Beilage zumCalwer Wochenblatt"

Rro. 71.

Jenilleton.

Das Totenschiff """""""

Bericht über eine Kreuz- und Querfahrt auf jenemDer fliegende Holländer" genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar

von W. ßkark Htussekk,

(Fortsetzung.)

Doch war es augenscheinlich Kapitän Skevington's Absicht, lieber den Saracen dreggen zu lassen, was er nicht tragen konnte, und was da wollte, übyr Bord gehen zu lassen, als daß er das kleinste Segel einzog, so lange uns jenes Ungeheuer hinten noch auf den Fersen saß; und jetzt zeigten wir uns bei guter, kräftiger Brise beinahe ebenso flink als unser Gegner, so daß wir, wenn der Wind noch stärker werden sollte, schließlich doch noch zu entkommen hofften.

Wohlan, um drei Uhr hatten wir den schönsten Sturm, obgleich das Wetter klar blieb: der Himmel war in Aufregung, die Wolken, in kompakten Massen nach der Höhe ziehend, hatten das Zeichen des Sturmes auf ihrer Stirn und bewegten sich nur langsam vorwärts, aus der See brüllte cs hohl, das Wasser war von prächtig violetter Färbung mit schneeweißen Wellenkämmen, die sich an den Ausläufern leicht kräuselten, die Sonne stand über unserer Vorbramaanocke und goß ihr glänzendes Licht über uns aus, als wenn sie uns einen goldumsäumten Weg zur Flucht bahnen wollte. Das uns verfolgende Schiff funkelte im Sonnenlicht, als wenn es auf gelb­seidenen Flügeln hinter unS dreinhusche. Niemals seit sein Kiel gelegt worden, war der Saracen so gesegelt. Die Wogen spritzten schäumend empor zu der schwarzen und beturbanten Figur unter dem Bugsprit; mehrere Matrosen quälten sich mit zu- sammengebifsenen Zähnen und mit wie Stricke aus ihren nackten Armen hervor­stehenden Muskelsträngen am Steuerrade ab, andere befanden sich an den Einholtaljen.

Und so schoflen wir pfeilschnell dahin, um uns eine sprudelnde, schäumende und zischende Oberfläche aufwühlend, als wenn wir durch einen Wirbelwind schifften; wiederholt gaben wir auf dar holländisch« Kriegsschiff Feuer, sobald es die Stöße der gewaltigen Brandung nur irgend zuließen, während es andererseits an seinem Bug beständig aufblitzte und der weiße Geschützdampf vom Wind seitab getrieben wurde, obgleich die Kugeln weder von hüben noch von drüben wirkliche Treffer zu sein schienen.

Ich bin überzeugt, daß wir schließlich trotz aller unserer Anstrengungen über­holt und zum Stehen gebracht worden wären, hätte uns die Vorsehung nicht ganz unerwartet einen Unfall zu Hilfe geschickt; denn wie finster es auch nach Sonnen­untergang hätte werden mögen, unser Verfolger saß uns zu dicht auf den Fersen, um unsere große Segelgewandung, die wir zu tragen gezwungen, aus den Augen zu verlieren wenigstens ist das meine Meinung. Ein unvorhergesehener Zufall rettete uns. Eben hatte es abermals aus einem der feindlichen Vordergeschütze feurig aufgeblitzt, als zu meinem größten Erstaunen, ehe sich noch die runde Rauchwolke in die Länge gezogen, auf dem holländischen Fahrzeug der ganze Bau des hohen Vordermastes mit dem großen Segel, blähendem Topsegel, Bramsegel, Stagsegel und Klüver wie ein an die Flamme gehaltener Eiszapfen hinwegschmolz, und kaum die Dauer eines Atemzuges schien eS, als auch schon das gewaltige Schiff beidrehte, stampfend und schäumend wie ein harpunierter Walfisch, und mit uns zugewandter Breitseite das auf so wundersame Weise völlig zertrümmerte Vorderteil unser» Blicken preisgab.

Ein donnerndes, freudiges Hurrah stieg bei diesem Anblick von unserem Deck empor, dem vereinzeltes Händeklatschen und lautes Gelächter folgte. Kapitän Skevington ergriff das Teleskop und fixierte eS:

Ein wurmstichiger Vordermast; beim Donner des Himmels!" rief er aus, seinen Lieblingsschwur gebrauchend,es kann nicht anders sein. Kein Schuß aus unser» Kanonen hätte eine solche Verwüstung anrichten können. An dem noch links Stehenden kann man sehen, daß es die Sparren dicht unter dem Mastkorb wegge­holt hat. Hurrah! Welch' ein Durcheinander!" Welch ein Chaos!"

