Beilage zumCalwer Wochenblatt"

Nro. 42.

Btuilleto«.

Jerschtungme Iädm.

Roman aus dem Englischen von Hermine Franken st ein.

(Fortsetzung.)

Dann muß Jemand das, was übrig blieb, jeden Abend ausgegossen haben."

Der Baronet nickte zustimmend.

Sie begreifen, aus welchem Grunde das geschah?" fuhr Dr. Seavort fort.

Ich denke, es geschah, um zu verhindern, daß Jemand anders als ich die vergiftete Limonade trinken sollte."

Vielleicht auch, um zu verhindern, daß ein Ueberbleibsel untersucht werden könne. Jetzt, da es klar scheint, daß das Gift nur hinein gcthan wurde, damit Sie es trinken sollten, ist die nächste Frage, die nach dem Beweggrund. Haben Sie Jemanden von Ihren Dienern beleidigt?"

Meines Wissens nicht, ja, ich glaube, dies mit Bestimmtheit verneinen zu können, denn ich habe durchwegs alte, vertraute Diener, die seit vielen Jahren in meiner Familie angestellt und mir und meinen Interessen sehr ergeben sind."

Sie haben keine Gäste im Hause?"

Niemanden, mit Ausnahme meines Neffen Otto."

Dann sind er und Lady Lynwood die einzigen Personen, die Zutritt in Ihr Studierzimmer haben, wenn wir die Dienerschaft ausnehmen?"

Der Baronet nickte bejahend; er war nicht fähig, zu sprechen.

Dr. Seaport ergriff seine Hand und drückte dieselbe voll inniger Teilnahme.

Glauben Sie mir, Sir Ralph, daß es mir von ganzem Herzen leid thut um Sie," sagte er in warmem, treuherzigem Tone,aber die Wahrheit muß erforscht werden. Verzeihen Sie darum meine Frage, ich weiß, sie ist sehr delikater Natur, hatten Sie vielleicht einen Streit mit Lady Lynwood?"

Nein; es wurde Niemals auch nur ein hartes Wort zwischen uns gewechselt."

Ich freue mich, das zu hören. Und wie stehen Sie mit Ihrem Neffen?"

In jeder Hinsicht gut."

Er ist Ihr Erbe, nicht wahr?"

Ja; er erbt den Titel, aber nicht die Güter, über welche ich ein freies Ver­fügungsrecht habe."

Auf wen würden dieselben übergehen, wenn Sie im gegenwärtigen Augen­blick stürben?"

Auf meinen Neffen Otto, denn ich habe seit meiner Heirat noch kein neues Testament gemacht, und wie Sie wissen, macht eine Heirat alle früher getroffenen Verfügungen ungültig."

Dann ist Ihr Neffe bei Ihrem Tode am meisten interessiert?"

Unter den bestehenden Umständen, ja; aber ich habe ihm gesagt, daß ich meine Frau zu meiner Universalerbin machen will."

Dr. Seaport furchte die Stirn; er fühlte sich einem Rätsel gegenübergestellt.

Lady Lynwood in ihrer holden, unschuldsvollen Schönheit erschien ihm von einem Verbrechen so fern, wir der Himmel von der Hölle, und dennoch, wie oft verbirgt sich unter der schönsten Hülle die schwärzeste Seele!

Wahrlich, das bloße Aussehen genügt nicht, um Schlüffe zu ziehen.

Nichtsdestoweniger erschien es ihm viel wahrscheinlicher, daß Otto Lynwood der Verbrecher sei, well er aus dem Hinscheiden Sir Ralph's den meisten Vorteil ziehen mußte.

Ich möchte Sie bitten," sagte er nach einer Pause,in Ihren Gedanken die Ereignisse der letzten Wochen durchzunehmen. Wenn ein Umstand auch noch so ge­ringfügig ist, bedenken Sie, welche Kleinigkeiten oft in den wichtigsten Dingen die Entscheidung herbeiführen."

Der Baronet schüttelte langsam den Kopf, dann zuckte er, wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, zusammen und dunkle Nöte stieg ihm ins Gesicht. Er dachte an jenen Morgen, als er gesehen hatte, wie Adrienne heimlich Etwas in seine Limonade mischte; er entsann sich ihrer Verwirrung, als er sie dabei überrascht hatte.

