Striche mit einer Ziehfeder oder einer Nadel nachgeahmt. Die Zeichnung beider Seiten ist nicht durch, Kupferdruck, sondern als photographische Kopie hergestellt. Das Falschstück ist 5 mm zu breit und 2 mm. zu hoch. Die rote Wertbezeichnung „Fünfzig Mark", der Kontrolstempel und die Nummer sind nicht mit Typen aufgedruckt, sondern durch Uebertuschen den photographischen Zeichen mit roter Wasserfarbe nachgebildet und mit einer glänzenden Lack- oder Collodium- schicht überzogen. Auf der Schauseite ist außerdem die Zeile „Fünfzig Mark," sowie der linksseitig angebrachte größere Reichsadler zur Erzielung des dunkleren. Farbentons mit Umdruckktinte nachgezeichnet. — Die Reichsschuldenverwaltung sichert demjenigen eine Belohnung bis zu 2000 zu, welcher den Verfertiger oder wissenschaftlichen Verbreiter falscher Fünf- oder Fünfzigmarkscheine der Polizei oder dem Gerichte derartig bezeichnet, daß er mit Erfolg zur Untersuchung, und Strafe gezogen werden kann. (In einem Falle sind auch schon Fälscher von Fünfzigmarkscheinen verhaftet.)
— Einen Distanzritt von Berlin nach seiner Garnison Ludwigsburg hat, wie die Sportw.. berichtet, in der zweiten Hälfte des Juni ein württ. Artillerieoffizier unternommen. Lieutenant Klotz vom 2. Feldart.Reg. Nr. 29 Prinzregent Luitpold von Bayern verließ nach Beendigung seines Kommandos, zur Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule Berlin am 17. Juni Nachmittags 2 Uhr auf seinein Braunwallach Rivoli, einem 7jährigen Ostpreußen, und traf am 29. Juni Abends 4 Uhr in Ludwigsburg ein. Es wurde somit die gesummte, über 650 km betragende Wegstrecke in 12 Tagen und 2 Stunden zurückgelegt. Das Pferd blieb während der ganzen Dauer des Ritts, vorzüglich in Kondition und war nach einigen Tagen der Schonung wieder in vollem Umfange zu gebrauchen..
Tages-Ueuitzkeiterr.
Calw. Am nächsten Samstag, den 25. ds, wirv Se. Exzellenz Staatsminister Dr. v. Mittnacht hier eintreffen und von den hies. Behörden am Bahnhof empfangen werden. Der Besuch Seiner Excellenz bezweckt die Beratung von Eisenbahnfragen mit den Beiräten der Verkehrsanstalten. Am Nachmittag werden die Teilnehmer mit Zug 3,26 nach Teinach fahren, woselbst im Badhotel ein gemeinschaftliches Mittagessen stattsindet.
— Das gestrige Konzert der Lenzschen Kapelle war infolge des am Nachmittag eingetretenen prächtigen Wetters sehr zahlreich besucht. Die trefflichen Vorträge der Kapelle fanden den ungeteilten Beifall der Zuhörer.
Stuttgart, 17: Juli. Verflossene Nacht ist die Somalikarawane im Nill'schen Tiergarten eingetroffen. Menschen und Tiere fanden ihre Streu sorgfältig vorbereitet und fühlten sich sofort heimisch.
Zum Frückstück gabs Butterbrod und Thee. Die Wecken wurden auf einer Seite angeschnitten und zwar soweit, daß sie ihres weichen Eingeweides entledigt werden konnten. Die so gewonnene Höhlung wurde mit Butter ausgefüllt und diese mit dem Messer oder mit dem Finger gestrichen. Die Somali leiden keinen Mangel; was an Nahrung erforderlich ist, wird ihnen aufs Reichlichste geboten. Auffallen muß, daß die Familien und die ledigen Männer ihr Frühstück getrennt zu sich nehmen. Es mag wohl daher rühren, daß die ledigen Bursche in ihrer guten Laune zu allem möglichen Schabernack aufgelegt sind.
Am meisten hat darunter der einzige zu leiden, der etwas leidend ist; er ist bei einem der Kümpfe durch einen Pfeilwurf am Fuße verwundet worden, ein Umstand, der ihn einigermaßen an der Bewegung hindert. Das ists, was den Uebermut der Anderen herausfordert. Kaum war das Frühstück eingenommen, so wurde ein fettes Schaf herbeigebracht. Der Junge, der das Amt eines Schlächters versieht, ist mit vorzüglichen Messern versehen. Kaum ist das Schlachtopfer niedergeworfen, so wird ihm auch mit einem Zuge der Hals bis auf die Halswirbel durchgeschnitten, der Somali sticht nicht, er ist gewohnt, zu schlichten.
Der Metzger ist so gewandt, daß er in wenigen Minuten das Schaf abgezogen hatte, ohne auch nur ein Rizchen in die Haut oder in das Fleisch geschnitten zu haben. Ein Schaf reicht für zwei Tage als Hauptnahrungsmittel. Die Somali haben eine auffallende Ähnlichkeit mit den Singalesen, die vor einigen Jahren hier waren. Beide haben die schwarzbraune Farbe und den Wollenkopf gemeinsam, ferner den plastisch schönen Oberleib, die runden, wenn auch nicht gerade muskulösen Arme und die schwachen Beine. Das letzte ist, was am meisten in die Augen fallen muß. Es erklärt sich wohl unschwer aus der Lieblingsstellung des Somali, wenn er ruht, er setzt sich meistens nicht auf den Boden, sondern senkt den
er haßte, gewilligt haben würde. Nur eine so furchtbare Katastrophe, wie der Tod meines Bruders, konnte seinen Sinn in dieser Beziehung so völlig umwandeln."
