60.

1896

Beilage zumGesellschafter".

Nagold, Samstag Le« 83. Mai

!

Pfingsten.

Geist des Sturmes, heil'ger Geist, Komm mit gottgewalt'gem Brausen! Stürze du, was Lüge heißt,

Wahn und Trug im heil'gen Sausen! Wie im Sturm am Pfingsten du Die Dreitausend dir gewonnen.

So durchstürm' dis Welt ohn' Ruh', Vis sie labt dein Lebensbronnen.

Geist des Feuers, brich herein In das Dunkel dieser Erde!

Flamme auf in Hellem Schein,

Daß es in uns Helle werde.

Ohne Licht von deinem Licht Kann die Welt nicht Pfingsten halten. Nur in deinen Gluten bricht,

Was die Herzen macht erkalten.

Geist des Friedens, heil'ger Geist! Komm herab im linden Wehen!

Tröste alle, die verwaist,

Tröste, die verlassen gehen.

Auf die wilderregte Brust Lege deine duft'gen Zweige,

Daß der Trotz in frommer Lust Demutsvoll das Haupt dir neige.

Geist des Sturmes, brich uns Bahn! Geist des Feuers, uns durchglühe!

Geist des Friedens, hauch' uns an, Daß dein Frieden uns erblühe!

Nimm von uns all Weh und Leid, Nimm den Hader all, den alten.

Daß dein Volk heut unentzweit Kann ein rechtes Pfingsten halten!

Das Telegramm des Kaisers nnd die Presse.

Die Worte, die der Kaiser telegraphisch an Herrn Hinzpeter gerichtet hatchristlich-sozial ist Unsinn" unddie Pastoren sollen Nächstenliebe pflegen und die Politik aus dem Spiele lassen, dieweil sie das gar nichts angeht," Worte, die von Herrn v. Stumm der Öffentlichkeit über­geben wurden, finden in der Presse die ausgedehntesten Kommentare. Während die mehr rechtsstehenden Blätter sich im Allgemeinen gebührende Zurückhaltung auferlegen, zeigt der fortgeschrittene Liberalismus, daß er staatsbür­gerliche Rechte preiszugeben bereit ist, wenn es nur gilt, dem Gegner etwas am Zeuge zu flicken und Kapital für die eigenen Bestrebungen herausschlagen.

Von besonderer Bedeutung ist das, was der von dem Pastor Engel redigierte, gemäßigt konservativeReichs­bote" sagt. Zunächst stellt er dem Telegramm folgende Erinnerung gegenüber:

Unser Kaiser sagte in der bekannten Waldsrsee-Ver- ckammlung 1887:Gegenüber den grundstürzenden Tenden­zen einer anarchistischen und glaubenslosen Partei sei der wirksamste Schutz von Thron und Altar die Zurückführung der glaubenslosen Menschen zum Christentum und zur Kirche und damit zur Anerkennung der gesetzlichen Auto­rität und der Liebe zur Monarchie zu suchen. Der christ­lich-soziale Gedanke sei deshalb mitmehr Nachdruck als bisher zur Geltung zu bringen."

Dann schreibt das Blatt weiter:

Christlich-sozial ist Unsinn." Das ist ein verhäng­nisvolles Wort; wirwünschten, es wäre nicht vom Throne herab gesprochen worden. Jedermann weiß, daß es eine Parole war für den Kampf gegen den Mate­rialismus, wie er im liberalen Manchestertum mit seinem rücksichtslosen ausbeuterischen Egoismus und in der revo­lutionären Sozialdemokratie zu volksverderbendem Aus­druck kam. Es sollte kurz und bündig ausdrücken, daß alles darauf ankomme, dieser naturalistischen Weltanschauung gegenüber, welche unser Volk verwüstet, die christlich-sitt­liche Weltanschauung zur Geltung zu bringen. . . . Was heißt Venn überhaupt Politik oder Politik treiben, und wer hat dazu ein besonderes Privilegium? Als im Jahre 1848, 49 und 186268 in der Konfliktszeit das Königtum von der Demokratie aufs Heftigste angegriffen und seine Auto­rität in den Koth getreten wurde, da sind sehr viele Pasto­ren hervorgetreten und haben dem Volke die Gewissen ge- schärfl zum Gehorsam gegen die Obrigkeit und zur Treue gegen den König und doch waren es politische Fragen, wie die Militärreform, die damals auf der Tagesordnung standen und König Wilhelm I. hat in jenen schwe­ren Tagen denpolitischen Pastoren" gedankt für ihre Treue uud Standhaftigkeit. Die Politik ist kein Privi­legium eines Standes, und gerade die Pastoren werden in chrem Amte mehr als alle anderen davon berührt, ob im Staate gute oder schlechte Politik gemacht, ob Kulturkampf­gesetze und eine Gewerbeordnung gemacht wird, welche die Wirtshäuser und Tanzsäle wie Pilze aus der Erde empor­schießen und alle redlichen Handwerker zum Spielball von Ausbeutern und Hausierern werden läßt. Der Arzt, der Lehrer, der Jurist, der Techniker, der Kaufmann werden bei weitem nicht so von der Politik berührt, als der Pastor, weil kein anderer Beruf so wie der geistliche mit dem gan­zen Volksleben bis in seine tiefsten Wurzeln hinein ver­flochten ist. Deshalb versteht aber auch niemand so tief­gehend das Volk und seine Bedürfnisse als ein Pastor, der mit einem warmen Herzen und offenen Augen in seinem Berufe arbeitet, und es würde vieles besser stehen im Staate, wenn man öfter tüchtige Pastoren in manchen sozialen und wrrtschaftlichen Fragen zu Rate zöge, statt anderer Leute,

die das Land und Volk nur vom Hörensagen, von Bilderbogen oder von den Fenstern der Eisenbahn­wagen aus kennen oder nach egoistischen Interessen urteilen. Man könnte deshalb auch sagen: Philologen sollen sich um ihre Schüler, die Aerzte um ihre Patienten und die Juristen um ihre Prozesse kümmern, die Politik geht sie nichts an. Wer würde dann schließlich sich noch um Politik kümmern, als die Agitatoren, die sonst keinen ordentlichen Beruf haben. Wir glauben, daß die Worte so bitter, hart und schroff, wie sie in dem kurzen Telegraphenstil dastehen und wie sie von der demokratischen Presse ausgelegt werden, nicht gemeint sind, sondern hoffen, daß der Kaiser nur die von der großen Mehrzahl der Pastoren sebst mißbilligte politische Agitation mancher ra­dikal gerichteter Pastoren gemeint hat; aber um so mehr beklagen wir die Veröffentlichung dieser Worte in der un­vermittelten Schroffheit und Schärfe des kurzen Telegramm­stils; denn so wie sie dastehen, thun sie der großen Mehr­zahl der Pastoren großes Unrecht und sind sehr geeignet, ihre Autorität und darum auch ihre Wirksamkeit schwer zu schädigen. Wir halten deshalb eine authentische Inter­pretation und Einschränkung dieser Worte für dringend nötig. Zu den evangelischen Pastoren aber haben wir die Zuversicht, daß sie sich durch diese Worte, so wehe sie auch ihren konigstreuen Herzen thun, nicht erbittern lassen."

Hages-WeuigkeiLen.

Deutsches Reich.

Stuttgart, 20. Mai. Der Landtag hat am Montag, wie bereits bekannt, die im vorigen Jahr angefochtene Wahl des nat.-lib. Abg. Krauß für das Amt Reutlingen einstimmig für giltig erklärt. Vo­riges Jahr hat der demokr. Abg. Schweickhardt eine heftige Brandrede gegen die Beeinflussungen und Wahlumtriebe für Krauß gehalten und jetzt konnte der nat.-lib. Abg. v. Geß ohne Widerspruch konsta­tieren, daß alle damaligen Behauptungenunwahr" gewesen seien. Der Abg. Schweickhardt soll dazu ein etwas komisches Gesicht gemacht haben.

