dem angeborenen impulsiven Temperament die Schenk­lappen und Zügel abwägender Bedächtigkeit anlegt und den wagemutigen Drang nach Abenteuern, der im Innersten der gallischen Volksseele glüht, gewalt­sam zurückhält. Noch vor Kurzem war das ganz anders. Wir wollen nicht daran erinnern, wie leicht­herzig Frankreich sich seiner Zeit in das große tonkinesische Abenteuer stürzte, viel näher liegt die Erinnerung an die frische Entschlußkraft, mit der es seine Siam-Kampagne in Angriff nahm, und die Begeisterung, mit der es sie durchführte. Wenig mehr als zwei Jahre sind seitdem verstrichen, neuer­dings steht Frankreich vor einem großen Unternehmen, das seine Weltmachtstellung bedeutend zu erhöhen verheißt, aber nur zögernd, lediglich aus verstandes­mäßigen Erwägungen heraus gehl die Nation daran. Von letzten Donnerstag ab wurde in der Deputierten­kammer die Madagaskarsrage behandelt. Viele Red­ner haben sich für und wider die Expedition ver­nehmen lassen. Der langen Reden kurzen Sinn faßt derRadical" treffend zusammen, indem er bemerkt, daß die Redner im Grunde nur je ein Argument für und wieder den Regierungsantrag haben.Die Expedition ist eine Dummheit," sagen die Einen; aber diese Dummheit ist unvermeidlich," setzen die Andern hinzu. Beide Teile haben Recht und somit müssen wohl die 15 000 Mann und 62 Mill. Frcs. bewilligt werden.

Italien.

Rom, 26. Nov. Während das aus Monza ein­getroffene Königspaar heute den Bahnhof verließ, stürzte der frühere vielgenannte ehemalige Abgeord­nete Coccapieller, das Spalier durchbrechend, vor, um dein König ein Papierheft zu überreichen. Von zwei Polizeibeamten daran gehindert, erhob er gegen dieselben einen Stock und schrie mehrmals:Ich bin der römische Tribun, und wenn ich will, wird Ita­lien und die Welt erzittern." Nur mit äußerster Mähe gelang es, den Tobenden zu entfernen.

Rom, 27. Nov. Die heute früh in Verona, Bologna und Brescia verspürten Erderschütterungen wurden auch in Domo d'Ossala, Mantua, Pavia, Parma und Bergamo wahrgenommen. Die Instru­mente des hiesigen seismoqraphischen Instituts zeig­ten die Erdstöße gleichfalls an.

Griechenland.

Der Athener Bürgermeister Melas wurde durch ein königliches Dekret ab gesetzt. Seine frei­willig angemeldete Amtsniederlegung blieb unberück­sichtigt, da sie nicht vorschriftsmäßig erfolgt sei. Die staatliche Untersuchung ergab angeblich eine große Verwirrung in den Stadtfinanzen, was jedoch nichts Neues ist. (Weit richtiger wäre es, wenn die griechische Regierung eben solche Sorge um die Staats- wie um die Athener Stadtfinanzen an den Tag legen wollte. Der Bürgermeister verweigerte den Zuschuß für die staatlichen Schulausgaben so lange, bis nicht die rückständigen Zahlungen für die Enteignungen zu Gunsten des Staates geleistet wären und der König die Beleuchtungs- und Wasserkosten für seine Paläste gezahlt Hütte.)

England.

London, 27. Nov. DemBureau Reuter" wird aus Shanghai die Gefangennahme seines Spe- zialkorrespondenten in Port Arthur durch die Japaner bestätigt. Die Japaner hielten den Korrespondenten für einen Offizier in chinesischen Diensten. Es sind Schritte zu seiner Befreiung eingeleitet.

London, 28. Nov. Ein ehemaliger deutscher Offizier, welcher einen Aufstand in Hawai organisiert hat, ist flüchtig geworden. Die Blätter fahren fort, China zum Friedensabschluß zu drängen. Aus den diesbezüglichen Aeußerungen der größeren Blätter klingt gleichzeitig die Drohung gegen Japan durch, keine übertriebelcen Bedingungen zu stellen, da für diesen Fall die Einmischung anderer Staaten nicht ausgeschlossen sei.