So geringfügig ihm der Umstand damals erschienen war, jetzt konnte demselben nur eine schreckliche Bedeutung beigelegt werden.

Doktor Seaport, welcher ihn beobachtete, sah sofort die Veränderung, die in seinen Zügen vorging.

Ich sehe, es ist Ihnen Etwas eingefallen," sagte er.Darf ich Sie fragen, was es ist?"

Nichts, Nichts!" rief der Baronet hastig aus.Ich hatte nur eine Idee, aber ich kann dieselbe nicht aussprechen!"

Der Doktor zuckte die Achseln.

Es geschieht nur um Ihretwillen, Sir Ralph, daß ich mich bemühe, Licht in die Sache zu bringen," sagte er,natürlich wenn Sie nicht geneigt sind, mir zu HAfen, muß ich meine Forschungen aufgeben."

Anstatt zu antworten, stöhnte der Baronet laut auf, lehnte sich in seinen

Stuhl zurück und schlug beide Hände mit verzweiflungsvollcr Geberde vor sein Ge­

sicht. Schmach und Kummer starrten ihm entgegen, wohin immer er schauen mochte, und sie schienen chm von denen angethan zu werden, die seinem Herzen am nächsten standen.

Plötzlich schaute er mit entschlossenem Gesichtsausdruck auf.

Wir wollen nicht weiter über die Sache sprechen, bis meine Frau und mein Neffe nach Hause gekommen sind!" rief er aus.Sobald sie aber zurückkehren,

wolle- wir ihnen den Stand der Dinge klar legen und hören, was sie dazu zu

sagen haben; dann werden wir unsere Nachforschungen leichter fortsetzen könnm."

Wie Sie wollen, Sir Ralph. ES ist an Ihnen, nicht an mir, zu entscheiden,

wie vorgegangen werden soll; obgleich ich mit Ihrer Handlungsweise nicht ganz einverstanden bin, so will ich dieselbe doch in keiner Hinsicht beeinflussen!"

Und so blieben die beiden Männer, angstvoll wartend, neben einander sitzen, gerade so, wie jene Vier in Kings-Dene warteten.

Wahrlich, es war eine ereignisreiche Nacht für die Lynwoods und die Egertons!

33. Kapitel.

Immer dunkler wurde es draußen. Natalie Egerton saß unbeweglich in der Fensternische und schaute hinaus, während sie mit gespannter Aufmerksamkeit horchte, ob nicht Schritte hörbar würden, nicht die ihres Bräutigams, sondern Lionel's und Lady Lynwood's.

Was kann aus ihnen geworden, wohin können sie gegangen sein?" fragte sie sich immer wieder.

Plötzlich fuhr ein Wagen die Allee herauf und blieb am Ende der Terrasse stehen. Es war die Equipage, die aus Lynwood-Hall kam, um Otto und Adrienne abzuholen. Man befahl, daß der Wagen warten solle; dann stand Natalie auf und trat zu den Anderen, wobei der Helle Lichtschein auf sie fiel.

Wie bleich Sie sind!" rief Jsabella aus, ihr scharf ins Gesicht schauend. Was ist Ihnen?"

Nichts! Mir ist es nur ein Rätsel, was aus den Drei geworden sein kann."

Ich bin mehr als neugierig, ich bin Gilbert's halber in hohem Grade un­ruhig," sagte Jsabella, aufstehend und im Zimmer auf- und abgehend.Es scheint mir ganz unbegreiflich und sonderbar, daß er an diesem Abend so lange fern bleibt. Ich fürchte, es ist ihm Etwas geschehen!"

Meine liebe Miß Farquhar, Sie regen sich ohne Ursache aus," warf der Squire beruhigend ein.Was könnte Ihrem Bruder geschehen sein?"

Es kann ihn ein Unfall betroffen haben. Ich kann den Schuß, den wir hörten und der ganz in der Nähe fiel, nicht vergessen!"

