Beilage zum „Calwer Wochenblatt
Jeuilleton.
Das Totenschiff. """
Bericht über eine Kreuz- und Querfahrt auf jenem „Der fliegende Holländer" genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar
von W. Kkark Wusse kt.
(Fortsetzung.)
Ich ließ Jmogene für einen Moment allein und schlich mich heimlich dem Halbverdeck entlang, um das Hinterdeck zu überschauen. Ich gewahrte Banderdecken, wie er mit gekreuzten Armen, tiefgesenktem Kinn und seinem aschenfarbig aus der Dunkelheit hervortrctenden Antlitz dastand und in der Richtung des näherkommenden Unwetters ausblickte. Während der ganzen Zeit, daß ich ihn beobachtete, rührte er kein Glied seines Körpers. Arents und Van Vogelaar befanden sich auf der andern Seite des Deckes, lehnten über das Geländer hinaus und starrten Gott weiß wohin, ohne den geringsten Laut von sich zu geben. Auf dem Vorderdeck hatten sich die Leute in Gruppen zusammengefunden, eine grausige Gesellschaft menschlicher Gestalten, unter der auch nicht die leiseste Bewegung zu verspüren war. Viele von ihnen rauchten und die bleichen Rauchringel schlängelten sich von ihren noch bleicheren Lippen kerzengerade in die Luft empor.
„Sieh Dir nur den Himmel an, Jmogene!" flüsterte ich; „hat ein Sterblicher ihn jemals ähnlich gesehen?"
Sie blickte, ihre zitternden Hände um meinen Arm schlingend, nach der von mir angedeuteten Richtung. In dem äußersten Westen hatte der Himmel ein trübes, stahlgraues Gewand angelegt, und leuchtende Blitze zuckten unaufhörlich den Horizont entlang, was wie ein toller Reigen tanzender, in brillantem Lichte erglänzender Sterne anzuschauen war. Bald vergrößerte sich dies zu dichten Masten dunklen Dunstes, der vielfach gestreift erschien, während zenühwärts eine Stelle schwachgrünlichen Himmels sichtbar wurde, jedoch so schwach und undeutlich, daß man meinte, er schimmere durch Rauch hindurch; unweit davon breiteten sich unruhige Nebelballen aus, die, anfangs dünn, sich allmählich über unfern Mastspitzen zu gräßlichen Wolkenungeheuern zusammenzogen und finster drohend auf uns herabstarrten. Jedoch kann diese Beschreibung auch nicht annähernd das schreckliche, unheimliche Aussehen jenes sturmprophezeienden Himmels wiedergeben, da mir die Worte fehlen, um den Eindruck zu schildern, welchen seine verschiedenen, kontrastierenden, vielfarbigen Schattierungen, die sich alle vereinigten, um die See in ein grausiges Wirrsal von Farben einzuhüllen, in meinem Geiste zurückließ.
Da bis jetzt weder ein Befehl noch ein Tau oder Segel angerührt worden war, so hatte ich mich bereits mit dem Gedanken vertraut gemacht, in allerkürzester Zeit ein erstaunliches Schauspiel übernatürlicher Magie zu erleben, das heißt, einem plötzlichen heftigen Ausbruch des Sturmes beizuwohnen, der das Schiff unter vollen Segeln packte und ihm trotzdem nichts anhaben konnte. Auf einmal zuckte ein gewaltiger greller Blitzstrahl durch die drückende, schwüle Dunkelheit, sodaß der ganze Schiffsbau in smaragdnem Feuer zu stehen schien. Ein paar vereinzelte schwere Regentropfen fielen herab und schlugen laut klatschend auf das Verdeck.
Ein hohles, fernes Rollen des Donners ließ sich im Westen hören, und gleichsam als nachklingendes Echo des dumpfen, ersterbenden Klanges erhob sich plötzlich die tiefe Stimme des Totenschiffkapitäns:
„Refft die Mars- und Bramsegel!"
„Zieht das Sprietsegel ein und bergt die Raa!"
„Einige Mann hierher; macht das Besansegel fest!"
„Laßt die große Raa herab und streicht ihr Segel!"
„Refft das Focksegel doppelt!"
Diese und andere Befehle gab er einen nach dem andern, und sie wurden von den beiden Steuerleuten und dem Bootsmann wiederholt.
Ich kann nicht glauben, daß jemals eine phantastische Vision wilder, seltsamer und eindrucksvoller war als das Bild, welches das Totenschiff darbot, als seine Mannschaft daran ging, es für den bevorstehenden Kampf in Stand zu setzen: mechanisch bewegten sich die unheimlichen Gestalten einher, zogen an dem Tauwerk, huschten schattengleich über das Deck und verschwanden, die Wanten besteigend, wie stumme Gespenster nach oben.
