Stuttgart, 22. Nov. Gegen den Spar- und Konsumverein richtete der Württembergische Schutz­verein schon einige ziemlich scharfe Angriffe. Es wird darin betont, daß die seither bezahlten Dividenden in der Höhe von fast 2 Mill. Mark sich aus rund 300 000 ^ zu wenig bezahlten Steuern, aus rund 1200000 ^ von den vielen Stuttgarter Geschäfts­leuten in Form der berüchtigten Rabatte erhobenen Extrasteuern und der Rest aus den Summen, welche die Aiitglieder des Konsumvereins für die Waren vorher zu viel bezahlt hatten, um sie nachher teil­weise als Dividende zu erhalten, zusammensetzten.

Stuttgart, 26. Nov. Wie dieWürttemb. Volksztg." von zuverlässiger Seite hört, hat die Re­gierung beschlossen, die evangelische Synode zu einer außerordentlichen Tagung zu berufen und zur Stellung­nahme gegenüber der veränderten Sachlage in der Frage des Reversaliengesetzes zu veranlasse».

Riedlingen, 27. Nov. Ergebnis der Land­tagswahl: Wahlberechtigte 5631; Abstimmende. 3755 ; Landgerichtsrat Gröber 3709. Der Rest ist zersplittert oder ungiltig. Der bisherige Abgeordnete, der weben Beförderung das Mandat niederlegen mußte, ist somit wiedergewählt.

Heilbronn, 23. Nov. Ein Komite hiesiger Sozialdemokraten, die angeblich auf dem Boden des Erfurter Programms stehen wollen, erläßt imSo­zialist" (Anarchistenorgan) einen Aufruf, worin die Genossen aufgefordert werden, sich von der Partei loszureißen. Ihr Kampf richte sich nicht gegen das sozialistische Prinzip, sondern gegen die Taktik. Man wolle sich als freie unabhängige Arbeiterpartei or­ganisieren.

Berlin, 28. Nov. Es ist genehmigt worden, daß am 18. Januar 1896, dem 25jährigen Gedenk­tage der Proklamierung des Deutschen Reiches, in allen höheren, mittleren und niederen Schulen des Landes eine allgemeine Schulfeier veranstaltet wird. Diese Feier soll darin bestehen, daß die männliche und weibliche Jugend, an den Seminaren und Präparandenanstalten in den einzelnen Klassen durch die Ordinarien in geeigneten Ansprachen die Bedeu­tung des Tages den Schülern in einfacher, zu Herzen dringender Weise vorgeführt und daran eine gemein­same, aus Gesang und Deklamation bestehende pa­triotische Schulfeier für alle Schüler angeschlossen wird, an den Mittel- und Volksschulen und an den Anstalten für nicht ganz vollstnnige Kinder seitens der Vorsteher oder Lehrer in analoger Weise Ver­anstaltungen getroffen werden.

AuchinPreußensoll nunmehr ein ernsthafter Versuch mit derjenigen Form der bedingten Verur­teilung, die ohne Aenderung der Reichsgesetzgebung möglich ist, nämlich der bedingten Begnadigung, ge­macht werden. In einem königl. Erlaß wird der Justizminister ermächtigt, solchen zu Freiheitsstrafen verurteilten Personen, hinsichtlich deren bei längerer guter Führung eine Begnadigung in Aussicht ge­nommen werden kann, nach seinem Ermessen Aus­setzung der Strafvollstreckung zu bewilligen, indem in den dazu geeigneten Fällen wegen Erlasses oder Milderung der Strafe später entschieden werden soll. Von dieser Ermächrigung soll jedoch vornehmlich nur zu Gunsten solcher erstmalig verurteilten Per­sonen Gebrauch gemacht werden, welche zur Zeit der That das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet hatten, und gegen welche nicht auf eine längere als fechsmonatliche Strafe erkannt ist.

