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auf eine aus dem Niederwald heraustretende Abteilung von 400 Zuaven gestoßen, welche sich ohne Widerstand ergab. Im Gefechte vom 21. Dez. 1870, als General Vinoy einen Vorstoß bei Noisy le Grand unternahm, hatte Graf Scheler auf dem rechten Flügel des Abschnittes südlich der Marne den Oberbefehl zu führen; er wurde in diesem Gefechte verwundet. Nach dem Feldzug am 25. Okt. 1871 wurde Sch. Generallieutenant und Gouverneur von Stuttgart. 1879 wurde Sch. pensioniert. Sch. war als langjähriger Gouverneur von Stuttgart eine in weiten Kreisen bekannte populäre Persönlichkeit, ein liebenswürdiger, milder Charakter.
Stuttgart, 30. März. (Landgericht.) Gestern vormittag stand der 21jährige ledige Metzgergeselle Wagner von hier wegen eines versuchten schweren und eines vollendeten einfachen Diebstahls im Rückfall vor der II. Strafkammer. Es ist der Bursche, der den frechen Diebstahl in die Metzger Bühler 'sche Wohnung gemacht hat, worüber wir seiner Zeit berichtet haben. Während der Untersuchung dieses Falles stellte es sich heraus, daß er in Karlsruhe nach kaum absolvierter Monatlicher Gefängnisstrafe am 28. Februar nachts einen Zimmergenossen bestohlen hatte. Er zog, als dieser schlief, dessen Kleiver an, nahm seine Uhr und entfernte sich damit. Der Wert des Gestohlenen beträgt etwa 70—80 Er begab sich nach Ludwigsburg, woselbst er die Uhr um 10 verkaufte. In Stuttgart brachte er seine Mutter um 25 vIL und wurde nach kurzem Aufenthalt aus dem Hause gejagt. Nun faßte er den Entschluß, den Metzger Bühler zu bestehlen; er schlich sich abends 10 Uhr in dessen Hof, Rothestr. 37, stieg über ein Dach in das Schlafzimmer, das zu ebener Erde liegt, und versteckte sich unter einem Bette in der zugegebenen Absicht, während des Schlafes des Bühlerffchen Ehepaares hervorzukommen und zu stehlen. Er kannte den Ort, wo das Geld aufbewahrt wurde, und wußte, daß stets eine größere Summe vorrätig war, denn die Tageseinnahme belauft sich auf 3 bis 400 Mark. Als der Dieb schon verhaftet war, fand man unter der Bettvorlage ein schweres Beil vor, das sonst in der Kirche zu hängen pflegt und das nur er dahin gebracht haben konnte; zu welchem Zwecke kann auch nicht zweifelhaft sein. Er leugnet indes, das Beil mitgebracht zu haben. Das Gericht gewann aber die volle Ueberzeugung, daß er das Beil mitgebracht habe und zum Aeußersten entschlossen war, und verurteilte ihn zu 4 Jahren Zuchthaus. Die Gesamtstrafe beträgt 5 Jahre Zuchthaus, Verlust der Ehrenrechte auf die Dauer von 10 Jahren und Polizeiaufsicht.
— In Backnang herrscht seit Ende der letzten Woche große Aufregung und Bestürzung über das Verschwinden des Loh- und Lederhändlers Ludwig und dessen Teilhaber Wiedemann. Dieselben sollen ein Defizit von über >/2 Million hinterlassen und gegen 60,000 die Ludwig von den verschiedensten Stellen noch erhoben, mitgenommen haben, auch spricht man von Wechselfälschungen. Von dem Verlust werden insbesondere sehr viele kleine Leute hart betroffen. Die Flüchtigen werden steckbrieflich verfolgt, haben aber einen Vorsprung von 8 Tagen.
Von der Tauber, 30. März. In Dettigheim ist gestern abend gegen 8 Uhr in der ganz nahe am Bahngeleise stehenden Scheune des Bauern Wöppel ein Brand ausgebrochen, wie man vermutet, durch einen Feuerfunken der Lokomotive des Vs8 Uhr-Zuges. Durch thatkräftiges Einschreiten konnte das Feuer auf seinen Herd beschränkt werden.
Blochin gen, OA. Saulgau, 29. März. Bei dem Oekonomen Matthäus Widmann brach gestern früh Feuer aus, welches binnen wenigen Stunden Wohnhaus und Scheuer nebst dem gesammten Mobilar samt Stroh und Futter in Asche legte. Bei dem sehr heftigen Wind waren die Nachbarhäuser, namentlich das Pfarrhaus, in großer Gefahr und deren Bewohner hatten ihre Mobilien geflüchtet; es gelang aber der Feuerwehr, diese Häuser zu retten.
