Beilage zumCalwer Wochenblatt"

Rro. 15«.

Aeittllet0N. Nachdruck verbot-.-..

Werschtmigene Kädm.

Roman aus dem Englischen von Hermine Franken st ein.

(Fortsetzung.)

«Ich will es Dir sagen, und Du sollst selbst darüber entscheiden," versetzte Mr. Egerton hastig, und in möglichst wenigen Worten unterrichtete er sie von dem Vorschlag, den Farquhar ihm gemacht hatte.

Natalie war von dieser Eröffnung so überrascht, daß sie sprachlos war.

Seit er zum ersten Mal mit mir über die Sache gesprochen hat," fuhr der Squire hastig fort, als wünschte er die ganze Unterredung so schnell als möglich hinter sich zu haben,hat er seine Bedingungen geändert. Er sagte jetzt, daß ich ihm, so lange ich lebe, keinen Penny Interessen für das Darlehen, das ich von ihm genommen habe, zu zahlen brauche und daß er die Schuld in Raten zurücknehmen will, ganz wie es mir paßt. Du siehst also, Natalie, daß ich noch bei Lebzeiten im Stande wäre, Alles zurückzahlen zu können, was ich von ihm entliehen habe, und die Güter meinen Nachkommen vollkommen schuldenfrei hinterlassen könnte. Er ist so reich, einige Tausende mehr oder weniger bedeuten ihm Nichts."

Er schwieg einige Minuten; da sie aber Nichts sagte, sprach er weiter:

Wenn ich denken müßte, daß Du als seine Gattin nicht glücklich sein könntest, würde ich nicht in dich dringen; aber das kann ich nicht glauben. Er ist einer der reichsten Finanzmänner London's, er verkehrt in der besten Gesellschaft, in Kreisen, in denen Du den Dir gebührenden Platz einehmen könntest, und er bewundert Dich aufrichtig, ja. er liebt Dich!"

O, still!" unterbrach ihn Natalie mit verächtlicher Geberde.Hier handelt es sich um alles Andere, nur nicht um Liebe! Entweihen wir das Wort nicht, in­dem wir es aussprechen."

Mr. Egerton senkte den Kopf und eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht. Er hatte sich durch täuschende Selbstvorspiegelungen eingeredet, das Glück seiner Tochter am besten durch eine Heirat mit Air. Farquhar zu begründen; Alles in ihm lehnte sich dagegen auf, dieses Trugbild jetzt zerstört sehen zu sollen.

Ich wünsche keineswegs, Deine Neigung zu erzwingen," sagte er deshalb, die Entscheidung ruht selbstverständlich bei Dir allein. Was immer Du beschließest, dem will ich mich fügen; aber ich bitte Dich, Dir Zeit zu lassen und Dir Alles wohl zu überlegen. Natalie," hier brach seine ganze Selbstsucht wieder durch,be­denke Dich wohl, ehe Du ein Anerbieten ausschlägst, welches meine Rettung ist und die Güter, die seit Jahrhunderte im Besitz unserek"MmiM sind, davor schützen würde, fremden Händen anheimzufallen, während wir selbst arm und heimatlos in die Fremde ziehen müßten. Es ist nicht meine Wohlfahrt allein, die in Deine Hände gegeben ist, sondern auch Lionel's Zukunft und die Makellosigkeit unseres Namens!"

Sie erhob sich aus ihrer knieenden Stellung; ihr Gesicht war leichenblaß, ihr Mund fest geschlossen; ein herber Schmerzenszug lag um denselben. Eine ganz Andere, als die heitere, blühende Natalie von vor einer Stunde, stand sie vor ihrem Vater und, als sie sprach, klang ihre Stimme hart und kalt:

Ich will nicht vorschnell entscheiden, Papa, sondern die Sache eingehend überlegen und Dir in einigen Tagen meine Entscheidung mitteilen. Wie sie aus- fallen wird, ich weiß es selbst noch nicht, aber ich hoffe, der Himmel wird mich das Rechte wählen lassen, indem ich an Dich und Lionel denke, als auch an mich selbst und und an Hugh!"

Und sich langsam abwendend, verließ sie das Zimmer ohne ein weiteres Wort, aber mit einem Blick, der dem unglücklichen Mann tief, tief in die Seele schnitt.

8. Kapitel.

Etwa vier Monate vor dem Zeitpunkt, da unsere Geschichte begann, saßen zwei Personen in der äußerst reinlichen Küche eines in den Midlandgrafschaften gelegenen, kleinen Landhauses.

