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Stuttgart. Karnevalistisches. Auch in unserer Stadt hat Prinz Karneval nunmehr sein Zelt aufgeschlagen, und wer da glaubt, eine echte Karnevalsitzung sei nur am Rhein möglich, der wurde am Montag abend eines anderen belehrt. Der allgemeine Verein der Karnevalsfreunde hielt nämlich an diesem Abend im Saale der Germania seine erste Sitzung ab, und müssen wir gestehen, daß es eine Sitzung war, welche uns überrascht hat. Echt karnevalistische Reden wechselten in bunter Reihe mit launigen Liedern ab und wußte der Präsident alles zu einem hübschen Strauß zusammen zu binden. Freunden echten Humors können wir diese Sitzungen, welche jeden Montag abend in der Germania abgehalten werden, auf das angelegentlichste empfehlen. Württ. Ldsztg.
HeiIbronn, 22. Jan. abends. Stichwahl-Ergebnis: Wahlberechtigte 4398, Abstimmende 3852. Gemeinderat Wagner 2084, Dr. Lipp 1768 St. Wagner somit mit 316 St. Mehrheit gewählt. Bei der ersten Wahl erhielt bei 3303 Abstimmenden Lipp 1437, Wagner 1047, Schott 817 St. — Dr. Lipp hatte am 21. die Urkunde als württ. Staatsbürger zugestellt erhalten.
Eßlingen, 22. Jan. Bei der heutigen Stichwahl erhielt Brauereidirektor Brodbeck 2975, Fabikant Richard Merkel 2916 Stimmen und ist also Brotbeck mit einer ganz geringen Mehrheit gewählt.
Hall, 22. Jan. Feuchter erhielt 1983, Haigold 2588 Stimmen. Haigold ist also gewählt.
— Dem Frkf. I. wird aus Stuttgart geschrieben: Die vier Stichwahlen, welche gestern und vorgestern zum Landtag in Besigheim, Eß- trugen, Hall und Heilbronn-Amt vorgenommen wurden, haben mit dem Siege der Kandidaten Becher, Brodbeck, Haigold und Wagner geendigt. Von diesen gehören Becher und Brodbeck der linken, Haigold der Volkspartei und Wagner der Deutschen Partei an; der famose Dr. Lipp ist letzterem mit 1700 gegen 2000 Stimmen unterlegen. Becher ist, da er seit Jahren ganz besonders maßvoll aufgetreten ist, von der großen Mehrzahl der Deutschen Partei seines Bezirks gewählt worden, welche ihn dem Oekonomen Essich vorzog, welcher durch die Betreibung schwäbischer Kolonisation in Posen sich einen Namen gemacht hat. Das Verhalten der Deutschen Partei Besigheims findet freilich scharfen Tadel, da Essich der Partei selbst angehört; aber es scheinen hier auch persönliche Stimmungen mitgewirkt zu haben. Der alte Reichsregent von 1849 wird indessen von der Demokratie, seit er einmal em Hoch auf Bismarck ausgebracht hat, als halber Fahnenflüchtling beargwöhnt, und es unterliegt keinem Zweifel, daß von seinen 2600 Stimmen der kleinste Teil von der Demokratie herstammt. Von den vier Bezirken, welche jetzt auch der Wahl und Qual enthoben sind, gehörten bisher drei der Linken bezw. Volkspartei an, einer der Deutschen Partei; so wird es auch künftig sein, da die Deutsche Partei Heilbronn-Amt eroberte, aber Eßlingen verlor; geändert wird durch die Stichwahlen an den Parteiverhältnissen gegen früher gar nichts. Daß aber in Eßlingen der treffliche Gustav Merkel (mit nur 60 Stimmen!) nach heißem Kampfe unterlag, wird in allen nationalen Kreisen tief bedauert; ihn brachte das geschlossene Einstehen der Sozialisten für Brodbeck zu Falle.
Heidenheim, 23. Jan. Bei uns macht man die unangenehme Entdeckung, wenn man Mostfässer ansticht, daß das Getränke verdorben ist; es ist sauer, oder zäh, oder schwarz. Daran ist meistens schuld, daß viel Most aus unreifem Obst gewonnen wurde, daß überhaupt das Obst wenig Zuckelstoff (weil nur wenig Sonnenschein) hatte. Auch wurde viel Most in verdorbene alte Fässer gefüllt, der dann infolge dessen umstand. Ungeschickterweise haben auch Küfer Fässer mit denaturiertem Weingeist ausgebrannt und der üble Beigeschmack macht den Most ungenießbar. Das Obst im Keller fault massenhaft und zwar, wie die Zwiebel, von innen heraus. Die Kartoffelfäule greift ebenfalls im Keller weiter um sich, und so verspürt man noch manche Nachwehen des nassen Sommers.
