238
In diesen Behauptungen steckt ein förmlicher Rattenkönig von Jrrtümern. „Künstliche Verteuerung" soll es sein, wenn man mittelst der Kornzölle das deutsche Getreide nicht noch mehr im Preise drücken läßt! Sind denn die Kornpreise in die Höhe geangen oder sind sie nicht vielmehr trotz der Kornzölle illiger als vor 20 und 30 Jahren. Die Arbeiter verlangen eben gar zu viel: für sich selbst Aufbesserung der Löhne und Herabminderung der Arbeitszeit ; die Bauern dagegen sollen ihre Produkte immer noch billiger hergeben. Vor 30 Jahren waren die Kornpreise weit höher als heute, die Arbeitslöhne in den Städten dagegen niedriger! Freilich gab es damals auch noch keine sozialistischen Agitatoren, welche den Leuten vorprediqten, die Bedürfnislosigkeit sei ein Fluch für die Menschheit. Daß unsere heutigen Getreidepreise die Leistungsfähigkeit des deutschen Gewerbefleißes in Frage stellen sollen, ist eine haltlose Behauptung. Trotz unserer Getreidezölle lebt der deutsche Arbeiter billiger als der englische, französische u. s. w., die Löhne sind dort höher als bei uns, aber dafür ist auch das Leben teuerer. Woher kämen denn sonst die riesigen Arbeitsausstände (Streiks) in England, wo erst vor kurzem wieder 400,000 Grubenarbeiter auf einmal die Arbeit niederlegten? Glaubt denn unser Gegner im Ernste, daß bei uns das fremde Getreide wesentlich billiger würde, die Brotpreise in den Städten zurückgingen, falls die Korn- zölle fallen würden? Die ausländischen Kornproduzenten würden wieder auf höhere Preise halten, die Korn-Importeure würden ihren Gewinn zu vermehren suchen und was wäre das Resultat? Der deutsche Bauer wäre den Kornhändlern auf Gnade und Ungnade preisgegeben, den Gewinn aus den Kornzöllen, der sich auf viele Tausende deutscher Bauern verteilt, würden in der Hauptsache einige hundert Kornhändler einstecken. (Auf dieses Kapitel werden wir noch gelegentlich der Kaffeezölle zu sprechen kommen.) Es ist im großen und ganzen einfach nicht wahr, daß seit 1879 (seit Einführung der Kornzölle) die Güterpreise in Deutschland wesentlich gestiegen sind, wenn sie irgendwo hinaufgeschraubt werden, so kommt dies in der Regel davon her, daß für ein feil werdendes Grundstück immer mehrere Liebhaber da sind, die sich gegenseitig hineinsteigern. Und warum das? Weil sie Arbeitszeit übrig und für dieselbe keine nutzbringende Verwendung haben und weil die Güterhändler scheinbar leichte Zahlungsbedingungen stellen.
