Beilage zum „Calwer Wochenblatt
Nro. 48.
Nermischtes.
Wenn Dienstboten allein gelassen werden. Eine auf der Mainzer Landstraße wohnende Familie wollte am verwichenen Sonntag eins' Tour an den Rhein unternehmen und beauftragte dis. Köchin mit der Ueberwachung des Hauses, da die Rückkehr erst spät Abends erfolgen werde. Wegem des zweifelhaften Wetters blieb man jedoch nur bis zum Nachmittag und betrat, des Reifens müde, das .trauliche" Heim. Aber hier, welch' überraschender Anblick! Um der Familientisch hatte sich eine fröhliche Kaffee-Gesellschaft versammelt: Dienstboten des Hauses, welche die guten Freunde, natürlich fehlte
auch das Militär nicht — geladen hatten und sich den braunen Saft nebst Zuthaten trefflich munden ließen. Leider hatte diese Ueberraschung für die Frau >es Hauses auch eine nachteilige Folge — sie erregte ich sjp-ffehr, daß sie einen Krampfanfall bekam.
Von einem reizenden Idyll weiß die „Königsb. Allg. Ztg." aus einem Dorfe in der Nähe der Krönungsstadt zu berichten. Dort genas vor Kurzem die Frau des Justmann Z. eines Knäbleins. Bald darauf warf das Zuchtschwein, das größte Kleinod und der größte Schatz der armen Familie, allerliebste Ferkelchen und in so großer Zahl, daß ihrer zwei mehr waren, als Lebensquellen des Mutter
schweines für ihre Sprößlinge. Man war untröstlich über den drohenden Verlust der beiden überschüssigen Schweinchen. Da machte der biedere Ostpreuße seiner Ehehälfte den Vorschlag, den Knaben nebenbei mit der Flasche groß zu ziehen, die beiden kleinen Borstentierchen aber — selbst zu nähren. Und siehe da, er kam damit dem schon selbst gehegten Wunsch seiner einsichtsvollen Gattin entgegen. Das zur Flaschen- nahrung verurteilte Kind befindet sich zur Zeit völlig wohl, auch das kleine Ferkelchen ist soweit gediehen, um fressen zu können, sein Milchbruder aber, den die Hebamme einmal aus Versehen statt des Knaben gebadet hatte, ist verendet.
Deuilleton.
Nach hartem Ringen.
Roman von L. Dohrmaun.
(Fortsetzung.) *
Bei ihrem Eintritt wandte Elfriede sich lebhaft zurück; ihr kleines Töchterchen heranwinkend, sprach sie zu Hagen:
„Dies, Herr Assessor, ist meine kleine Jda, das Ebenbild meines mir unvergeßlichen Gatten."
Der Angeredete erwiederte einige höfliche Worte; dann fiel ein fragender Blick auf das mit eingetretene, junge Mädchen, welches sich bescheiden an ein Fenster zurückgezogen hatte. In diesem Moment sprach die ältere Baronin ein wenig scharf zu ihrer Schwiegertochter :
„Du vergißt, liebe Elfriede, dem Fräulein den Herrn Assessor vorzustellen."
Eine flüchtige Röte schoß in Elfriede's Antlitz.
„Ah, verzeihen Sie," sagte sie, zu dem Affessor gewandt. „Fräulein Schwas, die Erzieherin Jda's, — Herr Affessor Hagen."
Ein Beben ging bei dieser doppelten Geringschätzung durch die Gestalt Helene's, doch schnell beherrschte sie sich wieder und verbeugte sich völlig gleichgültig vor dem Assessor. Hagen sah sie noch immer mit unruhig zweifelnden Blicken an.
„Fräulein Schwarz?" wiederholte er in unsicherem Tone. „Vergebung, mein Fräulein, haben Sie vielleicht Verwandte in D.?"
Helene verneinte ruhig.
Baronin Elfriede sah mit neugierig erstauntem Blick auf Hagen, um dann zu fragen:
„Sie kennen das Fräulein, Herr Assessor ? Mir scheint, Ihr Anblick frappiert Sie!"
„O, nein, gnädige Frau, ich sehe Fräulein Schwarz heute zum ersten Mal," entgegnete der Assessor mit einem tiefen Aufatmen. „Eine Aehnlichkeit mit einer mir früher bekannten, jungen Dame hat mich nur überrascht."
„Eine Aehnlichkeit? Das ist interessant!" erwiederte Elfriede mit einem schnellen Blick auf das junge Mädchen. Sie waren wohl nie in D., Fräulein Schwarz?"
