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unter Geschüzdonner und unter den Klängen des ChoralsJesus meine Zuversicht" in das Kaiser­zimmer des Bahnhofs gebracht, wo er bis zur morgigen Fahrt nach Kreisau bleibt. Der Kaiser verließ den Bahnhof gegen 1 Uhr und fuhr zusammen mit dem König von Sachsen nach dem Schloß. Unzählbare Meuschemnassen standen überall in tiefer Ergriffenheit und voller Ordnung. Schw. M.

Tagcs-Muiiikeiten.

X Calw, 29. April. Das von unserem Kirchengesangverein auf gestern abend 8 Uhr in den Dreiß'schen Saal hier ausgeschriebene Frei­konzert übte auf die passiven Vereinsmitglieder eine große Anziehung aus; so daß Saal und Nebenzimmer vollständig besetzt war. Schon das reichhaltige und gut zusammengestellte Programm ließ einen genuß­reichen Abend erwarten, und die Ausführung desselben, die zeigte, über welch reichen musikalischen Kräfte der Verein verfügt, war auch in allen Teilen eine wohl- elungene. Der gutgeschulte Chor erfreute die Zu- örer durch drei ansprechende Lieder von Burkhardt, Braun und Klein. Wir hätten es gerne gesehen, wenn demselben ein bedeutenderer Teil des Programms zugewiesen worden wäre. Sodann hörten wir drei mit gutem Ausdruck und angenehmer Altstimme vor­getragene Lieder von Schubert und Riedel. Zwei längst gut eingeführte Herren sangen mit ansprechendem ' Tenor Lieder v. Dregert, Becker und Goltermann. Noch ist zu erwähnen der seelenvolle Vortrag eini­ger Kompositionen von Moszkowysky, Raff und Alara auf der Violine und der eines Larghetto von Mozart, eines Largo von Chopin und eines Liedes ohne Worte von Mendelssohn auf dem Violoncello, eines Instrumentes, das uns durch die Kraft und den Wohlklang seines Tones immer sympathisch berührt. Nach beendigtem Programm blieben die Vereinsmit- lieder noch längere Zeit in geselliger Vereinigung eisammen und wurden dabei durch weitere Chor- und Itnzelvorträge erfreut.

' s:j Liebenzell, 28. April. Obgleich der ^Frühling nur zögernd Einzug hält in unser Nagold­thal, so daß die Bäume allenthalben noch weit zurück sind und erst seit wenigen Tagen der Wiesen frisches Grün das Auge erfreut, so "ist doch die Härte des Winters bei uns gebrochen schon seit längerer Zeit, die Verdienstlosigkeit vieler Arbeiter und fast aller Taglöhner, die in den vergangenen Monaten hierorts wieder einmal große Armut offenbar gemacht hat, hat aufgehört, und fleißigen Männern ist jetzt mannig­faltige Gelegenheit der Arbeit und des Erwerbs ge­boten. Die hiesige Eis enwarenfabri k hat nach ihrem, glücklicherweise nur kurzen Stillstand, den bis­herigen Betrieb wieder ausgenommen, nachdem sie in anderen Besitz übergegangen ist und ihre Firma ge­wechselt hat. Die Katastrophe, die über die Herren Weiblen u. Brecht hereinbrach, hat insofern für die vielen Familienväter, die in dem Geschäft beschäf­tigt waren, die gefürchtete Folge nicht gehabt. Neuer­dings bringt auch der Kirchenbau, der begonnen hat, den Arbeitsuchenden Arbeit und lohnenden Ver­dienst; und durch die vielen fremden Arbeiter, die zum Brechen und Zubereiten der Bausteine sich hier eingefunden haben, bietet Liebenzell dermalen ein Bild regerm Schaffens und bewegteren Lebens als gewöhnlich dar. In die Kirche, die so viele Jahrhunderte lang für die hiesige Gemeinde der Ort ihrer religiösen Erbauung gewesen ist, schaut seit voriger Woche der blaue Himmel hinein oder des Himmels Regen trieft in dieselbe hinunter: Der Dachstuhl ist abge- i hoben, der gesamte Einbau entfernt. Außer dem j gothischen Chor, der erhalten bleibt, weil er der Er- I Haltung wert ist, stehen bloß noch die Umfassungsmauern des Langhauses. Bald werden auch sie niedergelegt sein. An den Wänden im Innern sind unter mehreren Schichten aufgetragener Tünche alte Freskomalereien zu Tage gekommen. Jedoch läßt sich über das Alter derselben, und über den Inhalt der Darstellungen wie über deren Kunstwerk augenblicklich noch nichts sagen. Auch die zahlreichen Grabplatten mit zum Teil gut erhaltenen Wappen und Inschriften, die sich unter dem geplatteten Boden in der Gegend des Altars und Taufsteins, wie auch längs des Haupt­gangs der Kirche vorgefunden haben, und von denen eine, die einemBürgermeister" gewidmet ist, deutlich die Jahreszahl 1544 trägt, dürften dem Altertums­freunde ein willkommenes Feld der Forschung, dem Kenner vielleicht manche Ausbeute darbieten. Mögen die Toten, deren Ruheort durch die Beine bezeichnet war, Mitglieder der hiesigen Gemeinde gewesen sein oder Fremde, die hier vom Tode ereilt wurden (wie ja zur Erinnerung an hier verstorbene Kurgäste auch noch aus neuerer Zeit einzelne Grabdenkmale, auch sogenannte Epitaphien teils innerhalb der Kirche, teils in der Umgebung derselben vorhanden sind), jeden­falls erinnern diese langvergessenen, jetzt aber wieder redenden Steine an eine Vergangenheit von Liebenzell, die größer unv herrlicher war als die Gegenwart des

