Beilaae zumCallver Wochenblatt"

Nro. 68.

ßkuM-lon.

verschlungene Iäden.

Roman aus dem Englischen von Hermine Franken st ein.

(Schluß)

Auch Natalie ließ es nicht an Bemühungen zu Gunsten des unglücklichen Mädchens fehlen, und es war hauptsächlich ihrer Verwendung zu danken, daß die Todesstrafe in eine zwanzigjährige Kerkerstrafe umgewandelt wurde.

Joyce nahm die Nachricht von ihrer Strafermäßigung mit derselben stumpfen Gleichgültigkeit entgegen mit der sie die Verkündigung des Todesurteiles angehört hatte, aber sie war doch gerührt, als sie von Natalie's Bemühungen hörte, und sie sagte leise:

Ja, sie besitzt ein gutes Herz und ich hoffe, daß sie glücklich sein wird."

Die Hoffnung sollte sich erfüllen: denn in ganz England hätte kein Mädchen schöner und glückseliger aussehen können, als Natalie, während sie im bräutlichen Schmuck vor dem Altar stand, um dem Geliebten mit leuchtenden Augen ewige Treue zu geloben.

Und Cleveland schwor es sich mit heiligem Eide zu, daß er sie nie mit einem Wort oder Blick irgend wie kränken wollte, im Gegenteil, daß es sein einziges Streben sein sollte, sie eben so zu beglücken, wie sie ihn beglückte.

Niemand hatte es versucht, auch nur ein Wort gegen ihre Verbindung einzu­wenden. Mr. Egerton verlangte jetzt nicht mehr danach, daß seine Tochter eine glänzende Partie machen sollte. Ueberdies war Natalie selbst eine reiche Erbin, denn die Hälfte der von Lionel in dem unterirdischen Gewölbe aufgefundenen Schätze fiel ihr zu. Es war also keine Notwendigkeit mehr für sie vorhanden, einen reichen Mann zu heiraten.

Lionel wartete nur die Hochzeit seiner Schwester ab; gleich nach derselben verabschiedete er sich von Kings-Dene und schloß sich einer Expedition von Afrika­reisenden an, bemüht, in dem gefahrvollen, abenteuerlichen Leben des Forschers das heiße Sehnen seines Herzens nach einem unerreichbaren Glück niederzukämpfen. Er war etwa zwei Jahre fortgewesen, als andauernde Kränklichkeit ihn zwang, nach Europa zurückzukehren, und da er nun einmal dem Heimatlichen Boden so nahe war, ging er nach Kings-Dene, wo er bei seinem Vater auch Natalie und deren Gatten wiedersah.

Zwei Jahre und acht Monate sind dahingegangen und der goldene Sonnen­schein eines Maitages liegt auf Lynwood-Hall und dessen im vollsün Blütenschmuck prangenden Gärten; er beglänzt auch den vollen Wipfel eines Wallnußbaumes, unter welchem auf einer Gartenbank die junge Herrin von Lynwood-Hall sitzt, ihren zweijährigen, kleinen Sohn Ralph bewachend, der zu ihren Füßen spielt.

Die vorübergegangenen Jahre haben keine Veränderung in Adrienne hervor­gebracht. Hold und schön und liebreizend ist sie noch immer; aber eine gewisse, ernste Würde hat sich dazugesellt; auf ihrem Gesicht liegt ein Ausdruck, der dem­selben sonst fremd war.

Es war Lionel, an den Adrienne dachte, als sie, unter dem Schatten des Nußbaumes sitzend, ihren Knaben bewachte. Sie wußte, daß er in Kings-Dene an­gekommen sei, aber er war noch nicht bei ihr gewesen.

