bei vollem Bewußtsein die gräßlichsten Schmerzen, wurde aber nach wenigen Stunden durch den Tod erlöst.

Krauchenwies, 3. Juni. Eine wahre Schreckensnacht liegt hinter uns; nachdem es gestern den Tag über recht heiß gewesen war, sammelten sich abends im Westen und Süden, anscheinend vom Boden­fee herzirhend schwarze Gewitterwolken an, deren Anblick nichts Gutes ahnen ließ. Von '/-IO Uhr bis 11 Uhr Nachts durHuckten grelle Blitze die tiefhängende Wollen müsse und dumpfer Donner ließ sich weithin vernehmen. Plötzlich rauschte wie aus Kübeln ge­gossen der Regen hernieder und bald sah man, daß man es mit einem Wolkenbruch zu thun hatte. Von den Feldern durch das neue Grabennetz strömten die Wasstrmassen in den Ortsbach, Rasen, Steine und viel Holz von den Höfen und Lagerplätzen mit sich fortreißend: an mehreren Brücken innerhalb des Ortes stauten sich die Erdmafsen und Holz und im Augen­blicke waren die Straßen fast 2 Fuß hoch vom Wasser überschwemmt, das alsbald auch in die untern Räume der Wohnungen, Stallungen und Kellerräume ein­drang. Das Alarmsignal rief die Feuerwehr zur Hilfe, und deren wackeren Anstrengungen gelang es, beim Fackellicht dem Wasser freien Durchzug zu ver­schaffen. Erst heute Früh erkannte man die Größe des Schadens; wenn auch, Gott sei Dank, Menschen und Vieh gnädiglich verschont blieben, so ist doch der Schaden an Material bei einzelnen Bürgern ein ganz bedeutender.

Frankfurt, 3. Juni. Festgenommen wurde hier am Hauptbahnhof ein junges Paar, das direkt von Calais hier anlangte. Er ein 24jähriger Kaufmannsgehilfe mit Namen Eugen v. Töpfer, an­geblich aus Nürnberg, und sie ein Fräulein Tilly Blonderberg, die einzige Tochter eines bedeutenden und sehr vermögenden Londoner Großindustriellen. Der junge Herr soll das Mädchen, bei dessen Vater er in Stellung war, entführt haben. Der Fang glückte einem Berliner Privatdetektivinstitut. Die jungen Leute, die offenbar sehr einig sind, werden schon seit Anfang April verfolgt. Sie verfügen über ansehnliche Mittel, die aus der Kaffe des Mr. Blonderberg stammen sollen. Man soll bei dem jungen Herrn über 2000 Pfund Sterling gefunden haben. Heute vormittag wurden die Ueberraschten getrennt. Den Entführer ließ man auf Befehl laufen, während man die junge Dame nach London transportierte. Die beiden Privatdetektivs zeigten Papiere vor, laut denen sie Auftrag hatten, bei etwaigem Widerstand die Liebenden der staatlichen Polizei zu übergeben. Angesichts dieser Drohung fügten sich die jungen Leute in ihr Schicksal. Die Abschiedsszene, die Hunderte von Neugierigen anlockte, war für die Zuschauer höchst peinlich. Man zeigte, als die Thatsache bekannt wurde, die größte Teilnahme für die Flüchtlinge; eine Zeit lang schien es, als wollte man die Gefangenen aus den Händen der Privatpolizisten befreien, und erst auf Zureden der Verhafteten beruhigte sich die Menge.

Von München schreiben dieMünchener Nachr.": Billiges Vieh und teueres Fleisch. Auf dem heutigen Viehmarkt waren wieder so viele Kälber zugetrieben, daß etwa 100 Stück übrig blieben. Die Folge hievon war, daß eine neuer­liche Preis-Reduktion emtrat. Heute kosteten Kälber

lebend 3044 das Pfund, ja es wurde sogar zu 28 und 29 ^ das Pfund abgesetzt. Trotzdem die Preise seit länaererZeit herabgehen, be­halten die Bankmetzger ihre hohen Preise bei. Als vor ungefähr vier Wochen die Kälber im Preise stiegen, gingen die Metzger auch sofort mit dem Preise hinauf und in den Wirtschaften wurden die Portionen entsprechend kleiner. Also jetzt nur konse­quent und bei billigerem Vieh auch billigeres Fleisch!

