Beilage zum „Calwer Wochenblatt"
Nro. 34.
Deuilleton.
Nach hartem Ringen.
Roman von <L. Aohrmarm.
(Fortsetzung.)
„Darf ich?" fragte sie leise.
Stumm reichte Margarethe ihr das Blatt Papier hin und wandte sich dann gegen das Fenster, ihren Kopf gegen die Scheiben pressend, während Helene halblaut las:
„Ich liebte Dich und es ist dieses Feuer Ju meinem Herzen längst noch nicht verglüht;
Doch Deine Ruh' ist mir vor Allem teuer,
Durch Nichts betrüben will ich Dein Gemüt.
Ich liebe Dich, stumm, hoffnungslos und schmerzlich,
Mit aller Qual, die solche Liebe giebt, —
Ich liebe Dich so wahrhaft und so herzlich:
Gott geb', daß je der Andre Dich so liebt!"
Sie ließ die Hand mit dem Blatte sinken, um dasselbe mit einem vorwurfsvollen Blick der Schwester zurückzugeben.
„Baldern!" Nur das eine Wort sagte sie, dann verließ sie still den Raum und begab sich in das anstoßende Schlafgemach.
Sie ruhte schon in den weichen Kissen, als die Schwester eintrat. Jedoch sie schlief nicht und hörte noch lange, wie Margarethe sich unruhig auf ihrem Lager hin- und herwälzte; ja, einmal schien es ihr sogar, als ob ein leises Schluchzen durch das Zimmer drängte.
Doch endlich wurde es still in dem Gelaß, der erquickende Schlaf hatte sich auf die müden Lider gesenkt und zauberte ihnen nun im Traume noch einmal den glänzenden Ballsaal mit der helleren, fröhlichen Menschenmenge vor.-
Am andern Tag kam Erwin von Baldern, um Abschied zu nehmen für eine längere Reise, welche er dringender Geschäfte halber unternehmen mußte, wie er dem Regierungsrat mitteilte. Derselbe sah ihn mit aufrichtigem Bedauern scheiden, ja, er zürnte ihm fast, daß er das gestrige Fest so unbenutzt hatte vorübergehen lasten, da er ihm doch deutlich zu erkennen gegeben hatte, daß er ihm freudig die Wünsche seines Herzens erfüllen würde. Die plötzliche Zaghaftigkeit des sonst so heiteren, jungen Mannes war ihm unbegreiflich. Was den Aermsten gleichsam die Flucht nehmen und ruhelos von einem Ort zum andern wandern ließ, er ahnte es nicht.
Den Stachel einer hoffnungslosen Liebe im Herzen, trieb es den Unglücklichen weiter und weiter, ob auch unausgesetzt eine ungestillte Sehnsucht wie mit tausend Zauberfäden ihn zurückzog.
Doch vergeblich suchte Erwin, in der Ferne seine Ruhe wiederzugewinnen; alle fremden Eindrücke, welcher Art sie auch sein mochten, waren nicht im Stande, das Bild Margarethe's aus seiner Seele zu verdrängen; fort und fort schwebte es in seiner ganzen Lieblichkeit vor seinem geistigen Auge. Er war ein Mann, der in seinem Leben nur einmal zu lieben vermochte, dies eine Mal aber mit allen Fasern seines Herzens den Gegenstand seiner Neigung umschließend, und als diese seine glühende Liebe keine Erwiederung fand, da wußte er, daß die ihm einmal geschlagene Wunde sein Lebelang bluten würde.
3. Kapitel.
Der Winter war herangekommen. Kalt und schneidend fegte der Wind durch die Straßen und öde und leer standen die Landhäuser vor dem Thore. Auch der Regiemngsrat war mit den Seinen wieder in die Stadt gezogen; aber er, der noch im Sommer so starke, kräftige Mann, sah Nichts von der Rauheü des Wetters. Ein altes Brustübel, an dem er schon seit Jahren litt, war mit großer Heftigkeit wiedergekehrt und veranlaßte die größte Besorgnis.
Mit liehevollster Sorgfalt pflegten ihn die Seinen, bei Tag und Nacht sich keine Ruhe gönnend, ohne daß jedoch eine sichtbare Besserung eintrat; trotzdem klammerten sich die ihm Nahestehenden mit der Angst der Verzweiflung an die Hoffnung einer baldigen Genesung des teuren Kranken.