Plötzlich fuhr sie hastig von ihrem Sitz auf, denn sie sah ihn über die Wiese auf ihn zukommen, gebräunt, noch etwas leidend in Folge der erst kürzlich über­standenen Krankheit, aber mit derselben vornehmen, ritterlichen Haltung, demselben mutigen, stolzen und furchtlosen Gesichtsausdruck von einst, der, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, auf sie einen so unauslöschlichen Eindruck gemacht hatte. Er trat auf sie zu, ergriff ihre Hand, und einen Augenblick lang standen sie sich Beide stumm gegenüber, mit der mächtigen Erregung kämpfend, die das Wiedersehen nach so langer Trennung in ihnen hervorrief.

Sind Sie froh, mich wiederzusehen?" fragte er endlich.

Ja, sehr, sehr froh, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich es bin!" erwiederte sie.

Seine Blicke fielen auf den kleinen Knaben; er nahm ihn auf den Arm und küßte ihn.

Das ist Ihr kleiner Sohn?"

Ja, ist er nicht ein prächtiger Junge?" rief sie, das Kind mit dem leuchten­den Blick stolzer Mutterliebe anschauend.

Lionel herzte das Kind eine Weile; dann kam seine Wärterin und trug den kleinen Erben fort. Lionel war mit Adrienne allein.

Sind Sie froh, wieder in der alten Heimat zu sein?" fragte sie, in der ihm wohlbekannten Weise mit einer Blume spielend, die sie im Gürtel trug.

Aus mehrfachen Gründen bin ich sehr froh darüber," versetzte er.Ich habe mich innig gefreut, meinen Vater wieverzusehen und Natalie"

O, wie geht es ihr?" unterbrach Adrienne ihn.

Ich danke Ihnen. Sie ist sehr glücklich und ihr Gatte wird täglich be­rühmter und bedeutender in seiner Kunst; er wird sich einen großen Namen machen. Aber Sie ließen mich meinen letzten Satz nicht vollenden," fügte er hinzu,ich wollte sagen, daß ich mich auch sehr freute, Sie wiederzusehen."

Leichte Röte überflutete ihre blaffen Wangen.

Sie haben mich also in der Fremde, in dem neuen, wechselvollen Leben nicht vergessen?"

Sie vergessen? Nein, das wäre einfach unmöglich gewesen. Im Gegenteil, Sie beherrschten meine Gedanken bei Tag und bei Nacht, meine Erinnerung weilte bei Ihnen im Wachen, wie im Traume. Glauben Sie mir das, Adrienne?"

,.O," versetzte sie,ich könnte Nichts bezweifeln, was Sie mir sagen."

Und haben Sie zuweilen auch an mich gedacht?"

Ja, sehr oft!"

Er ergriff ihre Hand und hielt sie trotz ihres leichten Widerstrebens fest.

Während ich in der Ferne weilte, wenigstens während des letzten Jahres, schwebte mir beständig das Bild einer Möglichkeit vor, die mir zu hoch erschien, um sich jemals verwirklichen zu können," fuhr er in leisem, ernstem Tone fort.Ich konnte dennoch dieses Bild nicht aus meinen Gedanken verbannen, wie sehr ich mich auch anfänglich bemühte; aber als mein Körper anfing, dem Einfluß des mörderischen Klimas zu unterliegen, da faßte ich den Entschluß, nach Hause zurückzukehren und mein Geschick auf die Probe zu stellen, um entweder namenlos glücklich oder grenzenlos elend zu werden. Adrienne, können Sie erraten, was ich meine?"

Sie antwortete nicht, aber in jähem Wechsel jagten sich Röte und Bläffe auf ihren Wangen und ihre Hand zitterte heftig in der seinen.

Adrienne, ich liebe Sie, ich habe Sie seit Jahren geliebt," fuhr er fort. Ja, selbst, als es noch eine Sünde war, es zu thun, liebte ich Sie, und das war der Grund, weshalb ich'nach Afrika ging; ich wollte Sie nie Wiedersehen, um meine Leidenschaft nicht immer aufs Neue zu entflammen. Aber jetzt ist es keine Sünde mehr, Sie zu lieben. Sir Ralph selbst würde meine Werbung gut heißen, wenn er uns sehen könnte, denn Ihr Glück war ihm über Alles teuer, und ich weiß, daß ich Sie glücklich machen könnte, wenn Sie meine Gattin würden!"