Es herrschte tiefe Nacht. Was die Matrosen eigentlich thaten und in welcher Weise sie arbeiteten, konnte man unmöglich erkennen. Kein Matrosengesang keine Rufe zeigten an, wo und wie sie sich bewegten. Ich stand mit Jmogene in banger Erwartung der Dinge am Eingänge der Kajüte, immer bereit, sie bei dem ersten Ausbruch des Unwetters unter das schützende Obdach zu geleiten. So verflossen ungefähr zehn Minuten und es schien mir dann, als wenn das ringsum herrschende Dunkel allmählich eine noch tiefere Schattierung annehme. Plötzlich vernahm ich ein seltsames Getön — ein unbestimmtes, gedämpftes Rauschen, das wie ein Echo aus unbegrenzter Ferne erscholl und nichts mit dem Donner gemein hatte, obgleich auch dieser zu dem vielstimmigen Getöse beizutragen schien. Es war, als wenn das Getier von tausend Wäldern, vor dem heulenden Tornado flüchtend, unter den Bäumen dahinrase und jede wilde Kreatur einen kläglichen Angstschrei ausstoße; dabei klang der ganze Tumult noch weit entfernt wie ein dumpfer Widerhall von hohen Bergen.
„Gütiger Gott, was ist denn das?" rief Jmogene erschreckt.
Ehe ich noch antworten konnte, zuckte ein blendender Blitz grell am Himmel empor, der in flammigem Zickzack von Norden, über unsere Mastspitzen hinweg, nach Süden fuhr; ihm folgte fast gleichzeitig ein ohrenbetäubender, krachender Donnerschlag, als wenn aufeinmal ein Dutzend Batterien abgefeuert worden wären; dann
öffnete der Himmel seine Schleusen, und der Regen, mit großen Hagelkörnern untermischt, stürzte in mächtigen Strömen herab und prasselte klatschend auf das Verdeck, sodaß man meinte, das ganze Schiffsgefüge werde auseinander geschwemmt. Die Meeresfläche schäumte wild unter dem sie peitschenden Regen und Hagel. Unaufhörlich erleuchteten grelle Blitze das Firmament, gleichsam als ob sich der Himmel geöffnet hätte; doch das dumpfe Rollen des Donners wurde von dem Rauschen der herabströmenden Wastermassen fast übertönt und in dem gräßlichen Tumult in den Lüsten erstickt. Wir hatten uns beim ersten Ausbruch des Wetters sogleich in die Kajüte zurückgezogen und blickten, nachdem wir die Thür hinter uns fest verschlossen, durch das Fenster auf die wilde Scene draußen. Das Deck stand voll Master, das durch die Luken brodelnd abfloß und so sein Plätschern und Rauschen mit dem Sturmgeheul vereinigte. Das ganze Schiff schien in Flammen gehüllt von dem fortwährenden höllischen Flackern der vielfarbigen Blitzesstrahlen, die alle Einzelheiten der Ausrüstung wie in Tageshelle hervortreten und in mannigfaltigem Lichte erglänzen ließen.
Doch der Wind schwieg noch. Kein leiser Hauch war noch zu verspüren! Ich erkannte dies an den Vordersegeln, die lose von der Raa herabhingen und schwarz und durchnäßt hin und her fächelten. Indessen wußte ich wohl, daß er nicht mehr fern sein konnte. Jens Töne, die ich gehört und mit dem Heulen tausend erschreckter wilder Tiere verglichen habe, waren — o, mein Ohr war mit ihnen vertraut ! — die Echos hoch oben in der mittleren Luftschicht von einem gewaltigen, heranflürmenden Orkane, der den Ozean nur allzu bald in Heller Wut aufwühlen mußte. Mein Herz pochte heftig und schnell; dabei war Alles von so entsetzlicher Wirklichkeit, daß mein Geist die übernatürlichen Daseins- und Lebensbedingungen des Totenschiffes und seiner Mannschaft nicht zu fassen vermochte, Bedingungen, die mich doch andererseüs gewiß gemacht hatten, daß der selbst über den Tyrannen Tod triumphierende Fluch sicherlich auch über den wildesten Sturmwind, der je das weite Meer zu mächtigen Gebirgen auftürmte, schließlich die Oberhand behalten würde.
