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den nach der nächsten Sitzung gewählt, die nach Vorschlag des Präsidenten Montag, nach Beschluß des Hauses aber auf Antrag Marquardsen erst Dienstag 1 Uhr statlfinden soll. Auf der Tagesordnung steht der Etat, das Anleihegesetz und die Novelle zum Militärgesetz.
Berlin, 24. Okt. Die Kaiserin Augusts weilt zur Zeit mit den Damen und Herren ihres Gefolges noch in Baden-Baden uno erfreut sich des besten Wohlbefindens. Soweit bis jetzt bekannt, wird dieselbe noch bis zum 5. November dort verbleiben und sich darauf auch in diesem Jahre wieder nach Coblenz begeben. Zu Ende des Monats November oder zu Anfang des nächsten Monats dürfte alsdann die Rückkehr der hohen Frau von Coblenz nach Berlin erfolgen.
Ausland.
W i en , 27. Okt. Daß „Fremdenblatt" schreibt anläßlich der heutigen Vermählungsfeier in Athen: „Wir können, eindevenk der innigen Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern und Reichen Oesterreich-Ungarn und Deutschland, nur unsere aufrichtigste Teilnahme dem Athener Feste zuwenden. Auch in Griechenland wird die Hoffnung geteilt, die Prinzessin Sophie, welche einen Schatz klassischer Bildung mitbringt, werde die Beliebtheit des Kronprinzen nur noch zu steigern vermögen. Das Athener Fest ist ein dynastisches Fest, aber die Völker können nur gewinnen, wenn die Verhältnisse unter den Herrscherhäusern sich stets weiter verzweigen und inniger werden, und wenn auf diese Art die Wege für wohltthuende Einflüsse vermehrt werden, die, in entscheidenden Augenblicken vielleicht mit Erfolg betreten werden können."
Messina, 24. Okt. Als das deutsche Geschwader mit dem Kaiserparr an Bord um 12'/« Uhr die Meerenge bei Messina'passierte, begab sich der deutsche Konsul und eine Abordnung der deutschen Kolonie auf einem Dampfer zum Geschwader, um die Herrschaften zu begrüßen und der Kaiserin einen Blumenstrauß zu überreichen. Die Bevölkerung längs des Ufers und in den Booten begrüßte die Gäste mit sympathischen Zurufen, wofür das Kaiserpaar dankte. Das Wetter ist prachtvoll.
Athen, 26. Okt. Das Kaiserpaar, sowie die zum Empfang im Piräus anwesenden höchsten und hohen Herrschaften trafen 4 Uhr 30 Min. hier ein und wurden am Bahnhof vom Bürgermeister und den Spitzen der Behörden, sowie einer zahllosen Menschenmenge mit brausendem Jubel empfangen. Bei der Ankunft der Majestäten präsentierte die Ehrenwache und das Musikkorps intonierte die deutsche Nationalhymne. Der Kaiser trug die Uniform des ersten Garderegiments mit der Kette des Schwarzen Adlerordens. Der König von Griechenland führte die Kaiserin, der Kaiser geleitete die Königin. Nach einer Ansprache v. Dimarchos, welche mit einem Hoch auf das Kaiserpaar schloß, reichten die Majestäten dem Redner die Hand. Der König dankte im Namen des Kaiserpaars für den Empfang. Nach Abschreiten der Ehrenwache bestiegen die allerhöchsten und höchsten Herrschaften unter stürmischen Hochrufen des Publikums vierspännige Hoswagen. In dem ersten saßen der Kaiser und der König von Griechenland nebst dem Kronprinzen, im zweiten die Kaiserin und die Königin von Griechenland, die Prinzen Heinrich von Preußen und Waldemar von Dänemark, im dritten der Prinz von Wales mit Söhnen und der Großfürst-Thronfolger von Rußland. Die königlichen Wagen wurden von einer Abteilung Cavollerie begleitet. Nach der Ankunft im königlichen Schlosse erschienen die Majestäten auf dem Balkon und wurden von der Volksmenge enthusiastisch begrüßt.
Athen, 27. Okt. Kaiser Wilhelm ersuchte den Dimarch, der Bevölkerung seinen und der Kaiserin Dank für den herzlichen Empfang öffentlich bekannt zu geben. Die Anfahrt des Brautzuges zur Kathedrale verlief auf das glänzendste; die Tribünen waren dicht besetzt, Kanonensalven verkündeten die Anfahrt der Allerhöchsten Herrschaften. — Der zu Ehren des Kaisers Wilhelm und der Kaiserin Augusts Viktoria gestern Abend veranstaltete Fackelzug verlief außerordentlich glänzend. An dem
selben nahmen dis Gewerke, bie Korporationen und das Militär mit etwa 5000 Lampions teil.
