82. Jahrgang.
Ara. 135.
Amts- unck Inteüigeazökatt für äen Mezir^.
Erscheint Aienitag, Z»o«ner»tag L Samatag.
Die EinrückungSgebühr beträgt 8 ^ p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.
Donnerstag, 6en 17. November 1887.
Abonnementspreis halbjährlich 1 80 H, durch
die Post bezogen im Bezirk 2 SO H, sonst in ganz Württemberg 2 70 Ls.
'Aotttische Wcrchvichten.
Deutsches Reich.
Berlin, 14. Novbr. Der Kaiser beschäftigt sich mit der Vorbereitung für den Empfang des russischen Kaiserpaares; in Aussicht genommen ist ein Galadiner im Palais des Kaisers und eine Galavorstellung im Opernhaus.
Berlin, 14. Nov. (Privattelegramm des Neuen Tagblatts.) Eine Operation des Kronprinzen wird vielleicht doch noch angewandt, um schmerzlichen Störungen und Anfällen vorzubeugen. — Als gestern die Prinzessin Wilhelm neben dem Kaiser am Fenster erschien und der Kaiser sie in gefaßter Haltung an der ihm dargebrachten Huldigung teilnehmen ließ, war alles ergriffen, und das wohl an 10,000 Köpfe zählende Publikum sang die Nationalhymne. — Der Zustand der Kaiserin wird durch die Thatsache bezeichnet, daß gestern in allen Kirchen besonders für sie neben dem Kronprinzen gebetet wurde. — Die Kronprinzessin ist in ihrer treuen und unermüdeten Aufopferung bewundernswert, des Kaisers heldenhafte Standhaftigkeit geht weit über das sonstige menschliche Maß hinaus.
— 15. Novbr. Die gestern projectierte Ausfahrt des Kronprinzen unterblieb wegen des Regenwetters. Das Befinden des hohen Kranken ist ist nach seinen eigenen Worten vortrefflich. Nach der Nat.-Ztg. wird der erste Assistent des Geheimrats v. Bergmann in den nächsten Tagen nach San Remo abreisen. Dies geschieht für den Fall ein Luftröhrenschnitt ausgeführt werden müßte.
Ä n tz l a u v.
— In Petersburg ist man nicht besonders erbaut, daß der Zar seinen Weg über Berlin nimmt. Es sei dies eine Entwürdigung seinerseits, namentlich auch nachdem die deutsche Reichsbank die Beleihung russischer Werte abgewiesen habe. Während man hieraus Kapital schlägt, freut man sich noch über die Heimsuchungen, die das Haus Hohenzollern gegenwärtig bedrohen.
Gcrges-Weuigkeiten.
* Calw. Warnung. Es ist die Jahreszeit wieder eingetreten, in welcher die Bevölkerung von Hausierern überschwemmt wird, von welchen der größere Teil ganz geringwertige Waren aller Art zum Verkauf anbietet und die Einwohner teils durch unwahre Angaben, teils durch Anrufung des Mitleids, zum Kaufen veranlaßt. So oft sich auch schon herausgestellt hat,
daß die Käufer übervorteilt wurden und daß sie die betreffende Waare beim nächsten besten ansäßigen Gewerbetreibenden billiger und bester hätten kaufen können, so lassen sich dieselben doch immer wieder bewegen, lieber den Hausierern ihre Ware abzukaufen, als dem ansäßigen Gewerbetreibenden etwa» zu lösen zu geben. Sehr häufig werden Gegenstände gekauft, die der Betreffende gar nicht oder noch lange nicht braucht, die deswegen unter allen Umständen zu teuer sind; die Beteurung des fremden Hausierers, daß er seine Ware aus diesem oder jenem Grund halb herschenken müsse, übt einen besonderen Reiz aus. So haben dieser Tage zwei 17 und 18 Jahre alte, junge kräftige Menschen aus der Pfalz mit baumwollenen weißen Taschentüchern hausiert, von welchen sie 6 Stück, das einemal um 80 H das andre mal um 1 80 ^
verkauft haben. Man könnte das alte Sprüchwort „munckus vult ckecipi, er§o ckecipistur", (die Welt will betrogen sein, also werde sie betrogen) ruhig sich fortwährend bewähren lasten, wenn nur nicht die ansäßigen Gewerbetreibenden so stark darunter leiden würden, zumal in der steuerlichen Behandlung der Hausierer ein so unglaublicher für Württemberg nachteiliger Unterschied bestünde. Einer dieser Hausierer war im Besitz eines Hausierpatents, das von dem baierischen Bezirksamt Frankenthal für Württemberg und Baden ausgestellt war, mit dem Vermerk „nicht für Baiern gültig". Sportel hatte er also in Württemberg keine zu bezahlen und an Gewerbesteuer in ganz Württemberg für ein ganzes Jahr 5 ^ 04 H, in Baden mußte er für je 30 Tage 10 -M bezahlen, also in Württemberg für 1 Jahr 5 04
und in Baden 120 Kein Wunder, daß sich die Ausländer in so großer Zahl auf Württemberg werfen, man sollte kaum glauben, daß eine solch' große Ungleichheit in zwei nebeneinander liegenden deutschen Bundesstaaten existieren könne. Die Bevölkerung wäre unendlich dankbar, wenn der neuernannte Herr Staatsminister des Innern den langjährigen Bitten der Handelsund Gewerbekammern und der Gewerbevereine um gleichmäßigere Veranlagung der Hausierer seine Aufmerksamkeit schenken würde.