„Doch, gnädige Frau, in meiner Kindheit besuchte ich ein dortiges Pensionat," entgegnete Helme vollkommen ruhig.
„Ah, so hat der Assessor dort Ihre Bekanntschaft gemacht?" fragte die junge Witwe mit spöttischer Betonung.
Eine heiße Blutwelle schoß in Helene's Antlitz, doch schon versetzte Hagen:
„Nein, verehrte Frau Baronin! Die junge Dame, welche ich meinte, war ein Fräulein von Arnheim, die Tochter —"
„Fräulein von Arnheim?" unterbrachen die beiden Baroninnen ihn wie aus einem Munde. „Ist das nicht der Familienname der jetzigen Baronin Baldern, Herbert?"
Der Letztere hatte sich seit dem Eintritt Helene's mit keiner Silbe an dem Gespräch beteiligt, nur seine forschenden Blicke hatten bald auf dem jungen Mädchen, bald auf dem Affessor geruht. Bei den letzten Worten desselben hatte indessen auch er sich erstaunt vorgebeugt und sagte jetzt:
„Allerdings! Sie kennen also die Familie der Gemahlin meines Freundes, Herr Assessor? Vielleicht auch Baron Baldern selbst?"
„Das Erster« ja!" stammelte Hagen verwirrt. „Im Hause des Regierungsrats von Arnheim lernte ich den Baron flüchtig kmnen, doch bestand zwischen ihm und mir nie eine nähere Bekanntschaft und weiß ich nur, daß er ein Verehrer des Fräuleins von Arnheim war. Außerdem bin ich schon so lange aus D. fort, daß ich mich seiner kaum noch erinnere."
Herbert antwortete Nichts und Baronin Elfriede fragte mit möglichster Ruhe:
„Also die junge Baronin Baldern besitzt eine auffallende Aehnlichkeit mit Fräulein Schwarz? Nun, dann kannst Du ja den Gefchmack Deines Freundes leicht erfassen, lieber Herbert," setzte sie spöttisch hinzu.
„Ja, gewiß, verehrte Schwägerin," antwortete der Angeredete in beißendem Tone. „Ich war jedoch schon ohnehin vollkommen von dem guten Geschmack Bal- dern's überzeugt," fügte er trocken hinzu.
Elfriede preßte zornig die Lippen aufeinander und warf einen bitterbösen Blick auf das junge Mädchen, welches sich an einem entfernten Fenster des Salons niedergelaffen hatte und, ohne auf das weitere Gespräch zu achten, sich mit der kleinen Jda beschäftigte.
„Aber, Fräulein Schwarz, statt Jda zu erziehen, verziehen Sie dieselbe ja gründlich mit dem ewigen Streicheln und Schmeicheln! Sie können jetzt auch die Unterrichtsstunde wieder aufnehmen," tönte plötzlich die Stimme der Baronin Elftiede in scharfem Tonfall durch den Raum.
Helene zuckte heftig zusammen. Sofort erhob sie sich, verbeugte sich schweigend
und verließ mit der Kleinen den Salon.
Die sonst so sanft blickenden Augen Elfriede's schleuderten dem jungen Mädchen giftigen Pfeilen gleichende Blicke nach, während der Assessor Hagen die elastisch dahinschreitende Gestalt mit unsicherem, zweifelndem Ausdruck verfolgte. Er war noch immer befangen von der Aehnlichkeit, obgleich er sich auch wiederum sagte, daß die damals schmächtige, noch jeden Reiz entbehrende Helene von Arnheim sich kaum zu einer solchen vollendeten Schönheit habe entwickeln können und daß diese auch als die Schwägerin des Barons von Baldern es fraglich nicht nötig habe, sich als Erzieherin ihren Unterhalt zu erwerben.
Trotz der allgemeinen Anstrengung wollte keine fließende Konversation wieder in Gang kommen; der Scherz Elfriede's klang gezwungen, die alte Baronin schien verstimmt und der Schloßherr schaute verdrossen zum Fenster hinaus. Hagen verabschiedete sich daher bald, die Schloßbewohner in einer höchst unbehaglichen Stimmung zurücklaffend.