Wenn nach der Ansicht unseres Gegners die Getreidezölle fallen müssen, was will er dann unfern Bauern als Ersatz bieten für die entstehenden finanziellen Einbußen ? Am Ende gar das Recht, alle 6 oder 3 Jahre einen neuen Ortsvorsteher wählen zu dürfen? Wir fürchten nur die Leute könnten davon nicht satt werden. Vielleicht hilft „gleiches Recht für alle" und „wahre bürgerliche Freiheit für alle" ? Bevor wir aber dies glauben, möchten wir wissen, was für Rechte und Freiheiten uns noch etwa fehlen sollen. Doch wir geraten ins politische Gebiet und das wollen wir eigentlich nicht, sondern nur einen gesunden, lebenskräftigen Bauernstand wollen wir bewahren. Daß dieser gerade durch die Kornzölle dem Großkapital ausgeliefert werde, glaube unserem Gegner wer kann! Unser Gegner meint uns „allen
Ernstes" zurufen zu müssen: „Es ist gewissenlos, zum Klassenhaß zu Hetzen." Wir weisen einen solchen Vorwurf entschieden zurück. — Wenn der Verfasser, dessen Großeltern Bauersleute gewesen sind, aus selbstloser Anhänglichkeit an den Bauernstand diesen darüber aufzuklären sucht, wo und wie die bäuerlichen Interessen vor falschen Propheten zu schützen sind, so hetzt er nicht zum Klassenhaß. Verletzt denn der Bauer ein fremdes Recht, wenn er sein eigenes schützt und wenn er sich nicht mit Phrasen über den Löffel barbieren läßt? Daß die Lage der Bauern durch Verbesserung des Betriebs, durch gemeinsames Handeln verbessert werden kann und soll, haben doch wir niemals bestritten. Aber zu Betriebsverbesserungen gehört vor allem Geld und woher soll es der Bauer nehmen, wenn man ihm seine Einnahmen schmälert? Das Wort Benjamin Franklins ist recht schön, aber er hat es den Arbeitern gesagt, diese sollen jeden für ihren Feind halten, der ihnen sagt, daß sie ihre Tage anders als durch Sparsamkeit, Fleiß und Bildung verbessern können! Unsere Sozialdemokraten lachen über diesen guten Rat. Den Bauern immer noch mehr Sparsamkeit anzuraten ist, mit Verlaub gesagt, ein verletzender Hohn. Leichtsinnige giebt es in jedem Stand, aber die ungeheuere Mehrzahl unserer Bauern spart bis an die Grenze der Entbehrung. Der deutsche Bauer kann nichts dafür und hat keinen Nutzen davon, daß billige Dampferfrachten fremdes Getreide bis nach Mannheim massenhaft heranbringen, er hat nichts davon, wenn alle anderen Bevölkerungsklassen ihr Einkommen verbessern, aber dagegen darf und muß er sich wahren, daß man sein karges Einkommen noch weiter schmälert.
Deutsches Reich.
Berlin, Dienstag den 13. Mai, Nachm. Reichstag. Fortsetzung der Kolonialdebatte. Staatssekretär Marsch all teilt mit: Nach gestern Abend übermitteltem Telegr. ist Lin di nach erfolgreicher Beschießung genommen und besetzt. Lindi ist nächst Kilwa der bedeutendste Platz des Sklavenhandels an der Südküste. Reichskonrmissär Liebert, bemüht, mit nüchternem Auge die Dinge anzusehen, meint, der Besitz und die Ausbeutung der Ostküste verspreche einen außerordentlichen Erfolg. Er betont Wißmanns Verdienste in der Schaffung einer den Arabern Furcht einflößenden Mustertruppe, in der Anlegung von Stationen, welche sich in erwünschter Entwicklung befinden, sowie guter Straßen und guter Häuser und in der Sorge für die Gesundheit der Truppen. Redner hält die Anstellung Emins nicht als eines Gelehrten und Forschers, sondern als eines Mannes von praktischer Erfahrung für höchst wertvoll. Er schildert den Elfenbeinhandel und den Wert anderer Hcmdesartikel und bezeichnet die Mission als hochbedeutenden Faktor in der Entwicklung der Kolonien. Er hält die militärische Herrschaft an der Küste Deutschostafrikas für sicher begründet und nimmt zuversichtlich an, das angelegte Kapital werde in ungestörter Arbeit reichlichen Nutzen bringen, v. Bennigsen (nat.lib.) gegen die gestrigen Ausführungen Bambergers. Die Kolonialunternehmungen dürfen auch nicht unterschätzt werden. Sie
seien ein nationales Unternehmen in kultureller und wirtschaftlicher Beziehung. Der europ. Aufgabe der Humanisierung Afrikas könne sich Deutschland nicht entziehen. Hiebei sei es unmöglich an Chauvinismus zu denken. Kriegsruhm habe Deutschland überhaupt, nicht zu suchen, am Wenigsten ist Ostafrika. Die begonnene Aufgabe sei durchzuführen. Man müsse nicht blos den Sklavenhandel, sondern auch die Sklavenjagden unterdrücken. Zur Sicherung des für den Handel nötigen Hinterlandes seien Mittel erforderliche die geforderten Mittel seien nicht zu hoch.
