Beilage zum „Caliver Wochenblatt
Nro. 73.
Feuilleton.
Der Wajorcrtserbe.
Roman von L. Dohrmann.
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(Fortsetzung.)
„Levi Jtzig?" stammelte Treuhold entsetzt. „Bei dem hast Du eine Anleihe gemacht?"
„Mein Gott, wie tragisch Du das sagst?" rief der junge Offizier ärgerlich. „Die meisten Kameraden nehmen seine Hilfe in Anspruch, und — bah, — einmal ist keinmal!"
. „Er ist der größte Schurke in ganz Berlin; den armen Holthoff hat er durch seine Blutzinsen in den Tod getrieben!"
„Holthoff war ein Narr, sich solcher Lappalie wegen eine Kugel durch den Kopf zu jagen."
„Schöne Lappalie, wenn ein Schuft wie der Levi Jtzig seine Ehre in Hänven hält! Er konnte seinen Wechsel nicht einlösen; die Anzeige beim Regiment wäre die unbedingte Folge gewesen. Ihm blieb keine Wahl."
„Nun, dann hätte er seiner Kassation zuvorkommen sollen. Was man selber verschuldet, muß man auch zu ertragen wissen. Den Selbstmord halte ich unter allen Umständen für die erbärmlichste Feigheit. Wenn Holthoff sich übrigens einem bester situierten Kameraden anvertraut hätte, würde ihm sicher geholfen worden sein. Ich wenigstens hätte ihm sofort meine Kasse zur Deckung seiner Wechsel zur Verfügung gestellt, und zur Rettung eines braven Kameraden, wie Holthoff es war, würde Papa auch ein übriges gethan haben."
„Ohne Zweifel. -Aber ich begreife nicht, wie Du, trotz dieses abschreckenden Beispiels, Dich in dieselben Klauen des Löwen liefern konntest," murmelte Treuhold seufzend.
Der junge Offizier zuckte ungeduldig die Achseln.
„Du bist ein Schwarzseher, Treuhold; doch hoffentlich wirst Du nicht meine Lage mit derjenigen des verzweifelnden Holthoffs in gleiche Linie stellen," sagte er unwirsch.
„Aber Du hättest Dir doch die fehlende Summe von Papa's Banquier vorstrecken lassen können," entgegnete Treuhold vorwurfsvoll.
„Um mich dadurch unrettbar zu blamieren!" rief Bruno, aufspringend. „Großheim weiß, daß ich von Papa ein reiches Jahresgehalt bekomme, und würde mich für einen maßlosen Verschwender halten. Nein, mein Lieber, das kannst Du nicht im Ernst meinen. Außerdem würde Papa dadurch unfehlbar von meiner Spielschuld Kenntnis erhalten haben, was ich auf jeden Fall zu vermeiden wünsche."
„Eine Spielschuld würde Papa Dir nachgesehen haben, aber eine Wechselschuld verzeiht er Dir niemals, so nachsichtig er sonst auch gegen Dich ist; das mußtest Du wissen!"
Bmno hatte seine Ruhe schon wieder gefunden; er lächelte sogar bereits wieder in seiner alten, sorglosen Weise bei den gepreßt hervorgestoßenen Worten Äreuhold's.
ß „Sei kein Thor, Treuhold! Wie sollte der Vater denn davon erfahren?" ;war die sorglose Antwort. „Noch heute gehe ich zu Levi Jtzig und lasse den Wechsel '>bis zu meiner Rückkehr von Wendhausen prolongieren. Bah, einmal ist keinmal!"
3. Kapitel.
Es war zur vorgeschrittenen Abendstunde desselben Tages, als Graf Bruno, in seinen Mantel gehüllt, seine Wohnung verließ und raschen Schrittes die Friedrichsstraße hinabging. Den Mantelkragen hoch aufgeschlagen, die Mütze tief in die Stirn gedrückt, eilte er vorwärts, ohne sich umzuschauen. Er bemerkte nicht, daß in geringer Entfernung ein Mann ihm von Straße zu Straße folgte und stets gleichen Schritt mit ihm zu halten bemüht war.
