Beilage zum „Calwer Wochenblatt"
Rro. 137.
Feuilleton.
Das Totenschiff.
Bericht über eine Kreuz- und Querfahrt auf jenem „Der fliegende Holländer" genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar
von W. Klark Wttssekt.
(Fortsetzung.)
Zweiundvierzigstes Kapitel.
Hi« Koffnungsstrahk.
Bei der Nachricht, daß wir der Küste zusegelten, durchzuckte mich ein derartiges Entzücken, daß ich an dem gewaltsam unterdrückten Freudenschrei, der ungestüm in meiner Kehle aufstieg, beinahe erstickt wäre. Und doch muß ich gestehen, daß, hätte man mich gefragt, was eigentlich in dieser Botschaft enthalten sei, um mich mit solchem Jubel zu erfüllen, ich wahrscheinlich unfähig gewesen sein würde, einen genügenden Grund anzugeben; ganz anders und erklärlicher wäre es gewesen, hätte Vanderdeckrn einem Hasen zuzusteuern beabsichtigt. Auch war ich schon so gut wie überzeugt, daß er auf irgend eine verödete, einsame Bai an einem heißen, sandigen Ufer zuhalten würde, vielleicht eine Bai oder Bucht mit großen Gebirgen im Hintergründe und meilenweit von einer holländischen oder britischen Niederlassung entfernt. Indessen so tief waren mein Mut und mein Vertrauen gesunken gewesen, daß der bloße Umstand einer bevorstehenden Abwechselung, der bloße Gedanke an eine zeitweise Abweichung von unserem gewöhnlichen traurigen Kurse meine Lebensgeister gewaltig aufmunterte und meine seelische Gedrücktheit zum großen Teil schwinden ließ. Zugleich darf nicht vergessen werden, daß ich, obgleich im großen Ganzen noch über das Wie im Dunkel tastend, doch schon seit Langem fest überzeugt gewesen, daß, wenn wir uns überhaupt einmal aus dem Totenschiff retten könnten, sich dazu nur dann eine Gelegenheit bieten würde, wenn wir eines Tages an der afrikanischen Küste vor Anker gingen.
Ich will nicht sagen, daß Vanderdecken die plötzliche Veränderung, welche mein GesichtLauSdruck zeigte, als er Jmogene diese vielversprechende Antwort gab, nicht bemerkt hätte, doch was immer er davon halten mochte, seine Gedanken verbargen sich unter der düster zusammengezogenen Stirn und dem dunklen, tiefen Schatten, den die Leidenschaft auf seinem Antlitz ausbreitete. Sobald sie aufhörte, ihn zu fragen, hörte er auch zu sprechen auf und ging, ohne wie gewöhnlich nach seiner Tabakspfeife zu verlangen, was mir als ein sehr bedeutsames Anzeichen der in ihm kochenden Wut erschien, auf Deck.
„Geliebter Herzensschatz", begann ich, nachdem er sich entfernt hatte, zu Jmogene und trat ihr näher, „ich fürchte. Du hast eine trübe und schlaflose Nacht gehabt. Wollte Gott, ich besäße die Macht, die Rosen, die jetzt bleich und weiß auf Deinen Wangen liegen, rötlich anzuhauchen. Doch Vanderdecken hat uns eine wichtige Botschaft gebracht, meinst Du nicht auch?"
Sie lächelte mit einem fragenden Ausdruck im Antlitz.
„Nun," antwortete ich ihr, „eS ist doch sicher, daß wir unsere Flucht von diesem Totenschiffe niemals bewerkstelligen können, so lange es auf hoher See segelt. Ader obgleich ich jetzt nicht sagen kann, auf welche Weise uns das Land von Nutzen sei» dürste, so fühl« ich doch die Zuversicht in mir, daß seine Nähe uns eine günstige Gelegenheit bringen wird, und dann müßte eS in der That sehr eigentümlich zugehen, we»n eines Mattosen List und Klugheit, welche noch dazu durch die Verzweiflung geschärft wird, nicht Mittel und Wege finden sollten, diese schreckliche Knechtschaft und Sklaverei abzuschütteln."
Sie sann einen Augenblick nach und erwiederte dann: „Geoffroy. ich habe mich zu Folgendem entschlossen: Wenn Du mich mit Dir zu gleicher Zeit retten kannst, so will ich Dir gern folgen, und alle Entschlüsse, die Du in dieser Hinsicht fassest, sollen auch die meinigen sein. Aber, Geliebter," fuhr sie fort und lächelte, als ich bewegt ihre Hand erfaßte, „ebenso fest bin ich auch entschlossen, Deine Befreiung nicht von meiner Rettung abhängen zu lassen: wenn Du allein entfliehen kannst, aber nicht mit mir, dann bleibe ich hier!"