Sie sahen nicht sein tägliches Abnehmen der Kräfte, nicht die große Veränderung seines Antlitzes. Es schien ihnen unmöglich, so jäh den Gatten und Vater verlieren zu können, und mit verbundenen Augen schritten sie neben dem Tod einher, ohne dessen eisige Nähe zu ahnen-
Erwin von Baldern war ein täglicher Besucher des Krankenzimmers. Als er von seiner Reise zurückkehrte und den Regierungsrat leidend fand, da hatte er mit selbstloser Hingebung die Bitten des Leidenden erfüllt, der seine Gesellschaft so gern um sich hatte. Der Negierungsrat wußte ja nicht, welch ein unsägliches Opfer Erwin ihm damit brachte, und hoffte noch immer, ihn als Sohn umarmen zu können, denn mit bewundernswerter Fassung wußte derselbe sein inneres Weh zu verbergen. Nicht mit einem einzigen Blick trat er Margarethe zu nahe. Nur Helene, die ihn mit schwesterlicher Fürsorge beobachtete, erkannte, welche große Selbstüberwindung der tägliche Anblick des stillgeliebten Mädchens den Baron kostete. Sie nur allein sah die Röte, die beim unerwarteten Erscheinen Margarethe's über sein Antlitz fuhr, sah die traurigen Blicke, die in unbewachten Momenten ihrer Gestalt folgten, so sorgsam er auch seine Gefühle zu verbergen strebte. Hatte sie ihn bisher bemitleidet, so bewunderte sie ihn sitzt. Aber seltsam, sie konnte Margarethe nicht mehr zürnen, wie bisher; sie hoffte vielmehr, daß er mit der Zell die Schwester vergessen lernen werde. Dank leuchtete ihm aus ihren Augen entgegen, wenn sie sah, wie der geliebte Vater, während seiner Anwesenheit heiter mit ihm plaudernd, seine Leiden v-dgaß. War sie noch so bedrückt, bei seinem Erscheinen schwand ihre Traurigkeit, leuchtete die Hoffnung in ihrem geängstigten Herzen wieder auf.
So waren lange, bange Wochen vergangen, als eines Nachmittags die Regierungsrätin allein an dem Krankenlager saß, auf welchem der Gatte mit ruhigen Atemzügen schlummerte. Da unterbrach das vorsichtige Geräusch des Thüröffnens die Stille und der Geheimrat Brauns erschien im Zimmer.
Leise erhob die Rrgierungsrätin sich und eilte dem Eingetretenen entgegen.
„Herr Geheimrat, wie soll ich Ihnen danken! Mein Gatte schläft ruhig und friedlich; jetzt wird er sein Schmerzenslager bald wieder verlosten können!"
Der Arzt trat schweigend vor das Krankenlager und beobachtete den Schlafenden minutenlang aufmerksam. Mit einem tiefen Atemzug wandte er sich dann der ihn forschend anschauenden Rrgierungsrätin zu.
„Danken Sie mir nicht, gnädige Frau," sprach er ernst, „ich bin nur ein schwaches Werkzeug einer höheren Hand. Doch, was der Allmächtige über Sie verhängt haben mag, seien Sie stark und bedenken Sie, Denen, di« Gott lieben, muß Alles, was sein Wille über sie bestimmt,, zum Besten dienen!"
Nach diesen Worten schritt er hastig zur Thür hinaus und keines Wortes mächtig, hielt die Regierungsrätin ihn nicht zurück. Tötliche» Erschrecken hatte ihre Zunge gleichsam gelähmt.
Draußen in der Halle trat der ihm wohlbekannte Diener Heinrich an den Medizinalrat heran. Das treuherzige Gesicht des Alten war tief bekümmert und seine Stimme zitterte, als er anhob:
„Herr Geheimrat, verzeihen Sie, aber, o, sagen Sie mir nur, daß diese Ruh» nicht, — nicht —" Der Schmerz erstickte seine Stimme.
„Nicht schon die Todesruhe ist, wollen Sie sagen," vollendete der Geheimrat, um, seine Hand teilnehmend auf die Schulter des Alten legend, hinzuzufügen: „Brave, treue Seele, — in wenigen Stunden wird Ihr Herr ausgelüten haben!"
Fahle Bläffe überzog Heinrich's Antlitz; aber er antwortete nicht und wollte sich schweigend entfernen, als rin Schrei durch die Stille de» Hauses gellte, so herzzerreißend, so verzweiflungsvoll, daß die beiden Männer sich erschreckt umwandten.
