Beilage zum „Calwer Wochenblatt
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zieuMet-il. —
Wach dem Sturme.
Novelle von C. Dollbrecht.
(Fortsetzung.)
Der Tag schritt weiter vor, der Mittag verrann, die Glocke ries endlich zum Speisen, Eugen war noch nicht zurückgekehrt. Man nahm das Mahl zu Dritt ein
— Demoiselle Noir weilte noch bei der Kranken, da Frau EbertS geräuschvoller Schmerz sich vorläufig zur Pflege untauglich machte.
Edith hatte erwartet, eS würden Papa und die Großmutter Haralds Gattin im Laufe des Tages aufsuchen, doch schien keines derselben diese Absicht zu hegen, ja eine solche herbe Gleichgiltigkeit meinte Edith aus den spärlichen Worten des tief verstimmten Grafen und seiner nicht minder in sich gekehrten Mutter herauszufühlen, daß sie nicht wagte, mit ihrem eigenen Wunsch, die Leidende zu besuchen, hervorzutreten.
Verschüchtert, irre an sich selbst, nahm sie eine Handarbeit vor, die sie bald wegwars, ergriff sie ein Buch, dessen Seiten sie umzublättern vergaß.
Endlich, am weitvorgerückten Abend, erschien Eugen — allein. Er hatte lange auf Haralds Rückkehr gewartet, derselbe war erst am späten Nachmittag mit den Kameraden von dem Distanzritt zurückgekehrt. Danling hmkte zwar stark — aber hatte sich wieder einmal famos bewährt, magnifiques Pferd . . .
Eugen war entschlossen und hielt sich dabei auch Haralds Zustimmung sicher, dem Gutsherrn und deffen Mutter die Umstände, welche das herbe Geschick zweier Menschenseelen heraufbeschworcn, gänzlich zu verschweigen. Der Forstadjunkt war tot, Isolde dem Ende ihrer Tage nabe — wozu also neue Ankläger h ranziehen. Es war kein Grund vorhanden, das Familienoberhaupt in Mttwiffenschatt zu zi hen und gegen die Kranke einzunehmen. Mrt Befremden und Unwillen nahm er daher bei seinem Eintritt aus den Fragen und der Stimmung von Großmutter und Onkel wahr, daß diese bereits eingeweiht waren. Wer hatte dies gethan? Mit stummen und doch so beredtem Vorwurf traf sein umdüsterter Blick Edüh. Sie errötete und schlug die Augen nieder, wie ein unschuldiges Kind. Ohne daß ein Wort der Hindeutung gesprochen wurde, stiegen ihr beängstigende Zweifel auf. Hatte sie Unrecht gethan? War Aufrichtigkeit, Wahrheitsliebe in ihr nicht von jeher von ihrer Umgebung eingeprägt worden, und war es Eugen nicht vor Allen, deffen schlichte Offenherzigkeit einen Grundzug seines Charakters bildete? . . . Und dennoch verstand sie in diesem Augenblick, in welchem sie den letzten Rest der Kinderschuhe abstreifte, daß die Pflicht der Aufrichtigkeit dort ihre Grenze erreicht, wo die Discretion beginnt, wo die Rücksicht für Andere gebietet.
WaS ihr bis zu dieser Stunde als natürlich, als selbstverständlich erschienen, ward ihr jetzt zur Schuld. Mit tiefgcrötetcm, bekümmertem Antlitz zog sie sich still in die Nische der Erkerfensters zurück. Auch das noch an diesem trostlosen Abend eines schrecklichen Tages, daß sie Eugen erzürnt hatte — vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben . . .
Er hatte sich schnell in den Sachverhalt zurückgesunden, Edüh war ein unbedachtes Kind.und erzählte nun: Ja — er sei ohne Harald zurückgekehrt.
— (Es war doch gut, daß er so offen sprechen durfte.) — Harald hatte in furchtbarer Erregung geschworen, Isolde — sie möge „leben oder sterben", niemals wiederzusehen. — Edüh gewahrte aus ihrem Bußwinkel, wie Großmutter und Pflegevater beifällig mit dem Kopfe nickten.
„Und doch ist er schuld an ihrem Tode" — rief sie entrüstet und plötzlich hervortretend.
Sie erschrak, als sie im Bereich der Lampe und der Sehweite der drei Augenpaare stand, die sie auf sich gerichtet fühlte. Hilflos und beschämt wurzelte ihr Blick auf dem Boden.