London, 28. Nov. Reuter meldet aus Port Louis von heule, ein Manifest der Königin der Hovas fordert ihre Untertyanen aus, den Franzosen nach­drücklich Wioer>land zu leisten. Das Manifest wurde in Andohalo in der Nähe der Hauptstadt öffentlich verlesen und enthusiastisch ausgenommen.

London, 20. Nov. Times meldet aus Tschifu. Es bestätigt sich, daß beiderseits Grausamkeiten be­gangen wurden. Zahlreiche japanische Gefangene wurden enthauptet oder verstümmelt aufgesunden: Die Japaner gaben deshalb keinen Pardon.

Rußland.

St. Petersburg, 26. Nov. Die Trauungs­feier fand in der Kapelle des Winterpalastes streng nach dem orthodoxen Ritus statt. Vor der sog. Kaiserthüre war eine Estrade errichtet, die mit Rosa­seidenstoff überzogen war. Darauf stand ein Kreuz. Wechselgesänge zwischen Priestern und Chor eröff- neten die Feier. Der Kaiser trug Husarenuniform mit weißer, pelzbesetzter Attila. Der Kaiser stand rechts, die Braut links; hinter dem Kaiser der Kö­nig von Dänemark, die Kaiserin-Mutter und Groß­fürst Wladimir, umgeben von den übrigen Groß­fürsten ; hinter der Braut der Großherzog von Hessen und die ausländischen Fürstlichkeiten. Die Trauungs­zeremonie verlief folgendermaßen: Der Beichtvater Janitscheff tauschte die Eheringe dreimal zwischen Kaiser und Braut aus. Das Brautpaar zündet? die ihm gereichten, mit Orangebändern und Orange­blüten umhüllten Kerzen an, worauf der Priester mit der Stola die Hände des Paares verband. Unter Chorgesängen umschritten die unvermählten Großfürsten und der Kronprinz von Griechenland das Brautpaar, indem sie eine Krone über dem Brautpaar hielten. Darauf erfolgte die Einsegnung, wonach die Ehe als vollzogen gilt. Sodann Tsäoniu. Nach der Trauung wurde in dem Malachitsaale des Winterpalastes das Frühstück eingenommen, woran die Neuvermählten, die Kaiserin-Witwe und die kai­serliche Familie nicht teilnahmen. Am heutigen Fest­tage war die allgemeine öffentliche Trauer beendigt. Merkwürdig berührte es, wie beim Durchschreiten der Säle der Brautzug vom aufgestellten Ehrendienst mit dem Rufe: Hoch sollen Sie leben! begrüßt wurde. Unter den teilnehmenden Priestern war auch Pater Johann von Kronstadt.

St. Petersburg, 27. Nov. Die Fahrt des Kaiserpaares vom Winterpalais nach der Kasan­kirche führte zu den großartigsten Volksdemon­strationen. Es war keinerlei Truppen Spalier, und keine Eskorte vorhanden. Die Menge umdrängte jubelnd den prächtigen Galawagen. Keinerlei Unfall kam vor. An der Kasankirche, wo der Kaiserwagen in langsamem Schritt fahrend, um 2llll Uhr eintraf, erwartete der Metropolit mit hoher Geistlichkeit das Kaiserpaar und reichte ihm das Kreuz mit dem Mutter­gottesbild und Weihwasser dar. Der Kaiser und die Kaiserin verweilten dort etwa 10 Minuten in andachtsvollem Gebete. Fortgesetzter endloser Jubel begrüßten dieselben. Nach der Besteigung des Wa­gens begleiteten die ganze Fahrt bis zum Anitschoff- palais wiederholte enthusiastische Kundgebungen, welche den Gipfel erreichten, als der Kaiser mit der Kaiserin und der kleinen Großfürstin Olga am Fenster erschienen. Sie verblieben etwa eine Viertelstunde am Fenster. Die Kaiserinwitwe ist vom Winter­palais direkt nach dem Anitschkoffpalais gefahren.

