Beilage zumCalwer Wochenblatt

Nro. 115.

Feuilleton. «-4^-°^°.°».

wer

ege.

Novelle von CH. Fester.

(Fortsetzung.)

O, Papa, wenn es wenigstens ein Anderer als Jostah Hickman wäre! An der Seite eines solchen Mannes sein ganzes Leben zuzubringen!" rief Kamilla voller Schmerz aus.

Meine liebe Tochter, Deine V.rachtung ist unbegründet, ja, unwürdig. Mr. Hickman ist in jeder Beziehung eine wünschenswerte Partie für jede Dame und cs wird kaum ein zweites junges Mädchen geben, welches bei seinem Antrag nicht vor Freude ausspringen würde, um mich eines gewöhnlichen Ausdrucks zu bedienen. Er ist in den Augen der Gesellschaft ein Gentliman. Er nimmt eine bedeutende Stellung ein, hat einen höchst achtungswerten Charakter und einer der reichsten Menschen in England. Geld macht gerade nicht glücklich, aber es ist ein ausgezeichnetes Surrogat für das Glück, denn es verschafft Vergnügen in jeder Form, Nellen, ein großes Haus, gesellschaftlichen Umgang mit bedeutenden Persönlichkeiten und Dergleichen mehr. Und ein bewegtes Leben, darin jede Stunde angenehm ausgefüllt ist, läßt wenig Zeit für das romantische Bedauern Dissen, was hätte sein können. Der richtige Sinn wählt auch das Richtige und wenn Tu in späteren Zeiten Dich von unbeschränktem Luxus umgeben siehst, so wirst Du über Deine frühere Thorheit lächeln und nicht begreifen können, wie Du zögern konntest. O, ich knne Dich, Ka­milla! Ich habe nicht nötig. Dir dies Alles zu sagen! Du bist kein unerfahrenes Kind mehr. Wir wollen das Gespräch abbrechen. In der nächsten Stunde wird Hickman hier sein. Wir sind für die nächsten drei Tage während der Regatta seine Gäste auf seiner Dacht. Ich habe bwe ts für uns Zimmer in dem Hotel, dem Flusse gegenüber, bestellt. Kleide Dich also jetzt vor allen Dingen an, denn ich fürchte, daß das Nöglige, in dem Du Dich befindest, so reizend es auch sein mag, nicht gerade geeignet fft. Besuch zu empfangen."

Er schwieg, küßte seine Tochter, auf die Stirn und wartete scheinbar auf Das, was sie zu sagen hätte; doch sie blieb still. Ihr Gesicht war blaß und ernst, ihre Augen hatten Wr Blick eines Menschen, der an einem Krankenbett gewacht hat und nicht schlafen kann. Der alte Herr war etwas verlegen.

Wenn ich ihrer nur sicher sein könnte." dachte er.Wenn Josiah Hickman nur, ehe sie und der verwünschte junge Chariten sich wieder begegnen, zu ihr von seiner Lebe sprechen wollte! Dann hoffe ich, wird Alles gut enden. Ich muß jedoch vorsichtig sein, denn Kamilla ist zu jeder Thorheit fähig, so lange sie in dieser roman­tischen Stimmung ist!"

Er stand auf und ging in das nebenan liegende Zimmer. Kamilla wußte, daß sie das Schlimme wählen und das Gute ausschlagen würde. Mechanisch ging sie an die Arbeit, die ihr gestern noch so reizend dünkte, weck sie überlegte, nas Ärthur's kritischem Geschmack am besten gefallen könme. Heute schien es ihr eine Anstrengung, ein Kostüm zu wählen. Sie löste den dichten KVottn ihres goldbraunen Haares, Las nun ihre «e.ß.n Schultern umflutete. Wie so ganz anders war ihr Gesicht fest gestern geworden! Die Begeisterung war daraus entschwunden; der frühere, höhnische spöttische Ausdruck um ihren Mund war wieder da, den Ärthur's Gegenwart für einige Zeit gebannt hatte. Sie war wieder Kamilla Doyne, die bewunderte Welt­dame, Nichts mehr!

Plötzlich, als sie Auge in Auge mit ihrem eigenen Nachdenken stand, kreuzte ein Gedanke ihren Ge,st, oder vielmehr durcystog ihn.

Ich bm fr?>, frei und sein.-frei, um glücklich zu sein! Mein Schick­

sal liegt in meiner Hand! O, Arthur!"

Und indem sie ihr lang herabwallendes Haar zurückwarf, setzte sie sich auf «inen Sessel. Sie faltete die Hände hinter dem Kopf, schloß die Augen und gab sich ganz den Gedanken an den einzigen Mann, den sie je geliebt hatte, hin. Sie durch­lebte noch einmal die letzten Tage. W:e entzückend waren sie, wie jung hatte sie sich gefühlt und wie glücklich!

