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Rußland.
Petersburg, 18. Aug. Das „Journal de St. Petersbourg" sagt heute: Die Proklamation des Prinzen Ferdinand an die Sobranje könne als offenbarer Trotz, als Aufforderung an die Bulgaren angesehen werden, sich über alle Verflichtungen hinwegzusetzen. Bezüglich des gestern mitgeteilten Artikels der „Norddeutsche Allgem. Zeitung" sagt das „Journal" : Derselbe ist klar, durchaus korrekt und kann uns in keiner Weise überraschen. Wir erwarteten eine solche Haltung von dem Berliner Blatte, verharren auch bei unserer Ansicht, daß die Haltung des Prinzen von allen Regierungen ebenso beurteilt werden wird. Der Prinz scheint sich keine Rechnung davon abgelegt haben, daß der Bruch mit dem öffentlichen Rechte ein vollendeter ist; er geht, wir wollen nicht sagen mit Entschlossenheit, sondern mit Ueberstürzung, blind aus dem Wege der Abenteuer weiter.
Bulgarien.
Tirnowa, 16. Aug. Fürst Ferdinand wohnte heute der Messe in der Kirche bei, welche aus der Zeit der bulgarischen Zaren stammend von den Türken in eine Moschee verwandelt worden, nach dem jüngsten Kriege jedoch dem griechisch-orthodoxen Kultus wiedergegeben war. Dann begab sich der Fürst in die Sobranje und schloß dieselbe. Nachmittags nahm er an dem Mahle Teil, welches die Offiziere ihm zu Ehren im Lager veranstaltet; er ernannte das hiesige Regiment zu seinem Leibregiment und beförderte den Regenten Mutkuroff zum Obersten. Heute giebt die Stadt dem Fürsten ein Ballfest; morgen erfolgt die Abreise nach Gabrowa. In Tirnowa ist alles aufgeboten worden, die Huldigungen auf das Glänzendste zu gestalten. Fürst Ferdinand vermeidet, mit den „Battenbergern" es zu verderben; er erklärte dem Major Popoff, er werde die im Lande vorhandene Achtung für Alexander, den er sehr schätze, Hochhalten.
Htcrges-Weuigkeiten.
ch Calw. Der hies. kathol. Gemeinde steht am nächsten Sonntag der Besuch des Kirchenchores von Ludwigsburg (s. Inseratenteil) in Aussicht. Derselbe singt vormittags während des kathol. Gottesdienstes eine lateinische Messe und wird nachmittags nach einem Ausflug nach Teinach und Zavelstein im Garten oder Saale des badischen Hofes hier noch verschiedene Lieder singen. Da der Zutritt jedermann gestattet ist, werden Freunde eines schönen Gesanges hierauf aufmerksam gemacht.
Heilbronn, 17. August. Heute mittag mit dem Zug 11 Uhr 45 Min. traf der neuernannte Herr Dekan Berg (bisher in Calw) hier ein. Nächsten Sonntag wird derselbe seine Antrittspredigt halten und darauf von Herrn Prälat Raiffeisen investitiert. Heute abend 9 Uhr brachte der Gesangverein des evangel. Vereins dem Herrn Dekan ein Ständchen.
Ravensburg, 16. August. Diesen Nachmittag hat Restaurateur Nägele das Zeitliche gesegnet. Am Sonntag abend fand in seinem Hause eine sogenannte Hochzeitsschenke statt. Unter den zahlreichen Anwesenden befand sich auch der junge Max Ströhle von hier. Dieser verlangte von Nägele einen Regenschirm, den er ihm beim Kommen übergeben habe; dies war aber nicht wahr und so konnte ihm Nägele auch keinen retourgeben. Nun beschuldigte der Bursche den Gastgeber, er wolle einem den Schirm behalten. Hiedurch schwer beleidigt, setzte ihn Nägele mit vieler Mühe vor die Thüre seines Hauses, da stieß ihm der rabiate Bursche ein Stilett in den linken Oberarm. Die Aerzte erklärten die Wunde sofort für gefährlich und jetzt ist Nägele seiner Frau und seinen Kindern schon durch den Tod entrissen. Der Thäter sitzt hinter Schloß und Riegel. Die Aufregung über die Thal ist hier allgemein, und um so größer, als zwei junge Friseurgehilsen, die beim ersten Verbandanlegen als Helfer erschienen, die Uhr und goldene Kette des Verwundeten zu stehlen bemüht waren. Sie haben bereits ein umfassendes Geständnis abgelegt und befinden sich nun ebenfalls im Gefängnis.