Petersburg, 27. Nov. Heute mittag findet auf der deutschen Botschaft ein Frühstück statt, zu welchem der Herzog von Coburg-Gotha, der Groß­fürst Wladimir, der Kronprinz von Rumänien, der Prinz von Sachsen-Altenburg ihr Erscheinen zugesagt haben. Kaiser Wilhelms Hochzeitsgeschenk war ein prachtvolles Tischservice aus der Berliner Por­zellanfabrik. Die Prinzessin von Wales bleibt vor­läufig bei der Kaiserin Witwe. Der Prinz von Wales bleibt bis Sonntag hier, um am Samstag noch den Geburtstag seiner Gemahlin mitzufeiern. Die Abreise der Kaiserin Witwe nach dem Kaukasus ist noch aufgeschoben.

Petersburg, 28. Nov. Der Zar soll über die anfängliche Eidesverweigerung von einigen finnlän- dischen Gemeindebehörden verstimmt gewesen sein. Er ließ den Finnländern Mitteilen, daß jede Opposi­tion gegen die Verfügungen der Regierung unnach- sichtlich unterdrückt wird. Gerüchtweise verlautet, der Zar beabsichtige die Einführung des Parlaments in Rußland.

Petersburg, 28. Nov. Die Leiche Rubinsteins wurde gestern vorm, vom Peterhof nach Petersburg gebracht. Vom baltischen Bahnhof bis zur Drei­faltigkeitskirche harrte eine große Menge des Trauer­zugs. Die Vertreter der Musikgesellschaften beglei­teten den Sarg, welcher in der Dreifaltigkeitskirche bis morgen aufgebahrt wird. Morgen findet die Beerdigung auf dem Newskykirchhof statt.

Petersburg, 29. Nov. Der Kriegsminister Wannowski soll vom Zaren im Privatgespräch auf i das Herzlichste ersucht worden sein, die Gedanken an seinen Rücktritt aufzugeben.

Asien.

Aokohama, 27. Nov. Der Kaiser erließ an die japanische Armee und Flotte, die Port Arthur genommen, folgende Proklamation: Port Arthur, das der Feind für einen Schutzwall seines Landes hielt, ist von euch in einem Ansturm genommen worden. Wir würdigen eure Dienste; da aber die Kälte zunimmt und das Ende der Operationen noch ferne liegt, wahret euch gute Gesundheit, um eure Leistungen fortzusetzen.

Kleinere Mitteilungen.

Ulm, 25. Nov. Gestern Nachmittag wurde hier Pfarrer a. D. Joh. Will). Friede. Seufser, ein geborener Ulmer beerdigt. Gr starb nach kurzer Krankheit hochbetagt, nachdem er sich sein Leben lang einer eisernen Gesundheit erfre.a hatte. 1816 als Sohn des Schlosseroberzunftmeisters Gwr.. Heinr. Seufser geboren, hatte er die hiesigen Lehr- anstaa.n besucht, im Stift zu Tübingen Theologie studiert und nach ISjähriger unständiger Verwendung die Pfarreie n Waldlhann, O.A. Crailsheim, Zainingen. O.A. Urach und Ersingen O.A. Ehingen, versehen. Den Ruhestand genoß er in seiner geliebten Vaterstadt, über deren Vergangen­heit er in den Bierteljahrsheften des Vereins fürKunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben" wertvolle Bei­träge veröffentlicht har, so namentlich über die Ulmer Schmiedezunsl. Bei der Beerdigung befanden sich unter der großen Menge Leidtragender viele Angehörige der Gemeinde Ersingen. Dekan Bllfinger hielt die Grabrede. Der Amtsnachfolger des Verstorbenen in Ersingen legte Namens der Gemeinde am Grabe einen Palmenkranz und Landgerichtspräsident v. Schad Namens des Alterlums- vereins einen Lorbeerkranz nieder.