Ein Klopsen an der Thür riß sie jählings aus ihren Träumen. Sie blickte mit einem Seufzer auf. Es war ihr Vater, welcher ihr mitteilte, daß Mr. Hickman gekommen sei und bereits auf sie wartete. Erbebend stand sie auf und indem sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Torlette richtete, war sie in weniger als einer Viertelstunde bereit, hinunterzugchen.

Sie fand Sir Prendergast und den Fabrikanten in dem kleinen Zimmer; den letzteren in einem Art Schiffs-Kostüm, peinlich sorgfältig vom Kopf bis zu den Füßen gekleidet, mild und sanft lächelnd. Kamilla sah aus wie eine Königin in ihrem weißen Kleide; ein Tuff Heller Theerofen sah zwischen einem reizenden Gemisch von Tüll und Spitzen an der Seite hervor.

Josiah Hickman bot ihr den Arm an. Sie legte ihre Hand, ihn kaum be­rührend, hinein, und während er sie so die Treppe hinunter und an die Dacht füh>ts, sprach er zu sich selbst:Heute wird es sich entscheiden. Ehe sie den Menschen, den Charlton. wiedersieht, werde ich ihre Antwort haben und, wenn ich mich nicht sehr täusche, eine günstige Antwort!"

Und Kamilla, während sie sich in die Sitzkiffen zurücklehnte und den Mann ansah, den das Schicksal ihr zum Gatten geben wollte, seufzte und beugte sich der gesellschaftlichen Notwendigkeit.

Mein KiSmtt!" murmelte sie.Das Fatum will eS!"

6. Kapitel.

Der Tag, der für die Henley-Regatta bestimmt war, versprach das herrlichste Weiter. Schon zur frühesten Morgenstunde war der Fluß mit hin- und her gleiten­den Booten jeder Größe und jeder Art belebt.

Die Musik eines schwimmenden Orchesters mischte sich mit dem Murmeln des sich kräuselnden Wassers und gab der lebhaften, glänzenden Scenerie einen ganz be­sonderen Reiz. An den Buchten promenierten eine Menge Zuschauer hin und her, die mehr Lust hatten, zu gehen, oder auch, die nicht so glücklich waren, ein Boot zu besitzen. Unter ihnen war mancher Müsstggänger, der sein Glas mit neugierigem Interesse nach den verschiedenen Seiten hin richtete.

Wer ist der Besitzer der prächtigen Dacht, die an der gegenüberliegenden Bucht liegt?" fragte eben ein am Ufer stehender Herr seinen Freund.

Meinen Sie vielleicht die Jolanthe? O, die gehört einem Firnisfabrikanten, welcher, wie man sagt, mehr Geld als ein indischer Nubob hat. Sie haben gewiß von ihm gehört. Er hat sein Vermögen durch eine Erfindung, die ihm patentiert wurde, gemacht. H.ckman Josiah Hickman ist des Menschen Name; nicht ge­rade ein übler Kerl, wie ich glaube, doch prahlt er wie ein Dankee und kauft Gemälde nach ihrer Größe. Die Dacht dort wurde erst für Lord Milford gebaut; als dieser aber in Not kam und wahnsinnig wurde, kaufte Hickman sie und seit dieser Zeit sieht man ihn häufig damit. Die Hauptanziehung ist für ihn, dem Gerede nach, eine gewisse schöne Dame, die sich gegenwärtig in Cookham aufhält und die er zur Mrs. Hickman machen will.

Ist diese Dame eben sitzt an Boris?" fragte sein Gefährte.Nehmen S''e einmal mein Glas und sehen Sie, ejpe große, brünette Dame in Weiß, neben einem älteren Herrn sitzend!"

Ja, das ist ihr Vater, Sir Prendergast Doyne. Ec ist momentan etwas in der Klemme, wie ich höre; er denlt wahrscheinlich, durch eine Heirat seiner Tochter mit dem ehrenwerten Fabrikanten sich aufzuheifen."

Glücklicher Sterblicher!" seufzte sein Freund, der besonders Damen liebte. Sie ist schön wie der Traum eines Dichters. Und er hat Aussicht, angenommen zu werden?"

Ich denke; doch es ist ein Nebenbuhler da, ein schöner, aber armer Maler. Ich glaube indes nicht, daß er besondere Aussicht hat!"