Leipzig, 2. Juni. Ver Verband reisen­der Kaufleute Deutschlands hat an den Reichstag eine Petition um einige Verkehrserleichterungen für Kaufleute gerichtet. Und zwar ist der Verband der Meinung, daß sich durch Einführung der Fahr' markenhefte mit prozentualer Ermäßigung für reisende Kaufleute das Ziel erreichen läßt und auf diesem Wege Fahrpreisermäßigungen durchzuführen, ohne den Eisenbahnverwaltungen irgend welche Ein­buße an den seitherigen Einnahmen zu bereiten. Die Lösung von Fahrkarten hätte wie bisher zu erfolgen, nur würde dem Schalterbeamten anstatt baaren Geldes das Fahrmarkenbuch auszuhändigen sein, aus welchem der entfallende Betrag für die Fahrkarte zu entnehmen wäre. Dem reisenden Kaufmann steht es auf diese Weise frei, erster, zweiter oder dritter Klasse zu fahren, in jedem Falle würden sich aber für denselben die Fahrspesen je nach dem angezogenen Verhältnis billiger stellen und somit ihr Wunsch erfüllt sein. Der Ver­band erachtet'des weiteren die Erhebung der Gepäck­trägergebühren für reformbedürftig und bittet zum Schluß um Beibehaltung der vierten Wagenklasse.

Berlin, 3. Juni. Der Ueberfall des Orientzuges war, wie verlautet, eigentlich dem reichen griechischen Kaufmann Ralli zugedacht, der an jenem Abende abreisen sollte, aber daran verhindert wurde. Die Herren der Stangenschen Reisegesellschaft mußten daher alsErsatz" dienen.

Eine militärische Neuerung wird gegenwärtig in Berlin bei dem Gardefüsilierregiment geprüft. Zwei Kompagnien haben wasserdichte grüne Ueberzüge erhalten, welche über die Helme und über die Koch­geschirre gezogen werden, um deren Blinken zu ver­hindern und die Truppen so auf Entfernung möglichst unsichtbar zu machen. Ende Juni ist ein Bericht über die Zweckmäßigkeit dieser Ueberzüge einzureichen.

Paris, 3. Juni. Wie es heißt, ist der Bankier Jouanno, der Financier der Moskauer Aus­stellung, seit mehreren Tagen flüchtig. Er hinterließ angeblich ein Defizit von mehreren Millionen Franks.

Konstantinopel, 4. Juni. Zuverlässige Nachrichten von 4 Uhr nachmittags berichten: Kauf­mann Israel hat sich mit dem Lösegeld Dienstag abend nach Kirkilisseh begeben, begleitet von dem Draooman der deutschen Botschaft, dem Dragoman des österreichischen Konsulats und 23 Mann Schutz­wache. Die Verhandlungen haben alsbald begonnen. Die Räuber sind mißtrauisch und verlangen Zurück­ziehung der Schutzwache, bevor sie die Gefangenen freilassen. Die Freilassung wird morgen erwartet.

Aus Budapest, 3. Juni wird gemeldet: Mehrere hier angekommene Passagiere des überfallenen Orientzuges erzählen: Wir waren Sonntag 8 Uhr 15 Min. abends mit dem Personenzug von Konstantinopel abgereist und saßen in einem Küpe 2. Klaffe. Gegen

