Beilage zum

Nro. 117.

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ZkeniUkton.

Irvei Wege.

Novelle von CH. Fester.

(Fortsetzung.)

Ich kann unmöglich Alles wiederholen, was ich kürzlich Ihnen sagte. Ich sage nur noch, daß es unmöglich für uns ist, an eine Heirat zu denken. Wir sind Beide arm und ich könnte keine Entbehrungen ertragen. Ich würde Ihnen Unglück bringen und würde selbst elend sein."

Arthur ergriff ihre beiden Hände und fragte:

Sie sind noch nicht seine Verlobte?"

Nein, aber-"

Dann müssen Sie die Meine werden! Wir sind für einander geschaffen und keine irdische Macht soll uns trennen!"

Und noch ehe sie es hindern konnte, zog er ihren Kopf an seine Schulter und hielt sie fest mit seinen Armen umschlungen. Und für Augenblicke trank ihre Seele die einzige Glückseligkeit, die ihren Strahl in ihr glänzendes und doch so armes Leben sandte. So war es also doch wahr, was die Dichter über die Liebe singen, dieses Entzücken, gemischt mit Lust und Pein, mit Furcht und Hoffen! Ja, es gab jene Liebe, welche sie für einen bloßen Traum gehalten hatte bis zu dieser Stunde!

Kamilla gab sich ganz dem Entzücken über Arthur's Geständnis seiner Liebe hin. War es doch dies eine und zugleich das letzte Mal. Konnte es eine Sünde sein, einen Strahl vom Glück erhaschen zu wollen?"

Arm? Sind wir arm, wo Gott uns diese Liebe gegeben hat, unser Leben zu erhellen, Kamilla?" flüsterte er ihr zu.Ach, und wenn Du selbst die Armut fürchtest, Du sollst sie nie als mein Weib zu ertragen haben, ich gelobe es Dir! Warte nur, bis ich mein großes Gemälde beendigt habe! Ich fühle es, es wird mir gelingen, Ruhm und Vermögen dafür zu erwerben. Du sollst meine Muse werden, Kamilla, Dein Lächeln soll mich begeistern, Deine Liebe soll mich emporheben weit über den Staub dieser Erde!"

Sie legte ihre Hand auf seine Lippen.

Still, Arthur! Wir dürfen nicht in Träumen schwelgen. Wir müssen ver­nünftig bleiben. Ich habe Dir meine Liebe gestanden, sei damit zufrieden. Der Ge­danke an Armut erschreckt mich. Ich muß Dir die Wahrheit sagen, selbst wenn Du mich verachtest."

Nun denn, es sei! Warte, bis ich reich bin. Ich will Tag und Nacht arbeiten, wenn Du mir nur versprichst, mein Weib zu werden."

Ich kann Dir Nichts versprechen, Arthur. Meines Vaters Verhältnisse sind sehr kritische, das sage ich Dir im Vertrauen. Deshalb fühle ich nur zu sehr, daß es nicht sein kann. Laß uns zurückkehren! Mein Vater wird in tötlicher Angst über mein Ausbleiben sein!"

Nein, nein! Wir sind kaum eine halbe Stunde beisammen."

Es muß zehn Uhr vorüber sein. Bitte, lande in der Nähe des Hotels, von da aus kann ich meinen Weg allein finden. Ich werde meine Abwesenheit, so gut ! als möglich erklären."

!Ich will es thun; doch erst sage mir, wann und wo wir uns wieder be­

gegnen können. Ich habe kein Recht, Dich öffentlich an mich zu binden, es wäre 1 nicht ehrenhaft, aber unsere Herzen sind auf ewig vereinigt. Ich fühle, daß Du

! mich mehr liebst, als Du Dir selbst zugestehst. Ich will nur Dein Wort. Nur noch

drei Tage und dann müssen wir uns für eine lange Zeit vielleicht trennen. Doch ehe Du gehst, müssen wir uns noch einmal sehen. O, Kamilla, laß Dein besseres Gefühl die Oberhand nehmen! Weißt Du nicht, daß meine Zukunft in Deiner Hand liegt? Du kannst mich heben oder vernichten! Dich an meiner Seite,

! fühle ich die Macht in mir, alle Schwierigkeiten und alle Hindernisse zu besiegen. Ohne Dich wird selbst mein Ehrgeiz schwinden, werde ich ein Schiff ohne Steuer sein!"

Arthur l" unterbrach sie ihn fast heftig, aber er ließ sie nicht weiter reden.