— Ueber das Unglück amFalknis weiß der „Freie Rh." folgende Einzelheiten mitzuteilen: Die Verunglückten sind Pankranz Boner, Zimmermann in Maienfeld, Adolf Ranalder, Sticker von Chur, und Elise Hepp, Dienstmädchen in Chur, von Gächlingen, Kt. Schaffhausen, Leute im Alter von 20—25 Jahren. Am Samstag abend unternahmen sie mit einem Bruder des Boner und einem Arbeiter eine Tour auf den Falknis, um Edelweiß zu suchen. Gegen Mitternacht stellte sich ein Gewitter mit heftigem Regen ein. Der auf morgens 4 Uhr projektierte Aufstieg wurde wegen des schlechten Wetters auf 8 Uhr verschoben und um diese Zeit auch unternommen, nicht ohne Widerspruch des einen der Gebrüder Boner. Wohl und munter erstieg man den Berg bis zum untersten Bergkopfe; Edelweiß war genug gefunden und um 11 Uhr vormittags wurde der Abstieg begonnen. Vier Personen waren an dem Seile befestigt: Ranald, die Gebrüder Boner und das Mädchen; letztere hielt das Seil bloß in der Hand. Nach halbstündigem Abstieg mußte die Gesellschaft über eine sehr steile Wiese mit ziemlich hohem Gras und schlüpfrigem Boden marschieren. Plötzlich glitschte die Hepp aus, ließ das Seil los und kollerte über die Wiese einem 80 Fuß tiefem Abgrunde zu. Ranalder wollte das Mädchen aufhalten, allein im Nu kollerte auch er über die Wiese, ebenso Adolf Boner. Der letztere rief in seiner Geistesgegenwart den beiden Zurückgebliebenen noch die Worte zu: „Schafft schnell Hilfe, Ihr findet uns in der Rüfe vielleicht tot!" Das geschah um 11'/z Uhr mittags. Als um 12 Uhr die beiden Zurückgebliebenen in der Rüfe ankamen, waren das Mädchen und Ranalder bereits tot; Pankraz Boner lebte noch, aber er konnte nur wenige Worte stammeln. Alle drei waren furchtbar zugerichtet und mit Blut überströmt. Elise Hepp war die Hirnschale gespalten, so daß das Hirn herausquoll. Bis jetzt verunglückte bei der Besteigung des Falknis noch niemand, auch wurde er nicht für gefährlich betrachtet. An dem Unglück ist einzig und allein schuld, daß die Tour bei schlechtem Wetter unternommen wurde.
Das Eisenbahnunglück in Bloomington. Von den Opfern des furchtbaren Eisenbahnunglückes in Illinois sind bis jetzt nur 74 Leichen identifiziert worden, die Namen von neun Toten sind unbekannt. Die Zahl derjenigen, deren Verwundungen so schwer sind, daß sie nicht transportiert werden können, beträgt 129, 5 von ihnen werden ihren Verwundungen erliegen müssen. Weitere 200 find schwer verwundet. Die Gesamtzahl der Toten und Verwundeten beträgt somit 412, ohne die unbedeutenderen Knochenbrüche, Schnitt- und Brandwunden mit in Rechnung zu ziehen, welche in Privathäusern behandelt werden. Es ist jetzt außer Zweifel, daß die gemeldeten schamlosen Leichenräubereien wirklich stattgefunden haben. Die Annahme, daß der Zug durch Verbrecher zur Entgleisung gebracht wurde, findet noch immer Glauben, und die Eisenbahngesellschaft stellt aus leicht erklärlichen Gründen auch diese Theorie auf. Allgemein aber wird mit Recht darauf hingewiesen, daß es ein Fehler war, den riesigen Zug nicht in zwei Züge abzuteilen und die Fahrgeschwindigkeit nicht in der Nähe der Brücke zu mäßigen. Ein anderer Zug passierte die Brücke unversehrt einige Stunden zuvor. Die Brücke ist so stark, wie hundert andere amerikanische Eisenbahnbrücken. Das Feuer muß in der Nacht ausgebrochen sein. Bahnwärter hatten während der Zeit Unkraut verbrannt. Dieselben erklären natürlich fest, daß sie nichts gethan haben, wodurch das Unglück hätte entstehen können, aber man argwöhnt, daß leicht unbemerkt Funken bis zur Brücke gelangt sein mögen. Die Eisenbahngesellschaft hat schon dreimal bankerott gemacht, und scheint es, daß sie jetzt vollständig ruiniert ist, da sie Schadenersatz- a nsprüche von Doll. 1,000,000 zu befriedigen hat. _
Gottesdienste am Sonntag, den 21. August 1887.
Vom Turme: Nro. 310. Vorm. Pred.: Hr. Helfer Braun. Feier des h. Abendmahls. Nachm. Pred. um 2 Uhr in der Kirche: Hr. Stadlvikar Vogt. Abends 8 Uhr im Vereinshaus.- Mitteilungen des Hrn. Pasior Fliedner aus Madrid über seine Arbeit in Spanien.
Mittwoch, den 24. August, Feiertag Bartholomiii.
Vorm . Pred. um 9 Uhr im Vereinshaus: Hr. Stadlvikar Vogt. _
Gotteräieaste ia äer MetßoäisteaKapekke am Sonntag, den 21. August 1887.
