Uro. 112

62. Jahrgang

Amts- unä IntekkigenMatt für äen Kezirk.

Erscheint Atenitag, Z>o««erstag L Samstag.

Die EinrückungSgebühr beträgt 9 H p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.

8am«tag, äen 24. September 1887.

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die Post bezogen im Bezirk 2 90 H, sonst in

ganz Württemberg 2 70 H.

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Mit dem 1. Oktober beginnt ein neues Abonnement auf das Calwer Wochenblatt. Der Preis beträgt in der Stadt 90 H excl. 20 H Träger­lohn, auswärts bei der Post bestellt 1.15 pr. Vierteljahr.

Das Wochenblatt erfreut sich einer ansehnlichen, stets wachsenden Abonnentenzahl und zählt gegenwärtig mehr Korrespondenten als je zu seinen Mitarbeitern. Besonderes Interesse beanspruchende Vorfälle, namentlich auch auf politischem Gebiete, erhält das Blatt bekanntlich telegraphisch mitgeteilt, deren Aufnahme meist in der letzten Stunde vor der Ausgabe noch bewerk­stelligt werden konnte.

Zu zahlreicher Beteiligung ladet freundlichst ein

die Uedaktio«.

Wochenschau.

L6. Deutschland fährt fort, sich des ungestörten politischen Still- lebens zu erfreuen, welchem leider auch ein Stillliegen des Geschäftslebens zur Seite steht. DerKrieg im Frieden", die Manöver, haben einen den obersten Kriegsherrn befriedigenden Verlauf genommen. Mit den besten Eindrücken von der Kriegstüchtigkeit des Heeres und in erwünschtem Wohlsein ist der Kaiser nach Berlin zurückgekehlt, von wo er sich nun nach Baden- Baden zu begeben gedenkt. Der Kronprinz, der sich in Toblack gut erholt, wird eben den Besuch des Dr. Mackenzie empfangen. Auf der Rück­reise nach Rom (wo auch die Cholera herrschen soll) hat Herr v. Schlözer sich in Baden mit staailichen und kirchlichen Würdenträgern besprochen, um der katholisch-kirchlichen Gesetzgebung ein möglichst einheitliches Gepräge zu geben. In München, wo die Landtagsverhandlungen außer der Genehmigung der Branntweinsteuervorlage noch wenig politisch-interessanten Stoff ergeben haben, traf der deutsche Botschafter in Konstantinopel Herr von Radowitz mit dem russischen Botschafter bei der Pforte Herr v. Nelidow zu einer Besprechung zusammen. An die bayerische Regierung wird das Verlangen, die Schiffahrt auf dem Obermain durch eine Verbesserung des Fahrwassers zu fördern und so den Nhein-Donau-Handelsweg zur praktischen Entwicklung zu bringen, demnächst herantreten, da in den letzten Tagen die Vertreter der Handelskammern, deren Bezirke bei der Mainschiffahrt inte­ressiert sind, sich in Frankfurt a. M. versammelten und nach Anhörung eines gründlichen Referats des Herrn Syndikus Puls über die arg vernachlässigte Wasserstraße, Petitionen um Abhülfe beschlossen. Eine Donau-Rheinschisfahrt, welche das ungarische Getreide leichter auf unsere Märkte bringt, harmoniert

allerdings wenig mit den Wünschen der agrarischen Schutzzöllner, welche eine Erhöhung der Getreidezölle fordern. Eine Bauernversamm­lung in Langenau bei Ulm hat diese Forderung unter Führung eines national, liberalen Reichstagsabgeordneten adoptiert, die nationalliberale Presse ist iedoch noch nicht für die Erhöhung der Zölle gewonnen. In Oesterreich « Ungarn steigert sich auch der Unmut über die deutsch-österreichischen Zoll- verhältnifse. Minister Tißa hielt dieser Tage eine Rede, worin er sagte: Wir werden demnächst nach dem Nachbarreiche nichts mehr exportieren können, als die Versicherungen unserer Freundschaft." Trotzdem konnte Tißa die Lage der ungarischen Finanzen als eine befriedigende darstellen. Graf Kalnoky ist von seiner Fahrt zum deutschen Reichskanzler, welcher am 23. ds. sein 25jähriges Ministerjubiläum feiert, sehr befriedigt zurück­gekehrt. Er scheint sich für den Prinzen von Koburg verwendet zu haben, da Herr v. Thiel mann, der zum Gesandten in Darmstadt ernannte deutsche Generalkonsul vor seiner Abreise dem Fürsten einen Besuch abstattete. Die Deutsche Regierung hat sich von der Genugthuung befriedigt erklärt, welche Bulgarien für die Beleidigung des deutschen Konsuls de Loeper durch den (nun beseitigten) brutalen Präfekten Mantow und ein Rustschuker Blatt gegeben hat.

Fürst Ferdinand, welcher mehrere Diplomaten als Privatleute empfangen hat, hofft sicher, die Anerkennung der Mächte bald zu erlangen. Es wäre sehr zu wünschen, daß seine finanziellen Anstrengungen mit Erfolg gekrönt würden, damit Bulgarien die Mittel erhalte, die so wichtige Eisenbahnstrecke Jchtiman-Pirot auszubauen, welche an die Orientbahn nach Kon­stantinopel noch fehlt und sich als störende Lücke bemerklich macht. Besseren Kredit hat Serbien, welchem von einer Berliner Bankfirma neuer­dings fünf Millionen zur Verfügung gestellt wurden. Dank der neuerdings angenehm hervortretenden politischen Enthaltsamkeit Rußlands herrscht auch auf dem Balkan Ruhe. Auch in Rumänien hält ein unbeutender Konflikt mit Ungarn wegen der untersagten kirchlichen Handlungen eines siebenbürgischen Kirchenvorstandes die Gemüter in einiger Aufregung.

