62. Jahrgang.
Uro. 49.
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Donnerstag, äen 28. Aprik 1887.
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UottLische Wcrchvrchten.
Deutsches Reich.
Berlin, 25. April. Es war nur ein Nachtrags. Etat, den man imRei chstag heute nach wenigen Stunden der allgemeinen Erörterung an die Kommission verwiesen hat, aber er belastet die Gegenwart und Zukunft mit insgesammt 333 Millionen, welche zur Vervollständigung unserer Wehr» kraft ausgegeben werden sollen. Da ist es wohl ausfallend, daß die erste Lesung so rasch von Statten ging. Wo so viele Zahlen ausmarschieren, ist es immer noch der Brauch der Opposition gewesen, eist am zweiten Tag, wenn die Ziffernbilder der Regierungsvertreter schwarz aus weiß wiedergegeben sind, mit dem schweren Geschütz aufzufahren. Die Beratung ging Heute glatt von Statten und kam sofort am ersten Tage zu Ende. Durchschlagend war dafür die sehr präzise Bemerkung des nationalliberalen Führers v. Bennigsen, der in Finanz« und Steuerfragen nachgerade wohl auch als der Führer des Hauses selbst anerkannt ist, — daß die gedruckten Erläuterungen zum Nachtrags-Etat nicht ausführlicher sein konnten und daß die eingehenden Erörterungen nach dem ganzen Wesen der Dinge nur in der Kommission fortgesetzt werden dürfen.
— Dem „Frkf. Journ." schreibt dessen Metzer Korrespondent, daß bereits eine pholograph. Ausnahme der Grenze stattgefunden habe und die Augenzeugen der Verhaftung (Bohnarbeiter) vernommen wurden. Jedenfalls hatte die Verhaftung ganz nabe an der Grenze stattgesunden. Nach dem „Berl. Tagblatt" wirs aus Paris gemeldet: „Der gestern nach Berlin abgegangene KabinetS-Courier überbringt an den französischen Botschafter Herbette Instruktionen über den Fall Sch nebele (nicht Schnäbele). Die Antwort kann vor Donnerstag nicht hier eintreffen. Schnebele hatte ein halbes Dutzend Agenten unter sich, die für den Kriegsminister Boulanger spionierten. Einer derselben Namens Kuhn war von ihm entlassen, in deutsche Dienste übergegangen und hatte da Enthüllungen gemacht. Ebenso sollen sich einige der übrigen Agenten nach und nach haben abfassen lassen, so daß ein großes Beweismaterial gegen den Verhafteten vorliegt."
Berlin, 26. April. Die Affaire Schnebelo nimmt jetzt einen ruhigeren Fortgang, auch in Frankreich scheint die Ueberzeugung zum Durchbruch zu kommen, daß deutscherseits keinerlei gewaltthätige Handlung beabsichtigt wird und daß die Angelegenheit am ersten zu ordnen ist, wenn f.anzösischerseits unberechtigte Ansprüche nicht erhoben werden. Bis-zur Stunde war von den Gerüchten über Demonstrationen vor der kaiserlichen Botschaft in Paris an bestunterrichteter Stelle hier noch nichts bekannt.
Dep. d. Frkf. I.
Frankreich.
— Die Ursache, warum Paul Döroulöde nicht mehr Mitglied der Patrioten-Liga sein will, ist die reinste Langeweile. Seiner Gesinnung, die er heute noch habe, giebt er im „Voltaire" Ausdruck. Der Schluß seiner Erklärung lautet: „Da man doch wissen will, warum ich entmutigt bin, sage ich es laut heraus, in der Ueberzeugung, daß Frankreich nichts zu gewinnen hat, wenn es auf der bisherigen Bahn verharrt. Wenn wir unsere Kaltblütigkeit bewundern, giebt cs jenseits der Grenze ein französisches Land, welches über unsere Politik und über unsere Diplomatie staunt und trauert. An der Stelle unserer Regierungsmänner würde ich jedes Mal, wenn Deutschland uns rücksichtslos begegnet, Erklärungen durch den Vertreter Frankreichs in Berlin fordern, und wenn diese für die Ehre Frankreichs nicht befriedigend wären, vorwärts, marsch! Jedes Mal, wenn Deutschland 60.000 Mann an die Grenze schickt, würde ich ebenso viele französische Soldaten hinschicken, um ihnen vis-L-vis zu machen. Und wenn man mir einwendet, Frankreich würde sich dadurch einer Kriegserklärung aussetzen, so entgegne >ch. von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr ist Frankreich wie Deutschland des Kriegs gewärtig und je rascher er eintritt, desto besser wird es für die beiden Völker sein. Was ist der heutige Friede? Ein Alp. Man baut auf einen Grund, der zittert, und Niemand hegt Vertrauen in die Zukunft. Glauben Sie mir, der Friede wird erst nachher
wirksam und dauerhaft sein.Je eher wir den Frankfurter Vertrag
auf öffentlichem Platze in Straßburg verbrennen werden, desto besser wird es für Frankreich, für die Republik und den europäischen Frieden sein."