Als der Offizier die Straße bettat, war dieser Mann vorsichtig aus dem Schatten der gegenüberliegenden Häuser aufgetaucht, von wo aus er schon eine geraume Weile die Wohnung der beiden Grafen Wendhausen beobachtet hatte, deren Anwesenheit ihm der Helle Lichtschein hinter den Fenstern kund that. Anfangs schien eS, als ob er den rasch ausschreitenden Offizier anreden wollte; er ging quer über die Straße und näherte sich ihm bis auf wenige Schritte. Dann jedoch verlangsamte er plötzlich wieder seinen Gang, so daß er unauffällig dem Offizier folgen konnte, ohne ihn Pis dewAugen zu verlieren.
^ Wie der Keue Schein der Gaslaternen erkennen ließ, war das Aeußere dieses Mannes nicht kavaliermäßig, vielmehr schien er der untersten Schicht des Volkes anzugehören. Sein Anzug war schäbig und von gewöhnlichstem Schnitt; ein grauer, verwilderter Bart umgab ein grobes Gesicht, dem der Stempel der Verkommenheit ausgeprägt stand und aus welchem sich die flackernden Augen unverwandt auf den vor ihm gehenden Offizier hefteten, während ein häßliches Lächeln auf seinen Zügen lagerte.
Bruno durchschritt ohne Aufenthalt verschiedene hell erleuchtete Hauptstraßen, in denen eine zahllose Menschenmenge rastlos auf- und niederwogte, bis er auf einmal in eine jener öderen Gaffen einlenkte, in denen der Tagesverkehr mit Beginn der Dunkelheft sich allmählich verringert und jetzt zur vorgeschrittenen Abendstunde nur noch zeitwellig einzelne Klßgänger dahineilten.
Vor einem düstern, unansehnlichen Hause, auf welches das flackernde Gaslicht seinen ungewissen Schein warf, blieb Bmno stehen- Forschend sah er um sich. Sein rätselhafter Verfolger hatte sich auf der anderen Seite der Straße gehalten und behielt auch, als der Offizier jetzt stehen blieb, sein gleichmäßiges Gangtempo bei, während sein Blick mit der Gleichgültigkeit eines zufällig Vorübergehenden über den- elben hinglitt. Kaum war der Graf jedoch in den dunklen Hausflur verschwunden,
als er rasch Kehrt machte und das Aeußere des Hauses, in welches Bmno eingetreten war, einer aufmerksamen Besichtigung unterwarf.
„Der Herr Graf scheint ja sonderbare Passionen zu haben," murmelte er, indem sein Gesicht sich höhnisch verzog. „Bin doch neugierig, wem in diesem alten Kasten er heute abend die Ehre seines Besuches schenkt."
Damit wandte er sich an einen augenscheinlich dem Arbefterstand angehörenden jungen Burschen, der soeben aus dem Nachbarhause trat, eine populäre Sttaßen- melodie vor sich hinpfeifend.
„Guter Freund, könnt Ihr mir nicht sagen, wer in diesem Hause wohnt?"
Der Bursche brach seine Melodie mit einer kühnen Verve ab und musterte den Frager mit einem neugierigen Blick.
„Der Teufel mag Euer Freund sein, ich bin es nicht," gab er zur Antwort. „Jedes Kind weiß, wer hier wohnt- Levi Jtzig."
„Levi Jtzig?" wiederholte der Andere. „Hm, das wird schwerlich der Richtige sein, — oder besitzt der Mann vielleicht eine hübsche Tochter, die einen vornehmen Liebhaber hat?"
„Nichts weniger als das," grinste der Bursche. „Die vomehmen Besuche, die spät Abends in das Haus kommen, gelten dem alten Jtzig selber."
Der Frager fuhr verdutzt zurück.
„Du willst Dich scheinbar über mich lustig machen?" sagte er. „Oder hat der Jtzig etwa ein Geschäft mit solch vornehmer Kundschaft?"
Der Bursche lachte laut auf.
„Ja, warum denn nicht, Alter?" er ist Kravattenmacher und seine Halsbinden finden reißenden Absatz bei den vornehmen Herren," antwortete er mit beißendem Hohn.
„Kravattenmacher?" In dem Gesicht des Alten zuckte es blitzesgleich auf. Hastig ergriff er den Arm des Burschen, der sich eben zum Gehen wenden wollte. „Der Mann ist ein Wucherer?" fragte er heiser.
