Nachdruck verboten
WerrfeHmt.
Nach amerikanischem Motiv frei bearbeitet von Ä. Geisel.
(Fortsetzung.)
Jenkins stieß einen Ruf der Ueberraschung aus und die Haselnuß leise drehend, sagte er dann triumphierend:
«Nun — hatte ich Recht?"
In der kleinen Höhlung lag ein zusammengerolltes Papier. Herr Wapping entfaltete dasselbe hastig und erkannte sofort das aus dem Register des Gefängnisses zu Wansmore gerissene Blatt, das den Eintrag über die Geburt von Pauline Rockwald, geborene Dane, und des verstorbenen Jerome Rockwald enthielt und damals Zugleich mit der Gefangenen verschwunden war.
19. Kapitel.
Von Herrn Wapping's innerem Auge stieg das strahlende Gesicht Fritz Wilton's auf; wie würde der gute Junge jubeln, wenn er erfuhr, wer Lilly Mait- land war, und ein Widerschein des Glücks lag auf dem Gesicht des alten Herrn, als er lebhaft sagte:
„Frau Jenkins — ich glaube, ich kann Ihnen die 20 000 Dollars zusprechen!"
Frau Jenkins stieß einen Freudenschrei aus, Herr Taubert aber sagte gelassen!"
„Ich erhebe Einspruch!"
„Wie so — was soll das heißen?" fragte der Advokat überrascht.
„Nicht mehr und nicht weniger, als daß Frau Jenkins nicht Anspruch auf die volle Summe hat."
„Und weßhalb nicht, wenn's beliebt?" rief Frau Jenkins scharf.
„Weil die 20 000 Dollars für die Ermittelung von Katharina Rockwald und ihrer Aochter auSgesetzt worden sind."
„Ganz recht — wenn aber Katharina Rockwald tot ist, wie wir annehmen müssen, und ich sichere Beweise habe, daß Pauline Rockwald lebt —"
„Dann hat Frau Jenkins immer nur Anspruch auf die Hälfte der Summe
— die andere Hälfte gebührt dem, der Nachweisen kann, ob und wo Katharina Rockwald gestorben ist, oder ob sie noch lebt," sagte Taubert ruhig.
„Diese Beweisführung hat Manches für sich," nickte Herr Wapping, während Frau Jenkins wütend rief:
„Herr Taubert, Sie sind wirklich boshaft — Sie wollen mir meine wohlverdiente Belohnung streitig machen."
„Nein, Frau Jenkins — ich will nur Ihre Ansprüche auf das richtige Maaß zurückführen," lächelte der Detektiv; „Sie haben das Kind herbeigeschafft und dafür erhalten Sie 10000 Dollars, während ich die anderen 10 000 Dollars für die Entdeckung der Mutter in Anspruch nehme."
„Taubert — ist das Ihr Ernst?" rief der Advokat wie elektrisiert aufspringend.
„Gewiß, Herr Wapping — ich werde Ihnen Katharina Rockwald, die ich gestern Abend in der Gruft von Rockwalde erkannte und bis in ihren Schlupfwinkel verfolgte, zur Stelle schaffen — gestatten Sie mir noch zuvor etliche Fragen an Herrn Jenkins."
„Fragen Sie immerhin."
„Herr Jenkins," begann Taubert ernst, „entsinnen Sie sich eines Mannes Namens P. Matthias?"
„Matthias — Paul Matthias?" wiederholte Jenkins überrascht; „ei freilich
— wie kommen Sie just auf diesen Mann, Herr Taubert?"
„Das sollen Sie schon erfahren; Herr Matthias verließ San Franzisko im Jahre 1859 in Gesellschaft seines Vetters, der Schaubudenbesitzer war."
„Auch das trifft zu," nickte Herr JenkinS, offenbar beunruhigt.
„Matthias war leidend — in Folge dessen wurde er zum Krüppel?"
„Alles stimmt auffallend."
„Und dann starb Matthias?"
„Ja wohl — da Sie meinen Vetter wohl kaum gekannt haben dürsten, begreife ich nicht, inwiefern sein Leben und Sterben Sie interessiert, Herr Taubert."
„Sehen wir vom Leben ab und halten wir uns an's Sterben. Sein Tod machte Sie, Herr Jenkms, zum Erben seiner bescheidenen fahrenden Habs, vornehmlich eines Koffers mit Kleidern."
