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— Die „Berliner Politischen Nachr." schreiben: „In Stuttgart feiert heute am 21. Juni der württemb. Staatsminister der Finanzen, Dr. v. Renner, sein SOjähriges Dienstjubiläum. Die Verdienste des Jubilars um die gesunde Entwicklung der württ. Finanzen — er ist seit 1864 Finanzminister — werden gewiß eingehend von der dortigen Presse am heutigen Tage gewürdigt werden; hier wollen wir nur auf die persönlich loyale und reichstreue Haltung des Jubilars Hinweisen, welche zu bethätigen er in der langen Reihe seiner Dienstjahre, und insbesondere noch im letzten Dezennium Gelegenheit hatte, seit die wirtschaftlichen und finanziellen Aufgaben in den Vordergrund der Reichspolitik getreten sind und den verbündeten Regierungen zu wiederholten Malen zu gesetzgeberischen Maßnahmen von grundlegender Tragweite Anlaß boten. Dem Vernehmen nach hat Se. Majestät der Kaiser Hrn. Dr. v. Nenner zum heutigen Jubiläumstage den Roten Adlerorden l. Klaffe verliehen."
— Der Nordostseekanal soll, wie nach Altona mitgeteilt ist, jetzt noch um 13 Meter breiter ausgeführt werden, so daß statt 58 Meter früherer Breite der Kanal jetzt 71 Meter Spiegelbreite erhält. Selbstredend wird darnach die Sohlenbreite ebenfalls entsprechend erweitert.
— Der „Reichsanzeiger" schreibt: „Umgeben von Ihren Kindern und Enkeln, den Vertretern fast aller regierenden Häuser Europas und den Abgesandten aller Teile des britischen Weltreiches, ist es Ihrer Majestät der Königin Viktoria von Großbritannien und Irland, Kaiserin von Indien, heute beschieden, die in den Annalen der Weltgeschichte nur selten verzeichnete Feier des fünfzigjährigen Regierungsjubiläums zu begehen. Eine ernste, nach innen und nach außen hin bewegte Zeit ist verlaufen, seit die damals achtzehnjährige Prinzessin Viktoria von Kent nach dem am 20. Juni 1837 erfolgten Tode Ihres Oheims, König Wilhelms IV., den britischen Thron bestieg. Ihrem stets vom Geiste der Mäßigung und dem Wunsche, die Wohlfahrt Ihres Volkes zu fördern, beseelten Emfluß auf die verschiedenen Ratgeber der Krone ist es zu danken, wenn trotz mannigfacher äußerer Verwickelungen und innerer Kämpfe das britische Slaatswesen sich in einem so blühenden Zustande befindet. Die Erfolge, auf welche die Königin Viktoria heute mit innerer Genugthuung zurückzublicken vermag, haben in den Herzen der gesamten Bevölkerung des weiten britischen Reichs lauten Widerhall gefunden und jeder Engländer blickt heute mit Stolz und Befriedigung auf die Geschichte und Entwickelung der letzten fünfzig Jahre zurück. Aber nicht auf das Vereinigte Königreich und dessen Kolonien beschränkt sich die Teilnahme an der heutigen Jubelfeier. Von allen zivilisierten Nationen, in erster Linie von Deutschland, wird den Sympathien für Ihre Großbritannische Majestät lauter Ausdruck gegeben. Einen wie hohen Wert Se. Majestät der Kaiser und König darauf legen, in würdigster Weise bei der Feier vertreten zu sein, zeigt die Entsendung Sr. Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen und Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Wilhelm als Repräsentanten Sr. Majestät. Auch das deutsche Volk, eingedenk der Stammesverwandtschaft wie der gemeinsam vollbrachten ruhmreichen Thaten und im Bewußtsein der bei beiden Völkern gleichen Bestrebungen auf dem Gebiet der Kultur und Zivilisation, bringt dem Jubiläum der Königin Viktoria die lebhafteste Teilnahme entgegen und schließt sich aus vollem Herzen dem Wunsch des britischen Volkes an, daß es Ihrer Majestät der Königin vergönnt sein möge, die Regierung zum Segen Ihrer Unter- thanen sortzuführen." _
Hages-Werrigkeiten.
Cannstatt, 22. Juni. Gestern vormittag wurde auf der Eisenbahnstrecke zwischen Waiblingen und Neustadt ein Mann von einem Zug überfahren und getötet. Der Kopf und verschiedene Körperteile lagen vom Rumpfe vollständig getrennt auf den Schienen umher.