Man konnte dies mit bloßen Augen deutlich erkennen. Der Vordermast war entzwei gebrochen; sein Fall hatte die Klüverbäume auf die Bugsprükapps herab­gerissen, und ich zweifle nicht, daß man bei näherer Untersuchung auch das Bugsprit selbst schwer beschädigt fand. Es ist nicht leicht, sich ein Bild der Verwirrung zu machen: die auf beiden Setten aufgesetzt gewesenen Leesegel bedeckten das ganze Vorderteil mit Bergen von Segeltüchern, von denen die meisten durch den Fall zu Lappen gerissen waren; ungeheure Segelstreifen schwammen im Wasser, sich mit dem heftig rollenden und seinen Schnabel nach dem Winde drehenden Schiff hebend und senkend; die Leesegel der Marsstange und alle dazu sowie zum Besanmast gehörige Gewandung mit den lang ausgestreckten Raacn schwankten in Folge der Stellung, in welcher das Schiff lag, heftig hin und her, und dieses fürchterliche Auf- und Niederwerfen, bedrohte jeden Augenblick die anderen Sparren. Man bedurfte keines Seemanns reger Einbildungskraft, um sich vorstellen zu können, wie dieser furchtbare Aufruhr zu Häupten den verwirrenden 2^nnult auf Deck nur erhöhen mußte; da waren ganze Salven leidenschaftlicher Kümmandorufe, welche die hohlen, an den schwerfälligen Rumpf schlagenden Wogenstöße übertönten, das Schreien der Matrosen und sicherlich das Stöhnen und Aechzen derer, aus die der ganze schwere hohe Bau von Raaen, Segel- und Tauwerk mit der Plötzlichkett eines Blitzstrahles aus hellerem Himmel herabgcstürzt war.

Nach diesem Ereignis rührten wir für die Dauer einer ganzen Stunde auch nicht ein Seil an, cs unserm Schiff selbst überlaffend, sich von dem Holländer zu entfernen, so daß es geradeaus dahinjagte wie ein der Sehne entglittener Pfeil. Aber, Herr des Himmels, welch ein Sturm über uns! Welch eine ungestüme Wucht rn unfern Segeln, bis es durch Hälse und Takel, Segel und Brassen wie Schellen­geläute erklang, mit einer Spannung, stärker als die von Harfensaiten! Welch ein

tosender Lärm donnernder Wogenmassen an Bug und Gilling, wo zischende Schaum­fluten sich nach hinten wälzten, gleich einem von hohem Katarakt herabgestürzten Wafferstrom, der schäumend in seinem Bett dahinwütet! Es bemächtigte sich unser Aller eine gewaltige Aufregung bei diesem schnellen Vorwärtkstürmen unseres Fahr­zeuges, und feuriger pulsierte unser Blut bei dem Gedanken an das siegreiche Ent­kommen aus einer so schweren und rühmlosen Lage. Und niemals hätte ich vorher geglaubt, daß ein Schiff so gefühlvoll, so teilnehmend sein könne an dem, was die Seelen derer, die es trägt, bewegt und aufregt, bis ich das prächtige Ungestüm unseres fliehenden Schiffes, seine Bemeisterung der unter ihm tosenden Wogen und die straffe Spannung seiner Segel sah, die den aufgeblasenen Backen eines Menschen ähnelten, der mit angehaltenem Atem um sein Leben läuft.

Doch ließen die sich vergrößernde Entfernung, der Sonnenuntergang und das in jenen Zonen schnell darauf eintretcnde Dunkel auch dem schärfsten Auge bald nichts mehr als den nackten Horizont erkennen. Alsdann bargen wir unsere schwereren Segel, stellten das Steuer in Lee und segelten bis Mitternacht nördlich, worauf wir unsere Luftbrassen einholten und östlich steuerten; denn Kapitän Skeving­ton argwöhnte, daß der Holländer vielleicht in aller Eile seinen Schaden ausbesserw und sich dann nach Süden wenden könne, in der Erwartung, daß wir jedenfalls unser» alten Kurs wieder ausgenommen hätten. Doch wir sollten ihn niemals Wiedersehen. Und ich habe auch niemals erfahren können, was für ein Schiff es war. Es war jedenfalls ein wunderbares Entkommen aus großer Gefahr.

Fünftes Kapitel.

Ankunft tu der Hafelvay und Aortsetzung der Aelfe.