— Am Palmsonntag wird in Pforzheim zur Feier des 20jährigen Bestehens des dortigen Musikvereins u. A. das Oratorium „Sachsen- Her z o g Schwerting" zur erstmaligen Aufführung gelangen. Verfasser
des Textbuches ist der in litterarischen Kreisen wohlbekannte Schriftsteller Johann v. Wildenradt, Komponist Emil Ehrismann, der durch seine früheren Tonwerke die Aufmerksamkeit aller Anhänger ernster Musik zu fesseln verstanden hat. Dem Oratorium liegt eine Erzählung aus der alten Sachsenchronik zu Grunde, laut welcher König Frode von Dänemark verheerend in Sachsenland eingefallen sei. Herzog Schwerting, von Frode geschlagen, habe darauf den Sieger in der Herzogsburg empfangen und dieselben an allen Ecken auzünden lassen, so daß Frode, Schwerting und alle in der Burg Anwesenden verbrannt seien. Durch die Einfügung Gunilds, einer Tochter Schwertings, erhält die Handlung erhöhtes dramatisches Interesse. Die Musik selbst bewegt sich in klassischen Formen, von tiefer Empfindung beseelt. Wir machen Musikfreunde ganz besonders auf dieses Werk einheimischer Kunst aufmerksam.
Die Mattkäuspaffion von I. 8. Kack.
-j- Der Kirchengesangverein wird am kommenden Sonntag abend verschiedene Teile der Matthäuspassion in der Kirche zur Aufführung bringen, wozu Jedermann freien Zutritt hat. Zu einigem Verständnis und Würdigung des Kunstwerks möchten folgende kurze Bemerkungen (nach Mosewius) beitragen.
Statt des großen Einleitungschors ist der Choral: O Lamm Gottes an den Anfang gestellt. Es beginnt hierauf die Erzählung des Evangelisten, wie sie im 25. und 26. Kapitel des Evangeliums Matthäus enthalten ist. Die Recitation in Tönen ist nicht nur trefflich deklamiert, der Sinn wo nötig näher angedeutet und hervorgehoben, sondern der Ausdruck der Empfindung tritt an vielen Stellen außerordentlich prägnant hervor. Die in dem Evangelium redend eingeführten Personen, treten als solche hervor; sie sind musikalisch nach ihren Eigentümlichkeiten scharf von einander unterschieden. Zuerst Christus, dessen Reden vorzugsweise in getragenen Tönen begleitet werden; dann finden wir den verräterischen Judas, den selbstvertrauenden, schwachen Petrus, die stolze, rachebrütende Priesters ch ar, den mitleidigen Pilatus, die Mägde so natürlich, wie sie im Volke getroffen werden; wir sehen ferner das wetterwendische und zu jeder Ausschreitung fähige Volk, dessen Zorn und Hohn bis zur Mordlust anwächst, dazwischen die Gemeinde der Gläubigen, die ihre Teilnahme als Zuschauer der Handlung in eigenen Betrachtungen kund giebt.
In der Erzählung des Evangelisten ist dem Sänger eine der schwierigsten Aufgaben gestellt; neben einer umfangreichen, ausdrucksfähigen Stimme bedarf er großer Sicherheit und Gewandtheit um den Sinn und Geist der Textesworte zu durchdringen. Obgleich alles höchst einfach und natürlich klingt, bedient sich Bach für die Wahrheit des Ausdrucks nicht selten der schwierigsten Jntervall-Verbindungen. Es ist bewunderungswürdig, wie er die zu betonenden Worte je nach Bedarf nur rythmisch oder auch harmonisch hervorhebt. Man achte auf Stellen wie: „fing an zu trauern und zu zagen", „Jesus schwieg stille", „der Hahn krähen wird", „weinete bitterlich", „die Erve erbebete" und viele andere.
Die Reden Christi hat Bach vor allen anderen hervorgehoben. Die Begleitung besteht größtenteils in breit austönenden Accorden, deren hochliegende Oberstimme „gleichsam wie ein Heiligenschein" hervortritt; nur in wenigen Stellen übernimmt die Begleitung eine erklärende Figuration: „gekreuziget", „ich werde den Hirten schlagen", „kommen in den Wolken" und and. Besehen wir uns z. B. die Einsetzungsworte. Etwas einfacheres, milderes und doch tiefer ergreifendes giebt es wohl nicht, als der kurze Satz: „Nehmet, esset, das ist mein Leib". Die Opferung des Blutes wird von der Begleitung sehr umhüllt und erhält dadurch etwas Mystisches, Geheimnisvolles, das erst gegen das Ende hin „mit euch in meines Vaters Reich" sich auflöst, wo dann die Stimmen helltrillernd zu einem glorreichen Schluß sich erheben.
