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Bon Koch'S Heilverfahren. Die Veröffentlichung Robert Kochs begleitet die Berliner klinische Wochenschr. mit folgenden Worten : „Robert Koch hat seine mit größter Spannung seitens der gesammten ärztlichen Welt erwartete Publikation über seine Behandlung der Tuberkulose nunmehr erscheinen lassen. Die Arbeit nnrd überall staunende Bewunderung erwecken; die hochgespannten Erwartungen, die an des großen Forschers Aeußerungen auf dem X. Internat. Kongreß geknüpft wurden, haben schneller, als man zu hoffen wagte, ihre Erfüllung gefunden. Bestätigungen und Erweiterungen der bisherigen Angaben sind für die nächste Zeit in Aussicht gestellt; sie werden den Eindruck, mit dem wir hier vor dem segensreichsten und verheißungsvollsten Ergebnis moderner Medizin stehen, nur steigern, den Dank, den wir dem genialen und unermüdlichen Entdecker schulden, nur vermehren!" — Kochs Klinik für Schwindsüchtige wird in Kürze eröffnet werden. Einem Kranken aus Schweden hat Prof. Koch auf seine Anfrage geantwortet, daß er, so bald er seinen Vortrag in der Berliner Medizin. Gesellschaft gehalten habe, eine Klinik eröffnen werde, die indessen während der ersten 6 Wochen nur für Kranke aus Berlin geöffnet sei, dann aber würden, so weit die Umstände es erlaubten, auch Kranke aus allen Teilen der Welt ausgenommen werden. — Prof. Koch hat seinen Mitarbeitern nunmehr gestattet, die erzielten Resultate seines neuen Heilverfahrens in ärztlichem Kreise an vorgestellten Kranken zu demonstrieren, und zahlreiche Aerzte suchen jetzt die kleine Heilanstalt des I>r. Levy in der Prenzlauerstraße auf, wo mit ganz bescheidenen Mitteln so Großes erreicht wurde, wo Prof. Koch am 8. Okt. die erste volle Gewißheit erhielt, daß sein Mittel die Tuberkulose heile. I>r. Levy stellt bereitwillig jeden Vormittag den sich meldenden Aerzten seine nach Kochs Methode behandelnden Patienten vor und erläutert dabei die Eigenart dieses Heilverfahrens. In seiner Erläuterung der einzelnen Fälle erklärt vr. Levy, daß er sich absichtlich für seine Untersuchungen elende Kinder ausgesucht habe, um festzustellen, „ob wir mit unserem Heilmittel Schaden anrichten könnten. Wir beobachten jetzt seit dem 22. Sept., haben aber bisher nur einen Unfall u beklagen gehabt. Nur ein Kind ist uns an tuber- ulöser Hirnhautentzündung gestorben, aber an dem Tode ist nicht unser Heilmittel Schuld, sondern das Kind wurde bereits sterbend zu uns gebracht." — Dem Braunschw. Tagebl. zufolge beabsichtigen die Aerzte Braunschweigs und Hannovers den Bau eines großen Sanatoriums im Harze für unbemittelte Lungenkranke. — Heute tritt der oberste Sanitätsrat zusammen, um auf Veranlassung der Ministerien des Aeußern, des Innern und des Unterrichts die Form festzustellen, wie die Koch'sche Entdeckung hier baldmöglichst nutzbar gemacht werden könne. Nahezu alle Blätter feiern Koch in Leitartikeln.
— Wie uns heute mitgeteilt wird, haben sich Vereine, welche eine Eisenbahn-Reform anstreben, mit zusammen 44,500 Mitglieder, an den Staatsminister von Maybach gewandt mit der Bitte um Ermäßigung der Eisenbahn-Personen-Tarife durch Einführung des Zonentarifs. Aus Ungarn, heißt es u. a. in der Petition, liegt jetzt das einjährige Resultat vor, wonach die Zahl der Personen bei einem, dem Eisenbahnnetze in Preußen durchaus nicht ent
sprechendem Umfange von 5,187,227 auf 13,060,751 also um 150"/» etwa, und die finanziellen Einnahmen aus der Personenbeförderung trotz der bedeutenden Ermäßigung um 22,4 "/» gestiegen sind, ein Resultat, welches die dortigen Behörden zu weiteren Ermäßigungen veranlassen wird, die alsdann zu noch günstigeren Resultaten führen dürften.