Ja," antwortete sie leise,vor seinem Tode sagte er mir, daß es sein Wunsch sei, daß ich mich wieder verheiraten solle, und daß es ihm am liebsten wäre, wenn Sie mein Gatte würden!"

Und Sie," rief Lionel aus,was antworten Sie mir jetzt?"

Ich glaube, ich muß Sie immer geliebt haben," erwiederte sie einfach. Damals habe ich es nicht gewußt, aber mir ist jetzt, als hätte ich Sie immer als den besten Teil meines Lebens betrachtet!"

Und Lionel schloß sie in stummer Seligkeit in seine Arme und bedeckte ihren Mund mit heißen Küssen.

* *

->«

Unsere Geschichte ist zu Ende; von den übrigen Personen ist nicht mehr viel zu

sagen.

Jsabella Farquhar ist noch immer unverheiratet und erklärt auch, daß sie es bleiben wird; sie führt ein glänzendes Leben, denn sie hat das ganze riesige Ver­mögen ihres Bruders geerbt; aber trotz alles Glanzes ist sie innerlich doch unglücklich und rastlos, denn der Mann ihres Herzens ist der glückliche Gatte einer Andern und für sie aus immer verloren.

Es ist nie offenbar geworden, daß Otto es gewesen war, der Lionel und Adrienne in den unterirdischen Gang eingesperrt hatte; aber Lionel und Adrienne sind von seiner Schuld in dieser Richtung fest überzeugt, obwohl sie öffentlich nie Etwas davon erwähnten. Die Glückseligkeit Adrienne's und Lionel's oder Natalie's und Hugh's zu schildern versuchen, wäre ein vergebliches Beginnen.

Die beiden Letzteren leben in London, wo Hugh fleißig arbeitet, angeeifert von seiner schönen Gattin, die für ihn ehrgeizig ist und sich täglich mehr selig preist, die Seine geworden zu sein.

Otto Lynwood führt auf dem Festland ein unstätes, abenteuerliches Leben und verfällt sittlich mehr und mehr; sein Verkommen ist die beste Strafe für all die Unbill, die er Adrienne einst zugefügt hat.

Lucy Weston hat ihren Kousin Joe geheiratet, und sie haben Joyce's Kind als ihr eigenes adoptiert. Sie sind sehr glücklich und gedenken gar oft mit dieser Wehmut der Unglücklichen, die einst der Stolz und die Freude der Familie gewesen ist, und die ein Jahr, nachdem sie für ihr meuchlerisches Verbrechen verurteilt worden war, im Gefängnis starb.

Adrienne zieht es vor, beständig auf dem Lande zu Leben und nur von Zeit zu Zeit für einige Wochen in die Stadt zu gehen, und Lionel widmete sich ausschließ­lich seinen Pflichten als Gutsherr, denn sein Vater hat ihm jetzt, nachdem alle Schulden bezahlt waren, die Verwaltung von Kings-Dene vollständig übergeben, und er muß auch die Lynwood-Güter verwüsten für den jungen Erben, der immer prächtiger heranblüht und die Liebe seiner Mutter mit einem reizenden, kleinen Schwesterchen teilt, das eines Tages angekommen ist.

Sie leben abwechselnd in Kings-Dene und Lynwood-Hall, unbeschreiblich in ihrer gegenseitigen Liebe und Hingebung, ein Segen für die ganze Grafschaft. Nach harten Kämpfen sind auch Sie eingegangen zum Hafen des Glückes, eines Glückes, das sie sich unter schweren Prüfungen erkaufen mußten.

Denken wir nur der Gegenwart!" spricht Lionel, Adrienne, die hingebend zu ihm aufblickt, voller Innigkeit an sein Herz schließend.Weßhalb sollten wir beim Hellen Leuchten der Sonne uns der finstern Nacht erinnern? Die Vergangenheit ist dahin, vergessen wir sic! Sei und bleibe sie für uns ein Labyrint verschlungener Fäden!"

Ende.