11. Kapitel.
Fortan war der Affessor Hagen ein häufiger Gast im Schlöffe und Elfriede entfaltete ihm gegenüber ihre ganze Liebenswürdigkeit. Sie verfolgte ihre bestimmte Absicht dabei, indem sie das that, die darin bestand, Baron Herbert zur Eifersucht aufzureizen, denn das Ziel, die Herrin des Schlosses zu werden, hatte sie einzig und allein nach Wallheim geführt. Nebenbei aber schmeichelte es ihrer Eitelkeit, sich auch von Anderen den Hof machen zu lassen, und sie redete sich nur zu gern ein, daß der Assessor Hagen ihretwegen allein so oft nach Wallheim komme. In ihrer Verblendung gewahrte sie nicht, welch eine glühende Leidenschaft der Anblick Helene's allmählich in ihm entfachte. Dem scharfen Auge Herbert's aber entging die Bewunderung, welche sich in den Blicken Hagen's ausprägte, sowie derselbe Helene's ansichtig ward, nicht. Sonderbarerweise jedoch richtete sein Groll deshalb sich nicht gegen den Assessor, sondern gegen das junge Mädchen selbst. Mehr noch als sonst wich er ihr aus und betrachtete sie finsterer denn je, ein Umstand, der Helene ver- anlaßte, ihm aus dem Wege zu gehen, wo sie es nur irgend konnte.
Die blinde Leidenschaft Hagen's bemerkte Helene mit tiefer Verachtung und zugleich wildem Triumph; denn sie sah hierin nur die rächende Hand des Schicksals für seinen Verrat an Margarethe. Der Gedanke, daß sie wirklich die Schwester des von ihm so schmählich aufgegebenen Mädchens sein könne, schien ihn ganz verlassen zu haben; wie hätte er sonst eine so offenbare Huldigung für sie an den Tag legen können, wie er es that?
Wochen verstrichen so und der Mai hielt seinen Einzug. Draußen blühten Aurikeln, Primeln und Syringen und ein balsamischer Duft durchwogte die linden Lüste. Die Gesundheit Jda's kräftigte sich in der frischen, wütigen Frühlingslust zusehends. Die bei ihrer Ankunft auf Wallheim sehr blaffen Wangen der Kleinen trugen jetzt wieder blühende Rosen und munter sprang sie auf den breiten Wegen des Parkes umher. Freilich war sie als der von allen Setten verhätschelte Liebling auch ein wenig wild und ausgelassen geworden und ihr Köpfchen steckte voller schalkhaftem Uebermut. Jedoch dem zierlich und graziös gebauten Kinde mit den goldigen Locken und den großen, blauen Kinderaugen konnte Niemand zürnen und wenn ihre Erzieherin ihr einmal mit ernster Strenge eine Strafpredigt hielt wegen ihrer Ausgelassenheit, so blickte die Kleine sie so schelmisch an, daß Helene die Lippen auf einander pressen mußte, um dem sich ihr aufdrängenden Lächeln zu wehren und ihre Autorität dem Wlldfang gegenüber zu wahren.
Auch auf Helene übte die frische Frühlingslust einen wohlthätigen Einfluß der auf ihre Wangen einen rosigen Hauch zauberte und in ihren Augen einen Ausdruck heroorrief, der so rührend weich war, daß man zweifeln mußte, ob derselbe Wehmut oder Glück bedeute.
Auch heute schritt sie an der Seite der kleinen Jda in den großen, ausgedehnten Park hinein. Eine am äußersten Ende desselben belegene kleine Anhöhe bot eine bezaubernde Fernsicht dar. Ein bequemer Ruhesitz, der von brettästigen, uralten Bäumen überschattet wurde, lud freundlich zum Ausruhen ein.
Dieser Punkt war der Lieblingsplatz Helene's, und auch jetzt schritt sie mit ihrem kleinen Zögling langsam den Hügel hinauf und blickte traumverloren auf das entzückende Bild, welches vor ihren Augen ausgebreitet lag.
Malerisch begrenzte den Horizont eine von blauen Nebeln umwallte Hügelkette und romantisch dehnte sich dazwischen in dem wetten Thale Ortschaft um Ortschaft aus. Es war ein Stück Eden, dieses Fleckchen Erde, geschaffen, Frieden selbst in das gcquälteste Menschenherz zu quellen. Alles um sich her vergessend, die Seele von einer namenlosen Sehnsucht erfüllt, versenkte auch heute Helene sich ganz in den Anblick dieses Bildes, welches überwältigend von Gottes Allmacht zeugte.
„Auch Sie finden, Fräulein Schwarz, daß unsere Gegend schön ist?" ertönte da plötzlich eine tiefe, sonore Stimme dicht Reben ihr.
(Fortsetzung folgt.)