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Petersburg, General von Schweinitz, welcher sich vor einigen Tagen auf seinen Posten zurückbegeben hat, wird wohl trotz aller offiziösen Dementis den Auf­trag haben, die guten Dienste Deutschlands anzubieten, um die vorhandenen Gegensätze auszugleichen. Und wenn derCoburger" als Opfer fallen sollte was ist uns Hekuba?

So stehen wir denn wiederum vor einem Weihnachtsfest! Trüb zwar ist die Zeit; Kriegsruf schallt von Osten her. heftig prallen die Geister auf­einander und das Jagen nach Gewinn und Vorteil hat unserer Gegenwart den häßlichen Stempel des Eigennutzes aufgedrückt. Wenn es der Weisheit und Umsicht des deutschen Kaisers und seiner Räte, wie seiner hohen Ver­bündeten gelänge und wir hoffen es ihr Friedenswerk zu vollenden, die schwer bedrohte Ruhe Europas auch fürderhin vor Störungen zu be­wahren, -wenn es ferner ein gütiges Geschick zulaffen wollte, den Lieb-

ling des deutschen Volkes wieder gesunden zu lassen, wahrlich ein schöneres Weihnachtsgeschenk könnte uns Allen nicht beschert werden! So hoffen wir, daß die Bedeutung des Weihnachtsfestes, uns Freude und Frieden zu bringen, zur Wahrheit werden möge!

Gcrges-Werrigkeiten.

Calw, 23. Dez. Wie uns soeben bekannt wird, findet gegenwärtig die Aufstellung der Kirchenglocken statt; dieselben werden morgen Samstag abend 5 Uhr vom neuen Kirchturme herab das Weihnachtsfest verkünden.

Ditzingen, 20. Dez. Bei der heute auf der Feldmarkung zwischen Ditzingen und Gerlingen abgehaltenen Hofjagd wurden 133 Hasen geschossen.

Stuttgart, 21. Dez. Gestern wurde der Liebhaber einer hiesigen Dienstmagd wegen eines an seiner Gebiebten verübten Diebstahls im Be­trage von 100 ^ auf ihre Anzeige hin festgenommen und der That über­wiesen. Derselbe bezichtete nun auch die Dienstmagd eines Diebstahls an ihrer Dienstherrschaft, bestehend in einigen Stearinkerzen. Dieser Bezicht hat dieselbe derart aufgebracht, daß sie durch Trinken von verdünnter Salzsäure sich das Leben zu nehmen versuchte. Dieselbe wurde ins Katharinenhospital verbracht, ihr Zustand ist jedoch nicht gefährlich. Gestern nachmittag wurden drei Frauenzimmer und zwar zwei hier wohnhafte Frauen und ein Dienstmädchen auf der hiesigen Messe wegen Entwendung von Waren an Marktbuden festgenommen. Am letzten Montag wurde eine Weibsperson wegen desselben Vergehens festgenommen. Auch einige Taschendiebstähle, an sog. Gretchentaschen ausgeführt, sind bis jetzt vorgekommen.

Hall, 19. Dez. DasHall. Tgbl." berichtet: Heute wurde durch Landjäger Nägele von Kirchberg ein gefährlicher Bursche, Johann Baptist Niederer von München, geschloffen ans K. Amtsgericht hier eingeliefert. Nägele traf in einer Wirtschaft in Kirchberg zwei verdächtige Gesellen. Als er denselben die Papiere abverlangte, wurde ihm von Niederer ein auf den Namen des kürzlich hier entsprungenen Kleinhans lautender Ausweis vor­gezeigt, worauf er beiden die Verhaftung ankündigte. Den Niederer nahm der Landjäger mit nach Hall, während der andere in Kirchberg in Verwahr­sam blieb. Hier in Hall erst klärte es sich auf, daß der zweite Gefangene wohl der steckbrieflich verfolgte Kleinhans ist. Daß man es mit zwei sehr gefährlichen Burschen zu thun hat, beweist der Umstand, daß beide lange Dolchmefser und eine Düte voll Pfeffer bei sich führten.

Künzelsau, 19. Dez. Samstag den 17. Dez. hatten wir kurz vor 8 Uhr morgens bei -s- 7,5° R. ein regelrechtes Gewitter mit 5 bis 6 Minuten andauernden Donner und Blitzen, worauf strömender Regen folgte.