Breiten, 19. Juni. Hmte früh wurde das dem Schreiner Jakob Bippes von Diedelsheim gehörig« 3 Jahre alte Mädchen von dem 9 Uhr
55 Min. von hier in der Richtung nach Bruchsal abgehenden Zuge am Bahnübergang von der Maschine erfaßt und fo unglücklich auf die Seite geschleudert, daß es eine Leiche war. Den dienstthuenden Bahnwart trifft keine Schuld.
Ulm, 21. Juni. Heute abend nach 8 Uhr wurde ein junger Herr durch eine Militär-Patrouille auf die Hauptwache verbracht, welcher in dem Festungs-Glacis gezeichnet haben soll. Der später der Polizei übergebene junge Mann gab dort an, er habe nicht gezeichnet, sondern nur zu seiner Orientierung einen in einem Fremdenführer befindlichen Plan aufgeschlagen und in demselben nachgesehen. Da der Fremde lediglich nichts Gravierendes bei sich führte, was auf Terrain-Aufnahmen hätte schließen können, auch in seinen im Hotel befindlichen Effekten nichts Verdächtiges sich vorfand und er sich außerdem noch durch Militär-Paß und Führungs-Attest als Vizefeldwebel (Reserveoffiziers-Aspirant) legitimieren konnte, wurde er von der Polizei vorläufig wieder entlassen.
Gemeinnütziges.
— Im Monat Juni tritt der Kohlweißling in seinen beiden Arten zuerst auf. In verschiedenen Gegenden dürfte derselbe in diesem Jahre in sehr großer Zahl anzutreffen sein, weshalb die Gemüsebeete in dieser Hinsicht besonderer Aufsicht bedürfen. Hat der Schmetterling erst seine Eier auf die Pflanzen gelegt, so sind diese vor den später auskriechenden Raupen nicht mehr zu schützen. Es sei deshalb darauf hingewiesen, daß die Schmetterlinge dadurch von den Kohlbeeten fern zu halten sind, daß man ca. Vs Meter lange Stäbe, an deren oberer Spitze Büschel von Werg eingeklemmt sind, das man vorher mit ^8» koeticka zusammengestampft oder geklopft hat, in Entfernungen von 3—4 Metern in die Beete steckt. Zu jedem Büschel Werg oder in Ermangelung desselben ausgedrehtem Bindfaden nimmt man ein haselnußgroßes Stück ^8» koetiäs, und klopft beides so lange zusammen, bis das Harz mit dem Werg fest verklebt ist. ^8» kootiän ist ist in den Apotheken zu haben.
— Die Vermehrung der Schnecken ist infolge der nassen Witterung dieses Jahres eine bedeutende und namentlich richtet in vielen Gegenden die kleine Nacktschnecke in den Nutzgärten großen Schaden an. Wir bringen deshalb unseren Lesern ein altes, aber nicht genug bekanntes Mittel zur Vertilgung der Schnecken in Erinnerung. Wenn man nämlich leicht gekrümmte Rmdenstücke in Bcaunbier taucht und abends auslegt, wird man am Morgen an der unteren Seite große Mengen von Schnecken finden. Ebenso sollen dieselben auch durch Kohlblätter angelockt werden, die man auf der unteren Seite mit ranziger Butter bestrichen hat.
Kgk. Sta«desa«t ßalw.
Vom 16. bis 23. Juni 1887.
Gebor ene:
16. Juni. Emst Friedrich, Sohn der ledigen Ernstine Bub, Nähterin.
Getraute:
21. Juni. Paul Gustav Breis ch neider, Regierungsbaumeifter von Winnenden, und Sophie Gerber von hier.
Gestorbene:
18. Juni. Emst Friedrich Bub, 2 Tage alt (s. oben).
18. » Christine geb. Rentschler, Ehefrau des Johann Georg Bolz, Taglöhners,
34 Jahre alt.
23. , Anna Maria Schaad, 2 Wochen alt, Hilfsiveichenwärters Tochter.
Gottesdienste am Sonntag, den 26. Juni 1887.
Vom Tnrme: Nro. 270. Bormittagspredigt: Hr. Helfer Braun. Christenlehre mit den Töchtern. Bibelstunde um 2 Uhr, beioes in der Kirche: Hr. Dekan Berg.
Feiertag Petri und Pauli.
Vormittagspredigt um 9 Uhr im Vcreinshaus, Hr. Dekan Berg.
Gotteräieast« ia äer M-tkoäistenkopekke am Sonntag, den 26. Juni 1887. Morgens 9 Uhr, abends 8 Uhr.
