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85. Jahrgang.
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* Illustr. Sonntagsblatt und
Schwäd. Landwirt.
. U 128
Samstag, dm 3. Juni
1911
^ — Die nächste Ausgabe des Blattes erfolgt am Dienstag nachmittag.
K. Höerarnt Wcrgotd.
Der neue Ortsvorsteher der Gemeinde Jsels- hausen Christian Kugler wurde am 1. d. M. in sein Amt eingesetzt.
Dies wird hiemit zur allgemeinen Kenntnis gebracht. Den 2. Juni 1911.
. Kommerell.
Pfingsten.
Als am 25. Mai 1525 die Bauern im Bauernkrieg dem Landgraf Philipp von Hessen gegenüberstanden, da sangen sie bis in den blutigen Tod hinein das Pfingstlied:
Komm' heilger Geist, Herre Golt,
Erfüll' mit deiner Gnaden Gut Deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn Indrünst'ge Lieb entzünd' in ihn'n!
Und als dann 1527 Leonhard Kaysec vom Bischof zu Passau verbrannt wurde, bat er. während man ihn zum Feuertods band, daß die Umstehenden singen möchten: Komm heiliger Geist, Herre Gott! Dieser Leonhard Kayser starb für das Evangelium, und Luther sagie über ihn: „Ach Gott, daß ich würdig sein möchte solches Bekenntnisses und Todes."
So ist der heilige Geist armen, kämpfenden, sterbenden Menschen in ihrer letzten großen Not ein Trost gewesen. Sie haben ihn für etwas Lebendiges und Todüberwindendes gehalten. Der heilige Geist hat gegenüber Schwert und Flamme ihren eigenen schwachen Geist aufrecht erhalten, und wenn ihre Seele in der Not zerfloß, dann fühlten sie sich in Sen großen heiligen Geist Gottes hinemfließen. Für sie war der heilige Geist nicht eine Theologensache und eine Kirchenlehre, sondern in ihm lebten, webten und waren sie. Auch wenn sie irrten und träumten, wenn sie falsche Gedanken in ihren Köpfen hatten, sie wußten sich doch getragen von Gottes Geist. Mit allen ihren Sünden und in oller ihrer Unfähigkeit und Dürftigkeit, war das der Lichtblick für sie: Wir sind es nicht allein, die da Kämpfen und rn gen, wir getrösten uns des heiligen Geistes. —
Komm heiliger Geist, Herre Gott! Wir haben hunderterlei Geist, Erfindungsgeist und Handelsgeist, Forschungsgeist und Sprachgeist, Zeitgeist und Volksgeist, wir sind ein geistvolles Zeitalter, sprühend von kleinen Geistesfunken und geladen mit allerlei alten und neuen Ideen, eins aber haben wir nur ganz verdünnt und verkümmert, den heiligen Geist. Wieviel Leute gibt cs heute in Deutschland, die von der Göttlichkeit ihres Glaubens so überzeugt sind, daß sie sterben könnten wie Leonhard Kayser? Alles beugt sich und bückt sich, schmiegt sich und drückt sich, die Christen sind wie ein Kornfeld unter dem Winde; wo ist in ihnen der alte rücksichtslose Opfer- und Bekennergeist, wo ist das Wagen des Lebens für Gott, wo ist eine Begeisterung, die ganze Gemeinden überflutet, wo ist tiefe, wahre Bekehrung, wo ist das wirkliche Glauben an die jenseitige Macht? Komm heiliger Geist, Herre Gott!
