82. Jahrgang.
Auflage 2800.
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Bei dem evmgelisch-Ioziale» Kongreß iu Deffm»
sprach Prof. Dr. Ernst Fraucke (Berlin) über die gemeinnützige Rechtsauskunft. Er erinnerte an die lluterndung, die der frühere Reichstagsabgeordnete für Dessau Röficke mit dem Ka ser halte, wobei der Kaiser erklärt hatte, es komme vor allem darauf au, daß die Arbeiter die Gleichberechtigung erhalten. In den Erlassen der 90er Jahre, den sogenannten Arbeiter-Erlassen kommt der Kaiser auf den Anspruch der Gleichberechtigung zurück. In der letzten Zeit find in etuec Reihe von Gewerben Tarifverträge abgeschlossen worden, aber im Bergbau und in der Textilindustrie ist das «cch nicht zu erreichen gewesen. Und ein Vertreter der Textilindustrie har ausdrücklich erklärt: Niemals werden wir den Arbeitern Gleichberechtigung zugestehen. Hier wird cs noch schwere Kämpfe geben. Das Koalitionsrecht ist den Arbeitern ein Heiligtum. Heute hat eS aber noch Mängel in bezug auf die Gleichberechtigung. An das böse Wort von der Klassenjustiz glaube ich nicht. Es ist das schlimmste Hrtzwort das man sich denken kann. Aber zwischen dem Denken und dem Fühlen unserer Richter und weiten Kreisen unseres Volkes ist eine weite Kluft vorhanden. Die Flut der Gesetze in den letzten 20 Jahren läßt es unmöglich erscheinen, daß die große Maste sich damit beschäftigen kann. Es war deshalb die Gründung von Rechtsauskunftsstellen geboten. Gewerkschaften und Frauen- Bereinigungeu haben sich darum bemüht. Die Zahl solcher Luskuuftsstellen war im Jahre 1907 schon recht erheblich. Die freien Gewerkschaften hatten 460000 solcher Stellen gegründet, die christlichen Gewerkschaften 240000. Es ist erforderlich, daß diese Auskunftsstelleu sich zu einem ersprießlichen Zusammenwirken zusammeufiridev. Der Redner schildert die Praxis bet der Einrichtung derartiger Institute, die Heranziehung der Letter und deren Arbeitsgebiet. Erfreulicherweise sei auch die Animosität der Rechtsanwälte gegen die Rechtsauskunftsstellen geschwunden. Gegner seien nur «och die Rechtskonsulenten, die die Leute zu Prozessen verführen und dann Kostenrechnungen iu ungeheurer Höhe rücksichtslos eiutreiben. Das große Ziel, das verfolgt werden muß, ist das, durch die Rechtsauskünfte die soziale Kluft mit Überdrücken zu helfen. Bisher konnte der Arme, weil er arm war und der Unwissende, weil er unwissend war. sein Recht nicht finden. Wie wollen diesen Notstand befestigen oder wenigstens mildern. Wir hoffen, daß wir damit zur sozialen Versöhnung beitragen. Es ist vielleicht eine langwierige und schwere Arbeit, aber eS ist unsere Wicht sie zu tun. Denn Gerechtigkeit erhöht ein Volk. (Lebh. Beifall.) 8. u. S.
UoMifch- Hleberstcht.