— In Athen wird eine seltene Huldigung für das deutsche Kaiserpaar vorbereitet. Hundert Frauen aus Sparta und 50 junge Mädchen aus Megara werden vor dem Herrscherpaare ihre alten Nationaltänze aufführen und dabei eigens gefertigte Geschenke überreichen. Dr. Heinrich Schliemann wird in Athen dem Kaiserpaar eine Sammlung kostbarer Altertümer überreichen, die später unseren heimischen Museen eine Zierde sein dürften. Die Hochzettsgeschenke für das kronprinzliche Brautpaar sind bereits ziemlich vollzählig in Athen eingetroffen. Der Wiener Architekt Oberbaurat v. Hansen, der Erbauer des berühmten Akademiegebäudes in Athen, hat dem Kronprinzen ein prächtiges Portefeuille verehrt, in welchem verschiedene, von Hansen entworfene Pläne zu einem neuen großartigen Palais für den Kronprinzen enthalten sind. Mit besonders kostbaren Gaben haben sich die griechischen Kolonien des Auslandes eingestellt. Die griechische Kolonie in London spendete dem Kronprinzen ein goldenes Service für 50 Personen im Werte von 1000 Pfund Sterling und der Prinzessin Sophie eine vollständige Toilettetisch-Einrichtung aus gediegenem Golde, deren Wert auf 1200 Pfund Sterling geschätzt wird. Der griechische Gesandte in London, Gennadios, hat der Prinzessin Braut eine kostbare alte deutsche Bibel verehrt. Die Stadt Korfu hat eine Schreibtischeinrichtung aus Silber geschenkt. Das Entzücken aller Damen erregt die Gabe der griechischen Kolonie in Brussa, wo bekanntlich die Seidenfabrikation in höchster Blüte steht. Das Geschenk besteht aus zwei Ballen Seide, deren blauer Grundton mit silbernen Fäden durchweht und mit goldenen Sternen bestickt ist. Drei der ersten Künstler haben 5 Monate lang an diesem Stoffe gearbeitet, wie er in solcher Kostbarkeit selbst in Brussa noch niemals hergestellt worden ist.
Konstantinopel, 26. Okt. Der Sultan bestimmte, daß der Marschall Ali Nizami Pascha, der Präsident des Staatsrats Aarifi Pascha, der Unterrichtsminister Munif Pascha, die Generale Achmed Pascha, von der Goltz und Strecker Pascha, dem deutschen Kaiser bis zur Insel TenedoS entgegenfahren. In der Entsendung Strecker Paschas, der im Jahr 1869 dem nachmaligen Kaiser Friedrich hier zugeteilt war, liegt eine besondere Aufmerksamkeit seitens des Sultans, das deutsche Zentralkomite nahm gestern einstimmig ein von Julius Großer und Mustischar Horn verfaßte Adresse an den Kaiser an, und beschloß dem Kaiser mit 3 Schiffen bis San Stefano entgegenzufahren, ferner zu Ehren der dienstfreien Herren des kaiserlichen Gefolges und der Marineoffiziere ein großes Essen, Tags darauf einen Kommers zu veranstalten.
Gages-Weuigkeiten.
Tübingen, 25. Okt. Wie man aus zuvsrl. Quelle erfährt, wird hierin kurzer Zeit sin neues Zeitungsunternehmen ins Leben treten. Dasselbe wird „Tübinger Morgenzeitung und Steinlackbvte" heißen, ein Titel, der insofern etwas auffallend ist, als es hier in der Tübinger Chronik gleichfalls „Steinlachbote" heißt. Das neue Blatt wird übrigens fast vollständig in einer andern Stadt am Neckar fertiggestellt, dann hieher überführt werden um eventuell mit hier angelaufenem Material vervollständigt zu werden und dann als Tübinger Zeitung in die Oeffentlichkeit zu treten. Da die hiesige „Tübinger Chronik" ein alteingebürgertes und anerkannt gut bedientes Blatt ist und schon frühere einheimische Versuche, andere Zeitungen hier erscheinen zu lassen, über kurz oder lang wieder aufgegeben werden mußten, so fragt es sich, ob ein derartiges Unternehmen von auswärts hier bessere Aussichten habe.
Saulgau, 23. Okt. Die hies. Schützengesellschaft hielt gestern ihr jährliches Schlußschießen ab. den sog. Lichtbraten. Dieses Schlußschließen besteht darin, daß neben 3 Kreis- und 1 Entenscheibe eine Ehrenscheibe mit bemalter Scheibe aufgestellt ist, auf der jedes Mitglied, aktiv und passiv, einen Freischuß hat, wobei es nicht selten vorkommt, daß ein Jahresschütze,
führte, sah ich auch hier das Theater, wenn auch nur wenig, doch aber immer von seiner glänzendsten Seite. Hier in Fr. . . . nun ging die Kunst nach Brod und ließ zur Erreichung dieses Zweckes alle M ttel gelten.
