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Aeullleton «Nachdruck °-rb°t-n,

Die Aande des Akutes.

Roman aus dem Englischen von War v. Meiftnthurn.

(Fortsetzung.)

Ich hoffe. Ihnen am Dienstag auch einen solch hübschen Blumenstrauß überreichen zu können, Fräulein Carter," sagte der junge Mann in heiterem Tone. Verschaffen Sie sich nur keine Blumen, sondern verlassen Sie sich ganz auf meinen Geschmack."

O, Sie sind sehr gütig, Herr Sanders!" rief das entzückte Mädchen, und ließ sich nun leicht in ein Gespräch verwickeln, so daß Mary Zeit fand, die Blumenman­schette genau in Augenschein zu nehmen. Zitternd vor Bewegung, las sie nachstehende, in französischer Sprache hingeworfene Worte:

Wenn Du mein Geheimnis erraten hast, so schreibe auf dieses Blatt Papier den Namen des Mannes, der Dich von ganzer Seele liebt."

Ihr Herz schlug unruhig, als sie den Sinn dieser Worte auffaßte. Trotz Allem, was geschehen war, trotz der Gewißheit, daß sie für immer von Hugo von West­land getrennt war, bereitete es ihr dennoch ein unaussprechliches Glücksempfinden, zu wissen, daß er ihr so nahe sei, daß er Mittel und Wege gefunden habe, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Er wollte sich also nicht zufrieden geben mit ihrer be­harrlichen Weigerung, ihn zu sehen, mit der Geschichte, welche man zweifelsohne auch ihm mit Bezug auf ihren geschwächten, geistigen Zustand gesagt hatte. Er hing ihr vielmehr trotz alldem treu an und war in ihrer Nähe, um ihr beizustehen.

Aber sie mußte sich beeilen, um ihm die Antwort zukommen zu lassen, welche er forderte.

Hanna!" rief sie ihrem Mädchen zu.Ich möchte gern die Hütte skizzieren, welche man von hier aus so malerisch im Thale liegen sieht. Holen sie mir doch Bleistift und Zeichenmappe aus meinem Zimmer."

Gewiß, Fräulein. Aber wird es Ihnen nicht zu kalt werden, um zu zeichnen?" entgegnete das Mädchen, welches ungerne dem Geplauder mit Hans Sanders entsagte.

Ich brauche ja nicht lange dazu, sondern will nur eine flüchtige Skizze machen, die ich dann im Zimmer ausführen werde. Es wird mir eine Unterhaltung gewähren, und ich habe ja so wenig Vergnügungen. Während Sie mir die erforderlichen Sachen holen, will ich auf und abgehen."

Auf diese Weise sahen sich die Beiden, die einander mehr liebten als alles sonst im Himmel und auf Erden, nach einer Trennung wieder, welche Mary wenigstens für ein ewiges Lebewohl gehalten hatte. Sie sahen sich wieder und durften einander doch nicht einmal die Hände reichen.

Ich habe Dich also endlich gefunden, Geliebte!" flüsterte Hugo mit heißer Zärtlichkeit.Weift Du, was man von Dir gesagt hat?"

Ja, Hugo. Ich weiß, daß man mich für wahnsinnig hält, daß man jede meiner Handlungen bewacht. Es wird aber eine Zeit kommen, wo cS aller Welt offenbar werden wird, daß mein Geist niemals umnachtet war."

Geliebte, willige ein, die Meinige zu werden, und keine Menschenseele soll die Gewalt besitzen. Dich mir zu entreißen, selbst Dein Vater nicht! Du weist, daß Richard im Auslands weilt?"

Mary trafen seine Worte wie ein Schlag.

Richard fort? Nein, ich weiß Nichts! Was hat man mit ihm angefangen? Ist auch er ein Gefangener?"

Mary, entfliehe mit mir und zusammen wollen wir Deinen Bruder suchen," bedrängte Hugo sie.

Hilf mir, zu entfliehen," flehte sie,wenn ich Dich auch niemals heiraten darf, Hugo, weil es wider Pflicht und Ehre wäre, Dich an einen Namen binden zu wollen, der nicht frei ist von Schuld, so rette mich dennoch! Weßhalb soll ich Dir länger die Wahrheit verheimlichen? Mein Vater hat ein düsteres Gehemmis zu verbergen und weil ich es weiß, deshalb hält man mich gefangen, damit ich Nichts verrate. Hilf mir, zu entfliehen! Ich will Nichts als nur meine Freiheit und Ver­gessen. Am Dienstag wird die Haushälterin in Gesellschaft meines Mädchens ein Hochzeitsfest mit mache:,. Sie ahnen nicht, daß ich darum weiß. Während sie aber fort sind, muß ich fliehen. Sei bereit, mich irgend wohin zu bringen, nur fort, fort von hier! Hugo, willst Du mich retten?"