Ueber de« Pla« der Reich-fiuauzref»rm find auf dem Umweg über ein ausländisches Blatt die ersten authentischen Mittelungen in die Oeffentlichkcit gelangt. Reichsschatzftkretär Sydow und Unteistaatssekretäre Twele
Samstag den 13. Juni
haben sich dem Berliner Korrespondenten des Pariser „Temps" auvertraut Md ihm kurz folgendes verraten: Der aufzubringende Steuer-Mehrbetrag beläuft sich auf 400 Millionen Mark jährlich. Als Quellen für die neuen Steuern stad Bier, Spiritus, Tabak und Erbschaften in Aussicht genommen. In welchen Formen die Mehrbeträge aus den genannten Genußartikeln erzielt werden sollen, also das Wichtigste, hat der Schatzsekretär noch nicht verraten. Nur das eine hat er gesagt, daß an kein Monopol gedacht wird. Außerdem soll bestimmt eine Abänderung des Systems der Mateikalarbeiträge herbeigesührt werden und zwar zu dem ausgesprochenen Zweck, auf diese Weise dem Verlangen entgegenzukommen, daß zur Deckung der Reichsbedürfniffe die SInzelstaaten zu einer Erhöhung ihrer direkten Steuern zurückgre.fea müssen. Die Matrtkalarbei- träge sollen nicht mehr nur nach der Kopfzahl der Bevölkerung, sondern nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Bundesstaaten berechnet werden. Der Unterschied zwischen fester und gestundeten Matrikularbeiträgen soll Wegfällen; die Summe der MatrikularbeitrLge soll, um Sicherheit in die Budgets der Eiuzelstaaten zu bringen, auf einen bestimmten Zeitraum, etwa von drei zu drei Jahren, festgelrgt werden und sie sollen sich, wenn die Bedürfnisse des Reiches steigen, natürlich auch von drei zu drei Jahren erhöhen. Was geschehen soll, wenn die eigenen Einnahmen des Reiches und die fixierten Matrikularbeiträge zur Balaüzie- ruag des Etats nicht genügen, wird nicht gesagt, man muß aber annchmeu, daß für solche Mehrbedürfniste dann das Reich die Einnahmen zu beschaffen hätte.
Dem schweizerische« Bnndesrat ist die Antwort der deutschen Regierung betreffend die Mehlausfuhr zu gestellt worden. Sie HM an dem Standpunkt fest, die gewählte Zollrückvergütung bilde k ine Ausfuhrprämie, macht aber zugleich die Anregung, die Streitfrage durch ein Schiedsgericht eatscheiden zu lassen. — Im Natioualrat wurde ein Antrag gestellt, wonach der Bundesrat prüfen soll, ob nicht dem Bund das aurschlirßliche Recht zu übertragen sei, die zur Brotversoraung des Landes dienenden Getretdearten und Mehl einzusühren.
I» der Wahr»««d-Augeleze»heit hat das juridische Profefforen-Kollegium d:r Innsbrucker Universität eine Beratung abgehalteu, iu der sich das Nachgebeu Wahr- muuds bestätigte. Professor Wahrmund erklärte, er füge sich der Anordnung des Unterrichtsministeriums betreffend den Wegfall der Seminarübungen und der Vorlesungen über das Ehrrecht, halte jedoch prinzipiell an dem Standpunkt fest, daß er berechtigt wäre, diese Vorträge zu halten. Die juridische Fakultät stimme dieser Anschauung zu und richtete eine motivierte Vorstellung an das Unterrichtsministerium gegen dessen Entscheidung. Die freiheitliche Studentenschaft ist mit dieser Art der Beilegung des Konfliktes in keiner Weise einverstanden. Ihr Bertrauenskomitee beschloß, daß nicht nur der Streik fortdauern soll, sondern daß noch weitere Schritte von der Studentenschaft getan werden sollen, um die Freiheit der Universitäten nicht durch das Nachgeben des Professors Wahrmund beeinträchtigen zu lassen. Im gleichen Sinn wurde in Wien beschlossen.
1S08
Rach Meldungen an- Mar»kko haben die aus
dem Innern zurückgezogenen Truppen in Casablanca einen feierlichen Einzug gehalten, dem auch die deutsche Kolonie offiziell beiwohnte. Auffällig ist eS, daß die Rückkehrdtt Truppen gerade iu dem Augenblick erfolgt, iu dem Mulay Hafid Fez errreicht hat. Ausfällig ist ferner, daß sich erst diese beiden Ereignisse vollzogen, bevor das Ministerium i« Paris an die Beantwortung der neuen Interpellation wegen Marokko denkt, die doch schon iu der vorvorigen Woche iu der Deputierteukammer zur Erörterung kommen sollte.