* Calw, 15. Nov. Ein köstlicher Genuß war es, der uns am gestrigen Abend durch eine musikalische Aufführung des weitgenannten Konzertsängers Karl Diezel geboten wurde. Eine große Zahl von Gesangsfreunden hatte sich im Saale des Badischen Hofes eingefunden, um den herrlichen Vorträgen zu lauschen und einige genußreiche Stunden zu verleben. Schon durch das erste Lied: die Arie aus der Oper „Joseph in Aegypten" von Mehul errang der Konzertgeber einen durchschlagenden Erfolg, welcher sich bei jeder Nummer steigerte. Aus dem vielen Schönen heben wir „Adelaide" von Beethoven, „der Neugierige" und der „Erlkönig" von Schubert, „Asra" von Rubinstein, ein reizend naives „Geburtagslied" von Sachs, das schwäbische
Feuilleton. (Nachdruck verboten.»
Am Rang rm- Reichtum.
Dem Englischen frei nacherzählt von Leo Sonntag.
(Fortsetzung.)
„Das ist meine kleine Tochter, Herr Mitchell", sagte er freundlich, „Sie haben wohl Kinder sehr gern?"
Roberts Blicke wanderten von dem Gesicht des Kindes zu dem der Mutter. Sie zitterte vor Angst, doch zwang sie sich zu einein freundlichen Lächeln.
„Unser Töchterchen scheint Ihnen sehr zu gefallen, Herr Mitchell", sagte sie dann. Sie wußte, daß ihr Lächeln und ihre Stimme ihn aus der Versunkenheit erwecken würden und es war so. Er setzte das Kind rasch wieder auf den Boden und wandte sich an Lord Ellerton:
„Ja, ich habe Kinder sehr gern und die Kleine ist reizend."
Der arme Robert; er gab sich alle Mühe, seine schöne Frau und ihr Töchterchen nicht mehr anzusehen, aber die Versuchung war zu groß und immer wieder schweiften seine Blicke hinüber, so daß sich Lord Ellerton im Stillen über die Bewunderung steute, die der sonst so ernste, verschlossene Mann seinein Weibe und seinem Kinde zollte. Er ahnte freilich nicht, welche Qualen der Aermste litt, doch Lady Ellerton wußte es wohl. Es war ihr, als müsse sie zu ihm hintreten und ihn trösten, aber es buche nicht sein, sie war verurteilt, still zu sitzen und zu sehen, wie er litt. Endlich hielt sie es nicht länger aus, sie erhob sich von ihrem Stuhl und sagte zu ihrem Manne:
„Ich bin das Sitzen müde, Rudolf; ich will mit Lilly einen Gang durch den Park machen. Du folgst uns wohl, wenn Du hier fettig bist."-
Es war drei Uhr am Nachmittag desselben Tages, sie hatte ihr Versprechen gehalten und stand nun bei ihm an dem Platz im Patt, den sie zur Zusammenkunft bestimmt.
„Du »nutzt gehen, Robert", sagte sie. „Ich kann cs nicht ertragen. Ich war heute Morgen krank vor Aufregung; Du »nußt fort von hier."
„Warum muß ich gehen, Laura?" fragte er. „Und wenn ich gehen muß, warum gehst Du nicht mit mir? Ich habe Dir vergeben, komm' zurück zu mir. Ich will für Dich arbeiten, wie »roch nie ein Mann gearbeitet, komm' zurück, Geliebte, und Du »virst Frieden, Ruhe und Ehre wieder finden und zuletzt auch den Himmel."
„Ich kann nicht mehr zurück, Nobett. Nie! Vielleicht — nein, ich ivill gerecht gegen Dich sein — ganz geiviß liebe ich Dich mehr als Lord Ellerton, aber ich kann nicht zurück. Luxus und Reichtum sind mir zum Lebensbedürfnis geworden uird nachdem ich einmal Lady Elletton von Elletton Park geivesen, kann ich Vicht wieder Frau Roden werden. Ich muß bleiben wo und »vas ich bin. Ich habe um Rang und Reichtum meine Seele verkauft und ich muß den Preis jetzt bezahlen!"
„Und hast Du gar kein Mitleid, gar kein Erbarmen mit mir, Laura?"
„Doch. Ich gäbe Alles darum, wenn ich Dich an Lord Elletton's Platz stellen könirte, allein ich kann nicht zu Dir hinuntersteigen. Du verstehst mich nicht, Robert. Ich liebe Dich nicht weniger, aber ich liebe Rang und Reichtum mehr."
„Ja, ich verstehe. Du bist erbarmungslos, Laura. Dein Herz hat sich an eitle, unnütze Dinge, wie Titel, Rang, Stellung und Gold gehängt. O, thörichtes Weib! Wahre Liebe ist mehr wett, als sie alle zusammen."
„Das glaubst Du, nicht ich. Du mußt fort, es ist unmöglich, daß wir zusammen hier leben!"
Etwas wie Verzweiflung war über sie gekommen. Was sollte sie thun, wenn er darauf bestand, zu bleiben? In diesem Falle konnte das Geheimnis nicht lange bewahrt iverden.
„Robert!" bat sie nochmals, „Du mußt selbst einsehen, daß wir drei nicht unter einem Dache leben können; es wäre unnatürlich!"
„Das ist wahr!" versetzte er sehr ruhig. „Ich kann wohl begreifen, daß ein Weib sich scheut, in der fottgeseAen Gegenwatt von zwei Männern zu leben, die sie beide betrogen und verraten!"
Sie errötete tief.