Befiehl über mein Leben, es gehört Dir allein!" sprach er innig. Im selben Moment mußte er hastig zurücktreten. Eben kehrte Hanna mit der Zeichenmappe zurück.

Fühlen Sie sich wieder nicht wohl, gnädiges Fräulein?" forschte das Mädchen, gewahrend, daß Mary aufgeregter schien, als sonst.

O, doch, aber ich habe die Lust verloren, jene Skizze zu entwerfen, und will die kleine Arbeit lieber für einen späteren Augenblick aufheben. Hat Frau Smith noch keine Nachrichten von meinem Vater erhalten? Wann will er mich wieder be­suchen?"

Wie sie vor dem Gedanken zurückschreckte, ihn jemals Wiedersehen zu müssen! Wie sie vom Himmel die Gnade erflehte, daß er vor Dienstag nicht mehr kommen möge!

Quälen Sie sich nicht wegen Ihres guten Vaters, Fräulein," sprach Hanna in beruhigendem Ton.Frau Smith sagte, daß er am Mittwoch kommen und mehrere Tage hier bleiben werde; dann können Sie Alles mit ihm besprechen, was Sie wollen, das ist jedenfalls weit besser, als wenn Sie ihm schreiben."

Gewiß, Hanna," entgegnete Mary, bestrebt, teilnahmslos wie gewöhnlich zu erscheinen, so schwer ihr das auch fiel. Ihr Herz pochte ruhelos und zwar vor Glücks- empsinden, weil Hugo in ihrer Nähe war, weil er ihr beistehen wollte, weil er ihr diesen erneuten Beweis seiner Liebe gegeben hatte.

Freilich waren sie eben so weit getrennt, wie bisher, durfte sie nicht daran denken, seine Wünsche zu erfüllen, indem sie ihre Hand in die seine legte und ihm

sagte, daß sie ihm angehören wolle für das ganze, lange Leben. Aber es war unaussprechlich süß, zu wissen, daß er ihrer in Liebe gedachte, und zum erstenmal seit langen Wochen empfand sie etwas wie Glück, vergaß sie das Geheimnis, welches ihre Seele belastete, und dessen düstere Schatten.

VIII.

Wenn Hanna nicht durch die Vorbereitungen für den in ihren Augen so wich­tigen Dienstag ganz in Anspruch genominen gewesen wäre, so hätte die ungeheure Veränderung in dem Wesen ihrer jungen Gebieterin ihr auffallen müssen. Aber der bevorstehende Tag, die Gelegenheit ein Ballkleid zu tragen, das Entzücken, Bill Darby wiederzusehen und seine Eifersucht durch ihren Verkehr mit Hans Sanders wach rufen zu können, nahm sie so vollständig in Anspruch, daß sie Mary gegenüber blinder und teilnahmsloser war, als es sonst der Fall gewesen wäre. Als nach eingenommenem Abendessen Mary sich anschickte, zu lesen, benutzte Hanna die Ge­legenheit, um sich ein wenig zu der Haushälterin zu gesellen und mit dieser über das bevorstehende Fest zu plaudern. Mary aber sagte sich, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, endlich den in ihrem Besitz befindlichen Brief in Augenschein zu nehmen- Sie legte denselben zwischen die Blätter des Buches, welches sie in ihren bebenden Händen hielt, und was sie dem eng beschriebenen Papiere entnahm, war Folgendes:

Frankfurt, Juni 18 . .