Morgens 9 Uhr, abends 8 Uhr.
Er erhielt keine Antwort, aber die junge Frau verbarg, plötzlich zusammenschreckend, ihre rechte Hand, an deren Ringsinger ein einfacher glatter Goldreif erglänzte, zwischen den Falten ihres Kleides. Ein tiefes Rot färbte ihr Gesicht bis in die Haarwurzel hinauf und ihr Auge wich scheu vem ihres Gegenübers aus, der sie momentan scharf fixierte. Der alte Herr wartete noch einen Augenblick; da sie jedoch noch immer stumm und halb abgewandt vor ihm stanv, so fuhr er in demselben ruhigen Tone fort, als habe er ihre Bewegung gar nicht gesehen:
„Ich frage nicht darnach; mir genügt es, daß Sie mir nicht gesagt haben, daß Sie verheiratet sind! Allein ich wünsche, daß Sie mich vollständig verstehen. Mein Name ist Rodway; ich bin Advokat und Bevollmächtigter des Herrn Marquis August de Bourdon und von demselben mit dem Auffinden von dessen Nichte beauftragt. Sie sind diese Nichte!"
„Sind Sie dessen ganz sicher?" fragte sie mit unsicherer Stimme.
„Leute wie ich irren sich niemals!" entgegnete er zuversichtlich. „Ein einziger derartiger Irrtum würde alle Erfolge eines langen Lebens wieder in Frage stellen. Es kann bei mir auch nicht der geringste Zweifel obwalten; Sie stammen in direkter Linie von dem Marquis Jean Baptiste de Bourdon ab; ich kann es in kürzester Zeit beweisen!"
„So beweisen sie nur!" antwortete sie, bereits wieder ruhig geworden. „Beweisen Sie es mir, bitte!"
Ehe er ihrem Verlangen Nachkommen konnte, wurden Huffchläge laut und gleich darauf wurde ziemlich scharf an die Hausthüre gepocht. Ter Fremde zog sich sofort eilig von dem Fenster zurück; es mußte ihm offenbar daran gelegen sein, nicht gesehen zu werden. Laura Roden indessen eilte auf die Thüre zu, indem sie gleichsam entschuldigend zu ihrem Besuche sagte:
.Es ist Lady Cardin! Ich muß hören, was sie befiehlt!"
Lady Cardin, eine nicht mehr junge Dame, deren Gesicht jedoch noch immer Spuren früherer Schönheit zeigte, hatte ihr prächtiges Vollblutpferd direkt vor die
Thüre des Häuschens eingezügelt, während ihr Reitknecht in einiger Entfernung hinter ihr hielt. Sie war eine stattliche Erscheinung, allein der einzige Ausdruck, den ihr noch jetzt nicht unschönes Gesicht zeigte, war Stolz, eiskalter unnahbarer Stolz. Für sie war jeder nicht den vornehmen Kreisen Angehörige nicht mehr, als Stäub unter den Hufen ihres Pferdes, über den sie gleichgültig hinwegreiten durste. Auch nicht ein freundlicher Zug erleuchtete wohlthuend dies starre Marmorgesicht, als sie mit kaum merkbarem Kopfnicken für die tiefe Verbeugung der jungen schönen GärtnerS- frau dankte.
„Ist Roden zu Hause? fragte sie schroff.
„Nein, Mylady!"
„So sagen Sie ihm, wenn er nach Hause kommt: Lady Cardin sei sehr unzufrieden mit ihm wegen der japanischen Vögeln! Sie werden ihm ferner sagen, daß er für die Vögel zu sorgen hat! Uebrigens müßten Sie auch Zeit genug dazu haben, wie mir scheint. Warum haben Sie es nicht gethan?
„Ich habe nicht daran gedacht!" war die wahrheitsgetreue Antwort.
„Sie hätten aber daran denken müssen! Es ist ein großer Fehler bei Menschen in ihrer Stellung, wenn sie nicht denken wollen!" entgegnete die Dame ungeduldig und klopfte leicht müder Reitpeitsche auf die schweren Falten ihres kostbaren Reitkleides. „Ich bin staubig geworden durch den Ritt; holen sie eine Kleiderbürste und bürsten Sie mir mein Kleid ab, bitte!"
Ein heißes Erröten überzog die Wangen der jungen Frau bei diesem herrischen Befehle und der Gedanke blitzte durch ihr Gehirn: wenn der Fremde da drinnen Recht hätte, so wäre sie ja eine de Bourdon und dann wäre es auch wohl eher an der stolzen Lady da vor ihr gewesen, sie zu bedienen als umgekehrt!"
Aber ihr augenblickliches Zaudern zog ihr einen so zurechtweisenden Blick voll stolzen Erstaunens zu, daß sie sofort in das Haus eilte, um die verlangte Bürste zu holen.
(Fortsetzung folgt.)