Mitternacht verspürten wir plötzlich eine starke Er­schütterung; Gepäckstücke fielen aus dem Korb auf die Köpfe und der Zug blieb stehen. Wir glaubten, ein Eisenbahnunglück sei geschehen und eilten an die Fenster. Da sahen wir im nächtlichen Dunkel wenig­stens 50 Männer von schrecklichem Aussehen, alle mit Gewehren, Pistolen und Messern bewaffnet. Sie schrien laut in türkischer Sprache und richteten die Schußwaffen gegen uns. Zwei deutsche Damen, die in unserem Küpe saßen, begannen laut zu weinen. An Widerstand war nicht zu denken. Das erste, was die Räuber thaten, war, daß sie den des Türkischen mächtigen Lokomotivführer banden nnd zwangen, daß er als Dolmetsch diene. Sie eilten mit ihm zu dem Wagen 1. Klaffe ; es erscheint zweifellos, daß die Räuber von Spießgesellen aus Konstantinopel ver­ständigt waren, daß im Zuge sich reiche Deutsche be­fänden und ein guter Fang möglich sei. Es war für die Räuber das Werk weniger Augenblicke, die 4 Passagiere 1. Klasse zu binden und das Küpe zu durchsuchen; dann kamen die Passagiere ver 2. Klasse an die Reihe. Der als Dolmetsch dienende Lokomotiv­führer sagte uns, die Räuber forderten Tabak und Eßwaren. Die Damen teerten ihre Eßvorräte, wir unsere Zigarrentaschen. Allen Passagieren wurden die Uhren abgenommen, Geld oder Geldeswert wurde nicht verlangt. Bald hörten wir einen Schuß, der den Koch der engl. Botschaft in Konstantinopel, Franz Kiak aus Siebenbürgen, verwundete, der die in das- Küpe eindringenden Räuber mit einem Revolver em­pfangen und bedroht hatte. Von unserem Seelen­zustande kann man sich leicht eine Vorstellung machen, als wir sahen, daß die Räuber die Gefangenen fort­schleppten. Der überfallene Zug blieb 4 Stunden auf freiem Felde; die Maschine war tief in die Erde eingebohrt, 3 Wagen waren überstürzt, doch hatte kein Insasse Schaden genommen. Das Zugspersonal eilte nach der 20 Kilometer entfernten Station Szinekli um Hilfe. Morgens traf ein kleiner Zug ein, der uns nach Adrianopel brachte, der verwundete Kiak wurde dort zurückgelassen. Eine deutsche Dame ist infolge des Schreckens erkrankt und mußte in Philippopel Zurückbleiben. Unsere Fahrt erlitt durch den Ueber­fall eine 12stündige Unterbrechung.

Gottesdienst

am Sonntag, den 7. Juni.

Vom Turm: 286

Vorm.-Predigt: Herr Helfer Eytek 1 Uhr Christenlehre mit den Töchtern. 2 Mir Missionsstunde im Vereinshaus (Mitteilungen über das Fortbestehen des Sklavenhandels in Ostafrika): Herr Dekan Braun.

Kreitag, 12. Juni, monatlicher Buß- u. Bettag. Vorm.-Predigt um 10 Uhr: Dekan Braun.

Calw.

Kandrmrtschaftl. Zenrksvereilt.

Anmeldungen zum landw. Bezirks­verein, dessen neu eintretende Mitglieder das landw. Wochenblatt vom 1. Juli an geliefert bekommen, werden bis spätestens Dienstag, den 9. Juni, angenommen von:

Vereinssecretär Calw, 3. Juni 1891. Hugo Rau.

Sie durch zufällige Umstände geraten sind, für immer zu befreien. Und Sie können, Sie dürfen die Hilfe, die sich Ihnen bietet, nicht deßhalb ausschlagen, weil sie aus gutem, aus dankbarem Herzen kommt."

Hören Sie nun auch mich an, Nadeschda Jwanowna", erwiederte der Fürst, nachdem Nadeschda geendet hatte.In derartigen Fällen pflegt ein Mann von Ehre nicht nach Vernunftsgründen zu entscheiden, sondern nach einer inneren Stimme, die unser unbestechlicher Ratgeber ist. Frauen handeln in ähnlichen Fällen nach dem, was man Zartgefühl oder Takt nennt, Männer nach dem, was den Einen als Ehr­gefühl, den Andern als Stolz erscheint. Diese innere Stimme gebietet mir, die Wohlthat, welche Ihr Herr Vater mir anbietet, dankend abzulehnen, ohne daß ich Ihnen Gründe nennen kann, die meine Handlungsweise bestimmen."