Städtchens vermuten läßt. Daß von dem Kirchhof, der bis heute der Gemeinde als Begräbnisplatz dient, jetzt ein großer Teil den Bauleuten überlaffen werden mußte, so daß schwere Steinfuhrwerke über die Grab­hügel hinwegfahren und dieselben zur ebenen Straße machen, und daß der Ort der Toten, der schweigen sollte in heiliger Stille, vom Picken und Hämmern der Steinmetzen wiedertönt, das wird von solchen Gemeindegliedern, die durch Gräber der Ihrigen dabei besonders beteiligt sind, überaus schmerzlich empfunden, und nur die Erwägung, daß es ohne Benützung des Kirchhofs gar nicht möglich ist, das notwendige und langerwünschte Bauwesen zur Ausführung zu bringen, kann dieselben beruhigen und dahin bringen, daß sie sich entschließen, der guten Sache ihre sonst berechn tigten Gefühle zu opfern.

Stuttgart, 29. April. Flügeladjutant Oberstlieutenant v. Reischach reiste heute früh 9 Uhr nach Berlin, um den König bei der Leichenfeier für Moltke zu vertreten. Als Vertreter des Armeekorps reisten der General v. Wölkern und der Chef des Generalstabes Oberst von GilgenheinAsKach Berlin ab.

Leutkirch, 26. April. kam von

Wangen her ein Franzose durch unflMSmdt, welcher in Ausführung einer Wette den von Nizza nach Berlin mit seinem eigenen Gefährt zurücklegt. Vor einigen Jahren machte derselbe Herr den gleichen Weg mit einem Reitpferd und soll dabei eine nam­hafte Trimme gewonnen haben.

Bochum, 27. April. Der Delegiertentag der deutschen Bergleute beschloß gestern den sofortigen allgemeinen Strike. Die belgischen Bergleute erbaten telegraphisch Bescheid nach Brüssel, wo eine belgische Delegierten-Versammlung darauf wartete und das Zusammengehen mit den deutschen Bergleuten versprach.

Li. Die Kictienseller Kirche und die daselbst entdeckten Gemalte.