Dort auf der Treppe stand Helene, mit geisterbleichem Gesicht, sich krampfhaft an dem Geländer haltend und starren Auges auf den Arzt blickend. Die teppichbelegten Stufen hatten ihre Schritte unhörbar gemacht und so hatte sie die Worte des Arztes vernommen, welche sie wie ein Donnerschlag trafen. Sie griff um sich, um nicht umzusinken, und aus dem einzigen Laut, der sich ihren Lippen entrang, sprach der ganze unsägliche Jammer ihres Herzens. . . .
Wenige Stunden später hatte der Regierungsrat die Seinen auf immer verlassen und um den starren Körper des Entschlafenen lagen auf ihren Knien drei trostlose Menschen, aufgelöst in wildem Schmerz, den sie während der letzten Stunden mit fast übergewaltiger Anstrengung zurückgedrängt Hallen, um dem Sterbenden den Todeskampf nicht zu erschweren. Das starre Antlitz, die kalten Hände bedeckten sie mit leidenschaftlichen Küsten, als könnten sie damit dem Gestorbenen das entflohene Leben wieder einhauchen-
Der Tag, an welchem der kalte Körper der Erde sollte übergeben werdenwar herangekommen.
Tiefes Schweigen herrschte in dem hohen Saale, den der Todte nun bald mit dem engen Grabe vertauschen sollte. Wie friedlich schlummernd lag er da im Sarge, dessen düsteres'Asußere durch zahlreiche Kränze und Palmzweig« verdeckt ward. Flackernder Lichterschein beleuchtete grell das Bild.
Jetzt wurde die Thür geöffnet; Helene kam, um den letzten Abschied von dem Vater zu nehmen. Die tiefe Bläste chres Antlitzes ward erschreckend hervorgehoben durch die schwarze Kleidung, die ihre schlanke Gestalt umschloß; ihre Augen waren trocken, thränenleer, aber voll unsäglicher Trauer blickten sie auf dm Todten nieder.
An dem Abend, als sie des Vaters Stimme zum letzten Mal gehört, waren ihre Thränen reichlich geflossen, aber seitdem warm sie versiegt. In starrer Teilnahmslosigkeit hatte sie die wirklich herzlich gemeinten Trostsprüche, die allgemein den Hinterbliebmen dargebracht wurden, angehört, nur immer stumm in der Nähe des Sarges sitzend. Und nun sollte sie zum letzten Mal Abschied nehmen, einen Abschied auf immerdar! Qualvoll stöhnte sie auf und lehnte ihr Haupt neben das des Vaters gegen das glänzende, harte Kissm. Sie beachtete es nicht, daß die Thür geöffnet ward, um Mutter und Schwester einzulasten.
Die Augen von Thränen umflort, traten sie an den Toten heran, küßten noch einmal das starre Antlitz und die starren Hände, um dann neben Helene nieder- zuknieen und die letzten, heißen Thränen dem Geschiedenen mitzugeben in die öde, kalte Gruft.
So fand sie der fast unhörbar eintretende Geheimrat. Er zögerte Sekunden, ehe er sich der Negierungsrätin näherte.
„Seien Sie gefaßt!" bat er herzlich. Sie erhob sich mit seiner Hilfe und reichte ihm ihre Rechte; auch die beiden Mädchen richteten sich auf und traten zur Seite des Sarges.
Nach und nach füllte sich das Zimmer mit Leidtragenden und was Menschen« lippen nur an Trost zu spenden vermögen, ward den Hinterbliebenen zu Teil. Aber während Frau von Arnheim und Margarethe in Thränen Linderung ihres Schmerzes fanden, saß Helene trockenen Auges da, dumpf verzweifelnd vor sich hinstarrend, Plötzlich zuckte sie zusammen.
„Liebe Helene, weinen Sir doch, die Thränen werden ihren Schmerz lindern!" Es war Erwin's Stimme, welche diese Worte dicht neben ihr sprach. Sie hob den verzweiflungsvollen Blick empor und wie hilflos die Hand an die Stirn legend, stieß sie gebrochen au«:
„Ich kann ja nicht weinen!"
Tief erschüttert blickte Erwin auf sie nieder; er fühlte, daß Worte hier nicht trösten konnten, und schweigend drückte er ihr die Hand.
(Fortsetzung folgt.)