Stuttgart, 21. Mai. Am 27. und 28. Mai d. Js. findet in Ebingen der 11. Verbandstag des Landesverbands der Wirte Württembergs statt. Bei der überaus großen Zahl von Verbandsvereinen ist ein zahlreicher Besuch desselben sicher zu erwarten, umsomehr als eine ebenso reichhaltige wie interessante Tagesordnung aufgestellt und für die einzelnen Punkte vorzügliche Referenten bestellt sind. Wir erwähnen hier nur das Referat über den jetzigen Stand der Umgeldsfrage und die Stellungnahme der politischen Parteien zu der Eingabe des Wirtsverbands an den Landtag betr. die Abschaffung des Umgelds, ferner einen Vortrag über die Wichtigkeit der Organisation in welchem ein interessanter Vor- und Rückblick über den Stand der Wirtsorganisation gegeben werden wird rc. rc. Außerdem findet die Neuwahl des Ver­bandspräsidiums statt. Daß zu diesem Verbandstag nicht nur die Verbandsmitglieder sondern jeder Wirt eingeladen ist, ist selbstverständlich. Mit dem Ver­bandstag selbst, ist wie üblich, eine Ausstellung von Erzeugnissen, Maschinen, Gerätschaften und Bedarfs­artikeln für das Wirtsgewerbe verbunden. Dieselbe dauert vom 24.31. Mai (Pfingstwoche) und haben die bürgerlichen Kollegien von Ebingen in entgegen­kommendster Weise als Ausstellungslokal die neue Turnhalle zur Verfügung gestellt, ebenso hat die mit der Ausstellung verbundene Lotterie, zu welcher mtliche Gewinne in der Ausstellung angekauft werden, die Genehmigung der Kreisregierung erhalten.

München, 20. Mai. Die N. N. melden aus Berlin: Der Kaiser hat für die Internationale Kunstausstellung die Verleihung von 20 großen und etwa 50 kleinen goldenen Medaillen in Aussicht ge­stellt. Das revidierte Handelsgesetzbuch wird dem Bundesrat frühestens im nächsten Herbst zugehen; seine Einbringung im Reichstag kann daher späte­stens im Januar erwartet werden.

In Köln ist nunmehr in einer Arbeitslosen­versicherung ein großes soziales Werk geschaffen worden, das vielleicht anderwärts Nachahmung findet. Der Versuch, einen städt. Versicherungsverein gegen Arbeitslosigkeit im Winter zu gründen, schlug wegen Nichtbestätigung der Statuten fehl, jetzt hat sich aber eine Verstcherungsklasse mit demselben Zweck konstituiert. Die Mitglieder, die mindestens 18 Jahre alt sind und 2 Jahre lang ihren Wohnsitz in Köln haben müsseu, zahlen wöchentlich 25 ^ durch Marken­einkleben in ein Büchlein. Sie erkaufen damit bei eintretender Arbeitslosigkeit in der Zeit vom 15.

Dez. bis 15. März das Recht auf Arbeit. Wem

Arbeit nicht nachgewiesen werden kann, der erhält für die ersten 20 arbeitslosen Werktage als Verhei­rateter 2 als Unverheirateter ^ 1.50 den Tag. Als Garantiefonds sind von Ehrenmitgliedern (die 5 ^ jährlich zahlen ohne Anspruch an die Kaffe) und Patronen (einmalige Zahlung von 300 ^) 68000 ^ gesammelt worden. Die Stadt wird für 1869 einen Zuschuß von 26000 ^ leisten. Man hofft nun auf eine starke Beteiligung an der Kasse vonseiten der Bürgerschaft.