Es war ein junger Mann und ein Mädchen von etwa neunzehn bis zwanzig Jahren, das zwar nicht schön war, aber von peinlicher Nettigkeit in der äußeren Er­scheinung und unendlich treuherzigem Ausdruck in dem von glatten, braunen Haar­flechten umrahmten Gesicht. Sie arbeitete fleißig an einer kunstvollen Stickerei und die Nadel fing mit großer Raschheit auf und ab. Der junge Mann, oer etwa dreißig Jahre alt sein mochte, las in einem aufgeschlagenen Buche, das vor ihm auf dem Tische lag, und schaute von Zeit zu Zeit zu den flinken Fingern hinüber.

Draußen war eine gar wilde Nacht. Der Wind sauste wie toll durch die Bäume und schleuderte die dürren Aeste, die unter seiner Gewalt zusammenbrachen, zu Boden.

Er heulte um das Haus, rüttelte an den Fensterläden und fuhr so gewaltsam durch alle Ritzen und Spalten, daß die Flamme der auf dem Tische brennenden Talgkerze unruhig in dem Luftzug flackerte, während der Regen so heftig an die Fensterscheiben der Hausthür prasselte, als wollte er dieselben zertrümmern.

Welch eine Nacht!" rief das junge Mädchen schaudernd aus, als ein un­gewöhnlich heftiger Windstoß den Rauch durch den Schornstein Heruntertrieb.Ich bedrure Jeden, der heute so unglücklich ist, draußen sein zu müssen!"

Da hast Du Recht; aber wer ein Obdach hat, wird cs in solchem Wetter so leicht nicht verlassen," entgegnete der junge Mann, sich seine Thonpfeife mit Tabak füllend.Nur arme, heimatlose Wanderer werden unter diesem Sturme leiden!"

Seine Worte schienen ernste Gedanken in ihm anzuregen, denn er schaute auf und begegnete dem Blick des jungen Mädchens, das ihn verständnisvoll anschaute als wäre ihr gleichzeitig diese Idee gekommen wie ihm.

Wann immer ich den Wind so sausen und heulen höre, erinnere ich mich an sie," fuhr er in leiserem Tone fort,denn sobald das geschieht, ist es mir stets, als hörte ich ein weibliches Wesen kläglich um Hilfe rufen."

Das Mädchen seufzte tief auf.

Ich möchte wissen, wo sie ist, ob sie überhaupt noch lebt."

Sie lebt ganz gewiß," versetzte er mit Bestimmtheit; wenn sie gestorben wäre, müßte ich es wissen."

Wieso?" fragte das junge Mädchen, in ihrer Arbeit inne haltend und fragend auf ihn schauend.

Er preßte seine Hand gegen die linke Seite.

Die Stimme hier hätte mir es gesagt.Nein, sie ist am Leben und mehr als das, Lucy, sie wird zu uns zurückkehren; merke auf meine Worte, sie wird zu uns zurückkehren."

Das hast Du immer gesagt, Joe; aber ich konnte es niemals glauben," ent­gegnete sie kopfschüttelnd und indem sie ihre Arbeit in den Schoß sinken ließ. Joyce war immer sehr stolz; sie ist es schon als kleines Mädchen gewesen, und wenn wenn es so gekommen ist, wie wir fürchten, so wird sie uns ihre Schmach nie wissen lassen."

Ja, ich weiß es, daß Joyce stolz war; aber sie hing auch mit großer Liebe an ihrem Heim und an uns Allen, und von aller Welt verlassen, wird sie zu uns zurückzukehren. Sie weiß, daß wir ihr niemals unser Haus verschließen werden, und sie weiß auch, daß, so lange ich Kraft und Gesundheit besitze, um arbeiten zu können, es ihr an Nichts fehlen wird."

Es entstand eine kurze Pause, dann sagte das junge Mädchen zögernd und ohne die Augen aufzuschlagen:Ich wollte schon lange eine Frage an Dich stellen, Joe, aber ich wagte es nicht."

Frage nur immerzu, Lucy. Du kannst mir getrost Alles sagen."

Das denke ich auch. Ich möchte wissen, ob Deine Gefühle für Joyce noch dieselben sind, wie sie es früher waren?"

Sie schaute ihn ängstlich forschend an und wartete in atemloser Spannung auf seine Antwort.