Die sogenannten „kritischen Tage" und die Mettervorhersagungen Rudolf Kalbs.
In der Nr. 133. d. Bl. vom letzten Donnerstag war in einer Correspondenz darauf hingewiesen, daß der 12. November von Falb als kritischer Tag bezeichnet worden sei und es wurde das Eintreffen der Falb'schen Profezeiung auf dieses Datum hervorgehoben. Denn „die Temperatur ist ziemlich gesunken und von den Dächern und Bäumen glänzt uns frisch gefallener Schnee entgegen" hieß es an der angeführten Stelle. Bei dieser Gelegenheit dürfte es nicht ganz uninteressant sein, die kritischen Tage Falbs etwas näher zu betrachten und den Profezeiungen des vielgenannten Mannes ein wenig nachzuforschen.
Es würde uns hier zu weit führen, wenn wir auf die Grundsätze eingehen wollten, welche für Falb bei Aufstellung der Tabelle seiner kritischen Tage maßgebend waren. Vielmehr mag es genügen darauf hinzuwsisen, daß für das Jahr 1890 Falb 25 Tage als „kritische" bezeichnet, die sich zu je 2 gleichmäßrg aus die Monate verteilen, nur auf den Monat Juli entfallen 3 kritische Tage. Nach der Wichtigkeit und Heftigkeit der von Falb für diese Tage erwarteten Ereignisse (Stürme, Gewitter u. s. w.) gruppiert er sie in Tage erster, zweiter und dritter Ordnung. Das Wesen eines kritischen Tages selbst aber besteht darin, daß an demselben eine oder mehrere nachfolgender Erscheinungen auftreten:
1) Wirbelstürme und vermehrte Niederschläge;
2) Gewitter im Winter oder zu Tageszeiten, in denen sie selten sind (Nachts, Morgens);
3) Schneefälle im Sommer;
4) Gewitter gleichzeitig mit Schneegestöber;
5) Die ersten Gewitter im Frühjahr und der erste Schnee im Herbste;
6) Plötzliches Thauwetter oder tiefblauer Himmel bei auffallend großer Durchsichtigkeit der Luft;
7) Regenböen, Strichregen und „Aprilwetter." Im Wesentlichen ist es nach Falb der Einfluß
des Mondes der vaS Auftreten besonderer Witterungsverhältnisse verursacht und die kritischen Tage fallen daher auch durchaus mit Vollmond- und Neumondtagen zusammen; nur in zwei Fällen ist je ein Tag, in einem Falle 2 Tage Unterschied. Da die Ursachen der Wetterveränderungen überall dieselben sind, so sind auch die daran geknüpften Erscheinungen nicht etwa nur an bestimmten Orten, sondern an allen Punkten der Erde zu erwarten. Allerdings wird nach der besonderen Lage des Ortes eher das eine, oder das andere von den oben aufgezählten Ereignissen erwartet werden müssen.
Prüfen ivir nun nach dem Vorausgegangenen den von Falb als kritischer Tag zweiter Ordnung bezeichneten 12. November, so können wir nichts an demselben finden, was ihn zum Tragen dieses Namens
berechtigen würde; weder in unserer Erinnerung, denn nach dieser war es eben ein trüber naßkalter Novembertag, wie es deren viele giebt, noch nach dem, was über den 12. November an der Spitze unserer Ausführung gesagt ist. Daß die Temperatur „erheblich gesunken" war, gegen die vorhergehenden Tage, kann den 12. November nicht einmal m den Augen Falbs selbst nrm kritischen Tag machen, denn nirgends führt Falb dies als Kennzeichen eines solchen Tages an.. Der frisch gefallene Schnee ist Mitte November bei uns aber auch nichts Besonderes und war überdies sehr rasch wieder verschwunden. Der erste Schnee endlich war es auch nicht, der war schon' am 22. Oktober gefallen. Also nicht einmal ein kritischer Tag zweiter Ordnung ist der 12. November gewesen.