Das waren höchst wahrscheinlich Wilddiebe," begann Dir. Egerton, aber sie unterbrach ihn verächtlich:

Wilddiebe wagen sich nicht so weit vor in Privatanlagen; auch fangen sie gewöhnlich erst später in der Nacht zu wildern an- Daß es Ihr Sohn gewesen sei, der seine Flinte abschoß, wie Sie meinten, ist auch nicht anzunehmen, da wir jetzt wissen, daß er um jene Zeit schon mit Lady Lynwood außer dem Hause war. Ich werde hinausgehen und Gilbert suchen, denn es ist mir ganz unmöglich, länger hier ruhig zu sitzen und auf ihn zu warten."

Es ist doch nicht gar so lange her, seit ich ihn verließ," sagte Natalie, gleich­falls lediglich, um sie zu beruhigen.

Jsabella warf ihr einen Zornesblick zu.

Offenbar sind Sie seinethalben nicht ängstlich; ich aber habe ihn lieb und so kann man sich nicht wundern, wenn ich um ihn in Sorge bin," rief sie aus, und ohne eine Antwort auf diesen Heftigkeitsausbruch abzuwarten, eilte sie in die Halle hinaus, nahm einen langen Mantel, in den sie sich hüllte, und ging auf die Terrasse hinaus, wohin ihr Mr. Egerton folgte, der es als Hausherr für seine Pflicht hielt, sie zu begleiten.

Es war jetzt Heller, als vor einer halben Stunde; einige Sterne flimmerten am nächtlichen Himmel und der ausgehende Mond kämpfte sich durch leichtes Ge­wölk hindurch.

Ich werde in das Gehölz gehen," erklärte Jsabella, die sich in einer unbe­schreiblichen Auflegung befand.Gilbert muß noch dort sein; wir hätten ihn sonst schon sehen müssen."

Mr. Egerton versuchte nicht, diese ihre Idee zu bekämpfen, da er glaubte, die beste Art, sie zu beruhigen, sei, ihrer sonderbaren Laune zu entsprechen.

Wenn Sie einen Augenblick warten wollen, so werde ich eine Laterne holen," sagte er,obgleich es hier leidlich hell ist, wird es doch unter den Bäumen gänzlich finster sein."

Aber Jsabella's Ungeduld wollte nicht einmal diesen kleinen Verzug gestatten

Nehmen wir eine von diesen Wagenlampen," sagte sie, auf die Equipage zueilend, die auf Adrienne und Otto wartete.

Sie führte ihren Vorsatz sogleich aus und mit der Laterne bewaffnet, begaben sie und Mr. Egerton sich nach dem Gitterpförtchen, an welchem sie Natalie getroffen hatten, und traten in das Gehölz ein, wo sie jedoch der herrschenden Finsternis halber nur langsam vorwärts kamen.

Der Squire war der Ansicht, daß ihr Suchen völlig nutzlos sei, aber Jsabella brachte den Schuß, den sie gehört hatte, mit ihrem Bruder in Verbindung und war von einer unbestimmten, unbeschreiblichen Angst erfüllt.

Tiefe Stille herrschte rings umher; nur hie und da ertönte der schrille Ruf eines Nachtvogels. Nachdem sie eine Weile vergeblich gesucht hatten, stieß Jsabella plötzlich ein schmerzliches Stöhnen aus.

Was ist Ihnen?" fragte Mr. Egerton.

Ich kann es selbst nicht erklären, aber ich habe das Gefühl, als ob etwas Schreckliches geschehen sollte."

Sie sind nervös und aufgeregt, meine Liebe," erwiederte der Squire, be­schwichtigend;morgen früh werden Sie über Ihre Befürchtungen, sobald das Tageslicht sie zerstreut hat, lachen."

Ich hoffe es, aber ich kann es nicht glauben."

Sie schritten langsam weiter und gelangten endlich an die kleine Brücke, an welcher Natalie und Farquhar sich getrennt hatten. Sie blieben dort stehen; das Gehölz war daselbst weniger dicht und ließ um die Brücke herum einen offmen Platz.

Fast unheimlich war der Anblick, den Jsabella bot, während sie sich zu Boden neigte und spähend mit ihrer Laterne auf eine Stelle leuchtete.

(Fortsetzung folgt.)