„Horch!" rief ich, „der Sturm bricht herein!" und noch hatte ich nicht geendet, als der ungeheure Orkan mit ungestümer Wucht wie ein Donnerkeil vom Himmel gegen das Schiff prallte und mit einem langgezogenen, gräßlichen Geheul und unter einem wahren Feuerwerk von scharfen, blendenden Blitzen, die den fernsten Horizont in purpurnem Glanze aufleuchten ließen, auf uns einstürmte. Ich hielt mich mit beiden Händen an der einen Seite des Fensterrahmens fest, und Jmogene, halb ohnmächtig vor Angst und Schrecken, lehnte an mir, wobei nichts als der Halt, den sie an meinem Körper fand, sie davor bewahrte, erbarmungslos gegen die Kajütenwand geschleudert zu werden. So scharf und groß war der Winkel, unter dem der erste Ansturm des entfesselten Orkans unser Fahrzeug auf die Seite legte, daß ich einige Minuten lang wahrhaftig glaubte, daß das Schiff sinke. Der Wind fuhr heulend über die siedende, empörte Meeresfläche und besäete sie mit weißem Schaum; das Fahrzeug lag unbeweglich wie ein Holzklotz auf der Seite und beugte seine Bollwerkgeländer fast bis zum Meeresspiegel nieder ; mitten durch das Kreischen und Tosen des Sturmes vemahm man das Rauschen der auf das Deck stürzenden Waster- wogen, die sich in schaumbedeckten Katarakten über das Ober- und Halbverdeck ergossen. Hätte ich die Kajütenthür öffnen wollen — vorausgesetzt, daß es mir überhaupt möglich gewesen wäre — so würden die eindringenden Fluten im Nu die Kajüte gefüllt haben und Jmogene und ich rettungslos ertrunken sein. Wir konnten nichts thun als ruhig den Ausgang abwarten. Minutenlang stand ich mit dem sich angstvoll an mich klammernden Mädchen so da und hielt mich krampfhaft fest, mir kaum bewußt, ob wir noch über Master wären, und unfähig, bei dem ohrenbetäubenden Toben draußen ein Wort zu sprechen. Und diese Minuten der höchsten Gefahr, wo wir im Scheine der Blitzesflammen den hilflos sich tiefer und tiefer neigenden, fast die Meeresfläche berührenden Rumpf durch das Fenster erblickten und jeden Augenblick erwarteten, auf den grünen, unbewegten Meeresgrund zu versinken, schienen uns eine lange, bange Ewigkeit.
Doch jetzt bemerkte ich zu meiner unaussprechlichen Freude, daß sich das Schiff langsam aufrichtete und seine gerade Haltung wiedergewann. Es war ihnen gelungen, es vom Winde abzubringen, und nach einer Weile segelte es aufrecht wie ein Kirchturm vor dem Sturme, während das auf Deck stehende Master über die Seiten abfloß. Ich atmete auf: die Gefahr war vorüber.
„Fluch oder nicht Fluch!" sagte ich zu Jmogene. „Unbestreitbar ist, daß Vanderdecken sein Seemannsgeschäft gehörig versteht. Ich will ein Schwachkopf heißen, wenn dies soeben nicht ein braves Stückchen genialer Seefahrerkunst war!"
„^5 3,1 vsräomä!" krächzte der Papagei.
Ich geleitete Jmogene zu einem Sitz, küßte sie auf ihre weiße Stirn und stieg nach oben auf das Verdeck.
Einundvierzigstes Kapitel.
Wir werde« keck.
Als ich aus der Kajüte heraustrat, umgab mich der Schauplatz einer unbeschreiblich wilden, entsetzlichen Scene: Der Himmel schien durch die unaufhörlichen Blitzstrahlen, welche die ringsum herrschende pechschwarze Nacht nur noch schwärzer und undurchdringlicher machten, in lodernde Flammen gesetzt zu sein und hatte ein unheimliches Aussehen. Und war einmal eine Pause zwischen den sich folgenden zuckenden Strahlen lang genug, um dem Auge einigermaßen die Sehkraft zurückzugeben, so entsetzte man sich ob der schrecklichen rabenschwarzen Finsternis, die namen- lich von der kochenden, gewaltigen Schaummasse unter uns eine eigentümliche, unbeschreibliche Schattierung annahm.
Ich arbeitete mich bis auf das Hinterdeck durch und kroch auf Händen und Knieen bis zu dem kleinen Deckhäuschen, gegen dessen Vorderende ich mich aufstellte, und hier war ich gegen Regen und Wind einigermaßen geschützt.
(Fortsetzung folgt.)