Es ist ja möglich, daß sich mit dem heiligen Geist menschlicher Wahn verbindet, und die Bauern, welche unter Thomas Münzer bei Frankenhausen zum heiligen Geist sangen, waren nicht frei von falscher, revolutionärer Schwärmerei. Aber weil sie Zuviel Enthusiasmus hatten, wurde dann die Kirche dazu verurteilt, zu wenig zu haben. Man trieb den treibenden, eifernden, gegenwärtigen Geist hinaus und machte eine geistlose Kirchlichkeit, die zwar Pfingsten feierte, die aber niemals Veranlassung gab zu dem Spott, dem doch auch Petrus und Johannes nicht entgangen sind, daß sie Trunkene seien. Wo wirklich lebendiger Geist sich regt, da schlägt die Welt drei Kreuze: Schwärmerei, Trunkenheit, Tostheit! Um nun diesen drei Kreuzen zu entgehen, wird viel Wasser in den Wein des Geistes gegossen, soviel Wasser, daß er eine entsetzliche Sache wird, an der kein Mensch mehr Kraft und Lust gewinnen kann. Komm, heiliger Geist, und schenke unserem armen, vertrockneten und dürr gewordenen Christenoolke eine Ausgießung, ein heiliges, gewaltiges Pfingsten! Laß uns die Bibel wieder lesen als das, was sie ist, als ein Buch, das quellend voll ist von tnnreißendem, die Menschen überwältigenden heiligen Geist! Reite uns von bloßen toten Werken und bloßen toten Dr ' ' . -
Württembergischer Landtag.
I> Stuttgart, 2. Juni. Die Zweite Kammer hat in ihrer heutigen Sitzung die Beratung des Etats des Innern nunmehr zu Ende geführt. Bei Kapitel 40 (Straßenbau) bat der Abg. Schmid-Neresheim (Z.) die Regierung um baldige Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes über die Wegordnung. Redner empfahl auch eine geeignete Beschotterung der Straßen mit Rücksicht auf den Automobilverkehr. Es wurden sodann zahlreiche Spezialwünsche oorgebracht; auf die der Minister antwortete. Beim Kapitel 41 (Neckarschiffahrt) entspann sich eine lebhaftere Debatte. Kiene (Z.) wünschte die Rheinregulierung bis zum Bodensee. Storz (Bp.) behandelte die Frage der Donauversinkung und trat für ein energisches Vorgehen gegenüber Baden ein. Die Stimmung in der Gegend von Tuttlingen werde durch den Ausspruch „wir müssen badisch werden" grell beleuchtet. Im Interesse der Neckarkanalisierung wünschte der Redner, daß der Kanal Ulm-Friedrichshafen nicht aufgegebcn werde. Minister v. Pischek berichtete dann ausführlich über die Verhandlungen mit Baden wegen der Donauversinkung. Darnach schlage Baden einen Vergleich vor, der jedoch noch nicht ausgearbeitet sei; man müsse deshalb noch zuwarten. Der Abg. Wieland (natl.) sprach seine Befriedigung aus. daß die Erklärungen des Ministers in der Donauversinkungsfrage diesmal wesentlich bestimmter lauteten, als das letztem«!. Die Neckarkanalisierung sei für uns wichtiger als die Rheinregulierung. Es wurden dann noch sämtliche übrigen Kapitel des Etats ohne Erörterung angenommen. — Dann ging das Haus zur Beratung des Antrags des Finanzausschusses über um Bewilligung des Nachbarschaftsstraßenbaus Erlenbach—Weißenhof als Not- standsarbeit. Der Finanzausschuß hatte beantragt, dieser Bitte der Gemeinde Erlenbach (OA. Neckarsulm) der Regierung zur Berücksichtigung zu übergeben und gleichzeitig eine Eingabe der Gemeinde Weinsberg als erledigt zu erklären. Es sprachen zahlreiche Redner für diese Notstandsarbeit so die Abgg. Hanser (Z.), Hornung (Soz.), Bogt (BK.) und Feuerstein (Soz.), während die Abgg. Barth (BK.), Betz und Eisele (Dp.) sich gegen den Antrag wandten. Bei der Abstimmung wurde aber der Antrag des Finanzauschusses doch mit großer Mehrheit angenommen. Um dem Finanzausschuß für seine Beratungen Zeit zu lassen, wurde die nächste Sitzung auf Dienstag 13. Juni anberaumt, mit der Tagesordnung: Neuordnung der Bezüge der Staatsdiener.
