Beilage zum „Calwer Wochenblatt
Nro. 54.
xeuill-ton.
Nach hartem Ningen.
Roman von L. Dohrmann.
(Fortsetzung.)
„Auch Du bist gegen mich!" zischte sie. „Doch gleichviel, — koste es, was es wolle, meinetwegen das ganze Glück meines Herrn Schwagers, ich will und werde hier doch Herrin werden. Ich wanke und weiche nicht, am allerwenigsten diesem Mädchen, das mir hundertfach entgelten soll, was ich jetzt ertragen muß!"
13. Kapitel.
Zn den nächsten Tagen folgte ein Fest dem andern auf Wallheim. Baron Baldern war mit seiner Gemahlin angelangt und der Schloßherr bot alles Mögliche auf. um seine Gäste zu amüsieren. Helene vernahm in ihrem einsamen Zimmer Nichts davon, als ein verworrenes Geräusch und mitunter das aus dem Park herauftönende, heitere Lachen der Damen.
Die kleine Jda verbrachte ihre Zeit abwechselnd bei den Besuchern im Schlosse, zum größeren Teil aber bei ihrem lieben, kranken Fräulein. Sie erzählte derselben von der wunderschönen Fremden mit den goldblonden Haaren und von Jeglichem, was sie drunten im Salon erlauschte. Helene lächelte zu Allem, was das Kmd ihr in seiner Unschuld vorplauderte; aber es war ein herzzerreißendes Lächeln, welches den namenlosesten Seelenschmerz nur verbarg.
Wie nahe war die Schwester ihr und doch wie unerreichbar weit! Welch ein sehnsüchtiges Verlangen hatte sie, ihr wieder in die Augen zu blicken und die ihr so traute Stimme sprechen zu hören! Sie mißgönnte Margarethe ihr Glück nicht, denn in Baldern's Liebe konnte es ja nicht anders sein, mußte sie ein ganzes Glück gefunden haben. Ein ganzes Glück! Und sie selbst? Was war ihr dagegen zu Teil geworden?
Acht Tage weilte Erwin von Baldern mit seiner Gemahlin schon in Wallheim, als Helene in der selbstgewählten Gefangenschaft ihres Zimmers ein heißes, unüberwindliches Verlangen nach der frischen Maienlust überkam.
Sie hoffte, in den weiten Wegen sich leicht vor den Besuchern verbergen zu können, und so entschloß sie sich nach kurzem Schwanken, den Spaziergang zu wagen. Ihre Frage, ob Jda sie begleiten wolle, bejahte die Kleine freudig und unbemerkt schlüpfte sie mit dem Kinde durch eine Seitenpforte aus dem Schlöffe.
Still und geheimnisvoll lagen die breiten, schattigen Wege des Parks vor ihr und eine geraume Welle wandelte sie mit stummem Entzücken unter den hohen Bäumen einher, mit vollen Zügen die berauschend süße Waldeslust einatmend. Das Herz ging ihr gleichsam auf in der frischen Natur und neues Leben pulsierte durch ihre Adern. Die kleine Jda an der Hand führend, gelangte sie so nach einem versteckt liegenden, von wildem Wein umrankten Pavillon. Helene trat in denselben ein und ließ sich erschöpft auf die Ruhebank nieder, während Jda draußen blieb, mit ihrem Ball spielend. Helene schloß die Augen; unter der Einwirkung ihrer beseligenden Umgebung führten sanfte Phantasiegebilde sie aus der Wirklichkeit in traumhafte Wellen.
„Onkel Herbert! Onkel Baldern! Wo bin ich wohl? Sucht mich doch!"
Wenn ein Blitzstrahl vor ihr in die Erde geschlagen wäre, Helene hätte nicht entsetzter emporfahren können, als beim Anhören dieser Namen, die ihren Herzschlag stocken ließen.
„Jda, Jda!" rief sie.
Umsonst! Das Kind hörte sie nicht.
Wirr schaute sie um sich, wie ein verwundetes Wild, das in feiner Todesangst sich zu einem letzten Fluchtversuch aufrafft. Aber der Pavillon hatte nur den einen Ausgang; kein Entrinnen war möglich.
„Bist Du, kleiner Wildfang, hier denn ganz allein im Park?" rief Baron Herbert schon von Weitem, scherzend mit dem Finger drohend. Jda schüttelte ihr Köpfchen und schaute mit einem schelmischen Blick nach dem Pavillon hin. Mit wenigen Schritten hatte der Baron denselben erreicht und sah sich überrascht Helene gegenüber, welche, die Hand auf die Lehne der Bank gestützt, dastand. Bestürzt hemmte er den Schritt.