„Hast du wieder einen Brief von ihm?" fragte sie dann aufgeregt.
„Ja, hier, lies." — Verstohlen las Erika, ihre Wangen färbten sich höher, ihre Augen leuchteten.
„Das muß ein herrlicher Mensch sein!" sagte sie endlich.
„Wenn Du schon nach kaum einem halben Dutzend Briefen so schwärmst" —
„Nicht doch, Hedwig, störe mir ineine heiligen Gefühle nicht."
„Du Närrin! Was nützen heilige Gefühle auf dem Papier! Weißt du denn wie er aussieht? Vielleicht ist es ein alter vertrockneter Junggeselle oder ein dicker biertrinkender Witwer" —
„Schweig doch, ich bitte Dich; so schreibt weder ein ausgetrockneter Junggeselle noch ein dicker Witwer, das ist ein prächtiger glühender Jüngling."
„Sieh sieh! Wo hast du denn solche Weltklugheit gelernt?"
„Das kann man doch beurteilen!"
„So laß mich lesen." —
„Nein, der Brief gehört mir, mir ganz allein. Er ist zu süß! zu reizend! Das ist mir das liebste Geburtstagsgeschenk!"
„Erika! Schwärmerin! Ich habe Dir zwar zu der Heiratsanzeige geraten, aber ich will Dir doch nun raten, mit der Briefschreiberei ein Ende zu machen. Durch das ewige Korrespondieren kommt Ihr Euch doch nicht näher."
„O! wir sind uns bereits nahe genug gekommen!"
„So hast Du keine Sehnsucht, Deinen geheimnisvollen Briefschreiber kennen zu lernen?"
„Ach ja! — er wünscht es auch! Er bittet mich sehr darum! Er schreibt sogar, ich hätte mich in der Anzeige dazu verpflichtet."
„So ist es auch und es bleibt nichts übrig, als ihm ein Stelldichein zu geben. Du kannst ja unbekannt bleiben."
„Ich kann doch nicht so ohne Weiteres fort von hier, Hedwig, Du weiß es ja", seufzte das junge Mädchen, „wie soll ich es möglich machen? Ach, ich bin recht unglücklich!"
„Jetzt wieder unglücklich!" lachte die Freundin, und eben noch himmelauf jauchzend! Verliebt in Briefpapier! Hahaha!"
„Hedwig, Du bist sehr schlecht!" Mit diesen Worten wendete sich Erika zürnend zum Gehen.
„Halt! Hier geblieben! Ich, Dein Ratgeber und erster Minister, werde Dir doch wohl aus dieser Klemme einen Ausweg zeigen können. Wenn Du aus Deinem Bau nicht heraus, wenn Du ihm ein Stelldichein nicht außer dem Haus anbieten kannst, — gut, so mag er hierher, ins Haus kommen!"
„Aber Hedwig! Was würden Papa und Mama dazu sagen!"
„Die sollen vor der Hand nichts merken. Gefällt er Dir persönlich so, wie er Dir brieflich gefallen hat, so wird er, wenn er Mut hat —"
„O ja, den hat er."
„So? Du schließest das aus den Briefen; ich kenne Leute, welche schriftlich eine ungeheure Kourage entwickeln, aber wenn es darauf ankommt, sind es traurige schüchterne Schwachköpfe."
„So ist Erwin nicht!"
„Das heißt. Du glaubst, er habe Mut. Wenn dem so ist, dann wird er Deinen Eltern gegenüber schon wissen, was er zu thun hat — vorausgesetzt", fügte Hedwig schalkhaft hinzu, Du gefällst dem Ritter Erwin auch."
„Davor habe ich wirklich große Angst", sprach Erika leise fast zaghaft.
„Angst! — O Du! — Darüber kannst Du beruhigt sein. — Nun aber zu meinem Vorschlag. Du ladest Deinen Erwin inkognito hierher als — als Damenschneider. — Du hast ja heute neue Stoffe für ein paar neue Roben bekommen."
„Das geht nicht; wir haben ja unsere ständige Schneiderin."
„Es muß gehen. Du bittest Papa, er möge dir erlauben, es einmal mit meinem Damenschneider, der so vorzüglich arbeitet, zu versuchen. Dann schreibst du an Deinen Erwin, klärst ihn über die Rolle auf, in welcher er hier erscheinen soll und — die Lösung ist da."
(Fortsetzung folgt.)
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