Vielleicht war aber Falb mit den kritischen Tagen erster Ordnung in diesem Jahre glücklicher. Solche sind nach ihrer Wichtigkeit angeordnet: der 28. Sept., 30. Aug., 19. Febr., 20. März, 20. Jan., 31. Juli, und 27. Okt. Sehen wir nach, wie es sich mit diesen Tagen verhält, an der Hand der Aufzeichnungen der hiesigen meteorologischen Station.. Diese Aufzeichnungen lauten kurz für den
28. Sept. „Morgens Nebel, dann heiter, kein
Niederschlag";
30. Aug. „Wolkig, in der Nacht auf den 21.
Regen";
19. Febr. „Aufheiterung, kein Niederschlag";
20. März. „Wolkig, kein Niederschlag";
20. Jan. „Ziemlich viel Regen, in der Nacht
auf den 21. Jan. Sturm;
31. Juli. „Etwas wolkig, kein Niederschlag";
27. Okt. „Aufheiterung, in der Nacht wenig
Schnee".
Ausgenommen am 20. Januar war die Lust
ruhig.
Also von den sieben kritischen Tagen erster Ordnung dieses Jahres trägt nur ein einziger die Kennzeichen eines solchen wirklich an sich, alle übrigen zeigen auch nicht die Spur von etwas „Kritischem". Der 20. Januar allein ist es, der mit „Sturm und Regen" die oben unter Punkt 1 aufgeführten Erscheinungen aufweist. Ob bei dem sicheren, um nicht zu sagen anspruchsvollen Auftreten von Rudolf Falb ein derartiges Resultat ein befriedigendes zu nennen ist, darüber mögen die Leser dieser Zeilen selbst urteilen. Es wäre ja geradezu wunderbar, wenn eine Profezeiung, die fast alle Vollmonds- und Neumondstage des Jahres umfaßt, nicht auch einmal eintreffen würde.
Zum Schluffe machen wir noch darauf aufmerksam, daß der 12. Dezember von Falb als kritischer Tag zweiter Ordnung bezeichnet wird, der durch das Zusammenwirken der Umstände sogar mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Tag erster Ordnung auf- rückt, während der 26. Nov. und 26. Dez. als Tage dritter Ordnung auf der Liste stehen. Auch der 26. November hat Aussicht vorzurücken, nämlich zu einem Tage zweiter Ordnung. Vielleicht gibt sich der eine oder andere Leser die Mühe, auf diese Tage besonders zu achten. Wir bitten nur, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, nicht ob das Wetter an einem solchen Tage überhaupt „schlecht" ist, sondern ob die von Falb selbst angegebenen Merkmale der kritischen Tage zutreffen. Denn nur in letzterem Falle wäre man berechtigt von einem Eintreffen der Profezeiung zu reden. U.
Das alte Pumpenwerk machte ein so melancholisches, ungewöhnliches Geräusch, daß ich wochenlang in meinem Bette gelegen und darüber simuliert haben könnte, ohne der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Ich beachtete, daß der von dannen fließende Wafferstrom ganz klar und glashell war, ein sicheres Zeichen, daß es frei von außen eindrang. Der Himmel zeigte immer noch eine schattige, düstere Wetterfärbung, doch die Brise war geschwächt und kaum anders als ein frischer Wind zu bezeichnen, den sich die Braave leidlich zu Nutze machte. Die Raaen warm dicht und beinahe rechtwinklig beim Winde gebraßt, und das Totenschiff arbeitete sich unter Fock-, Mars-, Oberbram- und Sprietsegel mürrisch und verdrossen durch die seinen Bug umtosende schäumende Flut.