Dein letzter Brief war so wenig zufriedenstellend, daß ich ihn plötzlich beant­worten will. Es nützt Nichts bei mir, mit der Kirche ums Kreuz zu gehen, und Du solltest das wissen. Forderte ich viel, so könnte es Dir doch der Mühe wert sein, jeden beliebigen Preis zu zahlen. Ich muß einen langen Brief schreiben, doch ist jede Silbe desselben wohl überlegt und berechnet. Es ist zu lächerlich, wenn Du, Roden, oder, richtiger gesagt, Morton, mir erklärst, daß Du mir nicht das Doppelte von Dem, was ich forderte, bezahlen könntest für das Gehemmis, welches ich in Händen halte. Wäre ja doch der zwölffache Preis noch immer besser, als daß Du den Rest Deines Lebens auf Staatsunkosten in einem Gefängnis zuzubringen hättest, Du glaubst, Du könntest mich täuschen, hast aber Deine Rechnung gemacht, ohne den Mann zu kennen, mit dem Du zu thun hast. Allerdings gestehe ich zu, daß Du schon eine recht anständige Summe für den Dienst bezahltest, welchen ich Dir geleistet habe. Derselbe ist aber auch ein außerordentlicher Dienst gewesen, und es trugen sich zwei Dinge zu, auf welche wir Beide nicht gerechnet hatten. Erstens entdeckte ich, daß Du weitaus reicher bist, als Du mich hattest glauben machen wollen; zwtitens habe ich mich in ein gewagtes Unternehmen eingelassen und muß hinreichendes Geld erlangen, um dasselbe durchzuführen. Kurzum, ich bedarf abermals mindestens zwanzig­tausend Pfund Sterling; für Dich und Deinen Freund, John von Roden, ist dies eine Kleinigkeit, welche Ihr mir leicht verschaffen könnt. Wozu würde es auch führen, wolltet Ihr diese meine Forderung zurückweifen? Ihr wißt, daß Ihr in meiner Ge­walt seid, daß ich in jedem Augenblick Zeugenschaft gegen Euch abzulegen vermag; und bei Gott, wenn alle Stränge reißen, thue ich das auch. Natürlich wäre es mir angenehmer, mich nicht dazu genötigt zu sehen, und ich bin überzeugt, daß Ihr nicht blind gegen Euren eignen Vorteil sein werdet. Du und John von Roden versteht Euch natürlich Beide dazu, die Summe zu zahlen, welche ich fordere, doch müssen wir uns in nähere Verhandlungen darüber einlassen. DeinBruder" zieht Vorteil aus der mir eigenen Geschicklichkeit, die Handschrift anderer Leute nachzuahmen; er zieht ferner Vorteil aus meinem vermeintlichen, sterbenden Zustande, aus dem Um­stand, daß Frau von Roden während der Abwesenheit ihres Gatten das Zeitliche segnete; er zieht endlich Vorteil aus dem gelben Fieber, das den leibhaftigen Richard während seines Aufenthalts in Ostindien dahinraffte. Er zieht aus allen diesen Um­ständen Vorteil und fälscht ein Testament, wodurch das ungeheure Vermögen, welches sein Vetter angesammelt, ihm anheimfällt, anstatt daß es Richard von Roden und dessen Kindern zu Nutzen käme. Er verfaßt, wie gesagt, ein solches Testament; ich schreibe es ab und unterzeichne es mit einer gefälschten Unterschrift unter der Be­dingung, daß man mir für mein mittelloses Kind die Summe von achttausend Pfund Sterling auszahlt. Man hält mich zu jener Zeit für einen Sterbenden, und John von Roden denkt sich, daß die Todten Nichts auszusagen im Stande sind. Doch ge­rade, als er sich ganz sicher fühlt, tauchst Du auf. Ein Zufall hatte Dich zum Mitwisser des ganzen Planes gemacht. Man mußte mit Dir über den Preis einig werden, welchen Du fordertest. Es war kein geringer. Du begehrtest nicht mehr und nicht weniger, als daß der Mann, welcher des verstorbenen Roden gesummten Besitz an sich reißen wollte, ein neues Testament mache, in welchem die Hälfte des Vermögens Dir anheimfiel, zu welchem Zwecke man Dich als Richard von Roden, ausgeben mußte, als Richard von Roden, den Mann, welcher gestorben war, nachdem er nach Ostindien gekommen, um seinen dort ebenfalls verstorbenen Vetter zu pflegen. Weshalb hätte sich das nicht durchführen lassen? Frau von Roden war todt, die Kinder hatten den Vater seit Jahresfrist nicht gesehen, das gelbe Fieber sollte in dieser Zeitfrist eine fürchterliche Veränderung an Dir hervorgebracht haben. John von Roden widerstand, so lange er konnte, aber er sah nur zu bald ein, daß man ihm eine Falle gelegt hatte. Er gab endlich nach, und der Betrug gelang. Seitdem hast Du unter dem vornehmen Adel England's gelebt, eine Stellung, die Du lediglich meinem Schweigen verdankst, und trotzdem zögerst Du, mir einige tau­send Pfund auszuzahlen? Schlage meine Forderung aus, wenn Du es wagst! Ich weiß, daß Du es nicht thun wirst. Triff mit mir bei John von Roden im Boots­hause zusammen. Dort wollen wir über unsere Bedingungen einig werden, während alle Welt glaubt, daß Du im Auslande weilst. Wenn Du mir zu Willen bist, so bleibe ich Dir auch fernerhin in Freundschaft zugethan. Du weißt, daß meine Toch­ter nicht mehr lebt und ihr Vermögen mir anheim gefallen ist. Ihr Gatte weilt noch in Jamaika und natürlich bin ich um meines todten Kindes willen bereit, ihm beizustehen. Er bedarf der Hilfe, da er ein Geschäft leitet, welches nicht sonderlich gut geht. Du wirst also einsehen, daß ich des Geldes benötigte.

Anstatt der Unterschrift war das Schreiben mit einer Chiffre unterzeichnet, welche Man- nicht entziffern konnte. ' (Fortsetzung folgt.)