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Arnts- und AnzeigeblcrtL für den Bezirk^nlw. ^66. Iahrgavz.
Erscheint D i en S t a o , Donnerstag und SamStag. Die Einrücklingsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Pfg. die Aeile, sonst 12 Pfg.
Dienstag, den 7. Juli 189t.
vierteljährlich in der Sta^t SO Pfg. und 20 Pfg. TrSgerlohn, durch die Post bezogen Mk. l. 15, sonst iv ganz Württemberg Ml. 1. Sb.
Deutsches Reich.
Berlin, 4. Juli. Die Blätter begleiten die Kaiserreise nach England mit warmen sympathischen Betrachtungen. Die „Nordd. Allg. Ztg." hebt hervor, die soeben kund gewordene Verlängerung des Dreibundes werde allenthalben als schönstes Geschenk gepriesen, womit der Kaiser das Volk Großbritanniens erfreuen konnte. Heute mehr als je werde die gegenseitige Anerkennung der beiden stammverwandten Nationen, der Deutschen und Engländer, von dem Bewußtsein getragen, daß an der Kulturarbeit der Menschheit beide mitzuarbeiten berufen seien, ohne durch widerstreitende Interessen eine Störung des friedlichen Wetteifers befurchten zu müssen.
— Das „Frkf. I." schreibt: Die Wertlosigkeit von Ostafrika wird bekanntlich von der „Freist Atg." aus der Broschüre nachzuweisen gesucht, welche der frühere geschästsführende Direktor der Deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft, Ernst Vohsen, unter dem Titel „Colonialprogramm für Ostafrika" veröffentlicht. Herr Voysen wird von der „Freist Ztg." mit einem trockenen und einem feuchten Auge angesehen, mit einem trockenen, insofern Herr Vohsen betont, daß von den für das Küstengebiet und den eigentlichen Karawanenhandel zur Verwendung kommenden Waren bis jetzt drei Vierel aus Indien und Arabien kommen; mit einem nassen, insofern .Herr Vohsen sich unterfängt, an der Zukunft Ostafrikas nicht nur nicht zu verzweifeln, in dieselbe vielmehr große Hoffnungen zu setzen. Die Auseinandersetzungen des Herrn Eugen Richter, bemerkt dazu die „Deutsche volkswirtschaftliche Correspondenz", riechen allzu stark nach der Börse und deren Verlangen, des Morgens zu kaufen, um des Abends mit
Gewinnst zu realisieren. Wenn Herr Eugen Züchter bemerkt, daß der indische Geschästsumsatz für Ostafrika seit 1889 von 15 auf 30 Millionen Mark gestiegen ist, so beweist das doch eine Entwicklungsfähigkeit des ganzen Verkehrs, die bemerkenswert und ermunternd ist. Dabei verschlägt es durchaus nichts daß wir vorläufig noch mit einem sehr geringen Teil an dem Handelsverkehre in Ostafrika teilnehmen. Wie könnte es wohl anders sein, da doch die deutschfreisinnige Colonialpolitik sich wie ein Mehltau auf jeden Aufschwung der Thätigkeit deutscher Kaufleute legt, und die nationalgesinnte deutsche Presse genug zu thun hat, um die Feindseligkeiten gegen die colonialen Bestrebungen abzuwehren? Gewaltige Erfolge aus unserer Colonialpolitik nach sechsjähriger colonialer Thätigkeit erwarten, ist doch dasselbe, als wenn man 8 Tage nach dem Säen schon ernten wollte. Alle Colonialvölker haben langandauernd und mutig gearbeitet, bevor sie aus ihren Colonien jene Vorteile gezogen haben, die heute unser Staunen und unseren Neid Hervorrufen. Auch uns Deutschen wird man die Vorteile nicht auf dem Präsentierteller entgegenbringen; wir müssen sie uns eben auch mit harter Arbeit erringen. Und jeder gute Patriot hat die Pflicht, diese Arbeit mit seinen besten Segenswünschen zu begleiten.
Ausland.
Amsterdam, 2. Juli. Die Majestäten wurden bei Antritt der Wasserfahrt vom Kanonensalut der Kriegsschiffe begrüßt, die Musik spielte die deutsche Hymne. Der Enthusiasmus der versammelten Menge war unbeschreiblich. Abends 7 Uhr fand im königlichen Palais ein Diner von 54 Gedecken statt.
Amsterdam, 2. Juli. Der Kaiser hielt heute nachmittag eine Revue über die holländischen
Kriegsschiffe ab, welche er zweimal umfuhr. Hierauf begab sich der Kaiser, durch die Schleusen der Stadtkanäle einfahrend, auf die Amstel, fuhr diese entlang und wohnte dann der Ruderregatta bei, auf welcher alle hiesigen Rudervereine vertreten waren. Der Verein „Amstel" errang die beiden ausgesetzten Preise. Das Publikum hielt die Ufer dicht besetzt und begrüßte überall den Kaiser mit brausenden Hochrufen.
Rotterdam, 3. Juli. Nach der Spazierfahrt durch die Stadt und der Besichtigung des Hauptquais traf das Kaiserpaar gegen 6 Uhr am Landungsplätze der - „Hohenzollern" ein. Die Königin- Regentin und die Königin Wilhelmine geleiteten dasselbe an Bord. Nach herzlichster Verabschiedung, während welcher die Nationalhymnen gespielt wurden, erfolgte die Abfahrt, wobei das Geschwader, welches die kaiserliche Jacht bei der Ankunft empfangen hatte, dieselbe bis ans Meer begleitete. Auf dem ganzen Wege wurde das Kaiserpaar mit Jubel begrüßt.