Berlin, 20. Mai. Der christlich-soziale Pastor Rauh aus Cladow in Pommern ist am Montag verhaftet worden. Es sollte bei ihm eine Revision der Kirchenkasse stottsinden. Darauf teilte Rauh dem Superintendenten mit, daß die Revision nicht statt­finden könne, da er die Kirchenkasse um 35 000 ^ in seinem Nutzen betrogen habe. Auf Bericht des Superintendenten beim Konsistorium in Stettin er­folgte die sofortige Amtsentsetzung Rauh's. AnslanL.

In Sofia hat sich am vorigen Freitag in aller Stille ein für die Entwickelung Bulgariens bedeut­samer Akt abgespielt. Der Fürst hat die Vertreter Oesterreich Ungarns, Rußlands, Italiens, Englands, Deutschlands, Griechenlands und Belgiens empfangen und ihr Beglaubigungsschreiben entgegengenommen. Hiermit hat der Akt der Anerkennung des Fürsten Ferdinand als Souverän Bulgariens erst seine offi­zielle Weihe empfangen und sind die Vertreter der Mächte mit dem Fürsten in regelmäßige Beziehungen getreten.

Moskau, 19. Mai. Der Erbgroßherzog von Baden und der Herzog Albrecht von Württemberg sind heute hier eingetroffen und vom Großfürsten empfangen worden.

Kairo, 20. Mai. Gestern starben in Alexandria an der Cholera 28 Personen, neue Erkrankungen kamen 6 vor. In Alt-Kairo erkrankten 18 Perso­nen. In Turah, wo 800 egyptische Soldaten gar- nisonieren, ist ein leichtes Anwachsen der Epidemie zu konstatieren.

Kleinere Mitteilungen.

Neuenbürg, 18. Mai. Auf der Maisenmühle wurde der Säger Weber von eine ' zurückschnellenden Baum­stamm so unglücklich getroffen, daß ihm die Gedärme zer­rissen. Vorgestern erlag der Unglückliche seinen furchtbaren Verletzungen. Er hinterläßt eine Witwe und 12 Kinder.

Heilbronn, 19. Mai. Vergangenen Samstag kam ein älterer Junggeselle, aus dem Oberamt Brackenheim ge­bürtig, hieher und wollte 409 ^ in die hiesige Oberamts­sparkasse einlegen, ging aber statt dorthin in eine Wirtschaft, wo er über den Durst trank und nicht mehr auf sein Geld achtete. Gestern früh entdeckte er zu seinem größten Schrecken, daß er seines Geldes verlustig sei. Ob er das Geld ver­loren hat oder ob es ihm entwendet wurde, vermag er nicht anzugeben. Die Polizei ist eifrig bemüht, Licht in die Sache zu bringen.

Biberach, 19. Mai. In später Stunde durcheilte gestern abend die Kunde die Stadt, daß der weithin bekannte und beliebte Gasthofbesitzer B. zum goldenen Rad sich erschossen habe. Der Verlebte stand im besten Alter, er­freute sich eines blühenden Geschäftes und guten Rufes, so daß seine Todesnachricht allgemein überrascht.

Saulgau, 18. Mai. Einem bedauernswerten Unfall ist hier der 17 Jahre alte Präparant Albert Jo pp von Mochenthal bei Untermarchthal, der am 5. Mai ins hiesige Schullehrerseminar eintreten sollte, zum Opfer gefallen. Jopp spielte am 2. Mai mit einem geladen Revolver; derselbe entlud sich, wahrscheinlich infolge Unvorsichtigkeit, und die Kugel bohrte sich tief in den linken Arm ein. Vom Arzt konnte die Kugel nicht aufgefunden werden. (Wo bleiben da die X-Strahlen?) Die Schußwunde heilte zu, aber es zeigte sich bald Blutvergiftung, welcher der hoff­nungsvolle Jüngling, der einzige Sohn einer Witwe im Spital zu Ehingen erlag.

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Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung (Emil Zaiser) Nagold.