„Und diese Kleider interessieren Sie heute — nach 20 Jahren?"
„Die Kleider weniger, wohl aber die Verwendung derselben. Sie sagten vorhin, Sie hätten Katharina Rockwald einen Koffer mit Kleidern gegeben — befand sich sonst nichts in dem Koffer?"
„Was meinen Sie damit?" fragte der Zwerg unsicher.
„Nun — Briefe und Empfehlungsschreiben zum Beispiel."
„Nun und wenn dem so war?"
„Mit welchem Recht gaben Sie Ihrem Schützling diese Schriftstücke?"
„Herr Taubert," sagte der Zwerg würdevoll, „ich bestreite Ihnen das Recht, mich einem förmlichen Verhör zu unterziehen, und ich werde Ihnen keine weiteren Fragen beantworten."
„Gut, so werde ich Ihnen sagen, was Sie gcthan haben, Herr Jenkins« Sie ließen Katharina Rockwald als Paul Matthias austreten — Sie vergaßen aber dabei, daß dem wirklichen Matthias die linke Hand fehlte. Die Persönlichkeit, welche sich heute Matthias nennt, ist eine lebendige Lüge — nicht Paul Matthias, sondern Katharina Rockwald ist es, die sich seit Jahren in diesem Hause verbirgt — Herr Wapping zweifeln Sie noch an der Wahrheit meiner Behauptung?" schloß der Detektiv mit erhobener Stimme, indem er zugleich die ins Nebenzimmer führende
Thür aufsticß und auf die jämmerliche Gestalt wies, die dort in den Kissen, daS Gesicht mit den mageren Händen bedeckt, bitterlich schluchzte-
„Taubert — ich glaube, Sie haben den Verstand verloren," rief Herr Wapping ärgerlich, „lassen Sie doch den armen Matthias in Ruhe!"
„Sogleich, zuvor will ich Ihnen aber beweisen, daß ich sehr wohl weiß, was ich behaupte," versetzte der Detektiv, indem er mit festem Griff Perücke und Brille vom Haupte der keinen Widerstand leistenden Gestalt auf dem Sopha riß und sich dann an der sprachlosen Bestürzung des Advokaten weidete.
Matthias, oder wie wir sie jetzt nennen dürfen, Katharina Rockwald, machte einen schwachen Versuch, sich zu erheben, aber die furchtbare Aufregung war zu mächtig für den durch jahrelange Entbehrungen, Leiden und Kämpfe aller Art erschütterten Körper der Unglücklichen gewesen, und leise stöhnend sank sie in totenähnlicher Ohnmacht zurück.
„Sie haben ihn getötet, Taubert," rief Herr Wapping entsetzt, inden» er die Unglückliche aufzurichten bemüht war und ihre kalten Hände rieb.
„Herr Wapping — so begreifen Sie doch, daß es eine Frau, die jahrelang gesuchte Katharina Rockwald ist, die Sie vor sich sehen," sagte Taubert, indem er eine kleine, mit Cognac gefüllte Flasche aus seiner Brusttasche zog und der Bewußtlosen einige Tropfen des belebenden Getränks eivflößte. Sodann wandte er sich zu dem wie versteinert dastehenden Ehepaar Jenkins und rief:
„Jenkins, laufen Sie rasch nach einem Arzt und Sie, Frau Jenkins, helfen Sie mir!" ,
Der Zwerg schoß davon, während Frau Sarah auf Anordnung des Detektivs kaltes Wasser beschaffte und die Stirn und die Schläfe der noch immer Regungslosen mit Wasser besprengte.
Endlich, nach einer langen, bangen Viertelstunde schlug Katharina die Augen auf, und die Hände ringend, murmelte sie mit gebrochener Stimme:
„Also doch gefangen. Alles, Alles umsonst!"
„Nicht gefangen, Katharina — gefunden," entgegnete Herr Wapping tief erschüttert; „Ihre Unschuld ist erwiesen — Ihr guter Name wird wieder hergestellt werden und Ihr Kind lebt!"
„Mein Kind — mein armes, liebes, verlassenes Kind — wo ist es — wamm darf ich's nicht sehen?"