Eme Pause war eing« treten, die ihr unendlich dünkte. Endl ch errmederte die alte Gräfin, während der Graf einige unmuiige Worte murmelte! „Das verstehst Du nicht, Kind- ES ist defsir, Du hörst nicht Alles, was hier gesprochen wi>d" —
„Darf ich dann Nachsehen, wie Jsolve sich befi-.dtt?" — ftagte das junge Mädchen schüchtern. Em Auflehnen gegen den W-llen ihrer Vorgesetzten lag so wenig in ihrer Natur.
„Ich glaube gar. Du willst geaen uns Partei ergreifen" — rief der Graf übergelaunt, während seine Mutter nachdenklich hmzusetzte: „Das wird nicht an- gehen, Edith!"
Man hörte es der Stimme der alten Frau an, daß die Verneinung ihr schwer fiel.
„Und warum nicht — Großmutter?" — ftagte Eugen. Er sp ach bittend und doch leise bestimmt. — „Edith ist kein Kind mehr. Jst's nickt Pflicht. nach einer so nahen Anverwandten zu sehen? Sie nicht gänzlich den Händen Fremder zu überlassen?"
„Sie hat ihre Mutter" — warf der Gutsherr empfindlich ein. Er las in den Motten seines Ntffen einen Vorwurf gegen sich selbst.
„Auf dieie aller Fassung beraubte, bedauernsweite Frau wird wobl in keiner Weise zu rechnen sein" erlaubte sich Euaen abermals einzuwenden.
„Nun und die Noir. — Die Noir ist ja d n ganzen Tag schon dort" —
„Ach" — rief Edith, welche durch Eugens Hilfe ih-en Mut wunderbar beflügelt fühlte und warf dem Vetter einen dankbaren Blick zu — „die gute Noir könnte dann ein wenig ausruhen."
Sie hatte bittend die Hände gefaltet. Es war eigentlich kein Grund, hart M sein — dazu verlangte die alte Gräfin nach ihrer Vertrauten und deren Bericht. Sie warf einen sein Zugeständnis erwartenden Bick aus ihren Sohn und entschied dann: „So laß Dich von Deinem Kammermädchen begleiten."
„Aber nur auf kurze Zeit" — rief der Graf verdrießlich, während er im Zimmer hin- und herschritt und Eugens weiteren Bericht ermattete. Dieser stockte eine Weile. Er schien noch auf Ediths leichten Tritt zu lauschen, der draußen verhallte. Eine Frage seines Onkels mußte ihn in die Gegenwart zurückrufen.
» *
*
Der Forstadjunkt war am dritten Tage nach seinem Tode in jenem gemiedenen, verwilderten Kirchhofswinkel begraben worden, wohin ein liebloser Brauch die Selbstmörder verwies. Es geschah unter außerordentlichem Gefolge, welches mehr auf Rechnung der Neugier als auf Teilnahme zurückzuführen war.
Jsolvens Mutter stand am östlichen Eckfenster des Herrenhauses, welches einen Blick nach der Försterwohnung gewährte. Als die Forstmänner in grünbebuschten Hüten den Sarg des jungen ManneS aufhoben, rannen Thränen über ihre Wangen.
Es war eine tiefe Veränderung mit ihr vorgegangen, fest sie erfahren mußte, wie das erträumte Glück ihrer Tochter sich gestaltet habe. Eugen hatte ihr den wahren Sachverhalt nicht verhehlt. Dann waren die Vorwürfe des von Schmerz überwältigten Vaters auf ihre Seele gebrannt und nach dem ersten Tage, wo sie durch heftiges Klagen, Weinen und Erzählen ihrer Auflegung Luft zu machen gesucht hatte, war sie in sich gekehrt, verwandelt.
Man konnte ihr nun die Pflege der Kranken überlasten; mit rührender Geduld ertrug sie die Zeichen deftiger Abneigung, mit welchen jene nicht zurückhielt.
Wie furchtbar hatte die schöne Isolde sich verwandelt! Edith hatte nicht geglaubt, daß man in so kurzer Zeit so entsetzlich abmagern könne. Sie lag stets teilnahmslos mit meist geschlossenen Augen in ihrem Bette und versagte fast alle Nahrung. Ihre Kräfte verließen sie zusehends.
Edith hatte die ihr erteilte Erlaubnis als ein ihr ein für allemal gewährte Zusage genommen und verweilte täglich einige Stunden bei der Kranken. Sie erfuhr dagegen im Schlöffe keine Einsprache. Großmutter verfehlte sogar niemals nach Isoldens Befinden zu fragen — sie selbst aber fand nicht jene stille Befriedigung, die sie vorausgesetzt. Hatte sie sich in Isoldens Seelenzustand geirrt? Es fehlte ihr vielleicht die Fähigkeit, Isoldens Wesen zu verstehen. Enttäuscht, bettübt verließ sie täglich die schwer Leidende, zu deren Trost sie nichts beizutragen vermochte.
