Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw

65. Jahrgang.

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Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag. Di« EinrückungSgebiihr betrLgt im Bezirk und nächst«! Urn- gebuug » Pfg. die Zeile, sonst lS Pfg.

Donnerstag, den 30. Januar 1890.

LbonnementSpreiS vierteljährlich in der Stadt SO Pfg. nuv 20 Pfg. TrLgerlohn, durch dir Post bezogen Mk. 1. 15, sonst i» g«nz Württemberg Mk. 1. SS.

ALormements-Eiuladung.

Mit dem 1. kommenden Monats kann wieder auf dasCalwer Wochenblatt" für die Monate FebruarMärz abonniert werden, wozu freundl. einladet

die Redaktion.

Tages-Neuigkeiten.

ff C a lw, 28. Jan. In dem festlich dekorierten und mit der Büste unseres Kaisers geschmückten Wald- . bornsaale fand gestern abend die gemeinsame Ge­burtstagsfeier unseres geliebten Kaisers statt. Wegen der Trauer in der kaiserlichen Familie und vielseitiger Verhinderung in der hiesigen Bürgerschaft mußte diesmal von einer größeren Festlichkeit abgesehen werden; es konnten deshalb besondere Einladungen an die einzelnen Vereine, welche sonst in ihrer Ge­samtheit bei der Feier mitgewirkt hatten, nicht er­gehen; trotzdem aber war die Versammlung von Männern aus allen Ständen ziemlich zahlreich be­sucht. Der Vorsitzende, Herr Fabrikant Zoeppritz, begrüßte mit freundlichen Worten die Erschienenen und erteilte sodann Hrn. Prof. Hang das Wort zu nachstehender Festrede:

Hochverehrte Versammlung!

In ernster Zeit haben wir uns heute vereinigt den Geburtstag Seiner Majestät des deutschen Kaisers festlich zu begehen. Ueberall wohin wir blicken, hält der Tod reiche Ernte. Giebt es doch fast keine Fa­milie, welche nicht durch schwere Krankheit eines ihrer Lieben betroffen worden wäre und wie viele Namen von gutem Klang weist die Totenliste der letzten

Wochen auf. Auch die Schwelle des Kaiserpalastes hat der unerbittliche Zerstörer alles Lebens wiederum überschritten, um die greise Gefährtin des ersten deutschen Kaisers aus Hohenzollernstamme zur letzten Ruhe zu führen. Und doch betrachten wir es auch in solcher Zeit als eine herzerhebende, vaterländische Pflicht, den engen Bund zwischen Fürst und Volk dadurch zu bethätigen, daß wir die Wiederkehr des heutigen Tages mit hoher Freude feiern. Und wahr­lich das deutsche Volk hat gegründete Ursache, sich des erhabenen Monarchen zu freuen, dessen jugend­liche Gestalt im Glanze aller Herrschertugenden erstrahlt.

Gewitterschwüle lagerte in den letzten Jahren über der politischen Welt Europas und ängstlich harrten die Völker auf das Hervorbrechen des Blitzes, welcher unseren Weltteil in dem ungeheuren Brande eines Krieges von nie erlebter Furchtbarkeit auflodern lassen mußte. Fast unmöglich schien es, daß die un­erträgliche Spannung in den Beziehungen des deut­schen Reiches zu den eifersüchtigen Nachbarn in Ost und West in friedlicher Weise gehoben werden könnte. Aber dem nimmer rastenden Eifer des Kaisers für die Wohlfahrt seines Volkes, seiner im Dienste des Friedens me ermüdenden Thätigkeit ist es gelungen, die Wolken zu zerstreuen und ein frohes Aufatmen nach banger Sorge geht durch die bedrückten Gemüter. Seine persönlichen Beziehungen zu den Fürsten der befreundeten Mächte fanden un Herzen der Deutschen den lebhaftesten Widerhall und der unbeschreibliche Jubel, mit welchem die Bewohner der Reichshaupt­stadt die Monarchen von Oesterreich und Italien em­pfingen, tönte bis an die äußersten Grenzen deutscher Lande nach. Erfüllt von Gedanken des Friedens unternahm sodann der Kaiser die stürmische Meerfahrt in das Land der Briten, um erfolgreich auch dieses in den Kreis der Friedensmächte hereinzuziehen. Dem

Zauber seines offenen Charakters, gepaart mit der staatsmännischen Weisheit seines ersten Beraters, sollte es aber auch noch gelingen, das tiefgewurzelte Mißtrauen des Beherrschers des russischen Reiches zu besiegen und ihn von der Lauterkeit seiner Ab­sichten zu überzeugen. Ihren festen Rückhalt aber hatten diese Bemühungen des Kaisers an dem un­erschütterlichen Vertrauen des. deutschen Volkes auf seine eigene Kraft, und um dieses Vertrauen mehr und mehr zu festigen, unterließ die kaiserliche Re­gierung nichts, was zur Stärkung uud Erhöhung unserer Wehrkraft nötig schien. Wenn wir also heute, und mit uns die Nationen rings umher hoff­nungsvoll in das Dunkel der Zukunft blicken, so ist es in allererster Linie der Kaiser, als der Träger der auswärtigen Politik des deutschen Reiches, dem wir ehrfurchtsvollen Dank schuldig sind.