Ich lasse Dich nicht, Kamilla," stieß er erregt aus,bis Du mir versprichst, daß ich Dich noch einmal sehen kann, ehe Du die Gegend verläßt."

Gewiß, komme morgen rach dem Frühstück ins Hotel!"'

Was? Um vielleicht Gefahr zu laufen, nicht einen Augenblick ruhiger Unter­redung mit Dir zu finden? Nein, nein, ich muß mit Dir allein sein! Zudem macht mich der Anblick Hickman's gradezu krank!"

Ich werde keine Stunde für mich frei haben, weder morgen noch den nächsten Tag. Du mußt vernünftig sein. Ich muß noch in der kurzen Zeit, die mir übrig bleibt, all die Schönheiten der oberen Themse sehen. Lande jetzt, ich bitte Dich, mir zu Liebe!"

Kamilla fühlte, wie er der Sklave ihres leisen Wunsches war. Sie sah durch die Dunkelheit seine Augen die ihrigen suchen.

Ich will landen und Dich verlassen. Ich liebe Dich zu tief und zu wahr, um Dich vor der Welt in Verlegenheit zu bringen, obgleich ich selbst alles gewöhnlich Hergebrachte verlache!"

Aufs Neue zog er sie plötzlich ungestüm in seine Arme, sah ihr in die Augen und sagte ihr mit vor Leidenschaft zitternder Stimme:

Sage mir nur das Eine, das eine, daß Du mich liebst!"

Sie zauderte. Sie fühlte seinen Athem an ihren Wangen und einen Moment später berührten sich ihre Lippen. Welch fremdes und neues Gefühl durchzitterte ihre Sinne, machte ihre Pulse ungestüm schlagen und erzwang von ihr die halb unfrei­willige Antwort:

Ich liebe Dich!"

Nun höre noch, mein Lieb," flüsterte er ihr hastig zu.Morgen abend um zehn Uhr, wenn Alles ruhig ist, werde ich in meinem Boot Dich an der Steintreppe, die von Eurem Hotel nach dem Wasser führt, erwarten. Laß mich nicht vergeblich harren! Versprich mir, daß Du kommen willst!"

Er hielt ihre beiden Hände und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen.

»Ja, ja, ich will kommen; doch jetzt gehe!" war ihre beinahe ungeduldige Antwort.Aber das, Arthur, muß unsere letzte Unterredung sein!"

Er lächelte und hielt sie für einen Augenblick in seinen Armen. Das Boot schlug die Richtung nach Marlow ein, rasch vorwärts getrieben durch Arthur's kräftigen Ruderschlag. Einige Minuten später befand sich Kamilla in der Ecke des Sofas in dem Salon des Hotels. Als Erwiederung auf dis Fragen der eben gleich­falls erst zurückgekchrten Gesellschaft gab sie den glaubwürdigsten Bericht, daß sie vom Pfade abseits den Weg verfehlt und gefürchtet hätte, bei der Dunkelheit ins Wasser zu fallen. Alle hörten ihre Erzählung gläubig und mit Teilnahme an. Sie lehnte sich zurück, müde von all den Aufregungen, die sie erduldet, und lauschte auf ihres Vaters und Mr. Hickman's Ausdrücke der Besorgnis und auch der Freude über ihre glückliche Rückkehr. Die andern Gäste hatten sich zurückgezogen. Das Helle Licht des Kronleuchters zeigte deutlich die Falten auf dem Zahlengesicht Josiah Hick­man's, sowie die dünnen Haarstellen auf seinem Kopf sichere Zeichen baldiger Kahlköpfigkeit und die grauen Haare unter den dunkelbraunen. Er hielt in der Hand eine große Photographie der Medenham-Abtei, eine von denen, die speziell für den reichen Fabrikanten angefertigt waren, und führte dabei eine Konversation, die keineswegs im geringsten interessant für Andere sein konnte. Sir Prendergast saß, ruhig vor sich hinlächelnd, in einem Armstuhl, indem er ein elfenbeinernes Federmesser hin- und herbewegte. Von der Ecke des Sofas aus, das Gesicht etwas durch ihre Hände beschattet, beobachtete Kamilla die beiden Männer. Sie fühlte sich im Unrecht ihnen gegenüber und doch lachte sie sich ins Fäustchen bei diesen Gedanken, daß sie nicht die wahre Thatsache ihrer nächtlichen Exkursion wußten. Dennoch war der Aus­druck ihrer unergründlichen Augen und ihres bleichen, klassischen Gesichts keineswegs ein freudiger. Sie sah aus wie eine zürnende Medusa, grausam und unbekümmert über ihre Opfer lachend. Arthur Charlton würde kaum in ihr das Weib wiederer­kannt haben, das er liebte, das Weib, in dessen dunklen, glühenden Augen er die Leidenschaft aufblitzen sah, auf die sich aber rasch wieder die langen Wimpern senken, als ob sie sich ihrer Gefühle schämte. Sie hatte ihn und die Liebe für immer hinter sich gelassen, obgleich noch nicht länger als vor einer halben Stunde sein Abschieds­kuß auf ihren Lippen zitterte. Aber seitdem hatte sie sich entschieden, sie hatte ihr Geschick in ihre Hände genommen. Diese Nacht war der Wendepunkt ihres Lebens, ein Schwert, das Vergangenheft und Gegenwart von einander trennte. Doch die Welt hatte sie so durch und durch verhärtet, daß sie trotzdem keine Reue fühlte, höchstens die selbstische Qual des Bedauerns.