Ganz kürzlich sind anläßlich des Abbruchs eines Teils der Liebenzeller Kirche Spuren alter Fresko­gemälde aus der Südseite des Langhauses nach Abklopfen der Tünche zum Vorschein gekommen. So­weit sich die Sache schon jetzt einigermaßen übersehen läßt, mar diese Südseite ihrer ganzen Länge nach durch bildliche Darstellungen aus der biblischen Ge­schichte und der Heiligenlegende geschmückt in der Art, daß über einem in Manneshöhe angebrachten, etwa 60 om breiten, friesartigen Band eine Doppel­reihe von Geniälden, die eine Reihe über der an­dern, sich aufbaut, die einzelnen Bilder durch breite Einfassungen oder Rahmen von einander getrennt. Der Charakter der auf den Spruchbändern sichtbaren lateinischen Schrift, die in strengem Stile gezeichneten, langgestreckten, hagern, menschlichen Figuren und die Behandlung des Faltenwurfs ihrer Gewandung weisen diese Gemälde zweifellos der romanischen Zeit zu, etwa in das 12. oder auch 13. JahHundert. Was jenen bereits genannten Fries anlangt, so wiederholen sich innerhalb desselben in stetem Wechsel medaillom artige, breitrandige Ringe mit Engeln und frei behan­delte, schöne Blattverzierungen. Einer der Engel ist ganz erhalten, derselbe steht innerhalb des Kreises, setzt seine Füße bis in den Rand des Kreises hinein und hält ein gleichfalls in den Rand des Kreises hineinfallendes Blatt oder Rolle, mit zwei Monden und vielen Sternen bezeichnet, quer vor sich hin. Die Gestalt ist sehr anmutig gezeichnet. Von den über dem Fries ange­brachten, größeren bildlichen Darstellungen ist eine freilich nur teilweise noch erkennbare Christusfigur besonders ins Auge fallend; aus ihrer Hand läuft ein mit im Zusammenhang nicht lesbaren Anfangs­buchstaben und ganzen Wörtern beschriebenes Spruch­band zu einer fast ganz verwischten, andern Person hinüber. Deutlich zu lesen sind die Buchstaben, be­ziehungsweise Wörter: L.1lIö70RI.I1A.80. l 0118 TA...., aus welchen freilich zunächst kein i Sinn herauszubringen ist. Gerade unter dieser Chri- ! stusgestalt treten noch wie durch einen Nebel hindurch ! 3 meisterhaft gezeichnete Köpfe mit Heiligenscheinen ! heraus, der mittlere Kopf etwas über die zwei andern erhöht. Die Farben sind teilweise noch ungewöhnlich frisch und von metallischem Glanze. Sicherlich läßt sich noch manches unter der deckenden Tünche heraus­schälen, ein Zusammenhang läßt sich aber niemals Herstellen schon wegen des leidigen Umstandes, daß in späterer Zeit bei baulichen Veränderungen der Kirche, namentlich um mehr Licht zu gewinnen, neben den kleinen und niedlichen romanischen Fensterchen große plumpe Fensteröffnungen und eliptische Fenster (so­genannteOchsenaugen") in die Wandung hinein­gebrochen worden sind. Die gegenüberliegende Wand scheint gleichfalls einen Gemäldecyklus enthalten zu haben, es hat aber diese Wand durch die bisher dort angebracht gewesene Empore und auch auf anderem Wege so viel gelitten, daß sich kaum etwas erkenn­bares wird gewinnen lassen.