Obgleich Kapüän Skevington nach dieser Scene ernstester Wirklichkett sehr wenig über solch trügerische und visionäre Themata, wie sie vorher uns beschäftigt, zu sagen hatte, so wurde es mir doch aus einigen ihm gelegentlich entschlüpften Worten klar, daß er unser Zusammentreffen mit dem holländischen Kriegsschiff als eine Art von der dem Phantomsegler nahe gekommenen Schnaue auf uns über­tragenen Mißgeschicks bettachtete. Und die Idee, welche sich in ihm festgesetzt wie sie in der That auch mich beeinflußte daß dieLiebliche Nanctte" sicherlich einem Unfall entgegengehe und womöglich auch jedem Schiff, das ihr gesprochen, Unglück bringe, ließ ihn unser Fahrzeug mit außergewöhnlicher Vorsicht steuern. Eine Wache war beständig im Mastkorb stationiert, um nach dem Horizont auszu­lugen, und mußte von Zeit zu Zeit auf Deck Herabrufen, um anzuzeigen, daß sie wache und scharfen Ausguck halte. Andere scharfäugige Matrosen waren am Vorder­kastell aufgestellt. Nachts wurde jedes Licht wohl verborgen, so daß wir uns in pechschwarzer Finsternis vorwärts bewegten. Bei mehreren Gelegenheiten hörte ich den Kapitän sagen, daß er gern zwanzig Guineen dafür geben würde, nicht an Bord der Schnaue gewesen oder ihr überhaupt nicht begegnet zu sein.

Glücklicherweise vermuteten die Mannschaften in Folge unseres Abenteuers mit den Holländern, daß sich des Kapüäns Erregtheit nur auf das feindliche Schiff beziehe; denn wäre cs ruchbar geworden, daß dieLiebliche Nanette" in der Nähe von AgulhaS Vanderdecken's Barke gesehen, so hätten sie zweifellos aus Furcht, dem Geisterschiff wenn es überhaupt ein solches und nicht, woiür ich cs hielt, ein wirkliches wäre zu begegnen, sich geweigert, den Saracen über Tafelbay hinaus zu begleiten.

Wir hatten in dieser Niederlassung Wasser, frische Lebensmittel und AehnlicheS einzunehmen, und am 6. Juli des Jahres 1796 erreichten wir wohlbehalten die Bay und warfen unsere Anker aus, nachdem uns, fett wir verfolgt worden, auch nicht das Geringste begegnet war und wir fett dem uns so nutzbringenden Sturm ein stetig schönes Wetter mit frischen, günstigen Brisen gehabt hatten.

Wenn man einundachzig Tage lang nichts als Wasser und Himmel geschaut, so erfreut und erfrischt Einen schon der Anblick des unscheinbarsten'Stückchen Landes; danach möge man unser Entzücken beurteilen, als sich vor unfern Augen die maje­stätische, prächtige Scenerie eines der schönsten und geräumigsten Häfen jener Erd­hälfte entfaltete. Wir lagen hier vierzehn Tage in angenehmster Ruhe vor Anker und fühlten uns ganz wohl und geborgen, was leicht verständlich sein wird, wenn ich bemerke, daß gerade um die Ecke herum, d. i. in Simonsbai, nicht weniger als vierzehn britische Kriegsschiffe unter Befehl des Viceadmirals Sir George Elphinstone vor Anker lagen, von denen zwei 74, fünf 64 Geschütze führten.

Wir füllten unsere Wasserfässer, kauften einen mehr als genügenden Vorrat von Tabak, Gemüsen, Schweinen, Geflügel und solchen Produften ein, wie sie das Land hervorbrachte, und lichteten am Morgen des 18. Juli unsere Anker. DaS Wasser der Bai breitete sich aus in lichter Bläue gegen die sandigen Wüsten an der Blaawbergsette und in der Richtung wo die Stadt lag. Die Atmosphäre war klar und rein wie die Objektivlinsen eines Fernglases, und die Hottentot Holland Berge in weüer Ferne mit Gipfeln, auf denen der Himmel zu ruhen schien, sammelten um ihre riesigen Abhänge eine solche Zartheit und Fülle von Blau, daß ihre schwanen Umriffe umso deutlicher hervortraten.

Jene majestätische Höhe, der Tafelberg genannt und von dem ambrafarbigen» kauernden Löwen bewacht, zeigte eine wunderbar klare Himmelslinie und das Firma­ment über ihm schien eine fließende, blaue See zu sein; doch bemerkte ich auch dicht daneben einen schwachen Streifen sich ausbreitenden Dunstes, der sich mehr urü> mehr entwickelte, während unsere Mannschaft singend am Kapstan beschäftigt war, und als unsere Topsegel angeholt wurden, zeigte sich eine kompakte Masse weißen Nebels, Hunderte von Fuß tief und sich oben schüttelnd und schäumend, mit schwachen Seitenflügeln, die sich in das Blau hinausstreckten, wo sie wie Schmetterlinge her­umflatterten und sich dann auflösten. In der Lust seufzte ein Südostwind, der aus jener Wolke jenseits des mit Schluchten und Klippen durchfurchten steilen Abgrunde» hervorkam, und was soeben eine Scene ruhigen Maitagfriedens gewesen, verwandefte sich plötzlich in ein Schauspiel gepeitschter und tosender Wogen und an das Ufer prallender Waffermassen.

(Fortsetzung folgt.)