Aus Anlaß der 25jährigen Wiederkehr des Tages der Kaiserproklamation zu Versailles wird, wie es heißt, am kommenden 18. Januar vormittags eine Parade der Garnison Berlin und am Abend eine Hoffestlichkeit statlfinden. Zu diesem Tage sollen alle noch lebenden Militärs, welche vor 25 Jahren zur Kaiserproklamation nach Versailles abkommandiert waren, seitens des Hofmarschallamts eingeladen werden.

Berlin, 26 . Nov. Freiherr non Stumm soll, wie man derFranks. Ztg." aus Saarbrücken be­richtet, am Dienstag voriger Woche in einer Kon­ferenz, die er im Beisein des Glasfabrikanten Wagner aus Sulzbach mit dem Delegierten der evangel. Arbeitervereine an der Saar, Pfarrer em. Leutze, hatte, folgende Aeußerung gethan haben: Alle so­zialistischen Bestrebungen, wie sie nun auch heißen mögen, besonders aber die christlich-soziale Richtung eines Wagner und Naumann, fördern geradezu nur das Werk der Sozialdemokratie; sie beschleunigen nur die Revolution dieser. Das Unheil einer Revo­lution will ich von Deutschland abwenden. Ich reise

am Freitag zu Seiner Majestät, um als Gast an der Jagd teilzunehmen, und werde ihn, den ich in dieser ganzen Sache eins mit mir weiß, scharf zu machen suchen zur Anwendung rückhaltloser Ge­walt, zum Kampf auf Leben und Tod. Wir möchten denn zunächst doch noch ernsten Zweifel darein setzen, ob die Aeußerungen des Herrn v. Stumm richtig wiedergegeben sind.

Der Reichstag liebt es bekanntlich, seine Ener­gie zu zeigen, freilich nicht immer da, wo es ange­bracht ist. In der neuen Session wird er aber Gelegenheit dazu haben, denn es scheint, als ob man in das Gesetz wieder den unlauteren Wettbewerb recht schwächliche und sehr wenig genügende Gesetzes­bestimmungen hineinpraktizieren wolle. Da heißt es: Aufgemerkt und nicht nachgegeben, sonst war die Mühe wieder umsonst. Gesetze, die nicht genügen, gebrauchen wir keine mehr.

Vom Auswanderungsgesetz. In der Presse ist neuerdings mehrfach von der mit der Aufstellung des Gesetzentwurfs über das Auswanderungswesen befaßten Kommission die Rede gewesen. Die Schles. Ztg. brachte Anfang November die Nachricht, daß' die Commissionen unter dem Vorsitz des Direktors' der zweiten Abteilung des Auswärtigen Amtes zu­sammengetreten sei und daß dabei das Ministerium des Innern durch einen Kommissar vertreten werde. Demgegenüber bemerkte dieVoff. Ztg.", daß nicht eine Kommission tage, sondern die Handelsabteilung des Auswärtigen Amtes nur wie gewöhnlich Kom­missarien anderer Reichs- und Staatsämter heran­gezogen habe, doch sei dabei ersichtlich ein ziemlich beschränktes Verfahren eingefchlagen worden, da die Kolonialabteilung des Auswätigen Amtes erst nach einem vor kurzem ergangenen Beschluß des Kolonial­rates an den Verhandlungen beteiligt worden sei. Beide Mitteilungen geben nach den Erkundigungen derKöln. Zta." den Sachverhalt nicht zutreffend wieder. In Wirklichkeit ist, nachdem in Aussicht genommen war, dem nächsten Reichstag den Entwurf eines Auswanderungsgesetzes vorzulegen, zur Auf­stellung desselben eine Kommission zusammengetreten, die aus Vertretern der sämtlichen an dem Gegenstand beteiligten Reichs- und preußischen Ressorts besteht. Die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts ist an den Beratungen bei dem einzigen Punkte, der ihren Geschäftsbereich berührt, nämlich der Frage der An­wendbarkeit des Gesetzentwurfs auf die Beförderung nach den deutschen Schutzgebieten, beteiligt worden, und zwar ist diese Zuziehung nicht erst auf Grund eines Beschlusses des Kolonialrates erfolgt, sondern war von Anfang an in Aussicht genommen und längst eingeleitet.

Frankreich.