„Ah, Fräulein Schwarz," sprach er, leicht errötend, „entschuldigen Sie, daß ich Ihre Ruhe störte. Ich glaubte Sie noch leidend in der Zurückgezogenheit Ihres Zimmers. Wenn ich Ihre Anwesenheit hier geahnt hätte, so würde ich dem Ruf- dcs kleinen Wildfangs nicht gefolgt sein. Darf ich mir die Frage nach Ihrem Befinden erlauben?" setzte er vibrirenden Tones hinzu.
Er wartete vergebens auf eine Antwort. Es war ihr unmöglich, auch nur einen Laut von sich zu geben. Ihr Auge irrte an ihm vorüber nach dem Eingang des Pavillons, welcher in diesem Augenblick abermals von einer Männergestalt verdunkelt wurde, der Gestalt Erwin von Baldern's, der beim Erblicken des jungen Mädchens erschreckt zurückfuhr, wie wenn er eine Geistererscheinung gesehen hätte. Helene's Augen hefteten sich angstvoll auf ihn, dann sanken ihre Arme schlaff nieder und ihre Gestalt schwankte. Mit einem Sprunge war Herbert ihr zur Seite, aber eben so schnell faßte sie sich gewaltsam. Die eine Hand fest auf die Platte des Tische« stützend, preßte sie mit erzwungenem Lächeln hervor:
„Es ist Nichts, — bemühen Sie sich nicht, Herr Baron. Ich habe meinen Kräften zu viel zugetraut und doch glaubte ich, meine Schwäche vollkommen überstanden zu haben."
In diesem Augenblick erst erinnerte Herbett sich der Mitanwesenhert Baldern's und so sprach er: „Da der Zufall meinem Freunde so günstig war, ihn mit Ihnen zusammenzuführen, so gestatten Sie, daß ich Ihnen denselben vorstelle, Fräulein Schwarz. Sie haben seinen Namen in der letzten Zeit schon mehrfach nennen hören:
Herr Baron Erwin von Baldern, nebst seiner Gemahlin seit acht Tagen ein lieber Gast in Wallheim."
Helene erbebte leise bei diesen Worten. Mit Ueberwindung raffte sie sich auf, die gesenkten Lider zu erheben und auf Baldern einen flehenden Blick zu werfen. Erwin, der allgemach aus seiner Bestürzung — denn er hatte sie sogleich erkannt — wieder erwacht war, verstand die Bedeutung dieses stummen Flehens und verneigte sich ruhig vor ihr, ihr einen verständnisvollen Blick zurückgcbend. Doch so schnell dies Wechselspiel auch gewesen war, dem scharfen Auge Herbert's war es nicht entgangen und Helene scharf beobachtend, sprach er mit hatter Stimme:
„Fräulein Schwarz, Sie werden sich erinnern, gehört zu haben, daß die Gemahlin meines Freundes aus D. gebürtig ist und er selbst ebenfalls mehrere Jahre dort verweilte. Vielleicht ist es Ihnen angenehm, aus Ihrem früheren Penstonsort einige Nachrichten von etwa dortigen Bekannten zu erfahren. Baron Baldern wird zweifellos gern bereit sein, so weit es ihm möglich ist, Ihnen sein Wissen zur Disposition zu stellen."
„Ja, gewiß, mein Fräulein," schloß Erwin sich diesen Worten an, „ich werde mich nur zu glücklich schätzen, Ihnen dienstbar sein zu können. Auch meine Gemahlin wird sehr erfreut sein, Sie kennen zu lernen und mit Ihnen über ihre Heimat plaudern zu dürfen."
„Sie sind sehr gütig, mein Herr," versetzte Helene vibrierenden Tones, „aber ich werde Sie nicht bemühen. Ich habe keine Bekannte mehr in D-, nach denen ich mich erkundigen könnte, und auch meiner wird sich dort Niemand mehr erinnern."
Erwin sah sie vorwurfsvoll an.
„Sie beurteilen die Menschen hart, mein Fräulein. Wo man einmal im Leben geweilt hat, wird man nicht so leicht vergessen. Stets bleiben Einige zurück, die sich mit inniger Liebe des Fernen erinnern."
Ein schmerzliches Zucken glitt über Helene's Zügen; traurig schüttelte sie das
Haupt.
