M 78.
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk Calw.
66. Iahrgau-.
Erscheint Di en S ta g, Donnerstaa und DamStag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Pfg. die Zeile, sonst !2 Psg.
Samstag, den 4. Juli 1891.
AbonnemcntSpreiS vierteljährlich in der Stadt SO Psg. und Lü Psg. Trägerlobn, durch die Post bezogen Mk. 1. 1 L, sonst in ganz Württemberg Mk. 1. Sb.
Amtliche ZZekanutmachungen.
Die GkirleilldkbrhiirdkU
werden angewiesen, spätestens bis 7. ds. Mts. für das letzte Quartal die Nachweisungen bezw. Fehlanzeigen über Regiehochbauarbeiten und getrennt von diesen die Nachweisungen bezw. Fehlanzeigen über Regietiefbauarbeiten an das Oberamt einzusenden.
Calw, den 3. Juli 1891.
K. Oberamt. Supper.
Die Ortsliorstkhkr
werden aufgefordert, die Sportelverzcichnisse pro ult. Juni alsbald abzuschließen und im Auszug unter Anschluß der Sportelqelder hierher vorzuleqen. Calw, den 3. Juli 1891.
K. Oberamt. Supper
Tages-Muigkeiten.
sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.s Bei der am 20. Mai und den folgenden Tagen bei der K. Regierung für den Schwarzwaldkreis vorgenommenen niederen Dienstprüfung im Departement des Innern find die nachgenannten Kandidaten für befähigt erklärt worden: Gustav Adolf Schäfer von Calw, Karl Wilhelm Staudenmeyer von Calw.
* Calw. Am Donnerstag Nachmittag passierte dem Schreinermeister Quasti von Hirsau in einem Neubau in der Bahnhofstraße das Unglück, rücklings aus einem Parterrefenster zu fallen, wodurch derselbe einen Fuß brach. Der Verunglückte wurde von dem gerufenen Arzte sofort nach Hause gebracht.
Calw, 3. Juli. (Vortrags-Abend im Badischen Hof). Wie wir erfahren, steht dem hiesigen Publikum am abend des 7. Juli eine interessante Veranstaltung bevor, die zweifellos nicht verfehlen wird, ihre Anziehungskraft auf unsere kunstsinnigen Kreise auszuüben. Die Herren Paul Neu - mann und Henry Greve, Hofschauspieler von der Königlichen Bühne in Wiesbaden, haben sich zu einem Vortragsabend im Badisch. Hof entschlossen, dessen uns vorliegendes Programm eben so unterhaltend wie originell als auch künstlerisch und geschmackvoll zusammengeftellt ist. Davei ist dem feineren Humor vorwiegend Rechnung getragen. Herrn Neu-- mann hat Verschiedenes aus „Rudolph Baumbach's liebenswürdig-schalkhaften Dichtungen" zum Vortrage gewählt; da der Künstler außerdem, sehr zungengewandt, eine Anzahl von Dialekten beherrscht, so finden wir auch einige Nummern in Mecklenburgischer, Sächsischer, Darmstädter Mundart rc., die jedenfalls ihre zwerchfellerschütternde Wirkung nicht verfehlen werden. Herr Greve, der jugendliche Komiker der königlichen Bühne, hat den musikalischen Part übernommen. Sein Talent liegt besonders im graziösen Vortrag musikalischer Drolerien, die den deklamatorischen Teil angenehm ergänzen und eine reiche Abwechslung biete». Die E. Georgii"sche Buchhdlg. hier hat den Vorverkauf der Karten übernommen.
— In Folge der großen Hize starb gestern in Stammheim der 48 Jahre alte Zimmermann Schumacher an einem Sonnenstich. Derselbe war auf dem Feld mit Heuen beschäftigt und ging hinter dem Wagen her, als er vor dem Ort niederstürzte. Bewußtlos vom Platze getragen, gab er nach einigen Stunden den Geist auf.
Wildbad. Gegenüber der Nachricht eines Korresp.-Bureaus von einem Schlaganfall, den Geh. Hofrat vr. v. Renz in Wildbad neuerdings erlitten
haben soll, erhält der Schw. M. von zuständiger Seite die Mitteilung, daß vr. v. Renz schon am 10. Mai von einem leichteren Schlaganfall betroffen wurde. 3!. war dabei keinen Augenblick des Bewußtseins und der Empfindung beraubt; auch war die Sprache nur wenig alteriert. Jetzt ist Geh. Hofrat v. Renz soweit hergestellt, daß er ohne Hilfe im Zimmer herumgehen' kann und seine Sprache wieder vollständig hat. Er beabsichtigt, vom nächsten Montag ab seine Nachmittagssprechstunden wieder aufzunehmen. Schon jetzt besuchen ihn Kranke im Hause zur Konsultation.