Bor einigen Tagen wurde in Paris der Leichnam eines Mannes aus der Seine gefischt. Sofort bildet sich ein Kreis von Neugierigen am Strande, die den Toten be­trachten. Als der in Eile herbei ,erusene Viertels-Kommissär am Platze erscheint, rusc einer der Anwesenden:Aberden kenne ich doch! Das ist der Thürhüter des Hauses Num­mer Soundso in der Rue de Chaillot. Er war ein guter Kerl, aber er trank manchmal einen über Durst und das wird ihm wohl ins Oberstübchen gefahren sein, so daß er ins Wasser gefallen ist." Der Mann gab eine solche Fülle von Einzelheiten an, daß der Kommissär nicht mehr zweifeln konnte. Er ließ den Ertrunkenen nicht nach dein Leichen­schauhause, sondern nach der angegebenen Wohnung in der Rue de Chaillot bringen. Vor vem betreffenden Hause angekommen, geht der Polizeikommissär zu der Thürhüterin und bereitet sie und ihre Tochter in schonendster Weise auf die Trauerbotschaft vor; dann übergiebt man ihr den Leich­nam. Auch die beiden Frauen erkennen ihren Gatten und Vater und brechen in einen Thränenstrom aus. Nun betten sie den Toten auf sein Lager, zünden zwei Kerzen zu Häupten an, richten eine Schüssel mit Weihwasser her und stellen ein Kruzifix auf den Nachttisch. Unterdessen kommt auch der Sohn von der Arbeit heim. Wie er den Vater tot daliegen sieht, übermannt ihn auch der Schmerz, doch findet er den Vater stark verändert. Ein leichter Zweifel taucht in ihm auf, er läuft flugs nach der Arbeitsstätte seines Vaters, findet diesen dort wohlbehalten und munter wieder und fällt ihm unter Thränen um den Hals. Der gute Alte denkt, sein Junge ist verrückt geworden, doch ein paar Worte des letzteren klären die Lage auf. Da erfaßt den braven Mann eine blinde Wut; er fliegt nach Hause, stürzt mit einem Fluche ins Zimmer, stößt Frau und Tochter beiseite, ergreift den Leichnam,der es wagt, sich auf seinem Bette breit zu machen", und hätte ihn zum Fenster hinaus­geworfen, wenn nicht der Kommissär erschienen wäre und den Wütenden mit Mühe besänftigt hätte. Der Leichnam wurde jetzt nach der Morgue geschafft.

Handel L Berkehr.

Rottenburg a. N., 27. Nov. Unser heutiger vierter Hopsenmarkt erhielt eine neue Zufuhr von 170 Ballen. Im ganzen wurden 70 Ballen verkauft und zeigt es sich also deutlich, daß unser Markt lebens- und existenzfähig ist. Wenn der Markt am Schluffe der Saison noch so animiert sich darstellt, so ist zu erwarten, daß derselbe aufs nächste Jahr bei Beginn der Saison ein lebhafter werden dürste. Für Prima-Qualitäten, die jetzt sehr rar geworden sind, wurden 6070 nebst Leihkauf angelegt und Mittel­ware, die jetzt in Ermangelung von Prima an die Reihe kommt, erzielte 4455E.

Ravensburg, 24. Nov. (Biehmarkt.) Beisuhr von Rindvieh 160 Stück, verkauft 120 Stück, von Ferkeln 510 Stück, verkauft 480 Stück, Durchschnittspreis 19,50 ,A.

Bamberg, 26. Nov. Auf dem Hopfenmarkte geht es mit dem Vorrat des grünen Hopfens allmählich zu Ende. Aischgründer Hopfen wurden von 3050 P- Ztr. ab­gewogen.

Konkurseröffnungen. Friedrich Stengel rn, Kaufmann in Oberroth.

Hiezu das Unterhaltungsblatt Nr. 48 u. eine Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung (Emil Zaiser) Nagold.

jeder Art werden rasch und pünktlich ausgeführt.