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Kiel, 3. Juni. Der Kaiser begab sich heute früh N/j Uhr im offenen Wagen nach Holtenau. Auf dem ganzen Wege bildeten Abordnungen und Schulen Spalier und empfingen den Kaiser mit begeisterten Hochrufen. Die Feier verlief herrlich. Der Kaiser stand während der ganzen halbstündigen Feier aufrecht, ohne den Thronsessel zu benutzen. Der bayerische Gesandte Graf Lerchenfeld hatte den Vorzug, dem Kaiser die Kelle zu überreichen. Er sprach dabei folgende Worte:
„Seit Gründung des Reiches haben Kaiserliche. Majestät mit nie rastender Sorge, mit hoher Weisheit und Kraft für das Wohl Deutschlands gewirkt. Auch heute wollen Kaiserliche Majestät ein Werk begründen, bestimmt, dem deutschen Handel eine Straße zu eröffnen und über seine Küste hinaus die Macht des Reiches zu stärken. Dieselbe Hand, die einst Deutschlands Fürsten und Völker vereinigt, wird jetzt den ersten Stein legen zu einem Bau, der die deutschen Meere verbindet. Möge Gottes Segen, der so sichtlich das Wirken Ew. Kaiserlichen Majestät begleitet, auch auf diesem Baue ruhen! Möge er zur Vollendung gelangen zum Heile Deutschlands, zum Ruhme seines Kaisers! Mit diesem Wunsche überreiche ich Ew. Kaiserlichen Majestät namens des Bundesrats die Kelle."
Der Kaiser sprach nunmehr bei Ausführung der Hammerschläge mit lauter Stimme folgende Worte: „Zur Ehre Deutschlands, seinem fortschreitenden Wohle, seinerMacht, seiner Stärke!" Dann entblößte er das Haupt und fuhr fort: „Im Namen des Kaiserin." Prinz Wilhelm führte als Vertreter seines Vaters für den Kaiser die Hammerschläge aus.
Hofprediger Kögel hielt die Weiherede.
Die von Herrn v. Bötticher verlesene Urkunde lautet:
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen u. s. w. thun kund und fügen wir hiermit zu wissen: Die Herstellung einer unmittelbaren Verbindung der beiden deutschen Meere durch eine für den Verkehr der Kriegs- und Handelsflotte ausreichende Wasserstraße ist seit langer Zeit das Ziel patriotischer Wünsche gewesen. So lange das Vaterland der Einigung entbehrte, lag dieses Ziel in unereich- barer Ferne. Nachdem aber durch Goltes Fügung das deutsche Reich neu erstanden war, konnte der Plan zur Herstellung jener Verbindung in der uns seitdem beschieden gewesenen Zeit friedlicher Entwicklung festere Gestalt gewinnen.
Durch das Reichsgesetz vom 16. März 1886 ist die Verbindung beider Meere nunmehr sichergestellt worden.
Ein Bauwerk von gewaltiger Ausdehnung soll damit unternommen, ein bleibendes Denkmal deutscher Einigkeit und Kraft geschaffen und in den Dienst nicht nur der vaterländischen Schiffahrt und Wehrhaftigkeit, sondern auch des Weltverkehrs gestellt werden. Keine menschliche Voraussicht vermag die zukünftige Bedeutung dieses Baues in vollem Umfange zu ermessen; die Wirkungen ragen über das lebende Geschlecht und über das zur Rüste gehende Jahrhundert hinaus.
Im Hinblick auf diese Bedeutung des vaterländischen Unternehmens haben Wir beschlossen, daß im Namen der Fürsten und freien Städte des Reichs, in Gemeinschaft mit den Vertretern des Reichstages und des preußischen Landtages, der Grundstein zum Bau des Nord-Ostsee-Kanals, und zwar an der Stelle gelegt werde, an welcher sich in Zukunft die Eingangsschleuse bei Holtenau erheben wird.
Möge der Bau dem deutschen Vaterlande, möge er den Elbherzogtümern zu Heil und Segen gereichen! Möge durch ihn das Gedeihen der deutschen Schiffahrt und des deutschen Handels, die friedliche Entfaltung des Weltverkehrs, die Stärkung der vaterländischen Seemacht und der Schutz unserer Küsten kräftig gefördert werden! Das walte Gott in Gnaden!
Gegenwärtige Urkunde haben wir in zwei Ausfertigungen mit Unserer Allerhöchsteigenhändigen Namenrunterschrift vollzogen und mit Unserem größeren Kaiserlichen Jnsigel versehen lassen.