„Meiner erinnert sich Niemand mehr. Die mir einst nahe standen, wellen dort nicht mehr; ich bin auf immer von ihnen getrennt."
Eine sekundenlange Pause entstand, während welcher Herbert das junge Mädchen mit stummem Befremden fixierte.
„Auf immer trennt nur der Tod," versetzte Erwin mit tiefem Ernst.
„Es giebt auch im Leben Verhältnisse, welche Menschen auf immer von eineinander scheiden können," entgegnete Helene, „so, wenn eine Seele in blinder Thor» heit sich zu unbedachten Handlungen Hinreißen läßt, welche ein ganzes Leben voller Reue nicht zu sühnen vermag!"
Erwin von Baldern trat unwillkürlich einen Schritt näher, indem er sagte:
„Sie sprechen sehr bitter, mein Fräulein. Darf ich eS wagen, Ihnen einen Vorfall zu erzählen, der vielleicht dazu beittagen wird, Ihre Weltanschauung zu ändern? Ich habe einen mir sehr nahe stehenden Freund, welcher einen jüngeren Bruder von gutherzigem, aber feurigem, leicht aufbrausendem Naturell besaß, der eines Tages einen Zwist mit seiner Mutter hatte und in Folge dessen, ohne Abschied von den Seinigxn zu nehmen, die Heimat verließ und in die ihm fremde Welt hinauszog. Die^Mutter grämte sich tief, — tiefer, als sich sagen läßt, über das Verschwinden ihres Kindes und weinte die bittersten Thränen. Alle nur denkbaren Nachforschungen wurden angestellt, aber vergeblich; keine Spur fand sich von dem Flüchtling und so wurde derselbe schließlich für tod beweint. Da — durch einen wunderbaren Zufall findet der Bruder den vermißten ganz unerwartet wieder und bittet ihn flehendlich, zu der Mutter zurückzukehren. Obgleich nun der Brausekopf seine rasche Thal, die er — um mit ihren Worten, mein Fräulein, zu reden — in blinder Thorheit begangen hatte, bitter bereute, so weigerte er sich doch, die gebotene Hand des Bruders anzunehmen und zu seiner Mutter zurückzukehren, die Nichts sehnlicher wünscht, als ihr verlorenes Kind aufs Neue an ihr Herz schließen zu können, dessen Liebe wieder zu besitzen ihr kein Preis der Welt zu hoch wäre."
Helene hatte sich, während Baldern sprach, dem Ausgang des Pavillons zugekehrt; sie wandte auch jetzt den beiden Männern ihr Gesicht nicht zu, als sie scheinbar völlig gleichgiltig erwiederte:
„Sie haben Recht, Herr Baron, meine Ansicht über die Menschen eine verbitterte zu nennen. Ich danke Ihnen für Ihre Erzählung und will mich bemühen, wieder freundlicher über das Leben und dessen Verhältnisse zu denken."
Sie verneigte sich anmutig und war, noch ehe Herbert oder Erwin eine Erwiederung Hervorbringen konnten, mit Iva ihren Blicken entschwunden. Langsam schritten die Freunde in der entgegengesetzten Richtung des Parkes weiter, ohne ein Wort mit einander zu wechseln. Endlich nach langem Schweigen blieb Herbett plötzlich stehen und Baldern scharf ins Gesicht blickend, sagte er:
„Erwin, Du sähest Fräulein Schwarz heute nicht zum ersten Mal!"
Der Angeredete warf einen prüfenden Blick aus das erregte Gesicht des Anderen. Dann versetzte er in aller Gemütsruhe:
„Woraus schließest Du diese Thatsache, mein Freund? Ich wüßte wirklich nicht, Dir Veranlassung zu dieser Meinung gegeben zu haben."
Herbert atmete kurz und schwer.
„Erwin," versetzte er heftig, „ich möchte fest darauf schwören, daß Du vorhin einen Blick des Einverständnisses mit Fräulein Schwarz gewechselt hast!"
Der also Angeredete maß den Sprecher mit lächelnden Blicken. Dann, feinen Arm in den Herbert's schlingend und ihn langsam mit sich fortziehend, sagte er lachend:
„Du mußt scharf beobachtet haben, bester Herbert! Wirklich, wenn ich nicht wüßte, wie unnahbar Du dem Gott Amor gegenüber stehst und wie zähe Du an Deinem Junggesellenstand hängst, so würde ich glauben, Du liebtest dieses Mädchen und die Eifersucht spräche aus Dir!"
(Fortsetzung folgt.)