Lages-Neuigkeiten.
Aus Stadt und Land.
s Untcrjettingen, 31. Mai. Die erfreuliche Tatsache, daß der hiesige Gesangverein beim Wettgesang des Bezirkssängerbundes Herrenberg einen ersten Preis erhielt, gab Veranlassung, die Freude über den schönen Erfolg auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Der Verein veranstaltete am Montag abend mit bekränzter Fahne einen Festzug durch den Ort zur Wohnung des Herrn Schultheißen Widmann, dem ein Ständchen gebracht wurde. Bei Sangesbruder Adlerwirt Brösamle wurde der Abend in schöner Weise beschlossen.
Unterjettingen, 2. Juni. Heute abend ist beim Bahnhof Nebringen beim Ausladen der Volontär Lindner von der K. Hosdomäne Sindlingen durch plötzliches Anziehen der Pferde vom Wagen gefallen und unter die Räder gekommen. Er wurde schwer verletzt und starb nach kurzer Zeit.
r SttttLgart, 2. Juni. (Beerdigung des Prälaten von Weitbrecht.) Nach einer erhebenden gerade durch ihre Schlichtheit überaus eindrucksvollen Trauerseier in Stuttgarts altberühmten Gotteshaus, der ehrwürdigen Stiftskirche, trug man heute nachmittag den allverehrten Seelsorger, Sliftsprediger Prälaten Dr. G. o. Weitbrecht zum Gottesacker hinaus. Ein schier unübersehbarer Leichenzug rückte langsamen Schrittes die Höhe zum Pragsriedhof hinan. Wollte man einen Gradmesser für den regen, kirchlichen Sinn der hiesigen Bevölkerung in der Teilnahme an der heutigen Beerdigung erblicken, so hat sich die evangelische Kirchengemeinde heute ein ehrendes Zeugnis ausgestellt. Außer dem zahlreichen Trauergefolge, hatte eine große Menschenmenge den teilweise durch Polizeikordon abge- sperrlen Friedhof schon lange vor Ankunft der Spitze des Leichenzugs am Friedhofportal besetzt gehalten. Vor dem Sarge schritten zahlreiche Kranzträgcr, direkt hinter dem Sarge folgten die nächsten Angehörigen, Kammerhecr Freiherr Fritz v. Geinmingen als Vertreter des Königs, diensttuender Kammerherr Baron v. Raßler als Vertreter
gesamte Geistlichkeit der evangelischen Kirchengemeinden
der Residenz, Kultminister v. Fleischhauer, der Präsident des Evangelischen Konsistoriums Dr. von Habermaas und sein früherer Amtsvorgänger D. Freiherr von Gemmingen, Regierungs-Direktor Dr. von Hieber und fast alles, was die evangelische Landeskirche Württembergs an hervorragenden Männern umfaßt. Alle Stände und Berufe waren vertreten. Den katholischen Klerus der Residenzstadt vertrat Kirchenrat Mangold von der Eberhardskirche. Die kirchliche Handlung am Grabe nahm Anttsdekan Kopp vor. In zahlreichen Nachrufen kam die allgemeine Liebe, Verehrung und Treue, die sich der Entschlafene in einem langen Leben voll 'aufopferungsvoller, hingehendster und bedeutungsvoller Tätigkeit im Dienste der Landeskirche erworben, zum Ausdruck.
Stuttgart, 1 . Juni. Die 4 Kreishauptstädte (Ulm, Reutlingen, Ludwigsburg, Ellwangen) haben nach dem Schwäb. Merkur eine Eingabe an den Landtag gerichtet, in der sie ihre Bedenken gegen die geplante Aufhebung der Kreisregierungen geltend machen.