Tages-Ueuiykeitkn.
(Amtliches.) Infolge der an den Seminaren zu Nagold, Eßlingen und Nürtingen vorgenommenen ersten Dienstprüfung sind u. a. nachstehende Kandidaten zur Versetzung von unständigen Lehrstellen an Volksschulen für befähigt erklärt worden: Bauer, August,, von Schafhausen, Breitling, Wilhelm von Gechingen, Gabel, Michael, von Martinsmoos, Nüßle, Friedrich, von Dachtel, Schneider, Friedrich, von Deckenpfronn, Stiegel maier. Gottlieb, von Gechingen, Süßer, Friedrich, von Gechingen.
* Calw, 14. Mai. Viehmarkt. Dem heutigen Markt waren zugeführt 632 Stück Rindvieh und 31 Pferde. Neumelkige und hochträchtige Kühe fanden raschen Absatz zu, dem vorigen Markt gleich- bleibenden Preisen. Obwohl schöne Ochsen vorhanden,, ging der Handel doch stockend, da keine Händler eingetroffen waren. Höchster Preis für ein Paar Ochsen 850 Auf dem Schweinemarkt zeigte sich starke Nachfrage. Zufuhr 40 Paar Läufer, 30 Körbe Milchschweine. Preis der letzteren 25—40 ^ das Paar.
Nagold, 11. Mai. Gestern abend hat Stationskommandant Kehrerden Urheber des Brandes in der Osternacht (durch welchen 4 Gebäude in Asche gelegt wurden) eingeliefert. Es ist dies der elternlose, 15 Jahre alte Schreinerlehrling Kapp in der Schreinerei der Witwe Wurster, die selbst wegen Verdachts der Brandstiftung einen Tag unschuldig in Haft genommen war. Der Lehrling hat die That vollständig eingestanden, und dem Stationskommandanten ist die ausgesetzte Prämie von 400 für die Ermittlung des Brandstifters zugewiesen worden.
Backnang, 12. Mai. Der als ungemein, jähzornig bekannte 31 Jahre alte Metzger Nueß hier fing gestern abend nach seiner Heimkehr vom Wirtshause ob einer Geringfügigkeit Streitigkeiten mit seiner Frau an, wie dies zum öftern geschah und wobei es ohne unwürdige Behandlung, welche die Frau erfahren mußte, selten abging. Der eben von Großaspach heimkehrende und in der Nachbarschaft wohnende Rotgerber Adam Rueß begab sich in die Wohnung hinein und suchte seinen Bruder zu beruhigen : die Ermahnungen fruchteten aber wenig, und die Frau eilte davon, nachdem Metzger Rueß zu Thätlichkeiten gegen seinen Bruder überging und dieser sich wehrte. Unter der Thüre der Wohnstube erhielt nun Rotgerber Rueß plötzlich einen Stich in den Unterleib und Magen, worauf er mit dem Ruf „Ich bin gestochen" so rasch als möglich seiner nahen Wohnung zueilte und in seiner Stube zusammenbrach; der eigene Bruder hatte ihm eine tätliche Wunde beigebracht. Heute früh gab er seinen Geist auf.
Wahnsinn, wenn Sie mich von sich weisen. Ist eS Jynen denn ein Nichts, ob Sie ein Herz gebrochen oder glücklich wissen?"
„Gott ist mein Zeuge," versetzte Helene feierlich, „daß mir Nichts ferner liegt, als Das. Sie fordern eine Erklärung heraus. Sei es denn. Sie zwingen mich zu einer tiefen Demütigung, aber es muß sein, um Sie von einem Wahn zu befreien. So wissen Sie denn, daß Sie ihr Herz an eine Unwürdige gehängt haben, die Sie ein Recht besitzen zu verachten. Ja, ich bin eine Nichtswürdige. Ich habe Sie, Ihre Mutter und Alle getäuscht von Anfang an. Ich bin nicht, was ich scheine; auf den Namen, den ich führe, habe ich kein Recht; ich habe ihn mir angeeignet, um meinen wahren Namen zu verbergen. O, ich bin schlecht. — weit schlechter, als Sie zu ahnen vermögen!"