Wir befehlen, diejjeine Anfertigung mit den dazu bestimmten Schriften
und Münzen in den Grundstein der Schleuse bei Holtenau niederzulegen, die andere in Unserm Archiv aufzubewahren.
Gegeben Holtenau, den 3. Juni 1887.
Berlin 5. Juni. Wie die „Post" vernimmt, dürste der Kaiser diesen Sommer seine Kur-Badreise am 18. d. M. antreten und sich wie alljährlich zunächst nach Ems begeben, später folge dann wieder der gewöhnliche Aufenthalt in.Gastein.
Frankreich.
Paris, 1. Juni. In dem vom General Boulanger gestern durch den Telegraphen an die Generalkommandos der 19 Armeekorps heißt es: Offiziere, Soldaten! Da das Kabinet, in welchem ich einen Teil bildete, seinen Abschied genommen, so hat der Präsident der Republik anderen Händen das Portefeuille für den Krieg anvertraut. Indem ich das Kommando über die Armee verlasse, liegt mir daran, allen denjenigen Dank zu sagen, welche mich in der patriotischen Aufgabe unterstützten, unsere Verteidigungsmittel auf die Höhe gegenüber allen Möglichkeiten zu bringen. Sie werden unter dem Befehle meines Nachfolgers sein, was Sie unter dem meinigen waren, treu ihren Berufspflichten, deren Achtung in unseren Herzen alle Empfindungen beherrschen soll. Ich werde der erste sein, der Ihnen das Beispiel dieser zwiefachen Manneszucht, der militärischen und der republikanischen, giebt. — Dann fordert Boulanger allen Ernstes die Armee auf, ruhig zu bleiben, wie er selbst ruhig bleibe. Es liegt darin die Annahme, der Armee würde sich wegen seines Rücktritts eine so lebhafte Bewegung bemächtigen, daß das Eingreifen des Generals notwendig sei, um diese Bewegung nicht zu einem blutigen Aufstand anwachsen zu lassen. Das zeichnet ganz den General, dessen Grundcharakterzug die Eitelkeit ist. Er wollte durch seine Proklamation den Glauben erwecken, daß Offiziere und Soldaten von Verehrung für ihn und Trauer über seinen Rücktritt überströmen, daß nur sein Wort sie von einer Manifestation zurückhalten konnte. Diese Proklamation ließ er am Tag der Uebergabe des Portefeuilles an seinen Nachfolger an sämtliche 19 Generale des Armeekorps telegraphieren, offenbar weil er fürchtete, wenn er brieflich sie übersende, so werde am Ende der Nachfolger die Veröffentlichung inhibieren. (St.-Anz.)
Paris, 3. Juni. General Boulanger, von dem es hieß, er wäre nach Nantes gereist, hat, wie es scheint, Paris niemals verlassen. An dem Abend, wo das Ministerium gestürzt wurde, dinierte er, wie der „Figaro" zu melden weiß, sehr gemütlich mit einigen Freunden an der Cascade im Bois de Boulogne. Am Dienstag ging er auf dem Boulevard in der Nähe der Oper spazieren, während die Kundgebung zu seinen Gunsten im besten Gange war. Als er einen der Eifrigsten, einen Gassenjungen von 15 Jahren, fest ins Auge faßte, that dieser mit ihm fast das Gleiche, indem er ihn anschrie: „Nun, Mann, schreien Sie doch auch: Vivo Loulansser!" Der ehemalige Kriegsnnnister zog sich vorsichtig zurück und stieß, sonderbar genug, auf Herrn Rouvier, der einen weichen Filshut in die Stirne gedrückt hatte, und sich ebenfalls selbst überzeugen wollte, wie es sich mit der Kundgebung verhalte. Auch der „Jntransigeant" weiß zu melden, Boulanger hätte Paris nicht verlassen.
Gcrges-Weuigkeiten.
— sAmtllchesZ Bei der im Mai d. I. vorgenommenen niederen Justizdien st Prüfung ist u. and. Kandidaten zur Uebernahme der in § 7 der K. Verordnung vom 25. April 1839 und in § 4 der K. Verordnung vom 22. Januar 1869 bezeichnten Aemter und Verrichtungen für befähigt erklärt worden: Kober, Christian Friedrich, von Stammheim, OA. Calw.
* Calw. In der gestrigen Verwaltungsratsitzung der Feuerwehr wurde die Liste der in diesem Jahr zum Dienstehrenzeichen Berechtigten entworfen , und werden 40 Mann dasselbe erhalten. Die diesjährige Früh«
„Fünfundzwanzig — sechsundzwanzig."