„Nicht wahr — famoser Zettel?" schnarrte der Lieutenant. „Leutchen — bieten Massenhaftes! — Werden sich amüsieren. — Habe die Ehre!"
Bei den letzten Worten hatte er sich erhoben und empfahl sich mit militärischem Gruß. —
Ich war in die Lektüre des Theaterzettels, der aus vielen „Abteilungen" und „Bildem" mit unglaublichen, aber prächtigen Ueberschriften bestand, so vollständig vertieft, daß ich darüber gar nicht bemerkt hatte, wie sich nach und nach die Tafelrunde gelichtet, und ich mich mit dem Onkel und dem Kaufmann Albrecht, dem Vater der schönen Rosa, nur noch allein befand.
Der Onkel kam auf mich zu, an den Aufbruch zu mahnen, und indem er auf den vor mir liegenden Zettel deutete, sagte er lächelnd:
„Nun, Du kannst Dich ja gar nicht davon trennen, lieber Neffe. Ich glaube wahrhaftig, die braune Benefiziatin Hot es Dir angethan?"
„Nein, Onkel," entgegncts ich aufstehend und Hut und Mantel nehmend, „das nicht, aber ich bekenne, niemals bin ich auf eine Theater-Vorstellung begieriger gewesen, als auf die heutige Darstellung des Rattenfängers von Hameln."
„Nun, da freut es mich doppelt, daß ich für Dich gesorgt habe! — damit überreichte er mir lachend die vier Theaterbillets.
Das Theater von Fr. . . . befand sich außerhalb der Stadt in dem Vorgebäude einer Brauerei.
In einem mäßigen Saal war eine kleine Bühne aufgeschlagen, von welcher der erste Platz durch nummerierte Stühle, der zweite durch solche ohne Nummern, und der dritte durch Bänke oder Lehnen markiert war. Außerdem zeigte sich aber auch noch über dem dritten Platz eine Gallerie, welche man aber als baufällig bedenklich gestützt hatte, und die mit Vorliebe von Lehrjungen und der Bedienung der „Künstler und Künstlerinnen", die sich da oben nicht so geniert fühlen, besucht wurde. Fr. . . . war auch in der Hinsicht noch nicht von der Kultur beleckt, daß es sich den
Luxus einer Gasbeleuchtung gestattet hätte. Infolge dessen wurde die Beleuchtung des Saals wie von der Bühne durch Petroleum bewirkt, das den großen Vorteil bot, daß es den ganzen Theater-Apparat, die Dekorationen, Kostüme, Requisiten rc. in ein weniger zersetzendes Licht stellte, denn die leichtqualmende Atmosphäre des Oels entzog durch einen dichten, grauen Schleier die betreffenden Gegenstände jeder tieferen Prüfung. —
Ein Orchester gab cs nicht, aber als Ersatz dafür stand in einer Ecke recht verheißungsvoll ein alter Flügel und auf demselben ein alter Geigenkasten.
Außer des Salons befand sich die Kasse: ein gedeckter Tisch mit zwei Stearinkerzen besetzt, zwischen denen ein Blechkasten und zwei tiefe Porzellanteller standen. Hinter demselben saß das Oberhaupt, der Vater der Truppe, Herr Direktor Moriz Stopfmann, in höchst eigener Person, strahlend, in Hinblick des vollen Hauses. Er war wie seine sämtlichen Kinder mittlerer Größe und konnte etwa 67 Jahre alt sein. Sein schöner Kopf mit den langen, weißen Haaren machte eher den soliden Eindruck eines Landpredigers, um so mehr, als er beständig ein dickes weißes Halstuch trug. In seinen jungen Jahren soll er nach eigener Versicherung ein tüchtiger Bassist gewesen sein, was glaublich schien, wenn man den sonoren Klang seines Organs hörte, den er sich bewahrt hatte. Stopfmann hatte 21 Kinder gehabt, von denen ihm 8 geblieben waren. Zum Gegensatz von ihm war seine Frau eine zarte, immer freundliche Dame, in deren Wörterbuch das Wort „Zorn" gänzlich fehlte. Niemand konnte sich erinnern, sie jemals heftig oder böse gesehen zu haben. Vergöttert von ihrem Gatten, erfreute sie sich der Liebe und Zuneigung der ganzen Familie. Zum Leidwesen seiner Kinder und zum Nachteil der Direktion war der alte Stopfmann jetzt nur noch, seines mangelnden Gedächtnisses wegen, auf der Bühne in Statistenrollen zu verwenden und auch da nur mit Vorsicht, denn das Publikum geriet in den ernstesten Scenen sofort in die heiterste Stimmung, sowie der alte Herr nur die kugelrunde Persönlichkeit mit dem listig lächelnden Vollmondsgesicht durch die Cou- lisse schob.
(Fortsetzung folgt.)