„Helene," unterbrach Herbert sie, „Sie wollen sich selbst herabsetzen. Ihre Seele ist rein und klar, wie Ihr Auge. Ich glaube Ihre Selbstverleumdungen nicht; mich täuschen Sie nicht damit-"
„Onkel Herbert, die Großmutter läßt Dich bitten! Es ist Besuch gekommen; auch Onkel Hagen war dabei und fragte mich, wo Fräulein Helene wäre; er hätte sie lange nicht gesehen."
Herbett fuhr heftig zusammen und als Helene sich entfernen wollte, sagte er befehlerisch:
„Bleiben Sie hier! Ich will mit Jda allein in das Schloß gehen!"
Und ohne eine Gegenrede abzuwatten, zog er Jda mit sich fort, dem Schlöffe zu.
Mit beiden Händen das Gesicht bedeckend sank Helene aufschluchzend auf die Bank zurück. Plötzlich ließ ein erneutes Knirschen auf dem Kies und das Geräusch herannahender, hastiger Schritte sie erschreckt aufschauen. Sie gewahrte den Assessor Hagen, der mit vor Aufregung gerötetem Gesicht auf sie zukam.
„Endlich, endlich finde ich Sie allein!" stieß er aus. „Schon seit Wochen habe ich auf den Aupenbl ck gewartet. Eie unbemerkt sprechen zu können, aber stets überwachte die Baronin Sie mit ihren Argusaugrn."
Helene wich entsetzt vor ihm zurück.
„Wünschen Sie Etwas von mir?" fragte sie mit zitternden Lippen.
Sein glühender Blick hing unverwandt an ihrem Antlitz.
„Sie fragen noch?" rief er mit heiserer Stimme. „Wissen Sie es denn nicht, haben Sie es denn nicht längst erkannt, daß ich Sie liebe, wahnsinnig liebe?"
Unbeschreiblicher Hohn ümzuckte Helene's Lippen.
„Glauben Sie wirklich, mich mit solchen Worten betören zu können?" fragte- sie schneidenden Tones.
Hagen trat dicht an sie heran.
„Schenken Sie meinen Worten keinen Glauben, Helene? Soll ich —"
„Fräulein Schwarz, wenn ich bitten darf!" unterbrach sie ihn eisig.
Er stürtzte vor ihr auf die Knie nieder.
„Du bist grausam, Mädchen!" stieß er aus.
„Dein Blick verzehrt das Leben in meinen Adern. Siehe, hier liege ich zw Deinen Füßen und flehe Dich an: Sei mein, Helene, sei mein!"
Sie trat verächtlich von ihm zurück.
„Ersparen Sie sich ihre Worte, Herr Assessor: sie sind in den Wind gesprochen- Ich bin nicht das erste Mädchen, zu dem Sie solche Worte sprechen."
„Aber Du bist das erste Mädchen, welches ich in Wahrheit liebe! Du mußt mein werden, ich kann nicht leben ohne Dich!"
Ein flammender Blick aus ihren Augen traf ihn.
„Sie wissen jetzt wirklich, was Liebe ist?" fragte sie scharf. „So gehen Sie und erfahren Sie auch, wie dem zu Mut» ist, dessen Liebe verachtet wird. In diesem Augenblick hat die Nemesis Sie ereilt! Denken Sie an Margarete von Arnheim! Diese Stunde rächt den Verrat, den Sie an einem Herzen verübten, welches Sie. treu liebte!"
Wie irre starrte er sie an und nur schwer brachte er hervor:
„Margarete von Arnheim liebte mich nie! Ist sie nicht längst glücklich mit Dem, der schon damals mein Rivale war?"
Helene erhob wie beschwörend die Rechte gegen ihn; ihre Gestalt schien sich.- zu vergröbern.
(Fortsetzung folgt.)