Ganz dieselben," erwiederte er,sie sind und bleiben unverändert. Ich habe sie schon geliebt, als sie noch ein kleines Mädchen war, das kaum über diesen Tisch hinüber schaute und ich werde sie lieben bis an das Ende ihres Lebens."

Aber, Joe, sie hat Dich nie geliebt, wenigstens nicht so, wie Du sie liebtest!"

Ich weiß es, Lucy; aber das macht für mich keinen Unterschied, sie zu lieben" entgegnete er einfach.Das ist eine sehr armselige Liebe, die nur weiter bestehen kann, wenn sie erwiedert wird. Mir genügt es vollkommen, daß ich sie liebe. Warte nur, bis Du auch meine Gefühle wirst besser verstehen können!"

Glühende Röte stieg dem jungen Mädchen in's Gesicht und ein scharfer Beo­bachter hätte wohl erraten können, daß sie schon etwas wußte von der eben be­sprochenen Empfindung, aber sie sagte kein Wort und arbeitete fleißig weiter.

Du weißt, welch ein schönes Mädchen Joyce war und so voll Geist und feuriger Lebhaftigkeit," fuhr pr nachdenklich fort;im ganzen Dorfe gab es kein zweites Mädchen, das ihr ähnlich war, und es ist daher kein Wunder, daß ich als ihr Kousin, der mit ihr zusammen lebte, seit sie geboren wurde, sie so lieben lernte, daß sie mir über Alles in der Welt teuer ist! So auch machte ich mir nie etwas aus ihrem hochfahrenden Wesen und ihren neckenden Worten, weil sie eine gradezu unvergleichliche Schönheit war. Mir ist es, als sähe ich sie noch in diesem Augen­blick vor mir stehen, mit ihren rosigen Wangen und ihren blühenden Lippen und wie eine Königin aussehend. Ach, daß es nicht mehr so ist!" seufzte er, eifriger Zug uni Zug aus seiner Pfeife thuend, um seine Aufregung zu verbergen.

Arme Lucy! Ihr junges Herz schlug voll heißer Liebe ihrem Kousin Joe entgegen, seit sie alt genug war, einer tieferen Empfindung fähig zu sein. Er hatte sie freilich keineswegs dazu ermuntert, denn er hatte sie stets nur wie ein älterer Bmder geliebt und alle Leidenschaft seines Wesens an ihre schöne, ältere Schwester verschwendet, die vor nahezu einem Jahr ihr Heim und ihre Angehörigen heimlich verlassen hatte und seitdem spurlos verschwunden war.

Keinerlei Kunde war von ihr gekommen, und sowohl Lucy, als ihre alte, seit langer Zeit gelähmt daniederliegende Mutter hatten alle Hoffnung aufgegeben, sie jemals wiederzusehen.

Joe allein hielt mit unerschütterlicher Treue an dem Glauben fest, daß die Verirrte wieder heimkehren würde, und sein ganzes Denken und Trachten war auf diesen einzigen Punkt gerichtet.

Lucy warf einen Blick auf die kleine Wanduhr, deren gleichmäßiges Ticktack die Stille unterbrach.

Es ist bald zehn Uhr," sagte sie, ihre Stickerei sorgfältig zusammenlegend und mit einem Tuche umhüllend; dann saß sie mit gefalteten Händen und starrte unverwandt in die verglimmende Glut des Feuers.

Siehst Du jemals Gesichter im Feuer, Joe?" fragte sie plötzlich, sich ihrer Träumerei entlassend.

Ja, ich sehe Joyce's Gesicht oft in den Flammen vor mir; aber das sehe ich anders wo auch vor mir, im Sonnenuntergang, im Flusse und in den Sternen; ich sehe es überall!"

O, still!" rief Lucy plötzlich aus, die Hand erhebend.Was war das?"

Joe, vor dessen Augen eben wieder das Bild der verschwundenen Joyce auf­getaucht schien, welches ihn so in Anspruch nahm, daß kaum für ihn existierte, was ihn umgab, blickte erstaunt auf.

Ich hörte Nichts," antwortete er.Hast Du etwas gehört? Wie klang es?"

Wie wenn jemand an die Fensterladen' geklopft hätte!" versetzte Lucy.

Das war jedenfalls der Wind. Er tobt ja wie toll durch die Nacht."

Nein," entgegnete Lucy in sehr bestimmtem Tone,das war nicht der Wind; es war ganz deutlich ein Klopfen an dem Fensterladen zu hören. Gehe doch und sieh nach, Joe!"

(Fortsetzung folgt.)