Crailsheim, 20. Dez. Heute wurde der 18 Jahre alte Händler Michael Maier von Lautenbach dem Amtsgericht hier eingeliefert, weil er gestern abend seinen 53jährigen Vater infolge eines Wortwechsels erstochen und einen zur Hilfe herbeigeeilten Mann durch 5 Messerstiche schwer verletzt hat. Der Thäter ist als ein arbeitsscheuer Mensch bekannt, der meistens als Bettler vagabundierte.

Unsere Klocken.

Glocken, Glocken auf dem Turm!

Tönet wieder, tönet heute,

Nickt zur Trauer, nicht zum Sturm,

Tönt zur hohen Festesfreude Wieder jetzt zum erstenmal Unsrer Stadt im stillen Thal!

Ach, wie fern und dürftig klang Einer Glocke schwaches Läuten Uns schon viele Monde lang!

Doch jetzt ists ein fröhlich Deuten,

Daß nun euer voller Laut Wieder tönet hold und traut.

Ja, laßt euren kräst'gen Ton Ueber unsere Stadt erschallen,

Und es stärke sich davon Recht in unfern Herzen allen Neu der Zug zum heil'gen Ort,

Neu der Trieb zu Gottes Wort.

Wie das Klingen himmelwärts Steigt, so seien auch nach oben So in Freude wie in Schmerz Unsere Herzen mit erhoben,

Lust und Leid, es schweb' empor Von der Erd' zum Himmelsthor.

Ja, so lade euer Ruf,

Glocken, unsre Christgemeine,

Die der Herr zum Himmel schuf,

Zu gesegnetem Vereine,

Und es wink' die Weihnachtsfreud'

Freundlich uns zur Ewigkeit! K. M.

^sanäwirtsc^astkicker Kezirksveeein.

Am Dienstag, den 27. Dezember 1887 (Johannisfeiertag), nach­mittags 2 Uhr, findet im badischen Hof (Th udium) hier eine Plenar­versammlung des landwirtschaftlichen Bezirksvereins statt.

Gegenstand der Tagesordnung: Gründung eines landwirt­schaftlichen Konsumvereins; Feststellung der Statuten desselben.

Zu recht zahlreichem Besuch der Versammlung werden die Mitglieder des landwirtschaftlichen Bezirkvereins und diejenigen Bezirksangehörigen, welche sich an dem Konsumverein beteiligen wollen, hiemit eingeladen.

Calw, den 15. Dezember 1887. Vereinsvorstand

Supper.

Gottesdienste am Sonntag, den 25. Dezember 1887.

Weihnachtsfest.

Vom Turme: Nro 106. Vormittagspredigt: Hr. Dekan Braun. Feier d. h. Abend­mahls. Nachmittagspredigt um 2 Uhr in der Kirche: Hr. Diakonatsverweser Vogt. DaS Opfer ist für die Rettungsanstalten unseres Landes bestimmt.

Montag, den 26. Dez. Stephanusfeiertag. Vormittagspredigt um '/-10 Uhr in der Kirche: Hr. Dekan Braun.

Dienstag, den 27. Dez. Johannisseiertag. Vormittagspredigt um '/-IO Uhr im Vereinshaus: Hr. Diakonatsverweser Vogt.

Samstag, den 31. Dez. Jahresschlich.

Abendpredigt um 5 Uhr in der Kirche, zugleich Vorbereitung und Beichte: Hr. Dekan Braun. Das Opfer ist zur Deckung der Kirchenheizungskosten bestimmt.

Gotterckieaste in äer Ketkiockisteakapekke am Sonntag, den 25. Dez. 1887,

morgens '/-IO Uhr, abends 8 Uhr.

Dieselbe, und sah, daß sein Herr schlief. Geräuschlos und zufrieden mit sich selbst zog er sich in seine Ecke zurück. Jetzt läutete die Bahnhofs-Glocke, und schnell warf Friedrich noch einen Blick auf den Perron, um sich wenigstens zu orientieren, wo sie sich eigentlich befänden. Mit einem Angstschrei und verzerrtem Gesicht, als ob er eine Erscheinung erblickt Hütte, taumelte er in's Koupee zurück. Mit einem Sprunge war Wiedenbrück in dem Vorkabinet und sah unseren Friedrich, wie derselbe sich wie ein Toller geberdete, mit den Armen hin- und hertaumelte, sich das Haar zerraufte und leise wimmerte:O, o, ach meine Ohren!"