Die Disziplin t« der amerikanische» Flotte scheint nicht die allerbeste zu sein. Wie der Daily Mail aus Newhork gemeldet wird, stad «ehr als tausend Manu von der amerikanischen Flotte fett deren Ankunft iu de« kalifornischen Gewässern desertiert.
P>rli»e»t«rlschi Rkchrichtru.
WArttemkergischer Landtag.
Stuttgart, 11. Juni.
Interpellation Rembold-Aaleu, Lieschiug, Keil, Schrempf:
1. Ist dem Herrn Ministerpräsidenten bekannt, daß der „Schwäb. Merkur" iu seiner heutigen Mittagsausgabe (5. Juni) das Wesentlichste der neuen Schulgesetznovelle, die erst heute der Zweiten Kammer zugegangeu ist. veröffentlicht? 2. Ist dem Herrn Ministerpräsidenten bekamt, wie der „Schwäb. Merkur" in der Lage war, die Veröffentlichung vorzunehmen? 3. Welche Maßnahmen gedenkt der Herr Ministerpräsident zu unternehmen, um derartige Veröffentlichungen iu Zukunft zu verhindern?
Zur Begründung der Anfrage erhält das Wort Rembold-Aaleu (Ztr.)
Ministerpräsident v. Weizsäcker: Die erste und einzige amtliche Veröffentlichung des Textes der bei der Kammer eiugebrachten Gesrtzesoovelle ist in der am 5. Juni zur Ausgabe gelaugten Nummer des StaatsanzeigerS enthalten. Der Schwäb. Merkur hat deu Wortlaut des Entwurfs erst in der Abenduummer gebracht, während verschiedene andere Blätter schon am Mittag gleichzeitig mit de« Staatsanzeiger mehr oder weniger vollständige Auszüge aus dem Gesetz veröffentlicht haben. Wohl hat aber der Schwäb. Merkur die leitenden Grundzüge des Gesetzentwurfs veröffentlichen können, die fich im wesentlichen, nicht aber de« Wortlaut nach, au die dem Entwurf beigegebeue allgemeine Begründung auschließt. Ich habe auf diese Veröffentlichung einen Einfluß irgend welcher Art nicht ausgeübt. Da eine Anzahl Blätter, zuerst die Frankfurter Zeitung, daun die Württemberger Zeitung und dam erst der Schwäb. Merkur bet dem Ministerium des Kirchen- und Schulwesens um eingehende Informierung über den Inhalt des Gesetzes vorstellig geworden find, glaubte fich das Ministerium diesem Ansuchen nicht entziehen zu sollen unter der Voraussetzung, daß die Bekanntgabe der Motive erst nach der Veröffentlichung des Gesetzentwurfes selbst erfolgen und daß kein Blatt davon ausgeschlossen werden soll. Demgemäß ist
Die weiße Nelke.
Kriminalroman von I. «anlkach.
(Fortsetzung.) (Nachdr. verb.)
In ergebenster Haltung, deu langen, dürren Oberkörper tief geneigt, so tief es die kruwmen, zur Form eines O gebogenen Beine erlaubten, empfing der Schuhmachermeister seinen feinen Besuch. Erst als August Fluth fich in dem seltsamen, nach Oel und Leder und Branntwein duftenden Raume befand, richtete fich der Mann wieder auf und schloß mit einer theatralischen Gebärde die Tür. wobei die Schöße seines schwrrzru, fettigen RockeS eine fliegende Bewegung machten. Daun rief er dem tu der Ecke arbeitenden Lehr- jungen zu:
„Such' einen Stuhl, Sottlieb, — gib deu her, deu dreibreintgen."
Der Knabe mit dem ausgehungerten, schmalen Gesicht und den starren Haaren trug besagten Stuhl herbei und schlurfte dann wieder in seine Ecke zurück, wo er fich ge- horsam auf seinen Schemel uiederließ und an seinem Schuh forthämmerte.