Neckargartach, 21. Jan. Gestern wurde hier Flaschnermeister Müller beerdigt. Derselbe, im 40. Lebensjahre stehend, hinterläßt Frau und
6 Kinder. Vorige Woche war er in der chemischen Fabrik mit noch 3 anderen Arbeitern beschäftigt, die sog. Bleikammern zu reinigen. Durch das Einatmen der dabei aussteigenden Gase wurden sämtliche vier vergiftet. Drei davon liegen jetzt noch, teilweise schwer krank, darnieder. M. fühlte sich gleich sehr unwohl, konnte aber noch nach Hause gehen. Dort starb er aber nach einigen Stunden auf erschreckend rasche Weise.
Ebingen, 22. Jan. Gestern wurden zwei Bürger aus Streichen beim Amtsgericht Balingen eingeliefert, die den Schreiner Eppler von da in einer Wirtschaft niedergeschlagen hatten aus Anlaß eine« Streites über die Kandidatur Haußmanns. Es wird nun am Aufkommen EpplerS gezweifelt, da er zehn Kopfwunden und eine Verletzung am linken Bein erhielt. Ueber- dies erhielt er einen heftigen Schlag auf ein Auge, das eine bedeutende Geschwulst aufweist. _
Lahr, 23. Jan. Dekan Förderer wurde heute nachmittag von einem Handwerksburschen namens Ada ermordet. Der Mörder spricht irre und stellte sich selbst der Polizei. Derselbe ist heute morgen aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er wegen Umhertreibens 3 Tage gesessen hatte.
Wevrnifchtes.
Muster von Singstimmen per Post zu versenden ist nunmehr durch den Phonographen von Edison möglich geworden. Jüngst kam es vor, daß ein in New-Dork wohlbekannter Sopran dem Phonographen eine GefangSprobe mit Klavierbegleitung anvertraute, worauf das Instrument nach Chicago gesendet wurde. Dort nun reproduzierte — so berichtet die „Neue Musikzeitung" — der Phonograph lebensfrisch, nur einige wenige Schattierungen geringer als das Original war, das anvertraute Gesangsmuster. Früher schon versprach Edison, die Stimme unserer Tage für nachfolgende Generationen mittels seines Phonographen gleichsam auf Flaschen ziehen zu wollen, — nun ist's auch noch gelungen, daß Sänger und Sängerinnen Muster ihrer Stimme an Impresarios und Theateragenten versenden können.
Weltweisheit. Der große Tonmeister Hektor Berlioz lag im Sterben. Die Märzstürme des Jahres 1869 umbrausten seine Wohnung und klangen hinein in die Melodien, welche unaufhörlich in der Seele des hinsiechenden Künstlers ausstiegen. Lebhaft beschäftigte sich der Komponist, so erzählt die „Neue Mu s i k - Z e i t u n g" (Verlag von Carl Grüninger in Stuttgart), noch in den letzten Stunden mit dem Schicksal seiner Werke. Einer seiner Freunde versuchte ihn auf seine Klage mit den Worten zu trösten: „Geduld, Meister. Ihre Opern werden bald an die Reihe kommen; bemühen Sie sich nur, wieder gesund zu werden!" Da lächelte der Kranke schmerzlich und sagte trübe: „Ihr kennt die Welt nicht, Freund! Damit ich das bessere Schicksal meiner Kompositionen beschleunige, muß ich so rasch als möglich sterben; denn erst der Totenschein wird mein Einlaßbillet für unsere Opernhäuser werden!" Er sollte recht behalten.
Staudesamt Kak«».
Geboren:
17. Jan. Emil Friedrich, Sohn des Johann Georg Kappler, Kutschers.
16. „ Karl Jofef, Sohn des Franz Janssen, Steinbrechers.
18. . Emil Christian, Sohn des Georg Heldmaier, Pflasterers.
Gestorben:
19. Jan. Johann Heinrich Rühle, Kammacher, 74 Jahre alt.
20. „ Georg Steiner, Steinbrecher, 56 Jahre alt.
23. , Johann Christian Brenner, Mehgermeister, 82 Jahre alt.
24. „ Martin S e e ger, Schlosse r meister, 40 Jahre alt. _
Gottesdienste am Sonntag, den 27. Januar 1889.
Vom Turm: 3. Vormittagspredigt: Herr Helfer Eytel. 1 Uhr Christenlehre mit den Söhnen. 5 Uhr Bibelstunde im Vereinshaus: Herr Dekan Braun.