Mensch, was ist Ihnen?" fragte Wiedenbrück, aber nur ein unartikuliertes Stöhnen entrang sich Friedrichs Brust.

Donnerwetter, sind Sie denn stumm geworden, können Sie nicht redm?" fragte Wiedenbrück auf's Neue und rüttelte Friedrich, um ihn zur Besinnung zu bringen. Der aber sprach noch immer kein Wort und wies nur angsterfüllt mit seiner Rechten nach dem Koupee-Fenster. Wiedenbrück trat an dasselbe, schaute hinaus, konnte aber nichts bemerken, was unserem Friedrich einen solchen Schreck eingejagt haben mochte.

"Ich sehe nichts", sagte Wiedenbrück,Sie schlafen entweder noch, oder sind verrückt geworden."

Ach, o, o", jammerte Friedrich, dann ermannte er sich, schleppte sich an das Koupeefenster und wies mit seiner ausgestreckten Rechten auf den Perron und zwar an das Ende desselben, woselbst eine Dame eben Kehrt machte, um nochmals die Wagenreihe entlang zu schreiten. Sie suchte augenscheinlich einen Passagier, wenigstens konnte man dies aus der Aufmerksamkeit, mit der sie jedes Koupee musterte, annehmen. Und nun begab sich das Merkwürdige, daß diese Dame, als sie den wie Windmühle- Flügel ausgestreckten Arm Friedrichs und dessen von unglaublicher Dummheit, Zer­knirschtheit und auch ein wenig Freude strahlendes Gesicht erblickte, einen Freudenschrei ausstieß und rasch aus das Koupee zugeeilt kam. Aber schon war es zu spät, denn der Zug setzte sich bereits in Bewegung, und Wiedenbrück und der getreue Friedrich

konnte nur noch sehen, wie die Dame beide Arme ausgebreitet hielt, als wollte sie den Zug zurückhalten. Die ganze Scene hatte kaum den zehnten Teil der Zeit in Anspruch genommen, die wir zum Erzählen derselben brauchten.

Die Frau Hauptmänniu", lispelte Friedrich und sank zerschmettert auf seinen Sitz.

O, Sie Kameel, warum haben Sie dies denn nicht gleich früher gesagt?" fragte Wiedenbrück.

Ja, ich habe die Frau Hauptmännin eben erst gesehen, als es läutete, und dann war ich gar zu sehr erschrocken", jammerte Friedrich.

Na, Ihnen wird's gut gehen", sagte Wiedenbrück.Aber was ist denn hier", fuhr er fort, als er die daliegende Depesche erblickte.

Eine Depesche an den Herrn Hauptmann", antwortete Friedrich ganz treuherzig.

Und warum haben Sie denn dieselbe nicht abgegeben?" fragte Wiedenbrück.

Ich darf ja den Herrn Hauptmann nicht stören", sagte Friedrich etwas klein­laut, er schneidet mir sonst die Ohren ab."

Na, die Sache kann gut werden", rief Wiedenbrück,mir ahnt Schreckliches; ich wasche meine Hände in Unschuld."

Und in sein Schlaf-Koupee zurücktretend, erzählte er seinem Kameraden Zelten, was sich eben zugetragen, und dieser mit diabolischem Lächeln zuhörend, sagte:Jetzt ist der Hauptmann unrettbar verloren, er müßte ein Lamm sein, wenn er jetzt nicht in die allergrimmigste Wut geriete."

Ungefähr eine halbe Stunde hatte Friedrich Zeit, über das eben Passierte und über sein Schicksal nachzudenken. Er schwankte, ob sr die daliegende Depesche nun­mehr dem Hauptmann bringen, oder ob er alles seinen Gang gehen lassen solle. Er ahnte dunkel, daß die Depesche wohl mit der Anwesenheit der Frau Hauptmännin auf dem Bahnhose in Erfurt im Zusammenhang stehen möge. Eben war er zu dem Entschlüsse gelangt, nun doch den Hauptmann zu wecken, als der Zug in den Bahn­hof der Station Weimar einlief." (Forts, folgt.)

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