„Es ist rätselhaft. Und Leute, bei denen kein Mädel auch nur einen Augenblick lang überlegen würde."
„Wer weiß, was da für ein Geheimnis dahinter steckt. Ganz klar ist die Geschichte mit Rifka ja auch nicht. So ein forscher, flotter Junge und totfchießen, weil er einen Korb — nein, das traue ich ihm nicht zu."
„Ueberhaupt eine merkwürdige Familie, die Larinskys. Es müssen da allerlei Geschichten vorgekommen sein. Sie haben alle etwas zu viel."
„Der iltater der Baronesse soll den besten Ruf genossen haben."
„S gewiß — da ist kein Zweifel. Ehrenwert durch und durch. Aber zu viel. Ein Sonderling — ein Philister — ein Moralist. Und sein Bruder — Baron Philipp — das Gegenteil, wenn auch vielleicht nur scheinbar."
„Es war ein Ton Juan."
„Schlimmster Sorte. Und doch verriete» die zwei, wenn man sie genauer kannte, daß sie Triebe von einem Stamm waren. Ich glaube, daß derselbe Bursche ein Liederlich oder ein Asket werden kann, je nachdem —"
„Er hat sein Vermögen durchgebracht."
„Baron Philipp?"
„Ja. Und einen großen Teil von dem Vermögen des Bruders dazu."
„Seine Tochter —"
„Ist die Baronesse Tini. Das arme Geschöpf, das bei der Baronesse Johanna das Gnadenbrod genießt. Auch eine merkwürdige Geschichte."
„Das ist die „Buckel-Baronesse" ?"
„Ja, sie ist ein wenig verwachsen. Das Kindsmädchen ließ sie fallen, als sie noch in den Windeln lag. Es soll damals heftige Zerwürfnisse gegeben haben. Die Baronin trennte sich von ihrem Manne — sie starb im Irrenhaus. Er aber trieb es immer wüster — kam endlich auch in die schlimmsten Konflikte mit seinem Bruder — man spricht von Eifersucht — das alles ist lang her — wer kann wissen, was
dahinter steckt. Die Baronesse Johanna weiß es vielleicht — oder ahnt es — und das ist wohl die Lösung des Rätsels."
„Ich kannte ihren Vater sehr gut und sehe ihn noch vor mir. Ein schlanker Mann mit einem feinen, nervösen Gesicht und den Augen der Tochter. Er ging nie anders als schwarz."
„Trauer um die Baronin, die er sehr geliebt. Sie starb drei Jahre vor ihm — seit ihrem Tode war er stark melancholisch."
„Und sein Bruder?"
„De» besaß endlich gar nichts mehr als Schulden und ging dann nach Amerika. Man hat nichts mehr von ihm gehört. Um die Baronesse Tini hat er sich nicht gekümmert. Auch nach dem Tode der Mutter nicht. Das merkwürdigste ist aber bei alledem, daß Johanna, die in glänzenden Verhältnissen lebt, die brave, ehrenhafte, glückliche Eltern besaß, ernst, melancholisch, zurückhaltend, oft sogar schroff ist, während Tini, dieses Unglückskind, sich zu einem ausgelassenen, lebenslustigen Kobold entwickelt hat. Wenn man die beiden sieht und die Verhältnisse kennt, könnte man wahrhaftig glauben, die zwei Kinder sind in den Wiegen vertauscht worden. Das ist aber kaum möglich, denn Tini ist älter als Johanna."
„Mich dauert nur Fernegg. Er ist bei all seinen moralischen Extravaganzen doch ein guter Junge."
„Er ist eine kühle Natur."
„Aber unter dem Eis ein Vulkan. Ich kenne ihn."
„Es hieß eine Zeit lang, daß er Deiner Schwester den Hof macht, Muki."
„Dem Blitzmädel macht ja Alles den Hof. Ich glaube, daß sie für ihn auch besser passen würde, als diese Trauerweide. In den Ferneggs hat immer ein guter Kern gesteckt, Robert hat nur die Nase zuviel in den Büchern gehabt. Poldi würde ihn schon wieder lebendig machen, dazu hat sie das Zeug."
„Ein Blitzmädel! .... Aber wollen wir nicht ans Billard? .... Herr Bacherl — wo steckt er denn?" .... Samiel herbei! .... Und Sie Karl Sekt!"
(Fortsetzung folgt.)