Ich glaube auch nicht," sapte sein Gefährte nachdenklich,eben so wenig, wie sie die Wahl hat, das arme Mädchen! Ich kann sie mir gar nicht denken, als die Gemahlin dieses schrecklichen Firnis-Menschen! Sie sieht traurig genug aus!"

Kamilla Doyne schien in der That sich nicht zu amüsieren. Alle Hilfsquellen und aller Komfort der Jolanthe konnten sie nicht die süße Hoffnung vergessen machen, die sich unbeachtet und ungeruseir in ihr Herz geschlichen und die, obgleich unmöglich, sie darum nicht weniger glücklich gemacht. Sie hatte sich entschlossen, Josiah Hickman zu heiraten, sie konnte sich aber trotzdem nicht zwingen, zufrieden oder dankbar für die Mühe zu sein, die sich ihr reicher Freier gab, für den ihr leisester Wunsch Be­fehl war. Sie ließ sich Alles ruhig gefallen und nahm nur den unbedingt not­wendigen Anteil an der Konversation.

Da noch verschiedene Galle an Bord waren außer dem Baron und seiner lieblichen Tochter, so hatte der Wirt nicht die geringste Aussicht eines töte-ä-teto mit Kamilla Doyne, wie sehr auch er und eben so sehr Sir Prendergast es wünschten. So ging der Tag zu Ende gleich einem Riesenbild, voll glühender Funken und voll Lebens; als dt« Schatten der Dämmerung die glänzenden Lichter des Tages auszu­löschen begannen, that Kamilla einen tiefen Seufzer der Erleichterung. Sie war des Sonnenscheins, des Glanzes und des Lärms müde; üe sehnte sich, nach Hause zu kommen, in ihr einsames Z'inmer, um nach dem Flusse und den schattigen Tiefen des Waldes blicken zu können. Doch, ach, sie war nicht frei, um fliehen zu können. Noch Manches sollte sein, ehe sie ihren glühenden Kopf aus das Kissen legen konnte. Manches, wovon sie sitzt noch keine Ahnung Hatto.

Es war Abend. Kamilla sah noch immer nach dem dui-kten F, dem sternen­hellen Horizont und lauschte dem Fiüsiern der Wellen. Die Regatta war vorüber, der Strand wieder seiner gewöhnlichen Ruhe zuiückgegeben. Ein Boot nicy dem andern verschwand, das fröhliche Gelächter, die muntern Stimmen erstarken in der Ferne. Dasselbe Murmeln des Wassers, dasselbe Geflüster der Aeste und Zweige, dieselben Töne iüßer Weisen, die gespenstig die kalte Nachtluft durchzitterten. Alles war ganz genau dasselbe, wie am Abend zuvor, als sie auf der kleinen Wiese zu Cookham zwischen Paul und ihrem Vater saß bei dem poetischen Schimmer der ver­schwiegenen Sterne und seine Stimme, Paul's tiefe, l ebe, süße Stimme, ihr Herz so tief ergriff und all die Leidenschaft, dis in ihr unbeachtet so lange schlief, zum Leben erweckte. Sie ließ sich in das Land des Ideals führen und fand dort, was sie so lange gesucht, das Glück. Gleich dem Paradiessogel saß es auf dem höchsten Zweig und dort sang cs so verlockend, daß ihre Sinne in Entzücken ge­rieten. Und sie war so froh, entdeckt zu haben, daß das Glück keine leere Miete sc>

doß es wirklich war, wenn auch nur für Wenige. Nun war All.s vorüber, die ganze herrliche Zeit, in welcher ihr das Leben ein einziger Festtag zu sein schien, von dem sie nicht eine Sekunde vorüber wünschte. Es war zu Ende. Das Lustschloß stand noch, aber ihre eigene Hand sollte es grausam zerstören, vielleicht, noch ehe eine andere Morgendämmerung den östlichen Himmel rötete. Es war ein Jammer; doch einmal grausam Geschick! mußte das wesenlose Gebäude ihres Liebes- traumcs unhaltbar Zusammenstürzen; so war es gleichgültig, wann es geschah, ol> einige Stunden früher oder später.

So eilten ihre Gedanken, während ihre Augen den abfahrenden Booten Mtd den müden, aber vergnügten Heimkehrenden folgten.

Vielleicht hoffte, vielleicht fürck tete sie einem Paar anderer Augen zu begegnen,

zwei blaum, ernsten, feurigen Augen.

Die Lichter der bunten Laternen beschienen den Tisch, an dem sie, Josiah Hick­man, Sir Prendergast Doyne, ein Major Mac Arthur mit seiner Frau unv eine nette junge Witwe von dreißig Jahren, MrS. Donattson P.ters, Platz genammea hatten zum Abendessen.

(Fortsetzung folgt.)