„Ach, Teuerste!" entgegnete ich, den Kopf schüttelnd, „Dein Blick kann nicht sehr tief in mein Herz gedrungen sein, sonst würdest Du nicht also sprechen."
Sie verschloß meine Lippen mit ihrem Finger. „Erwäge dies, Geoffroy: „Du bist ein Mann, bist jung, das Leben liegt offen und hoffnungsvoll vor Dir, die Freiheit ist für Dich Dein höchstes Gut — und Du hast eine Heimat und eine Mutter, zu der Du zurückkehren kannst, während ich eine Waise bin — ebenso einsam «nd verlassen in dieser weiten Welt wie irgend ein schwaches Seevögelchen, das vereinzelt diesem Schiffe folgt. Ich fühle eS zuweilen wie »ine kalte, eisige Hand auf meinem Herzen und ahne, daß meine Zeit hienieden nicht mehr lang bemessen sei» wird. Wenn es mein Geschick will, daß ich aus diesem Schiffe bleiben soll, so bin ich gewiß, daß es nur ein kurzer Aufenthalt sein wird, und zwar zu kurz, um ihn zu fürchten."
Sie schwieg plötzlich und weinte.
Wir waren allein und ich schlang meine Arme um sie und küßte sie zärtlich. Ich durchschaute alsbald, wie eS mit ihr stand, wie die Furcht vor dem Sturme, wie ihre Schlaflosigkeit auf ihre so wie so schwächliche Gesundheit eingewirkt und ihr Gemüt herabgestinrml hatte. Ich liebkoste und tröstete sie, wie meine Liebes- leißenschaft eS nur immer fähig war; dennoch fuhren ihre Aeußerungen über die Kürze dev noch ans dieser Wett z» verbringenden Zeit wie ein kalter Frostschauer durch mein Blick, zumal sie in ihrer ungewöhnlichen Blässe, ihren matten Augenlidern, dem schwermütigen, ttrckwigen Lächeln, ihrer leisen Stimme und den soeben vergossene» Th nän tn «be» zetzt ein« Art von Bestätigung zu finden schienen.
Das Wetter hellte sich im Laufe des Vormittags auf und zur Mittagszeit
waren weite Strecken von herrlichem, leuchtenden Blau am Himmel sichtbar, über den schöne große Wolken dahineilten und von dem genug Sonnenschein herabstrahlte, um dem Ozean Glanz und Leben zu verleihen. Die Schwellung strömte aus dem Süden und erwies sich nicht länger als eine ungestüme Bewegung, sondern als ein regelmäßiges, rhythmisches Atmen der Tiefe.
Um diese Stunde kamen eine Anzahl Walfische in Sicht und hoben in ziemlich geringer Entfernung ihre schwarzen, nassen Rücken aus den Fluten empor. Der Sonnenschein verwandelte ihre Wasserstrahlen in prächtige Fontainen, die sich in ganzen Schauern funkelnder Diamanten, Rubinen und Smaragden niedersenkten. Ihre gewaltigen Formen und steifen Bewegungen, das zeitweilige Untertauchen des einen oder anderen mit auf der Oberfläche plätschernder Schwanzflosse, die wie ein gigantischer Ebenholzfächer anzuschauen war, oder das Emportauchen eims dritten in naßfunkelnder schwarzer Majestät über dem violetten Meeresspiegel, als wenn plötzlich durch irgend eine Eruption in der Tiefe ein kleines Jnselchen über der Seeoberfläche emporstiege, — das alles gewährte ein eigenartiges Schauspiel, welches Jmogene und mich für ungefähr zwanzig Minuten völlig in Anspruch nahm.
Der Wind war eine Kleinigkeit südlich vom Westen, eine scharfe Brise, unter der das Schiff, wacker gestoßen und hin und her geworfen, hilflos durch dis Fluten taumelte und bei voller Gewandung stündlich vielleicht fünf oder sechs Seemeilen zurücklegte. Die Pumpe arbeitete ohne Unterlaß und Pause. Das Schwirren des Schwengels, das Rauschen der hervorströmenden klaren, Hellen Wassermaffen und das zischende, brodelnde Abfließen derfelben durch die Speigassen ward dem Ohre bald ebenso vertraut wie das Knarren der Bollwerks oder das Kreischen des Steuers in den alten, rostigen Haken.
