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63. Jahrgang.
Aro. 34.
Amts- unä IntelkigenMatt sür äen «Rezir^.
Erscheint Kitnrlng, AonnerstaK L Kamstckg.
die EinrückungSgebühr beträgt S H p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.
Dienstag, äen 20. März 1888.
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Abounemmts-GiNlaSANg.
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Die Redaktion.
^oLitrsche Wcrchvichten.
Dentsches Reich.
LO. Berlin, 16. März, 3 Uhr nachm. Die Beisetzungsfeier des Kaisers. Das Sprichwort „K a i s e r w e t t e r" ist unserem Kaiser noch im Tode treu geblieben: Freilich wehre bei 10 Krad Kälte ein scharfer Nordostwind, doch ließen gegen Mittag Kälte und Wind etwas nach; der Himmel hatte sich ziemlich aufgeklärt. Seit frühestem Morgen strömt die Bevölkerung aus den Vorstädten nach den Linden, nach dem Dome, dem Brandenburger Thor, dem Tiergarten. Zu Hunderttausenden bringt jeder Bahnzug neuen, ungeheuren Zuzug. Kopf an Kopf gezwängt darrt die vielhunderttausendköpfige Menge schweigend aus, nur ein dumpfes Summen, der auf dem Basaltpslaster dröhnende Schritt der Garden unterbricht die feierliche Stille. Tiefste, schmerzlichste Trauer lagert sich auf allen Mienen, die ganze Stabt zeigt eine schwer düstere, fast unheimliche Trauerphysiognomie. Die mit Flor umhüllten, brennenden Laternen, die in kurzen Zwischenräumen ausgestellten Kandelaber mit brennenden Pechfackeln, die schwarz drapierten Häuserfronten, üben einen geradezu überwältigenden Eindruck aus. Schlag elf Uhr ertönt von allen Kirchtürmen das eherne Trauergeläute, die Innungen und Gewerkschaften, die Kriegervereine und andere Korporationen, Schüler und Studenten, die TiSppen sind inzwischen auf ihre Plätze eingerückt und die der Feier im Dome beiwohnenden Teilnehmer beginnen einzulreffen. Leiser Orgelton zittert durch die weiten, trauerverhüllten, aber blumenduften- den Hallen, General von Pape entrollt das Reichspanier, die Generaladju- tanten ziehen die Degen; die ganze illustre Trauerversammlung hört stehend die Gebete und Leichenrede der Geistlichen an und stimmt in Een Psalmensang ein. Kurz, aber ergreifend ist die Feier, unter dem Donner der Geschütze und dem Krachen der Gewehrsalven, unter lautem Schluchzen der Menge heben zwölf Obersten den Sarg auf die Schultern; der feierliche Zug setzt sich in Bewegung. Draußen ertönen Trommelwirbel und die langgezogenen Klänge der Trauermusik. Alle Häupter entblößen sich, ein Teil der Menge kniet schmerzbewegt nieder, eine tiefgehende Erregung bemächtigt sich aller, kein Auge bleibt thränenleer. So bewegt sich der Zug in gemessenen Schritten den mit Kies und frischem Reisig bestreiten Mittelweg der Linden ent
lang hinaus durch dis schwarzverhülltcn Säulenhallen des Brandenburger Thores, durch welches der große Kaiser so oft als sieggckrönter Feldherr in die jubelstde Hauptstadt eingezogen!
Kaiser Friedrich, wie auch der Fürst-Reichskanzler und Feldmarschall Graf Moltke wohnten auf Anraten der Aerzte der Trauerfeier im Dome nicht bei, doch sollen die beiden Letzteren bei der Beisetzung im Mausoleum in Charlottenburg anwesend gewesen sein.
Berlin, 15. März. Der Kaiser arbeitete vormittags mit dem General von Winterfeld und hörte darauf den Vortrag des Hofmarschalls Radolinski. — Der Prinz von Wales besuchte vor der Fahrt nach Charlottenburg den Dom, um den sterblichen Resten Kaiser Wilhelms seine Ehrfurcht zu bezeugen. — Mackenzie war vor Mitternacht in Berlin auf der englischen Botschaft, um sich bei dem Prinzen von Wales zu melden. Er besuchte dann den Dr. Krause und kehrte nach Charlottenburg zurück. — Die tief ergreifenden seelischen Eindrücke, welche in den letzten Tagen auf den Kaiser Friedrich einstürmten, beginnen sich leider mehr und mehr in dem Zustand des geliebten Monarchen geltend zu machen; die Reise über die Alpen, die Ueberfülle von Geschäften, denen sich der Kaiser pflichteifrig gewidmet hat, das Alles hatte zusammengewirkt, um ein minder günstiges Befinden des Kaisers herbeizusühren; der Kaiser hatte nach dem Empfang der Berliner städtischen Behörden, der ihn zweifellos ungemein ergriffen hatte, über Kopfweh und Beklemmungen zu klagen. Jedenfalls bedarf der Kaiser der allergrößten Schonung, oa ja" ohnehin die Beisetzung der Leiche seines hochseligen Vaters, des Kaisers Wilhelm, unvermeidlich tiefe Erschütterungen und Gemütsbewegungen im Gefolge haben wird. Das Befinden des Kaisers ist heute besser. Die leichten Fiebererscheinungen waren nur die Folge von übergroßer Anstrengung und Erregung. Der Kaiser hatte die ernstliche Absicht, den Leichenzug zu Fuß zu begleiten. Es bedurfte der größten Anstrengung der Umgebung und der Aerzte, ihn davon zurückzuhalten. — Von seiner körperlichen Rüstigkeit legte er auch Zeugnis ab, als Fürst Bismarck ihm am Montag nachmittag Vortrag hielt. Während des Vortrags stellte sich der Mangel eines Schriftstückes heraus. Ehe noch Fürst Bismarck, der wegen seines KörperleidenS den Vortrag sitzend erstattete, sich erheben konnte, war der Kaiser aufgesprungen, um däs Schriftstück herbeizuholen.