Ich war durch diese Kombination glashellen Pumpenwassers und rechtwinkliger Raaen nicht wenig erregt, und nachdem ich mich auf dem Vorderdeck wie gewöhnlich durch einen Segeltuchkübel voll Salzwasier, das wie Champagner schäumte, als ich es aus der schneeflockigcn, dunkelgrünen Brandung schöpfte, erfrischt hatte, spazierte ich nach dem Hinterdeck — wo nur Arents stand — und trat an das Kompaßhäuschen. Die Nadel zeigte Westnordwest und der Wind lag Backbord an. Ich lehnte mich über das Geländer hinaus, um die wogenden Wasserkörper mit meinen Blicken zu verfolgen, bis Glockenschläge aus der Kajüte anzeigten, daß es Frühstückszeit sei-
Der Kapitän kam mit einem strengen, bitteren Gesichtsausdruck zur Tafel. Es war leicht möglich, daß er den größten Teil der Nacht auf Deck verbracht hatte, doch zeigte sich an ihm keine Spur von Ermüdung.
Van Vogelaar erschien nicht; möglich, daß er einen Teil seiner Deckwache verschlief. Jmogene sah bleich und abgehärmt aus. Sie antwortete auf meinen teilnehmenden, fragenden Blick, daß sie nicht geschlafen habe, und lächelte traurig, während sie sprach; es schien, als wenn nur ein flüchtiger Lichtstrahl über ihre Melancholie dahinhusche, der dieselbe umso deutlicher hervortreten ließ. Lieblich war sie anzuschauen, doch andererseits auch zu gebrechlich und zart, um mich nicht zu beunruhigen; sie hatte zu viel von der trauervollen Anmut der Mondlilie an sich, wenn diese in
weißer Schöne ihr Köpfchen senkt und ihre milchweißen Kelchblätter bei dem Scheine des silbernen Himmelskörpers der ihr den Namen giebt, ängstlich zusammenzieht.
Plötzlich wurde sie aufmerksam. „Was für ein Geräusch ist das?" rief sie auf Englisch.
„Es sind die Matrosen, die das Wasser aus dem Schiff pumpen," erwiederte ich.
„Seltsam!" sagte sie; „schon lange vor Tagesanbruch habe ich es undeutlich gehört und ihm unausgesetzt mit schwerfälligem, schlaftrunkenem Staunen gelauscht, ohne zu erraten, was es wirklich sein könnte. Es hat niemals pausiert, sondern ist ununterbrochen vernehmbar gewesen — ist denn wirklich Wasser im Schiff?"
„Ich habe nicht gewagt, mich danach zu erkundigen," antwortete ich mit einem langen Seitenblick auf Vanderdecken, der mechanisch sein Mahl verzehrte, ohne uns zu beachten.
„Kapitän," redete sie ihn sanft an und berührte dabei seinen Arm mit ihrer juwelenblitzenden Hand, „unsere Leute sind schon Stunden lang an der Pumpe beschäftigt gewesen; wollen Sie mir gütigst sagen, warum?"
Langsam schaute er sie an; doch es war ein leerer, verständnisloser Blick, weshalb sie ihre Frage wiederholen mußte, ehe er Antwort gab:
„Die heftigen Anstrengungen, denen das Schiff in den ersten Stunden nach Mitternacht auSgesetzt war, haben ihm arg mitgespielt und eine Blesiur beigebracht."
„Ist es leck?"
„Ja, mein Kind!"
„Ist das Leck verstopfbar?" fragte sie, von meinen ermunternden Blicken ermutigt weiter.
„Nein, es ist unter der Wasserlinie. Doch es nimmt nicht zu. Beständiges - Pumpen hält daS Wasser immer auf gleicher Linie. Wir werden kielholen müssen,, um dem Lecke beizukommen."
„Segeln wir der Küste zu?"
„Ja!" lautete die Antwort. (Forts, folgt.)