Palais, ihrem Heim, eingetroffen waren, erfolgte noch ein Vorbeimarsch aller am Spalier beteiligten Ver­eine und sonstigen Vertretungen. Abends 7 Uhr fuhr das großherzogliche Paar in einem eigens zu diesem Zweck gebauten Galawagen, dessen 6 Pferde von Hofoffizianten geführt wurden, von dem neuen Palais nach dem Residenzschloß, wo große Cour stattfand.

Ko bürg, 2> April. Der deutsche Kaiser ist heute abgereist; er wurde vom Herzog zum Bahn­hof geleitet. Die Kaiserin Friedrich reist heute abend ab.

Fürst Bismarck's neueste Rede. Die Rede, mit der Fürst Bismarck am Freitag die national­liberalen Abgeordneten begrüßte, wird in denHamb. Nachr." veröffentlicht. Der Fürst kam nach einigen Bemerkungen über die Verfassung des Reichs auf die Aufgaben des Reichstags zu sprechen. Er be­merkte darüber:Es liegen manche schwere Aufga­ben für die nächsten Reichstag vor. Ich meine in erster Linie die Deckung des finanziellen Ausfalles unter Schonung des guten Einvernehmens der ver­schiedenen Klassen der Kontribualen, welche bei der Finanzreform zur Deckung des Ausfalles herbeige­zogen werden können, der durch den Verzicht auf er­hebliche Beträge der Zölle nötig geworden ist. In zweiter Linie die Notlage der Landwirtschaft. Die Annahme, daß die Landwirtschaft die Reichsgesetz­gebung nichts anginge, weil sie unter Art. 4 der Verfassung nicht aufgeführt sei, zeigt doch einen Mangel an Vertrautheit mit unserem Verfasfungs- leben, mit den Absichten der Gesetzgeber, mit un­serem ganzen wirtschaftlichen Leben, wie ich ihn kaum an so hoher Stelle gesucht hätte. In jenem Artikel der Verfassung ist auch kein anderes Gewerbe genannt und man könnte mit demselben Recht sagen, alle Handwerker, seien es Schuhmacher, Schmiede oder sonst irgendwelche, gingen das Reich und feine wirtschaftliche Gesetzgebung nichts an. Aber der Reichsgesetzgebung können unmöglich die Geschicke von 20 Milk. Reichsbürgern, die Landwirtschaft betreiben, gleichgiltig sein. Mag die Landwirtschaft ausdrück­lich und formell als zur Kompetenz des Reichs ge­hörig bezeichnet sein, sie gehört eben zur wirtschaft­lichen Pflege der Gesetzgebung." Nachdem Fürst Bismarck dann seine bekannten Ansichten über die Sozialdemokraten und die Polen dargelegt hatte, verbreitete er sich über die europäische Frage und über die Stellung seines Nachfolgers. Dazu heißt es:Es ist weniger die friedliche Gesinnung aller Regierungen, die den Frieden bisher erhält, als die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Chemiker in der Erfindung neuer Pulversorten und der Techniker in der Vervollkommnung der militärischen Ballistik und deshalb die für die Leiter eines kriegslustigen Staates unter Umständen entscheidende Erwägung, daß sie es nicht für erfolgreich halten, loszuschlagen, wenn ihre Heere nicht im Besitze der neuesten Er­findungen sind. Es klingt fast wie Satire (ist es aber nicht), daß der Chemiker bisher die Schwerter in der Scheide hält und durch seine Erfindungen über Krieg und Frieden entscheidet. Ich will damit nur aussprechen, daß ich nach meinen politischen Er­fahrungen an keine nahe bevorstehenden auswärtigen Verwicklungen glaube, weil keine von den großen europäischen Mächten mit ihren Vorbereitungen fer­tig ist. Aber immerhin sind die Schwierigkeiten, denen wir entgegensehen, so groß, daß sie uns ge­bieterisch die Notwendigkeit nahelegen, wie der See­mann sagt, uns klar zum Gefecht zu halten; dazu rechne ich, daß in den Parteikämpfen Maß ge­halten werde, daß die staatserhaltenden Parteien sich weniger trennen, sondern nach Möglichkeit einander nähern und sich wie früher, zu einem Kar­tell zusammenthun, dem Bedürfnisse geordneter Zu­stände folgend, welches sie einigt unter Pflege unse­rer verfassungsmäßigen Einrichtungen, und daher komme ich auf den Punkt, der mir augenblicklich am Herzen liegt, daß wir uns so einrichten müssen, wie wir auf die Dauer im Geiste und Sinne der Ver­fassung bestehen können. Die Aemter des Reichs­kanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten können auf die Dauer nicht getrennt sein, ohne die Verfassung zu fälschen, die Autorität des Reiches zu schwächen. Der Gedanke einer Personalunion zwi­schen Reich und Preußen, ähnlich derjenigen wie zwischen Schweden und Norwegen, hat niemals in der Verfassung gelegen, und wir haben, wie die Herren von Ihnen, die alt genug sind, um das mit