errenalb. Am Montag fand unter überaus zahlreicher Beteiligung von nah und fern die Beisetzung des verstorbenen Stadtschultheißen Beult er statt. Neben den Bezirksbeamten waren fast sämtliche Schultheißen des Oberamts Neuenbürg zugegen, auch aus Stuttgart waren Freunde des Verstorbenen, unter anderen Direktor v. Leibbrand und Regierungsrat Nestle, erschienen. Stadtpfarrer Hartter entrollte ein Bild des vielseitigen uno erfolgreichen Wirkens des Gestorbenen im Dienst seiner Gemeinde und des staatlichen öffentlichen Lebens. Geboren 1829 zu Balingen als Sohn eines Zeugmachers erhielt Beutter seine Berufsbilduug auf einer Schreibstube, wurde Ende der 40er Jahre Oberamtsassistent in Neuenbürg, 1851 Verwaltungsaktuar in Herrenalb und 1854 Schultheiß. Er fand in der Gemeinde sehr trübe wirtschaftliche Verhältnisse vor, an deren Besserung er mit Energie nnd Ausdauer arbeitete. Ein langwieriger Rechtsstreit mit dem Staat, (dem Rechtsnachfolger der Klosterherrschaft) brachte die Gemeinde 1860 in den Besitz von 80 Morgen Staatsgütern, der Ankauf der Benkiser'schen Hofgüter mit 4 Sägmühlen um 35000 fl. für die Gemeinde — damals in den Augen vieler ein gewagtes Unternehmen — bot den Bürgern weitere vorteilhafte Gelegenheit, sich je nach ihren Verhältnissen größere oder kleinere Parzellen eigenen Grund und Bodens zu erwerben.
6 TT 111 6 1 TT, Nachdruck verboten. I
Die Spionin.
Roman aus dem russischen Nihilistenleben.
Nach den Aufzeichnungen eines Petersburger Polizeibeamten.
Von Willibald Mencke.
(Fortsetzung.)
„Glaubst Du", fuhr er fort, „ich hätte so leichten Herzens alle Vorurteile meines Ranges und meiner Geburt von mir werfen können, wenn nicht die Begeisterung für die Ideen und Ziele, denen wir dienen, mir dieses Opfer erleichtert hätte? Dort hängt das Bild meines Bakers, der zu den Stützen des Zarenthrones gehörte, und ich habe mich Jenen zugesellt, die darauf ausgehen, diesen Thron zu stürzen. Ich habe die Privilegien meines Standes von mir geworfen und die Traditionen meiner Familie in den Staub getreten, um mich ganz dem Berufe zu widmen, zu dem ein außerordentlicher Mann, den ich verehre, mich geweiht hat. .Und was kann in dem Leben eines Mannes, der sich einem so hohen Berufe gewidmet hat, die Liebe zu einem Weibe Anders bedeuten, als ein flüchtige Episode? «Glücklicheren Menschen, deren Leben sich in dem gewohnten Geleise bewegt, mag es beschicken sein, sich diejenige zum Weibe zu nehmen, die sie lieben, oder sich dauernd an den Gegenstand ihrer Neigung zu binden. Mit mir hat es das Schicksal nicht so gut gemeint. Ich kann ein Weib nur lieben, wie man einen Freund lieb gewinnt. Man wandert eine Zeit lang eine Strecke Wegs zusammen, bis die Wege sich scheiden; dann drückt man sich die Hand und geht."
Sie erhob sich; mühsam rang sie nach Fassung. Dann reichte sie ihm die Hand. „Adieu. Dmitri", sagte sie.
„Vera! Vera, Du bleibst! Warum sollte für uns schon die Stunde gekommen sein, in der wir uns trennen müssen."
Dmitri. Sie ist gekommen. Du bist mir fremd geworden und ich
weiß nicht, ob ich Dich noch lieben kann wie früher. Sicher weiß ich, daß Du mich nicht so liebst, wie ich es glaubte und hoffte. Es ist bester, wir trennen uns."
„Vera, Du zürnst mir —"
„Nein, ich bin ruhiger geworden. Ich sehe ein, daß ich nichts für Dich sein kann. Aber wenn Du mich belogen hast, Dmitri, wenn Du einmal eine Andere, — wenn Du jenes Mädchen so liebst, daß Du an nichts Anderes denkst, als Dir ihren Besitz zu erwerben und zu erhalten, dann, Dmitri —"
Sie fand die Worte nicht für das, was sie sagen wollte. In diesem Augenblicke klopfte es an die Thüre. Paul Zwetajeff trat ein.
„Da ist Paul", sagte sie. „Er wird mich nach Hause begleiten. Adieu, Dmitri."
Sie reichte ihm die Hand, die er lebhaft drückte, — während er seine dunklen Augen prüfend auf sie richtete. Sie schlug die Augen vor sich nieder und ging.
Lange noch stand der Fürst am Fenster und sah den Schneeflocken zu, die langsam und schwer aus der dunstigen Höhe herabfielen.
Vera und Paul.
Schweigend gingen sie ihres Weges, über den Admiralitätsplatz, nach dem Newski, durch die Morskaja nach der Erbsenstraße. Paul hatte mehrmals den Versuch gemacht, ihr ein tröstendes Wort zu sagen, aber da er keine Antwort erhielt, so schwieg auch er.
Auf ihrem Zimmer angekommen, warf sich Vera in eine Ecke des Sophas. Der lange zurückgehaltene Schmerz machte sich in einem Strome von Thränen Luft.
„Armes Kind!" — sagte Paul. — „Ich habe dieS Alles vorausgesehen. Nicht erst seit gestern, da ich erfuhr, wer dieser Dmitri Jelagin eigentlich ist. Mir war eS damals klar, daß er nur sein Spiel mit Dir trieb. Wie oft habe ich Dich vor ihm gewarnt. Aber Du Haft mich ja nicht hören wollen.'
Sie schwieg und ihre Thränen flössen noch immer.
„Wmn ich noch daran denke", fuhr er fort, „was für ein ruhiges, glückliche- Leben wir hier führten in der ersten Zeit, nachdem wir uns hier kennen gelernt hatten. Auch Du, Vera, warst damals glücklicher als jetzt. Wir lasen und studierten