Der junge Arbeiter schüttelte seine Hand heftig von ihm ab.
„Das Wort scheint Eure Nerven anzugreifen, Alter," sprach er spottvoll. „Nun ja, wenn Ihr es denn hören wollt, der Jtzig ist ein Wucherer. Und nun laßt mich! Ich habe Eile und — Ihr seid ein Narr.
Damü eilte er an ihm vorüber. Der Verspottete sah demBurschen wie geistesabwesend nach.
„Wäre es möglich?" murmelte er dann. Der reiche Gras Wendhausen wäre bei einem Wucherer? Aber wenn auch, gleichviel, es muß sein! Der Alte kann noch jahrelang leben, ehe er Majoratsherr wird. Bester einen Sperling in der Hand, als zehn Tauben auf dem Dache!"
Während dieses Selbstgesprächs hatte er forschend nach einem Versteck gespäht und trat jetzt resolut in den Schatten eines Hausvorsprungs, wo er selbst verborgen stand, wovon aus er jedoch Alles beobachten konnte. Er hatte seinen Posten gerade eingenommen, so öffnete sich die Hausthür des Wucherers abermals und Graf Bruno trat wieder auf die Straße hinaus. Kaum, daß sein sich rasch entfernender Schritt in der Straße verhallt war, so näherte der verborgene Späher sich der Jtzig'schen Hausthür und trat durch dieselbe rasch in den dunklen Flur ein.
Bei dem Hellen Geräusch der Thürglocke wurde am Ende des Ganges hinter einem verhängten Fenster ein matter Lichtschein sichtbar, und während der Eingetretene sich ein paar Steinstufen hinauftastete, wurde die Glasthür vorsichtig etwas geöffnet. Ein grauer Kopf mit einem Paar stechender, dunkler Augen tauchte hervor, zog sich jedoch blitzschnell wieder zurück, als die wenig vertrauenerweckende Gestalt des Fremden in den Lichtkreis trat.
Der Ankömmling brach in ein spöttisches Lachen aus und klopfte energisch an die wieder geschloffene Thür.
„Wer ist da?" erscholl eine knarrende Stimme von innen.
„Oho, kein Räuber und kein Mörder! Ist es nicht erlaubt, einzutteten?" Die Thür öffnete sich wieder, und jetzt schob sich außer dem vorhin gesehenen Kopf auch noch die ganze Gestalt des Eigentümers heraus, — eine kleine magere Figur, die in der linken Hand eine Helle Lampe hielt, deren Licht sich voll auf den spätm Besucher ergoß.
„Vermutlich habe ich das Vergnügen, Herrn Levi Jtzig vor mir zu sehen?" fragte der Ankömmling, die dürre Gestalt scharf anblickend.
Der kleine Mann richtete seine forschenden, dunklen Augen unruhig auf dm vor ihm Stehendm, dessen schäbiges Aeußere ihm für seine Sicherheft Besorgnis einzuflößen schien. Hastig fragte er:
„Womit kann ich dienen?"
„Nur mit einer Antwort, verehrter Herr Jtzig! Ist der Lieutenant, Graf Wendhausen, vorhin bei Ihnen gewesen?"
Der Gefragte w-ch um einen Schritt zurück bei dieser unerwarteten Frage und entgegnete mißtrauisch:
„Mein Herr, ich weiß nicht —"
„Keine Ausflüchte!" unterbrach der Andere ihn jetzt fast drohend.
„Ich weiß, daß der Graf hier war. Hat er von Ihnen Geld geliehen?"
„Aber, Herr, ich kann Ihnen doch nicht sagen meine Geschäftsgeheimnisse," antwortete der Wucherer, noch mehr zurückweichend und vorsichtig nach der Thür greifend. Ohne jedoch die Einrede zu beachten, fragte der Fremde weiter:
„Hat der Graf viele Schulden?"
„Ich bedaure wirklich. Ihnen darüber keine Auskunft gebm zu können."
Ein Zornesblick zuckte auf den kleinen Mann nieder.
„Zum Kuckuck, ich will wissen, ob sie eine Forderung an ihn haben!"
Der Wucherer zuckte schweigend die Achseln und machte Miene, hinter der Thür zu verschwinden.
(Fortsetzung folgt.)