Fluth gab fich Mühe, auf de« wackeligen Schemel fest- znfitzeo, indem er, um das Gleichgewicht herzustellen, deu Ellenbogen auf den Werktisch stützte, der die rechte Wand des niedrigen Raumes eiunah«. Durch die kleinen, hie und da verklebten Fensterscheiben drang nur trübe das Licht des nebligen Tages, und diese graue Beleuchtung verlieh dem Gemach etwas Melancholisches, das die beiden ver
hungerten Gestalten, die es bewohnten, noch erhöhten; denn auch die Erscheinung des Schusters bot, trotz der unfreiwilligen Komik, ein Bild ergreifender Dürftigkeit. Mit eigentümlich tänzelnden Schritten kam er jetzt auf Fluth zu und stellte fich vor diesen hin. Wieder kämpfte der Detektiv mit einer unwiderstehlichen Lachlust, als die schtefbeinige Gestalt iu dem kurzärmeligen Rocke uod deu engen Hosen vor ihm stand. Und noch ehe der Gast mit einer Frage beginnen konnte, schob der Schuster mit einer unbeschreiblich elastischen Bewegung de? Armes einen Haufen Leder und Nägel beiseite und hüpfte mit graziöse« Sprunge auf die Ttschkaute, dicht neben einen blechernen Leimtopf. Nun sah er mit seinen intelligenten Augen zu dem jungen Manne hin und fragte;
„Was verschafft mir die Ehre? Wünschen Sie Knopf- stiefel, - Zngstiefel, - Glaccsttefel-"
„Hören Sie auf mit Ihren Stiefeln, Alter, von denen will ich heute nichts wissen."
Das knochige Gesicht des Mannes bekam einen so schwermütigen Zug bei dieser Antwort, daß Fluth Mitleid fühlte.
„Na, der Auftrag, oder vielmehr — das Anliegen, das ich an Sie habe/' sagte der Detektiv tröstend, „soll Ihnen viel vorteilhafter sein, als wenn ich ein paar Stiefel bei Ihnen bestellt hätte."
Der graue Kopf des Alten hob fich iu die Höhe, so hoch, daß der dürre Hals fich zu verlängern schien. Er legte die Hand auf die Brast und rief mit Ekstase:
„O, gnädiger Herr, — gnädiger Herr, — wer hat Sie zu mir geschickt?"
„DaS sollen Sie alles erfahren," erwiderte Fluth, doch das Lachen war ihm vergangen bei dem Tone, indem der Schuster jene Morste auSrief.
„Gnädiger Herr," fuhr der Alle fort, —'„ich darf wohl sagen, — viel Freude hat es ja nicht gegeben für »ich — im Leben; aber undankbar, — das bin ich nie gewesen, wenn 'mal so 'u ganz kleines bischen Aufheiterung gekommen ist, — so wie heute. Und, — gnädiger Herr, die kam immer gerade noch zur rechten Zeit, — immer, wenn ich mir gesagt hatte: .Hieronymus, schicke Gottliebeu 'weg und geh' selber iu die Wisse!'"
„Aber Alter!" rief Fluth, dem dies rührende Geständnis des Unglücks nahe ging; „haben Sie denn keine Söhne oder Töchter, bet denen Sie Ihre Tage friedlich beschließen könnten?"
Ueber das welke Gesicht des alten Schusters ging ein betrübtes Lächeln. Er streckte die gefalteten Hände wie beschwörend gegen den Detektiv aus und erwiderte:
„Meine Tochter, — die ist an einen BolkSschnllehrer in der Nähe von Dresden verheiratet; da find viele Kinder und wenig Geld, — da möcht' ich nicht zur Last fallen. Meine Söhne —" hier zitterte deS Schusters Stimme. — „zwei hatt' ich, gnädiger Herr. Und als nun meine Fra» starb, da wollt' ich für die Söhne allein leben, — alles für die Söhne, so dacht' ich; und ich hoffte, daß ich'malmst» eigenes kleines Schuhgeschäft haben könnte. Aber das kam nun anders; mau soll fich nie etwas im Kopse zorechtmachrn,