Wer konnte auch solches von sich sagen!
Es lag ein Protest gegen die ganze Menschheit in der verbissenen Abwehr jeder Teilnahme der jungen Frau. Nicht immer war sie bewußtlos. Dann aber lag sie mit zur Wand gekehrtem Antlitz. Nicht ein einzigesmal fühlte Evith den warmen Händedruck erwidert, mit dem sie stets von der. Kranken schied.
Sie hatte abgeschlossen mit der Welt, nichts davon ging sie mehr an — diese Ueberzeugung prägte sich in Isoldens ganzem Verhalten aus. Sie war vom Schlage Derer, „die nur einmal lieben" und dann sterben. Eine dämonisch rachsüchtige Art lag in diesem lanasamen Sichauslösen. Keine Reue, nur Haß schien ihr Wesen zu beseelen. Sie hatte ein einziges Mal ihren egoistischen beschränken Herzschlag zu einer wahren Empfindung verstärkt gefühlt — darüber hinaus lag für sie einzig der Tod — der Tod, der für Alle, die Schuld an ihrem Elend trugen, zur Geisel ward. Was hatte sie noch mit dem Leben zu schaffen? . . . In ihren Fieberanfällen sprach sie von dem Adjunkten: Was für ein guter Tänzer er gewesen sei, wie sie erst zu spät gemerkt habe-, wie sehr sie ihn liebe, wie jugendfroh und lustig er war . . .
aber auch voll Stolz-und — das war es ja-„das konnte er nicht
ertragen."
Ihres Gatten Namen sprach sie nicht aus und Edith fand dies so selbstverständlich, als das Rühmen des Anderen, aber sie gestand sich innerlich kleinlaut zu: es herrsch« doch eine große Seelenähnlichkeit zwischen Harald und Isolden.
Auf dos Schloß kam er nicht in dieser Zeit, nur Eugen sah ihn zuweilen und erschrak stets aufs Neue über das veränderte Aussehen des Bruders. Er brach in leidenschaftlichen Zorn auS, so oft er seines ehelichen Elends erwähnte.
Wenn Edüh dann, nachdem sie Isoldens täglich schmäler und durchsichtiger werdende Hand in die ihre genommen, aus dem Krankenzimmer schied, begleitete Frau Ebert sie gewöhnlich über den Hof ein Stück des Heckenwegs entlang. Es war der gedrückten Frau sehr gleichgültig, daß sie jetzt neben einer wirklichen Com- tesse ging. Dieselbe fühlte mit ihr, sie liebte ihre Tochter und wußte so sanft zu trösten, dies war ihr Alles.
Ost auch kam der Vater von der F stungsstadt herüber, und daß er seiner Frau kein freundliches Wort gönnte, sondern im stummen Schmerz nur am Lager der Tochter verwe tte, ries in derselben immer wieder die Erinnerung an den herzzerreißenden Vorwurf zurück, den er ihr in der ersten Stunde ihres Jammers zuge- schttudett: „Du bist schuld daran".
Eines Tages, ihr Leben konnte nur noch nach Stunden gezählt sein — erwachte Isolde aus ihrer Slumpsheit und verlangte zu beichten. Sie war niemals sehr fromm gewesen und Frau Ebert fühlte sich durch diesen Wunsch ihrer Tochter ein wen,g überrascht. Em Diener ward sogleich nach dem nächsten Kirchdorf ge- s.ndet, zu dessen Sprengel Tannrode gehörte.
Als man der Ankunft des Gastlichen entgegensihen konnte, schlug die Mutter die Gardinen des Bettes zurück und glättete mit ordnender Hand das spitzenverzierte Nachtqewand und die reickgarnnttsn Betten der Kranken. Sie schob ein Tischchen näder und stellte darauf das Bild des Gekeuzigten zwischen ein Paar silberne Armleuchter mit brennenden Kerzen zurecht.
Isolde war wieder in ibre Apathie versunken. Niemand konnte wissen, ob sie die Vorbereitungen sah. die ihre Mutter mit thränenden Augen traf. Nur zuweilen verrieten ihre an der blauseidenen Steppdecke raffenden wachsbleichen Hände Spuren inneren Lebens.
(Fortsetzung folgt.)