Gotteräienste ia äer Metboäistenstapekke am Sonntag, den 27. Januar 1889, morgens ValO Uhr, abends 5 Uhr.
In düsterem Hinbrüten verbrachte er seine Tage; er mied die Gesellschaft feiner Freunde, die sich die mit ihm vorgegangene Veränderung nicht zu erklären vermochten; er ließ Pinsel und Palette ruhen und wandelte stundenlang in den großen Gärten London's umher, die er um diese Zeit, zu welcher die vornehme Gesellschaft die Hauptstadt fast vollzählig verlassen hatte, immer nahezu leer fand.
Er hatte bisher nicht bemerkt, daß er auf diesen Wanderungen schon längere Zeit von einer Dame beobachtet wurde, denn er wandelte, völlig achtlos für Das, was um ihn her vorging, durch die Laubgänge.
Eines Tages jedoch wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich gewaltsam angezogen. Eine Dame kam ihm entgegen, welche, wie von einem Schwindelanfall ergriffen, hin- und herschwankte. Sie blieb eine Sekunde lang stehen, dann taumelte sie nach einer nahen Bank und setzte sich auf dieselbe.
Cleveland blieb einen Augenblick unentschlossen stehen, aber ein Blick in das leichenblasse Gesicht der Dame veranlaßte ihn, auf sie zuzutreten.
„Ist Ihnen nicht wohl?" fragte er höflich. Etwas in ihren Zügen erschien ihm ungemein bekannt, obgleich er sich nicht erinnern konnte, sie jemals zuvor gesehen zu haben.
Sie mochte ungefähr neunundzwanzig Jahre alt sein, war von eigentümlicher Schönheit, mit sehr dunklen Augen und Haaren und sah in ihrer höchst eleganten Toilette ziemlich vornehm aus.
Sie schaute auf und versuchte als Antwort auf Hugh's Frage freundlich zu lächeln.
„Ich wurde nur von einem leichten Schwindel ergriffen, aber ich bin nicht krank, ich danke Ihnen," sagte sie; „ich werde mich in einigen Minuten wieder erholt haben."
„Kann ich Ihnen irgend wie beistehen?"
„Ich glaub: nicht; ich danke Ihnen!"
.-Jedenfalls werde ich hier bleiben, bis ich sehe, daß Sie wieder ganz wohl sind," erklärte er.
Er setzte sich auf das entgegengesetzte Ende der Bank und verharrte so, ohne sie anzuschauen, etwa zehn Minuten, mit seinem Spazierstock Figuren in den Sand zeichnend.
Als er wieder aufschaute, sah er ihre Augen scharf und prüfend auf seinem Gesicht ruhen, als interessiere sie das Studium desselben.
„Ich glaube, ich werde doch von Ihrer Güte Gebrauch machen," sagte sie, ohne einen Schatten von Verlegenheit in ihrem Benehmen. „Ich wohne hier ganz in der Nähe, — in der Vere Garens, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Güte hätten, mich dahin zu führen."
Er bot ihr sofort seinen Arm und begleitete sie. Weder er, noch sie sprachen ein Wort auf dem Wege nach der bezeichneten Straße, aber vor der Thür eines eleganten Hauses angelangt, zog sie eine Karte aus der Tasche, welche sie ihm reichte.
„Ich vanke Ihnen vielmals für Ihre Güte," »sagte sie, mit einem Blick voll Erkenntlichkeit in ihren feuchtschimmernden Augen zu ihm aufblickend. „Darf ich auf das Vergnügen hoffen, Sie bei mir zu sehen und Ihnen meinen Dank bei einer späteren Gelegenheit wiederholen zu können?"
Er verneigte sich, indem er einige unverständliche Worte murmelte, während ein Lakai das Thor öffnete, durch welches sie, ihm noch einmal freundlich zunickend, verschwand.
Nachdem Hugh sich von dem Hause entfernt hatte, schaute er die Karte an. Sie enthielt die Worte: „Isabelle Farquhar."
„Farquhar — Farquhar!" murmelte er leise vor sich. „Ich möchte wissen, ob sie eine Verwandte von jenem Gilbert Farquhar ist?"
Vielleicht war cs die Gleichheit des Namen, die ihn den Schritt thun ließ; kurz, zwei Tage später klopfte er an das Thor des Hauses, bis vor welches er die Dame begleitet hatte, und erkundigte sich, ob Miß Farquhar — er setzte nämlich voraus, daß die Dame verheiratet sei — zu Hause wäre.
(Fortsetzung folgt.)