Paris, 25. Nov. Das BlattJour" meldet den Rücktritt des Generals Saussier. Er habe wegen der Absetzung des Generals Baratir sofort dem Prä­sidenten der Republik seinen Abschied eingereicht, aber zugestimmt, noch bis zum Januar in seinem Amte zu verbleiben bis ein Nachfolger für ihn ge­funden sei. Der Rücktritt Saussiers war bekanntlich schon bei der Uebernahme des Kriegsministeriums durch Cavaignac vorausgesetzt worden.

Paris, 28. Nov. Alexander Dumas ist gestern abend gestorben. Mit Alexander Dumas, der gestern im 72. Jahre dahingeschieden, verliert die moderne französische Litteratur einen ihrer ge­feiertsten und jedenfalls auch populärsten Vertreter.

England.

Die Engländer scheinen den Feldzug gegen den Neger-Staat der Aschantis in Westafrrka nun wirklich definitiv beschlossen zu haben, und das deutsche Reich hat alle Ursache, darauf zu achten, daß die edlen Briten nicht wieder einmal, wie sie es lieben, im Trüben fischen. Der Feldzug gegen die Aschantis ist gar nichts weiter, als ein Vorwand, sich die Handelsverbindungen bis tief ins Innere hinein auch in diesem Gebiete zu sichern. Von der benachbarten deutschen Togo-Kolonie wurde nämlich im Hinterland ein flotter Geschäfts-Verkehr unterhalten, auf welchen man in London erst aufmerksam und hinterher recht neidisch geworden ist. Natürlich können wir die Engländer nicht hindern, zu machen, was sie wollen, das Aschanti-Land steht schon seit zwanzig Jahren unter britischem Protektorat, wohl aber haben wir aufzumerken, daß unsere rechtmäßige Handelsfreiheit nicht angetastet wird. Leute der Rücksichtnahme sind die Engländer nie, wohl aber eines weiten Gewissens.

Rußland.

Petersburg, 27. Nov. Im großen Palais zu Zarskoje Selo fand gestern die Taufe der Groß­fürstin Olga statt. Derselben wohnten die beiden Paten, Kaiserin Maria, Großfürst Wladimir und die andern Mitglieder des Kaiserhauses bei. Dem Zeremoniell gemäß nahm der Kaiser an der Prozession zur Kirche teil, verließ dieselbe jedoch vor der Tauf­handlung. Nach dem Taufakte folgte Kanonensalut. Der Kaiser und die kaiserliche Familie mit dem Täuf­ling begaben sich nach dem Alexanderpalais. Palais und Stadt hatten geflaggt; abends war Illumination.

Kleinere Mitteilungen.

(*) Wildberg, 26. Nov. Vor einigen Tagen verduftete der hiesige sozialistische Agitator, Schnei­dermeister Haidle, unter Zurücklassung von Frau und Kindern nebst bedeutenden Schulden. Derselbe soll bereits auf hoher See sein. Da seine Gesinnungs­genossen, wie scheint, nicht mit ihm teilen wollten, begnügte er sich mit dem von ihm entlehnten Gelde be.i. Personen anderer politischer Gesinnung.

^ ZA*) Wisdberg, 28. Nov. Am letzten Dienstag Nacht kam es in der Wirtschaft zur Linde in Schön- b roiln zu einer förmlichen Schlacht. In Schön­bronn war nämlich eine Hochzeit und es entstanden zwischen Schönbronner und Sulzer jungen Männern aus geringfügigen Ursachen Streitigkeiten und Rauf­händel, wobei Messer, Stuhlfüße, leere Biersäßchen, Prügel, Gläser und dergl. eine Hauptrolle spielten. Zwei Sulzer Burschen mußten schwer verwundet den Kampfplatz verlassen. Denselben mußten wegen Gefahr der Verblutung Notoerbände angelegt werden, auch mußten sie in Schönbronn übernachten. Andern Tags wurden ihre Wunden von Doktor Zipperlin in Wildberg untersucht und verbunden. Die Wunden sind sehr schwer, doch nicht lebensgefährlich. Der eine wäre höchst wahrscheinlich an Verblutung ge­storben, wenn demselben nicht von Gemeinderat Burkhardt der Notverband angelegt worden wäre. In der Wirtschaft wurde der Ofen, die Thüre, Stühle und alles mögliche demoliert. Das Blut der Verletzten spritzte bis an die Zimmerdecke. Die Schuldigen werden hoffentlich ihrer gerechten Straf? - nicht entgehen.