Gartenhauses geschlichen kam, vorsichtig umher blickte und dann die Thüre mit einem Schlüssel öffnete. Dann verschwand er in dem Haus — Alles war wieder still.
Der Graf stand wie gelähmt noch immer an derselben Stelle. Dann aber kam es wie ein Sturm über ihn, der sein ganzes Wesen in Aufruhr brachte." Er streckte die Arme vor und ballte die Fäuste, als könnte er nur durch diese Bewegung den Buben niederstrecken. Immer heißer drängte das Blut nach seinem Kopf, er vergaß jede Vorsicht, jede Rücksicht, die er zu nehmen hatte, und stürmte in blinder Wut nach der Thüre des Gartenhauses. Sie war geschloffen — und auch die Fensterläden waren geschlossen. Vergebens schlug er mit der Faust an die Thüre — nichts regte sich. „Oeffnen Sie — öffnen Sie, Johanna!" schrie er mit heiserer Stimme. „Oder beim Himmel . . . ." Alles blieb still. Er keuchte und stöhnte, seine Augen waren aus den Höhlen getreten, wie die eines Wahnsinnigen. „Oeffnen Sie, Johanna!" .... Er stemmte seine Schulter, seinen Fuß an die Thüre — warf sich mit der ganzen Gewalt seines Körpers dawider — das morsche Holzwerk krachte — noch ein Fußtritt — ein Faustschlag und jetzt stand der Jäger vor ihm und neben ihm Baronesse Tini.
Er wich zurück, mit einem Blicke, als ob Gespenster vor ihm auftauchten. Und nun sah er wirklich eines — dort — dort unter den Tannen — totenbleich stand es dorten — es war Johanna.
Tini war feuerrot, der Jäger zupfte verlegen an seinem Schnurrbart. Keines fand ein Wort, Tini ermannte sich zuerst.
„Ich begreife nicht", sagte sie, von dem Grafen auf Johanna und von dieser wieder auf den Grafen blickend, „ich weiß wirklich nicht . . . ."
„Geh jetzt auf Dein Zimmer", unterbrach sie Johanna ruhig. Seit ein paar Tagen raunt man mir schon Dinge über Dich zu, die ich nicht glauben wollte, bis ich mich selbst überzeugt. Ich bin Dir gefolgt — das löst Dir das Rätsel. Geh jetzt — wir sprechen dann darüber."
Tini schüttelte den Kopf, betrachtete wieder abwechselnd Johanna und den Grafen und ging dann schweigend. Während dessen hatte sich auch schon der Jäger
mit einem stummen Gruß nach dem Walde zu entfernt und Fernegg stand nun allein dem Mädchen gegenüber.
Er rührte sich nicht von der Stelle. Den Kopf zur Erde gesenkt, stand er da wie von einer schweren Last gebeugt.
„Ich hätte nicht geglaubt, daß ich die furchtbare Nacht noch einmal werde erleben müssen."
Sie sagte es in so traurigem, schmerzvollem Tone, daß ihm die Worte wie Schwerter durch die Seele schnitten.
„Verzeihen Sie — verzeihen Sie einem Wahnsinnigen!"
„Ich verzeihe Ihnen — gehen Sie in Frieden." Und dann verließ sie plötzlich ihre Ruhe, sie brach in Schluchzen aus und stammelte: „Wenn Sie wüßten, was sie in mir getötet haben!"
Er stürzte vor ihre Füße. „Johanna — Sie lieben mich!"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob es das war, aber es war der Glaube. Den haben Sie getötet in mir. Nun steht wieder das furchtbare Gespenst vor mir — o, wie Hab' ich Sie sehen müssen! Hab' ich das um Sie verdient? Konnten Sie so niedrig von mir denken?"
„Ich war wahnsinnig, ich sagte es Ihnen schon. Was können wir dafür, wenn es uns so übermannt!"
„Ich glaubte meinen Vater zu sehen — o mein Gott! Sie waren es nicht — sagen Sie mir, daß Sie es nicht waren!"
Er rang verzweifelnd die Hände. „Ich gäbe mein Leben hin, Johanna — könnte ich ungeschehen machen —
„Ich war so glücklich heute! So glücklich, daß ich in dem Augenblick, wo ich Tini überraschen wollte, sie auch schon entschuldigte. Vergib ihr — sagte ich mir — stör' dem armen Geschöpf nicht den Traum. Wohin führt uns das Alles — wo war ich! Das Schicksal wollte es, daß ich wieder klar sehe —ruhig — leben Sie wohl, Herr Graf. Vergessen Sie und halten Sie Ihr Versprechen. O Sie können viel — ich weiß es." (Forts, folgt.)
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