Ueber all diesen großen Aufgaben jedoch ver­gaß Kaiser Wilhelm nicht, das Band zwischen seiner Person und den Bundesfürsten, sowie dem ganzen Volke immer fester zu knüpfen. Unvergeßlich bleiben für jeden Württembergs! die Jubiläumstage des Jahres 1889, in denen das hohe Kaiserpaar an der Seite unseres vielgeliebten Königspaares sich den Augen des begeisterten Volkes zeigte, und wo dieses den unauslöschlichen Eindruck der Zusammengehörig­keit aller Glieder des Reiches in sich aufnahm. Deshalb bleibt denn auch am heutigen Tag, voll von Erinnerungen an all das, was der Kaiser für uns gethan hat, kein ächter Württemberger zurück, wenn es gilt, die Freude über den Monarchen, welcher alle deutschen Gaue mit gleicher Liebe umfaßt, zum leben­digen Ausdruck zu bringen. Allüberall, wo Deutsche wohnen, von den Usern des Neckars und des Rheines, bis zu den Gestaden der fernsten Meere, über welchen das stolze schwarz-weiß-rote Banner weht, jauchzt man heute

Jeuilleton. ..-»...u.

Mcrch dem SLrnrne.

Novelle von C. Bollb recht.

(Fortsetzung.)

Ein Zug der Enttäuschung überflog des jungen Mannes Stirn. Er hatte gehofft, man werde ihn und seine Gemahlin in Großmutters Boudoir beim trau­lichen Kamin empfangen, doch er begriff im Augenblick, es sei dies ein Vorrecht Auserwählter, welches Isolde sich erst erobern müsse. Er streifte ihr Antlitz mit flüchtigem Blick, während sie das Vorzimmer betraten und sie sich den Mantel ab- nchmen ließ. Ihr schöne» Gesicht erschien unbewegt, er hätte ein wenig Befangen­heit gern darauf erspäht. Und dennoch' empfand sie eine kurze Bangigkeit, als der Diener lautlos die Thüren öffnete und sie in dem glänzenden Raum, den sie be­raten. sich dem Oberhaupt der Familie gegenüber befand. Sie bemerkte sofort die Bewunderung des Grafen, welche ihrer Schönheit galt, und ihr Gleichmut kehrte zurück. ES hatte sie immerhin verstimmt, daß keiner von Haralds Anverwandten sie bei ihrer Ankunft begrüßt hatte, obgleich dieselbe doch auf Wunsch des Grafen erfolgte, nunmehr beruhigte sie sich über die Kälte des Empfanges, die verbindliche, wenn auch ein wenig steife Höflichkeit des Schloßherrn. Er führte sie seiner Mutter zu und tauschte dann einen versöhnenden Händedruck mit Harald. So war er immer. Anfangs sich entschieden wehrend gegen alle seinem Willen zuwiderlaufende Entscheidungen Anderer, ermüdete er bald in der Beharrlichkeit und lenke freiwillig um des lieben Friedens willen* auch hauptsächlich, um in seinen Studien nicht ge­stört zu werden, nachgebend ein, sobald der Gegner Konsequenz bewiesen.

Isolde sprach, nachdem sie von der allen Gräfin mit freundlicher Zurückhaltung, von Edith mit warmer Herzlichkeit begrüßt worden war, wenig und beobachtete mit Scharfsinn und Neugier.

Sie empfand vor der alten Gräfin eine Art Scheu. Obgleich sie derem liebenswürdigem Einfluß sich nicht zu entziehen vermochte, fühlte sie doch unwill­

kürlich, daß sie ihr niemals nahe treten würde. Angemutet fand sie sich durch die ritterliche Artigkeit des Grafen und stellte sich zu ihm bald auf freundlich heiteren Fuß. Edith, dies junge, unbedeutende, wenig hübsche Mädchen, welches sie mit solch merkwürdiger Bewegung begrüßt hatte und unaufhörlich die Farbe wechselte, schien ihr tieferer Beobachtung nicht wert.

Harald sprach viel und lebhaft. Erst hier, in dem Kreise, dem er angehörte, sah Isolde ihn seine volle Liebenswürdigkeit entfalten.

Eugen, der sich später ebenfalls einfand, blieb, wie er ihr seit Beginn ihres Bekanntwerdens erschienen war, stolz, unnahbar und was den Andern vielleicht entging, sie bemerke es sofort voll Anbetung für seine Kousine Edith.

Nach dem Diner hatte der Himmel sich ein wenig aufgeheitert und Eugen'S Vorschlag, der jungen Frau das Herrenhaus zu zeigen, ward von den jüngeren Gliedern der Familie freudig angenommen.

Edith schritt mit trippelnden, spitzen Füßen und aufgeschürztem Kleide neben der sich minder graziös vorwärts bewegenden Isolde den Heckenweg hinab. Die Brüder folgten. Sie hielt vorsorglich die triefenden Zweige zurück, die das rosige Antlitz der jungen Frau zu berühren drohten und war in ihrer naiven Weise be­strebt, derselben kleine Züge aus Harald's Jugend mitzuteilen.

Hier* sagte sie, auf einen umzäumten, seitwärts gelegenen Rasenplatz deutendhegte Harald lange Zeit ein zahmeS Reh. Es kannte ihn und nahm das Futter am liebsten aus seiner Hand. Da* fuhr sie fort, als man einen Feldweg überschritt, der den Heckenweg kreuzte, und nach dem Dorfe führte hat Herald einmal einem kleinen Kinde das Leben gerettet. ES war unter einen Ernte­wagen geglitten und Harald warf sich dm Pferden entgegen und brachte sie zum Stehen, so daß man es unverletzt zwischen den Rädern hervotziehen konnte.*

Sie blickte auf, aber ihr im Rückgedenken einer schönen Thal warm auf­wallendes Herz stockte plötzlich, als sie dm leeren, gelangweiltm Gesichtsausdruck der jungen Frau bemerke.

Wer wohnt hier?* fragte Isolde, als man am Forsthaus vorüber kam.