London, 4. Juli. Die Vorbereitungen zum Empfange des Kaiserpaares sind beendigt und lassen einen glänzenden Empfang abwarten. Die Morgenblätter drücken die sympathischen Empfindungen Englands aus. Der Daily Telegraf meint, die Banoe, die beide Nationen verknüpfen, seien durch die jüngsten Vorgänge noch enger geworden. Daily News sagen, der Dreibund sei der Erhaltung des Friedens gewidmet, England stehe demselben mit Recht freundlich gegenüber. Englands Sympathie für Italien sei so stark als jemals. Standard und Times heben die Gemeinsamkeit der deutschen Interessen Deutschlands und Englands hervor, die im Geiste zur Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Systems in Europa verbündet seien.
t bkt? 1 11. Nachdruck »«rbotrn.
Die Spionin.
Roman auS dem russischen Nihilistenleben.
Nach den Aufzeichnungen eines Petersburger Polizeibeamten.
Von Willibald Mencke.
(Fortsetzung.)
Ihre Thränen flössen wieder stärker. Er trocknete sie mst dem Tuche, das er aus ihrer Hand nahm. Er streichelte ihr das Haar von den Schläfen weg und küßte sie auf die Stirne.
„Fasse Dich, mein Kind. Sei die starke tapfere Vera, die Du immer warst."
„Wie Du gut bist, Pav'!" -
„Vergiß ihn, und" —
Der warme Körper des jungen Mädchens lichte an seiner Brust. Er fühlte den Schlag ihres Herzens und ihr heißer Atem streifte seine Wangen. Alles, was er Monate lang in seinem Inneren verschlossen hatte, drängte sich in einem leidenschaftlichen Ausbruche seiner Gefühle hervor.
„Vergiß ihn und — liebe mich", flüstert: er ihr in das Ohr; und sein Mund suchte den ihrigen.
„Pauk", rief sie ans, indem sie sich seiner Umarmung zu entziehen suchte.
Aber nur um so fester umschloffen sie seine Arme. Er drückte sie mst dem Ungestüm einer lange unterdrückten und nun gewaltsam hervorblechenden Leidenschaft an sich und schloß ihren Mund mst glühenden Küssen.
«Ich liebe Dich, Vera!" lief er aus, indem er die Worte hastig und in abgebrochenen Sätzen heroorstieß. „Sei die Meine, wie Du die Seine warst. Bin ich Deiner weniger wert, als er? War ich nicht immer Dein guter Freund? Oder glaubst Du, ich hätte Fischblut in den Adern? Du lehnst diesen Kopf an mein
Herz; aber dieses Herz ist jung und cs schlägt nur für Dich, Vera. Ich liebe Dich, Vera, und ich will glücklich sein, wie er. der dieser Gunst so wenig würdig war. Ich liebe Dich, Vera."
Immer heftiger umschloffen sie seine Arme; immer wieder und leidenschaftlicher brannten seine Küsse auf ihren L-ppen.
Es schien, als ob sie keinen Versuch mehr mache, sich der Glut seiner Umarmung zu entziehen. Es war, als ob sie in einen Zustand der Apathie versunken sei und sich willig ia ihr Schicksal ergeben habe. D,nn auf einmal sprang sie mst einer letzten Anstrengung ihrer körperlichen Kräfte von ihrem Sitze auf und es gelang ihr, sich den Fesseln seiner Arme zu ent.eißen und sich hinter den Tisch zu flüchten, der sie nun kennte.
„Elender!" — lief sie auS. „Geh' hinweg von mir! Ich Haff- Dich, wie ich Euch alle Haffe! Hinweg! sag' ich."
Er hatte sich erhoben und ging um den Tisck, herum, um seine Beute wieder einzufangen. Aber ehe er sie erreichte, ha're sie einen Revolver aus einem Gefache ihres Schreibtisches genommen, besten Lauf sie auf ihn richtete.
„Hinweg, Schurke, oder Du bist des Todes!"
Langsam schlich er sich zur Thür hinaus. Es war, als ob in seinen Augen, als er den letzten Blick auf sie richtete, ein Strahl jenes tötlichen Haffes auflcuchtete. dm so oft die verschmähte Liebe erzeugt. —
Sie warf sich, nachdem sie die Thür hinter ihm geschloffen, auf das Sopha Ihre Augen fanden keine Thräne mehr. Eine unheimliche Ruhe kam über sie, wie sie über Menschen kommt, die mit dem Leben abgeschloffen haben. Sie dachte nicht mehr an Denjmigen, der sie durch einen brutalen Ausbruch seiner sinnlichen Leidenschaft in Angst und Schrecken versetzt hotte; ihre Gedanken kehrten zu Dmstri zurück. Zuweilen tauchte das Bild des schönen Mädchens vor ihr auf. und sie empfand die Regungen der Eifersucht wie einen physischen Schmerz, der an ihrem Herzen bohrte. Allmählich aber machte die Natur ihre Rechte geltmd; nach so vielm und schmerz-