Sie schloß wie vor Müdigkeit ihre Augen und ein schönes Mannesgesicht er­schien ihr, die Töne des plätschernden Wassers flüsterten ihr einschmeichelnd ins Ohr und seine Lippen berührten wieder die ihrigen in langem, beseligendem Kusse. Sollte sie ihm morgen nochmals begegnen, ihm noch einmal gute Nacht sagen, die letzte ,gute Nacht'? Sollte sie? Ja, weshalb denn nicht?

Spielt denn nicht ein Jeder", üb: legte sie bei sich,mehr oder weniger für seinen eigenen Vorteil seine Rolle in der großen Komödie des Lebens? Wir denken Alle an uns und an Geldgewinnen, nur Arthur nicht. Aber er ist auch ein liebes, großes, prächtiges Kind!"

7. Kapitel.

Als am folgenden Nachmittag Arthur Charlton etwas spät in die Villa Sor­rents kam, müde von dem ruhelosen Hin- und Herwandcrn den ganzen Tag über, trat ihm John Waldegrave mit ängstlich traurigem Gesicht entgegen. Airs. Lucia hatte einen neuen Schlaganfall gehabt und wiederholt nach Arthur verlangt. Sie wünschte, wenn es möglich wäre, daß er diese Nacht bei ihr wache. Und da sie diesen Wunsch aussprach, konnte er ihn ihr, der Sterbenden, nicht verweigern? Doch eben­falls mußte er seinem Kamilla gegebenen Versprechen, um zehn Uhr am Flusse zu sein, Nachkommen. Er folgte dem Bildhauer die enge Treppe hinauf in das Kranken­zimmer. Er hegte die größte Achtung, jr, fast Zuneigung für die arme Witwe, die jederzeit darauf bedacht war, ihm Marlow, hauptsächlich aber die Villa Sorrento, zur Heimat zu machen. Er würde ihr mit Freuden manche Strinde Schlaf, manchen Tag Arbeit geopfert haben, um ihr einen Dienst zu erweisen, aber nicht diese Nacht, nicht diese eine, in welcher er das Weib, das er liebte, unter dem Sternenhimmel finden sollte. Nein, nein, er konnte nicht in Mrs. Lucia's Krankenzimmer bleiben, während er doch wußte, daß Kamilla Doyne an dem Wasser auf ihn wartete, nein, um Alles in der Welt nicht. Doch als er in das dunkle, stille Zimmer trat, wo die arme Frau litt, da schienen alle irdischen Gedanken vor der schrecklichen Gegen­wart des Todes zu fliehen.

In der Mitte eines großen Himmelbettes mit verblichenen Vorhängen lag Mrs. Lucia, ihre großen, schwarzen Augen, die gestern noch voll Leben waren, wur­den von Moment zu Moment trüber. Linda saß oben am Pfühl, so daß der Kopf ihrer Mutter auf ihrer Schulter ruhen konnte. Als die Thür sich schloß, wandte das junge Mädchen den Kopf und Arthurs Augen begegneten den ihrigen, die voll schmerzlicher Dankbarkeit und inniger Bitte waren. Er näherte sich dem Bett und mit seinen kräftigen Armen brachte er die schwache Frau in eine bequeme Lage, indessen Linda die Kissen zurecht rückte und der Mutter die fieberhaften Lippen netzte.

Die Kranke öffnete die Augen, als sich Arthur über sie beugte und wurde nicht müde, ihn anzusehen.

Es geht besser, Signor Arthur!" sagte oder vielmehr flüsterte sie, so erloschen und so schwach war ihre Stimme.Ich wußte, daß Sie kommen würden."

(Fortsetzung folgt.)