Frankreich.
Paris. 15. März. Die „Agence Havas" meldet: „Das „Journal offiziell" veröffentlicht einen Bericht des Kriegsministers Loge- r o t vom 14. März, worin mitgeteilt wird, daß General Boulanger dreimal ohne Urlaub nach Paris gekommen ist, am 24. Februar, am 2. und
AöUjNtzlüll «Nachdruck »irboten.»
Die ZLande des Mutes.
Roman aus dem Englischen von War v. Weisenthur».
(Fortsetzung.)
„Wie wäre es denn, Onkel, wenn wir eine kleine Teichfahrt unternehmen würden?" fragte Richard, nachdem das angeregte Thema erschöpft war.
John von Roden blickte fragend zu seinem Gaste hinüber, und da dieser keine Einwendung erhob, schickte man sich an, dem Vorschläge Folge zu leisten.
Mary zitterte unwillkürlich in der Rückerinnerung des hier Erlebten, als sie an die Stelle kam, an welcher sie in der verflossenen Nacht namenlose Qualen erduldet hatte.
Konnte es wirklich ihr Vater gewesen sein, der hier einem Diebe gleich, in dunkler Nacht davongeschlichen war, und weshalb hatte er es gethan? Das war die Frage, welche Mary unablässig quälte.
Während Richard das Boot mit Kissen belegte, beobachtete Mary ihre Schwester und fragte sich, wie diese es nur über das Herz bringen könne, so unbekümmert zu scheinen, während doch so Vielerlei sie belasten mußte.
„Alles ist bereit, Onkel!" rief Richard jetzt eben; iin gleichen Augenblick entglitt ihm sein Messer, dessen er sich bedient hatte, um einen Strick loszuschneiden.
Rasch bückte er sich danach und kam bei dieser Gelegenheit mit einem hatten Gegenstand in Kontakt, der durch eine Blattpflanze seinen Blicken halb verdeckt war.
Himmel, da war ja noch die Fliegenschachtel, die er ain vorherigen Tage vergessen, und Mary hatte ihm doch auf seine Frage zu verstehen gegeben, daß sie seinen Wunsch erfüllt und dieselbe an ihren Platz zurückbefördett hatte!
Ihm blieb keine Zeit, an die Schwester eine Frage zu stellen, sondern die Schachtel unbemerkt in seine Tasche praktizierend, mußte er sich beeilen, gleich den Anderen in den Kahn zu gelangen.
Der Graf plauderte viel und angelegentlich mit Mary; so sehr diese aber auch Alles interessierte, entging es ihr doch nicht, daß ihr Bruder verstimmt sei.
Erst als die kleine Gesellschaft wieder nach dem Hause zurückkehrte, fanden die Geschwister Gelegenheit, einige Worte mit einander zu wechseln.
Was hat das heißen sollen, Mary, daß Du mir zu verstehen gabst, Du habest meine Bitte erfüllt?" fragte Richard vorwurfsvoll.
„Ich that auch Alles, was Du von mir verlangtest, Richard; ich holte die Schachtel und brachte sie nach Hause — um welchen Preis, — Tu ahnst es nicht!"
„Du brachtest die Schachtel nach Hause?" wiederholte Richard. „Aber, Mary, hier ist sie ja!"
Und er zog die von ihm gefundene Schachtel vorsichtig aus der Tasche.
„Ah, Du erschreckst mich!" rief Mary, den Bruder entsetzt anstarrend. „Ich fand die Schachtel an dem mir von Dir bezeichneten Platze und o Richard, mir sind so seltsame Dinge passiert! Ich habe so Furchtbares erlebt! Wenn es sich nicht aufklätt, so werde ich nie mehr glücklich sein können!"
„Still, die Anderen bleiben stehen und Onkel John blickt sich nach uns um!" ermahnte Richard. „Nicht jetzt, — später mußt Du mir Alles sagen!"
Nach Verlauf einer wetteren Viertelstunde verabschiedete sich der Graf von Westland und Mary dachte, nachdem er sich entfernt hatte, noch lange an seinen letzten Blick zurück, mit welchem er sie angesehen, als er ihr die Hand zum Abschied gereicht hatte.
„Er ist wie ein jahrelanger Freund, und vielleicht wird er auch Richard's Freund werden!" sagte sich das junge Mädchen.
John von Roden war gegen seine jüngere Nichte wie ausgewechselt. Hatte er sonst keine Gelegenheit ungenutzt vorübergehen lassen, sie zu kritisieren, so überbot er sich jetzt in Liebenswürdigkeiten gegen dieselbe und nahm in solcher Weise das junge Mädchen so für sich in Anspruch, daß Mary jede Gelegenheit, Richard die Vorgänge der letzten Nacht anzuvettrauen, abgeschnitten ward.
Erst als nach dem Diner sie sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, wohin