Stuttgart, 26. Nov. Aus authentischer Quelle wird demSchw. B." folgendes Zollkuriosum mitgeteilt. Ein württembergischer Weinhändler beabsichtigte italienische Weintrauben zur Weinbereitung einzuführen und wandte sich, um ganz sicher zu gehen, an das Hauptzollamt Ulm mit der Bitte, ihm die Formalitäten mitzuteilen, unter welchen die Einfuhr gestattet sei. Bereitwilligst wurde ihm dort Auskunft erteilt und ohne zu säumen kaufte der Mann ein grosses Quantum Trauben in Italien auf. Aber o weh! Als er mit seiner Ladung an der deutschen Grenze ankam, wurde ihm der Eintritt verwehrt, weil die einzelnen Gebinde weniger als 5 Hektoliter Raumgehalt hatten. Er berief sich auf das Hauptzollamt Ulm, welches allerdings in seinem Schreiben des Umstandes, daß jedes Faß wenig­stens S00 Liter halten müsse, nicht gedacht hatte. Vergebens! Auf telegraphisch nach Ulm gerichtete Beschwerde wandte sich das dortige Hauptzollamt, seiner Verantwortlichkeit eingedenk, an das Ministerium mit der Bitte, in diesem Falle eine Ausnahme zu gestatten. Diese Behörde lehnte jede Intervention bei der zuständigen Stelle, dein Bundes­rat, ab, und somit wären die Trauben an der Grenze ver­dorben, wenn nicht der Chef des Ulmer Amtes sich tele­graphisch an den Reichskanzler Fürst Hohenlohe gewandt hätte. Binnen wenigen Stunden kam von dort die lako­nische Antwort:Trauben können eingeführt werden." Große Freude darüber beim Importeur und den Ulmer Zöllnern, weniger aber wohl beim K. Finanzministerium in Stuttgart, denn dasselbe hat, wie man hört, beim Bundesrat Beschwerde gegen diesen Entscheid erhoben, die aber keinen Erfolg ge­habt haben soll.

Ulm, 26. Nov. Der verheiratete Söldner und Pferde­schlächter Damian Ilg von Beuren, B.-A. Neu-Ulm, hat, wie die Ulmer Ztg. berichtet, gestern in seiner Wohnung in Neu-Ulm seinen 21jährigen Sohn Anton nach kurzem Wortwechsel mit einem grifffesten Messer durch einen Stich in die Brust getötet. Der Thäter wurde sofort verhaftet.

Wurmlrngen, OA. Rottenburg, 27. Nov. Löwen­wirt Theurer, Gemeinderat von hier, entfernte sich letzter Tage von Hause, angeblich wegen Geldeinzugs, und kehrte nicht wieder zurück. Da er sich schon früher in Amerika aufhielt, glaubt man, daß er dorthin seinen Weg genommen habe. Zerrüttete Äermögensverhältnisse bei zahlreicher Familie mögen den Mann zu diesem Entschluss« bewogen haben.

Großheppach, 26. Nov. Eine Schreckenskunde durch­läuft heute abend unfern Ort: Ein hies. Schneidermeister hat den Säger Frank bei einem Wortwechsel vor dessen Hause erstochen. Frank gab nach wenigen Sekunden den Geist auf. Der Mörder wurde sofort festgenommen.

Tuttlingen, 27. Nov. Vergangene Woche erschoß sich in Kölbingen der 20jährige A. Zeller, welcher im vorigen Jahre beim Holzfällen um einen Fuß gekommen und seither von der Landwirtschaftlichen Berufsgenossen­schaft unterstützt worden war, aus Sorge um feine Zukunft. Er stellte sich an den Rand eines 20 m tiefen, senkrecht