Stuttgart, 1 . Juni. In der heutigen Sitzung der bürgerlichen Kollegien lag ein Erlaß des Ministeriums über den Bisitationsbericht vor, den der neue Stadtschultheiß Lautenschlager über die Stuttgarter Polizeiverhält- n'isse seinerzeit gemacht hat. Der Minister erklärt in dem Erlaß, das Ministerium sei zur Zeit nicht in der Lage, dem von der Stadtverwaltung geäußerten Wunsch auf Vorlage des Berichts zu entsprechen und behält sich vor, das Material später der Stadt zugehen zu lassen. Die innere Abteilung hatte dazu eine Erklärung beschlossen, daß sie einen sachlichen Grund für die Verweigerung nicht finden könne. Die bürgerlichen Kollegien hätten das Recht, von den anläßlich der Visitation abgegebenen Erklärungen Kenntnis zu erhalten und es erscheine als ein Gebot billiger Rücksicht, den Visitationsbericht der einen Monat lang untersuchten Polizeioerwaltung zu ihrer Kenntnis zu bringen. In der Erörterung im Plenum betonten sämtliche Redner, daß es Pflicht der Regierung sei, der Stadtverwaltung den Bericht zuzustellen. Gemeinderat Fischer (Bp.) beantragte, diese Erklärung der inneren Abteilung anzunehmen. Heim (DP.) stellte den Zusatzantrag, die Regierung zu ersuchen, Herrn Lautenschlager vom Dienstgeheimnis zu entbinden. Gemeinderat Dietrich erklärte, daß das nicht dem Wunsche der Stadtverwaltung entsprechen könne, denn eine Mitteilung des Stadtoorstandes könne nicht so eingehend sein, wie der Bericht selbst. Auch Bürgerausschußobmann Dr. Erlanger (Bp.) betonte, daß die Entbindung Lautenschlagsrs vom Diensteide für die Stadtverwaltung ohne Bedeutung sei. Der neue Stadtvorstand sei sowieso verpflichtet, die Mängel der Polizei der Stadtverwaltung klarzulegen. Schließlich wurde der Antrag der inneren Abteilung im Gemeinderat gegen drei Stimmen angenommen, der Antrag Heim abgelehnt. 'Dagegen stimmten im Bürgeraussckuß eine Mehrheit von Deutscher Partei, Zentrum und Konservativen gegen die Erklärung der Kommission. Gemeinderat Sperka (Soz.) machte darauf aufmerksam, daß der Bür- gerausschuß gar kein Recht gehabt hätte, in einer Polizeifrage abzustimmen. Bürgerausschuß Woelz (DP.) erklärte, daß seine Pattei gegen den Kommissionsantrag gestimmt hätte, weil der Antrag Heim im Gemeinderat abgelchnt wurde. Gemeinderat Fischer stellte fest, daß die Tatsache der Annahme des Kommissionsantrages im Gemeinderat nicht ans der Welt geschafft werden könne.
r Stuttgart, 2. Juni. (Brau d.) In einer Schreinerei der Landhausstraße brach heute früh Feuer aus. das einen größeren Umsang annahm. Das Feuer wurde von der Hauptfeuerwache gelöscht. Der entstandene Schaden ist bedeutend.
Deutsches Reich.
Berlin, 2. Juni. Aus New-Pork wird gemeldet: Bei der Einschiffung in Deracruz wurden dem ehemaligen Präsidenten Diaz von der Bevölkerung, obwohl diese gerade dort seiner Politik von jeher feindlich gesinnt war, Beweise persönlicher Sympathie dargebracht. Diaz fuhr, ungeachtet des Anschlags,.der noch auf der Fahrt von Mexiko zur Küste gegen ihn unternommen worden war, mit seiner Familie im offenen Wagen durch die Straßen zum Hafen und machte sogar einen Umweg, um möglichst viele Straßen zu berühren. Nirgends kam es zu einer feindseligen Kundgebung, vielmehr wurden laute Hochrufe auf den Erpräsi- denlen vernommen, und auch Blumenspenden wurden ihm und seinen Angehörigen dargebracht. Auch die Kabine des Schiffes trug prächtigen Blumenschmuck. Bor der Abfahrt hielt Diaz eine Ansprache an die Menge, in der er durch- blicken ließ, daß er nicht für immer ins Exil aetie. Er wate.