Was die Pforte betrifft, so bangt derselben vor den russischen Truppen­bewegungen, die im Kaukasus wahrgenommen wurden. Der Oheim des Czars besichtigt dort die russischen Streitkräste. Der Kaiser Alexander selbst befindet sich in Dänemark sehr wohl und macht Spaziergänge mit seiner Schwägerin, der Prinzessin Waldemar (aus dem Hause Orleans). In Petersburg, wo die Nihilisten sich wieder rühren, ist der Belagerungszustand um ein Jahr verlängert worden. Ein Verbrüderungsfest russi­scher und französischer Schiffsoffiziere, wobei die Eng­länder die verspotteten Zuschauer bildeten, ist in Singapore kürzlich gefeiert worden. Die Frage einer Teilung Samaos unter Deutschland, England und

Feuilleton. «Nachdruck --rbalcn.»

Um Rang im- Reichtum.

Dem Englischen frei nacherzählt von Leo Sonntag.

(Fortsetzung.)

Fernholm war eine von jenen prachtvollen englischen Besitzungen, die man dem Fremden als Sehenswürdigkeiten zu zeigen pflegt. Das Schloß war zuerst eine Abtei gewesen und dann eine Ritterburg geworden. Einer der Könige vom Hause Tudor hatte es gesehen, bewundert und an sich gerissen, um eine Sommerresidenz daraus zu machen; der nächste König schenkte es seiner Geliebten, die es dann ihren Söhnen vererbte. Längere Zeit blieb es in den Händen von deren Nachkommen bis einer derselben, ein großer Verschwender, sich gänzlich ruinierte lind gezwungen war, den Ahnensitz zu verkaufen. Das Schloß kam nun in den Besitz eines reichen Grafen, der es bedeutend vergrößerte und verschönerte. So wanderte die Besitzung noch in verschiedene Hände, und stets wurde angebaut und verändert, bis ein Gebäude ent­stand, das in seiner eigenartigen Unregelmäßigkeit einen imposanten Anblick gewährte.

Der jetzige Eigentümer, der Marquis von Bourdon, hatte sich hauptsächlich auf die innere Ausschmückung geworfen, und wirklich glich das Schloß einem Kunst­palast. Er hatte Gemäldegalerien angebaut, große Bogenfenster ausgebrochen, Glas­malereien angebracht, Treibhäuser errichtet, kurz keine Mühe gespart, um das ganze große Gebäude in allen seinen Teilen zu verschönern. Seine Bilder waren die Be­wunderung von halb England, von seinen Statuen wurde überall gesprochen, seine Besucher zogen von nah und fern herbei.

Es war kein Wunder, daß besonders Künstler und Poeten sich hierher gezogen fühlten: war doch der Ort selbst ein Gedicht, das von allen Zeiteil erzählte, von den ältesten bis zu den neuesten.

An einem warmen Hellen Julitag ging der Marquis in seiner Bibliothek auf

und ab, offenbar aufgeregt und beunruhigt. Er war in seiner Jugend ein auffallend schöner Mann gewesen und hatte auch jetzt noch ein stattliches Aussehen. Die Sorge hatte zwar tiefe Linien in das feine Antlitz gegraben, die sonst so feurigen Augen waren jetzt trübe, das dunkle Haar vom Alter gebleicht; aber noch immer war der Marquis eine stolze, aristokratische Erscheinung.

Ein Leben voller Wechselfälle lag hinter ihm. Von einer Bäuerin geboren, die sein Vater, der vertriebene Pair von Frankreich, geheiratet, hatte er eine armselige Jugend durchlebt. Er hatte seinen Vater unendlich geliebt und verehrt, ihm allein hatte der alte Edelmann das Geheimnis seiner Herkunft anvertraut.

Gehe nach Frankreich, August", hatte er gesagt,gewinne Dir 'Namen und Ehre zurück, und zweifle nicht an dem Erfolg, wenn Du ernstlich willst!"

Und er war hingegangen in das Land seiner Väter, hatte dort gerungen lind gearbeitet, hatte Militärdienste genommen und sich einen guten Namen erworben. Da war es ihm eines Tages vergönnt, dem damaligen Beherrscher Frankreichs einen großen Dienst zu leisten, und die Belohnung war entsprechend. Er wurde in seine sämtlichen Güter wieder eingesetzt, der alte Titel seiner Familie wurde ihm wieder verliehen, und er erhielt eine große Summe Geldes als Entschädigung. Aber der alternde Offizier fühlte kein Verlangen, in Frankreich zu bleiben; er sah um sich nichts als Bestechlichkeit und Spionage, er merkte, wie es in den unteren Schichten des Volkes gährte, und er ahnte, daß er alles wieder verlieren würde, was er kaum ge­wonnen, wenn er hier bliebe. Er verkaufte daher alle seine Besitzungen außer dem Chateau de Bourdon, dem Stammschlosse seiner Familie, und kehrte nach England zurück.

Sein Vater war unterdessen gestorben, ohne daß er ihn noch einmal gesehen oder auch nur zu seinein Begräbnisse hätte kommen können, zwischen ihm und seiner Mutter hatte nie viel Sympathie bestanden, so daß bei seiner Rückkehr nach England längst jede Verbindung mit den: Elternhause abgebrochen war. Wohl hatte er kurz vor dem Tode des Vaters von der Geburt einer Schwester gehört, doch hatte er sich nie um ihre Existenz gekümmert. (Forts, folgt.)