Der sich gegenwärtig vollziehende Abbruch der Kirche gibt uns zugleich einen erwünschten und lehr­reichen Einblick in die Baugeschichte dieses Gottes­hauses. Das Mauerwerk des Langschiffs und ves westlichen Giebels ist allerdings nicht so alt, wie das­jenige der beiden Hirsauer Kirchen St. Aurelius und St. Peter, welche urkundlich der zweiten Hälfte, be­ziehungsweise dem Ende des 11. Jahrhunderts ange­hören, aber die gut behauenen, mit Sorgfalt gleich­mäßig geschichteten Steine des doppelschaligen Mauer­werks dürften kaum mehr denn ein Jahrhundert jünger sein als die Hirsauer Bauten, und so können wir in Ansehung der Entstehungszeit die Kirche zu Lstbenzell in's 12. Jahrhundert hinein verweisen, was wiederum mit der mutmaßlichen, oben bemerkten Ent­stehungszeit der neu entdeckten romanischen Fresko­gemälde zusammentrifft. Damit ist freilich durchaus noch nicht gesagt, daß in Liebenzell nicht schon früher als erst im 12. Jahrhundert ein Gotteshaus bestand, heißt ja Liebenzell (s. Oberamtsbeschreibung S. 263) schon gegen das Jahr 1161Oppiäum" (Stadt) und wird übAchaupt schon 1129 urkundlich erwähnt. Dem­nach scheint es sehr wohl denkbar, daß die Kirche des 12. Jahrhunderts, deren Langhaus nun abgebrochen wird, auf einem Platze steht, auf welchem schon vor­her ein bescheideneres, kleineres Kirchlein, dessen Ent­stehungszeit mehrere Jahrhunderte weiter zurückgeht, gestanden haben mag. Zu den ältesten Teilen der - jetzigen Liebenzeller Kirche gehört nun aber auch weiterhin die in dem untersten Geschoß des Kirchturms befindliche Sakristei, welche Mauern von 2 m Dicke aufweisr. Daß das, was jetzt als unterstes Turmgeschoß gilt, ursprünglich Sakristei war, über welche erst in der Folge der Turm selbst gebaut wurde, beweisen die vielen in diesen: Raum in den Wänden angebrachten Nischen, welche zur Aufbewah­rung der kirchlichen Geräte dienten. Diese Sakristei muß mit einem Tonnengewölbe abgeschlossen haben, welches, falls man es nicht später gewaltsam entfernt hat, heute noch in dem Hotzeinbau des Turms stecken wird. Dieser romanische Bau des 12. Jahrhunderts muß aller baulichen Ordnung nach gegen Osten in eine halbkreisförmige Nische (Apsis) ausgelaufen sein, welche in der Folge entfernt und durch einen im halben Achteck abschließenden gotischen Chor er­setzt worden ist. Dieser Chor mit seinem sehr be­achtenswerten, schönen Kreuzgewölbe Teile der Kirche, w-lche selbstverständlich erhalten bleiben bezeichnet die zweite Bauperiode, welche, wie die Fischblasenfüllungen der Chorfenster deutlich zeigen, nicht vor das Ende des 15. Jahrhunderts angesetzt werden kann. In diese Zeit fällt auch der Bau der jetzigen, vom Chor aus durch eine sehr hübsche Stab- werkthüre zugänglichen Sakristei, welche vielleicht ur­sprünglich aus romanischer Zeit stammt, sofern das höchst wahrscheinlich letzterer Zeit angehörende Fen­sterchen gegen Westen darauf hinweist. Darnach müßte man annehmen, die alte Sakristei sei noch in der romanischen Zeit verlassen worden, weil man schon damals den Turm darüber gebaut hätte und nun wurde auf der entgegengesetzten Seite eine neue Sa­kristei angelegt, welche Ende des 15. Jahrhunderts eine gotische Umwandlung erfuhr. Aus letzterer Zeit ist auch höchst bemerkenswert der aus einem Eichenstamm geschnitzte, mit zierlichen Stabwertdurch­dringungen ausgestattete Kanzelfuß, der nach oben in eine künstlich unterschaffte Renaissanceverzierung ausläuft. Die bei den Abbrucharb'eiten gleichfalls zu Tage geförderten alten Grabsteine (unter dem bisherigen Plattenboden befindlich gewesen) nehmen, als erst aus dem Schluß des 16. und dem 17. Jahr­hundert stammend, zumal technisch sehr unvollkommen ausgeführt, kein höheres Interesse in Anspruch.

Alles in allein genommen hat jener Abbruch neues Licht gebracht in die Geschichte eines ohnehin nach so vielen Seiten hin interessanten Ortes und könnte in der Folge noch dieses und jenes wichtige auf bau- oder kunstgeschichtlichem Gebiet ergeben, wie denn auch jene aufgedeckten Reste romanischer Kirchen­malerei gar wohl eine Aufnahme in das neueste schöne Werk unseres Landeskonservators,Die Kun st­und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg" verdienen würden.

Der ewige Kreislauf der Matur, bei welchem es keinen Stillstand gibt und dem der Mensch, wie alles was lebt, unterworfen ist, macht sich in unserem Körper im Frühjahr ganz besonders auffällig bemerkbar. Wer hat da nicht schon an sich selbst erfahren, daß sich Müdig­keit der Glieder, Unlust, Blutandrang nach Kopf und Brust, Schwindelanfällc, Herzklopfen, Kopfschmerzen ec. einstellen. In solchen Fällen kann man nichts besseres thun, als der Natur zu Hilfe kommen, indem man durch den Gebrauch der allein ächten Apotheker Michard Brandt's Schweizerpillen eine Reinigung des Körpers herbeiführk und damit ernsteren Leiden vorbeugt. Apotheker Michard Brandt'sFLchweizerpillen sind in den Apotheken L Schachtel 1 stet^orrätig.Die auf jeder Schachtel auch auantitativ angegebenen Bestandteile sind: Tilge, Moschusgarbe, Aloe, Absynth, Bitterklee, Gentian.'