„Und du hast nie daran gedacht, den Kampf mit diesem seinem Haß zu wagen," sagte er mit leisem Vorwurf, „und zu versuchen, ob sich sein starrer Sinn nicht erweichen ließe, wenn es das Glück der geliebten Tochter galt?"
„Der geliebten Tochter!" wiederholteste bitter und ihr Auge schweifte scheu nach dem Schloß, wo unter einer glasgedeckten Veranda an einem mit Zeitungen bedeckten Tffch ein weißhaariger, düster blickender Mann saß. „Bist du so wenig Menschenkenner, Richard, daß du drei Wochen mit uns unter einem Dache l den kannst, ohne zu sehen, daß ick dem Herzen des Vaters ganz fern stehe."
„Armgard!" rief der junge Mann bestürzt.
„Es ist so," sagte sie ruhig, „er hat es mir nie vergeben, daß ich ein Mädchen und kein Knabe war, wie er es meiner armen Mutter lange Jahre als eine Schuld angerechnet, daß sie ihm keine Erben seines Namens geboren. DaS erste freundliche Wort für sie aus seinem Munde habe ich gehört als er nach der Geburt meines Bruders in das Zimmer trat, wo sie bleich und erschöpft auf ihrem Lager ruhte, und die Wärterin ihm den so heiß ersehnten Stammhalter in die Arme legte. Ich war hinter ihm herein geschlichen und wollte auch das Brüderchen sehen, aber er stieß mich rauh zurück, als ich den Knaben, den er im Arme hielt, zu küssen versuchte. Keine Thräne habe ich in seinem Auge gesehen, als man wenige Tage später meine geliebte Mutter hinaustrug zur letzten Ruhestätte, mit keiner liebevollen Erinnerung hat er je in meiner Gegenwart der Toten gedacht, für ihn gab es nur ein Wesen, das er liebte, um das er sorgte und bangte: seinen Sohn. Ich, die Tochter, war ihm stets völlig gleichgiltig."
„Wie furchtbar muß es dann für ihn gewesen sein," sagte Richard, „diesen über alles geliebten Sohn zu verlieren, und noch dazu auf solche Weise; man behauptete damals, er habe ihn selbst aus Unvorsichtigkeit auf der Jagd erschossen."
„So ist es! Ein unseliges Zusammentreffen von Zufälligkeiten ließ das Gräßliche geschehen."
„Erzähle mir das Nähere. Ich kenne den eigentlichen Hergang nicht, da so verschiedene Gerüchte darüber cirkulierten."
„Mein Vater," crwiederte Armgard, „hatte Hans auftsein dringendes Bitten an seinem dreizehnten Geburtstag eine kleine Flinte geschenkt, aber die Bedingung daran geknüpft, daß er nur in seiner oder des Försters Begleitung mit derselben in den Wald gehen dürfe, was der Knabe auch fest versprach. Eines Tages nun, als mein Vater sich auf die Jagd begeben hatte, um, wie Hans wußte, in einer bestimmten Richtung auf einen Hirsch zu pürschen, ging der Knabe mit seiner Flinte heimlich in den Wald, um einmal ganz ohne Aufsicht jagen zu können. In seinem Jagdeifer verirrte er sich und kam ohne es zu bemerken in die Gegend, wo der Vater auf dem Anstand war; mit seinen scharfen Augen erkannte er ihn von fern, und versteckte sich in einen Busch, um dort zu warten, bis derselbe sich entfernt haben würde. Mein Vater, der kurzsichtig war, sah die Zweige des Buschwerks sich bewegen, und hielt in dem ungewissen Licht der Abenddämmerung den etwas hervorragenden Lauf von Hansens Flinte für ein Hirschgeweih, schoß — und traf den
Knaben tötlich. Laß mich von den Tagen voll Jammer und Verzweiflung,
die nun folgten, schweigen. Hans lebte noch vierundzwanzig Stunden bei
klarem Bewußtsein und aus seinem eigenen Munde erfuhren wir den traurigen Hergang. Mein Vater war von da an ein gebrochener Mann, alle seine Hoffnungen waren mit dem Sohne zu Grabe getragen, das Leben hatte jeden Reiz für ihn verloren und er wurde der düstere, menschenscheue Greis, als den du ihn kennen gelernt hast. Sein Schmerz um den Verlorenen erhielt noch einen schärferen Stachel durch Gewisscnsvorwürfe die er sich machte, er glaubte nämlich in dem Unglück, das ihn auf so verhängnisvolle Weise getroffen, die Vergeltung für ein an deinem Vater begangenes Unrecht zu sehen, und darin liegt die Erklärung dafür, daß er nach deinem verschollenen Bruder mit so fieberhaftem Eifer geforscht, und ihn so gern- durch eine Heirat mit mir zum Erben von Rauheneck gemacht hätte."
(Fortsetzung folgt.)