Das ist Ihr fester Entschluß?"

Gewiß, mein Fräulein."

Sie wollen fremden Leuten das Haus Ihrer Väter, den Stammsitz Ihrer Familie überlassen?"

Die Verhältnisse zwingen mich dazu."

Und Sie haben, um dies zu verhindern, nichts zu thun, als ein Ja zu sprechen, das Ihre Ehre nicht erschüttert, welches Sie Ihrer Unabhängigkeit nicht beraubt und höchstens verzechen Sie mir das Wort! Ihrem aristokratischen Stolz» ein Opfer auserlegt."

Möglich, daß Sie das richtige Wort genannt haben, mein Fräulein. Viel­leicht ist das, was mich hindert, jenes Ja auszusprechen, wirklich nur aristokratischer Stolz, obgleich ich mir denke, daß ein Mann bürgerlicher Herkunft im gegebenen Falle ebenso handeln wird wie ich; jedenfalls ziehe ich es vor, mich lieber meines Besitzes zu entäußern, als jener strengen Auffassung von Ehrgefühl, welche Sie ein Vorurteil meines Stammes nennen."

Ich verstehe Sie nicht, Alexander Nikolajitsck" sagte Nadeschda nach einer Pause.Aber ich fühle heraus, was Sie beeinflußt, bei Ihrer Weigermg zu

beharren. Der Gedanke geniert Sie, daß es Jemand geben könne, dem Sie zu Dank verpflichtet sind. Aber wenn Niemand etwas davon weiß? Und wenn Sie selbst nie daran erinnert werden? Gott ist mein Zeuge" ihr Auge haftete auf dem Boden, während sie das Folgende sprach, und wie Schmerz und Trauer zitterte es in ihrer Stimmedaß ich nichts Sehnlicheres wünsche, als daß Sie recht oft in unser Haus kommen möchten und daß Sie mich und die meinigen Ihrer Freund­schaft würdigen. Aber ich wünsche vor Allem, daß Sie glücklich und frei von Sorgen leben und einen Besitz nicht verlieren, der Ihnen als das Erbteil Ihrer Familie und als die Stätte Ihrer Kindeserinnerungen lieb sein muß. Gehen Sie also, mein Fürst, und kehren Sie nicht wieder, damit Sie sich nicht zu sägen brauchen: Ich suche Diejenigen auf, denen ich verpflichtet bin. Wie oft habe ich mir gewünscht Sie einmal wiederzusehen, wie habe ich mich gefreut, als der Diener Ihre Karte brachte, aber wenn ich nur mit dem Verzicht auf Ihre Gegenwart die Gewißheit er­kaufen kann, daß Sie von einer großen Sorge befreit sind"

Nein Nadeschda" rief er aus, indem er sich erhob und ihre Hand ergriff jetzt erst recht nicht! Das Glück, Sie wieder sehen zu dürfen, ist für mich mehr wert, als der Besitz dieses Hauses. Ach. was für ein Mädchen sind Sie! Muß ich jetzt erst erfahren, daß es in Petersburg solche Frauen giebt! Und ich sollte das Glück, Sie wiederzusehen und Sie recht oft zu sehen, um diesen Preis verkaufen? Ich will lieber in einer Dachkammer wohnen, als iminer von Ihnen getrennt sein und wenn ich jetzt von Ihnen Abschied nehme, kann ich wenigstens das süße Wort aussprechen, das Sie mir für immer aus dem Munde nehmen wollten:Auf Wiedersehen."

Sie stand noch lange, nachdem er verschwunden war, die Hand auf die Lehne des Stuhles gestützt, ruhig und regungslos wie eine Statue; nur ihre Brust hob und senkte sich rasch.

(Fortsetzung folgt.)