R « tz l a u d.
— Die russische Presse ergeht sich in den gehässigsten Insinuationen gegen Deutschland anläßlich des Falles Schriebet. Die Verhaftung des französischen Polizeikommissars wird die Ausführung eines lange vorbereiteten Planes, zum Mindesten aber für eine beabsichtigte Provo- cierung e. klärt. Durch dieselbe müßte in Frankreich unbedingt eine verschärfte Erbitterung hervorgerufen werden, was man allerdings in Berlin.
JerriLLeLon. «N^dr»-°nb°t°n.>
In sNZ'is.
Novelle von Woksgang IZrachvogel.
(Fortsetzung.)
Als sie den Ritter Rosenkrands bemerkte, blieb sie stehen und streckte ihm lächelnd ihre kleine Rechte entgegen.
Sie fteute sich, ihn wiederzusehen und sprach lange mit ihm, war jedoch ein wenig zerstreut und gab manchesmal verkehrte Antworten; auch glaubte Rosenkrands zu bemerken, daß sie immer an ihm vorbei und nach Holger blickte.
„Wen habt Ihr da, mein Chevalier?" fragte sie endlich.
„Meiner Schwester Sohn, den Junker Wind von Harrested."
„Er ist sehr schön, und Ihr werdet ihn fleißig hüten müssen, wenn er Euch anvertraut ist und Ihr ihn bewahren wollt. Lebt wohl, ich hoffe. Euch mit Eurem Neffen bei mir zu sehen."
Sie warf dem Junker noch einen Blick zu, der ihm das Blut in die Wangen «mportrieb, dann rauschte sie mit ihren dienenden Frauen dem Schloßportal zu.
Der Ritter schritt mit seinem Neffen eilig weiter, sagte ihm aber nichts von der Einladung der Gräfin. Als sie aber den Schloßhof verlassen hatten, fragte er: „Nun, was meinst Du?"
Da fuhr der Junker auf, faßte sich aber geschwind und versetzte lachend:
„Wenn ich zwischen Uhlefeld und Sehestedt wählen müßte, so würde ich mich für die Gräfin Penz entscheiden.-"
Ungefähr zu derselben Stunde ging Erik Ranzow zu seiner Base, der Frau Friedrich, um sich nach der langen Abwesenheit zurück zu melden und dem Wohlwollen der edlen Frau zu empfehlen.
Als der junge Graf gemeldet wurde, saß Ebba mit Leonora im Wohnzimmer, sie stickte gerade über einem Wamms, das sie ihrem kleinen Vetter Friedrich zum
! Christfest bescheeren wollte, und wurde bleich wie der Schnee, der draußen lag, als- I sie den Namen des Ankömmlings vernahm, denn sie wußte sehr wohl, daß Erik Holger's Freund und Reisegefährte war, und glaubte zuerst auch, daß er mit einer Botschaft des Junkers zur ihr käme.
Als er jedoch bei den beiden Mädchen saß, von seiner Reise Wunderdinge erzählte und nur so nebenbei des guten Gefährten und lustigen Genossen erwähnte, merkte Ebba sehr bald, daß er nicht von Holgers Liebe zu ihr wüßte.
Am nächsten Tag saß Ebba fortwährend im Erker und schaute den Weg hinauf, den Holger kommen mußte; sie hatte ein seidenes Gewand angezogen, obwohl das, Trauerjahr um Frau Giedde erst in einigen Tagen um war, aber sie wollte den Geliebten festlich empfangen und ihn nicht sogleich an die Trübsal erinnern, die sie, während er fort war, durchgemacht hatte — Holger jedoch kam nicht, auch die folgenden Tage saß sie in festem Vertrauen in ihrem Festgewande und wartete;, er kam aber nicht.
Am Todestage ihrer Mutter zog sie das Seitenkleid nicht mehr an, sie schaute trotzdem jedoch den Weg hinauf, den sie in den letzten Tagen von früh bis spät bewacht hatte; erst als es dämmerte, ging sie in die Wohnstube hinab; sie hatte lange geweint, und die Gräfin Ranzow meinte, ihre Thränen wären dem Andenken der Mutter geweiht gewesen, und sprach ihr Trost ein. —
V.
Durch Rosenkrands eingeführt und bestens empfohlen, kam Holger Wind in die großen Familien, die im Winter in Kopenhagen Hof hielten und ein Haus machten.
Es war auf einem Feste beim Kanzler Walkendcrf, Holger hatte viel getanzt und stand jetzt an 'eine Säule gelehnt, um das bunte bewegte Treiben der Gesellschaft zu betrachten.
Es war ihm plötzlich, nachdem er so lange nicht an sie gedacht hatte, der Gedanke an Ebba Giedde gekommen; er hatte sie im Strudel des Lebens in Versailles und Florenz, in den Armen so mancher schönen Frau vergessen. — Jetzt stand sie