„Sie sollen es sehen — sobald als möglich — weiß ich doch erst fest einer Stunde, daß es noch lebt!"
„Lassen Sie es mich bald sehen," stammelte Katharina leise, „sonst möchte es zu spät sein," setzte sie bitter lächelnd hinzu.
Der Eintritt des Zwerges in Begleitung eines Arztes unterbrach die peinliche Scene. Der Arzt untersuchte die Leidende, die bald wieder in Bewußtlosigkeit verfiel, ordnete das Nötigste an und bettete mit Hilfe der Frau Sarah die Kranke -in dem auf demselben Korridor gelegenen Schlafzimmer Herrn Wapping's auf dessen eigenem Lager. Nach Anwendung eines Stärkungsmittels erlangte Katharina endlich das Bewußtsein wieder; der Arzt erklärte dem Advokaten, der ihn um seine Meinung über den Zustand des Kranken befragte, er halte denselben für höchst kritisch und es sei kaum anzunehmen, daß das schon ziemlich weit vorgeschrittene Lungenleiden eine merkliche Besserung, geschweige denn Genesung erfahren werde. Der Körper der Kranken sei durch Entbehrungen aller Art geschwächt und der Blutsturz habe ihre Kräfte in bedenklicher Weise gemindert; es sei indeß nicht ausgeschlossen, daß sorgsame Pflege und der Aufenthalt in einem südlichen Klima, wenn auch nicht Heilung, so doch einen Stillstand herbeiführen könnten.
Herr Wapping nickte schweigend, und während der Arzt Frau Jenkins, die sich als geschickte Krankenwärterin zeigte, Verhaltungsmaßregeln gab, setzte der Advokat ein Telegramm an Lilly Maitland auf, welches Jenkins sofort beförderte. Das Telegramm lautete folgendermaßen:
„Bitte sofort Richmond kommen — Mutter gefunden, aber schwer krank.
_ Wapping."
20. Kapitel
Herr Fritz Wilton hatte sich seinerzeit nicht verpflichtet gefühlt, seinem Vater mitzuteilen, daß Lilly Maitland die Stadt verlassen habe, und so kam es, daß Herr Wilton een. an seinem Plan, den Sohn auf Reisen zu schicken, festhielt, und gerade an dem Tage, an welchem der Depeschenwechsel zwischen Lilly und Fritz in Bezug auf Jenkins stattgefunden, hatte der junge Mann von seinem Vater die Weisung erhalten, gleich am nächsten Morgen eine kleine Reise zur Anknüpfung einer neuen Geschäftsverbindung anzutreten. Fritz war sofort dazu bereit und seine Bereitwilligkeit wurde glänzend belohnt» denn das ihm bezeichnet« Reiseziel war seltsamerweise Old-Point-Comfort! Selbstverständlich hatte der würdige Handelsherr Wilton »eoi keine Ahnung davon, daß sich die junge Dame, welche er als so gefahrdrohend für seinen Sohn erachtete, sich gerade in Old-Point-Comfort befand, und wie wir ihn kennen gelernt, ist anzunehmen, daß er unbedingt auf die Anknüpfung der fraglichen Geschäftsverbindung verzichtet haben würde, wenn ihm dieser bedenkliche Umstand bekannt gewesen wäre. So fuhr denn Fritz, mit einem Empfehlungsbrief seines Vaters versehen, seelenvergnügt ab. Als tüchtiger Geschäftsmann erledigte er zuerst seinen Auftrag und nachdem er dem Vater gemeldet, daß der Kaufmann, an welchen er ihn gewiesen, ihn gebeten habe, sich's für einige Tage in Old-Point-Comfort gefallen zu lassen, welchem Vorschlag er Folge zu leisten gedenke, widmete er sich der nicht minder lohnenden Aufgabe, Fräulein Patterson's Gesellschafterin auf Schritt und Tritt zu begleiten, wenn diese junge Dame sich in Gesellschaft Fido's am Strande erging. Glücklicherweise war Fräulein Patterson durch eine heftige Erkältung ans Zimmer gefesselt und so kam es, daß Lilly sehr viel allein mit Fido ausgehen mußte, „damit das liebe arme Tier doch wenigstens die Strandluft genießen könne," wie Fido's Herrin in liebender Fürsorge für ihren Kläffer sich äußerte.
(Schluß folgt.)