Zufällig befand ich mich an jenem Nachmittag einmal allein auf dem Hinterdeck — ich meine damit, ohne Jmogene, denn sobald sie nicht bei mir war, fühlte ich mich, selbst wenn mich des Schiffes gräßliche Mannschaft in ihrer Gesammtheit umgab, einsamer als wenn man mich auf einem öden Meeresfelsen ausgesetzt hätte — und eine Weile dem monotonen Kreischen des Pumpenschwengels lauschend, .schoß mir ein Gedanke durch den Kopf und ich trat auf Vanderdecken zu, der mit in die Hand gestütztem Kinn über die Wetterregeling hinauslehnte.
„Mynheer," redete ich ihn an, „ich muß um Verzeihung bitten, wenn ich Sie störe. Doch das Pumpen ist eine schwere, entkräftende Arbeit — ich kenne das aus mehrfacher, ernster Erfahrung." Er erhob sein Haupt und wandte sich langsamen Blickes nach mir herum. „Dieses Schiff," fuhr ich fort, „hat mich vom Tode gerettet und mir ein Asyl geboten. Es ist daher nicht mehr als billig, daß ich an den allgemeinen Beschwerlichkeiten teilnehme. Gestatten Sie mir deshalb, Mynheer, mich an der Pumpe mit in Reih' und Glied zu stellen uud gleich den Uebrigen abwechselnd daran thätig zu sein." Er musterte mich eine geraume Weile mit seinem wunderbaren, brennenden Blick und antwortete alsdann: „Es ist nicht notwendig. Unsere Mannschaft ist zahlreich, es sind Hände genug vorhanden. Außerdem, Herr, siegt keine Dringlichkeit vor; das Wasser steigt nicht höher, wenn es nicht gar abnimmt."
Ich verbeugte mich schweigend und war im Begriff, ihn zu verlassen, als er noch hinzufügte: „Ich fürchte, Ihre Kenntnis des holländischen Charakters ist sehr unvollkommen. Und dennoch erzählen Sie mir, daß Sie oftmals in Rotterdam gewesen."
„Es ist wahr, Mynheer; indessen war ich dort nur als einfacher Seemann, der bloß des Nachts einige Stunden zu seiner Verfügung hatte und aus diesem Grunde gezwungen war, sich sein Urteil nur an derartiger Gesellschaft zu bilden, wie sie Einem das Bierhaus vorsührt."
„Ja, das scheint so," sagte er, „sonst würden Sie bereits aus der Behandlung, die wir Ihnen haben zu Teil werden lassen, erkannt haben, daß wir Sie als unfern Gast bettachten. Und eS ist nicht gebräuchlich bei uns, Gäste zugleich als Arbeiter zu benutzen."
Ich verbeugte mich von Neuem und begnügte mich, dabei im Stillen zu denken, wie ich trotzdem als Gast in fortwährender Lebensgefahr schwebte — doch schwieg ich selbstverständlich darüber. Ich glaubte indessen, seine augenscheinliche Bereitwilligkeit, mit mir in Unterhaltung zu treten, benutzen zu müssen, und äußert« mich daher in dem ehrerbietigsten Tone, der mir nur zu Gebote stand: „Herr, schon der bloße Umstand, Ihr Gast zu sein, sollte eigentlich den Glauben in mir erwecken, daß einmal eine Zeit kommen muß, wann ich Ihre Höflichkeit durch meine lästige Gesellschaft erschöpft haben werde."
Ich mgchte eine Pause in der Hoffnung, daß er sich beeilen würde, mich des Gegenteils zu versichern; doch er sagte kein Wort, nur daß er mich scharf und unausgesetzt fixierte.
„Sie werden mir daher glauben, Mynheer," fuhr ich fort, „daß mich kein Motiv eitler Neugier antteibt, wenn ich Sie frage, ob es Ihre gegenwärtige Absicht ist, das Schiff irgend einen Hafen anlaufen zu lassen?"
„Welchen Hafen denn?" rief er aus.
Ich versicherte ihm, daß ich daS nicht wüßte.
„Und ich auch nicht," sagte er. „Welche Niederlassung soll es denn an dieser Seeküste geben? Sie meinen doch wohl kaum, daß ich, mit jener Pumpe dort Tag und Nacht in Betrieb, Willens sein könnte, irgend einem andern Punkt der Küste zuzuhalten als der nächsten Bai, in welcher man kielholen und dem Leck auf den Leib rücken kann?"
„Wird diese Bai, Mynheer," fragte ich mit der äußersten Bescheidenheit und Ehrerbietung, „wohl sehr west entfernt sein?"
Er erwiederte: „Es ist einige Meilen südlich vom vierunddreißigsten Parallelgrad. Um sie zu erreichen, haben wir noch hundertundachtzig französische Meilen zurückzulegen!*
(Fortsetzung folgt.)