mir erlebt zu haben, bestätigen werden, zwischen Reichspolitik und preußischer Politik an die Mög­lichkeit eines gegenseitigen Bekämpfens und Rivali- sierens niemals gedacht, und wer diesen Gedanken zur Wirklichkeit machen wollte, der, ich will keinen harten Ausdruck gebrauchen, schädigt unwissend viel­leicht unsere nationale Existenz, unsere Unabhängig­keit, unsere verfassungsmäßige Sicherheit. Ein Reichs­kanzler, der nicht auf die Autorität des preußischen Staatsministeriums gestützt ist, schwebt mit der (ei­nigen in der Luft, wie ein Seiltänzer. Das ist, meines Erachtens, das nächste Bedürfnis der Zukunft, was wir politisch zu erstreben haben, daß diese un­natürliche Trennung zwischen Reichskanzleramt und preußischen Ministerpräsidium aushöre, und daß der Reichskanzler in der Lage bleibe, das solide Fundament des preußischen Staates hinter sich haben, dadurch kann seine Autorität im Zteiche und im Auslande nur wachsen. Wenn die übrigen Bundesgenossen Preu­ßen das Präsidium übertragen haben, so geschah das nicht nur, um einen von Preußen ernannten Reichs­kanzler zu schaffen, sondern im Vertrauen zu der Tüchtigkeit des preußischen Staates in Zivil und Militär. Wenn aber dieses hinter ihm wegfällt, so ist der Reichskanzler Nichts, als ein Luftge­bilde.

Der Bundesrat stimmte dem Börsenstenerge- s etz in der Fassung des Reichstags zu.

Berlin, 21. April. Herr v. Bennigsen erklärte bei einem nach Schluß des Reichstags abgehaltenen Abschiedsessen der nationalliberalen Abgeordneten, daß er sich entschlossen habe, jedenfalls noch während des kommenden Winters seine parlamentarische Tä­tigkeit fortzusetzen.

Frankreich.

Die Pariser Stadtanleihe wurde 83mal überzeichnet, 70mal von Finanzgesellschaften und 13mal von Privatleuten.

Paris, 21. April. Der Untersuchungsrichter schloß die Untersuchung in dem großen Anarchisten­prozesse; 62 Anarchisten werden angeklagt wegen Beteiligung an einer Verbrechergenossenschaft.

Paris, 22. April. Der Graf v. Talleprand- Pürigord und sein Geschäftsagent wurden wegen Wechselfälschung iin Betrage von 600 000 Franken verhaftet.

Belgien.

Lüttich, 23. März. Gestern nacht wurde vor einem Fenster des Hauses des Bürgermeisters ein Paket mit 15 Dynamitpatronen mit brennender Zündschnur gefunden. Die Explosion erfolgte und ries große Panik hervor. Der Schaden ist unbedeutend.

Griechenland.

Athen, 23. April. Die Zahl der durch das Erdbeben von Lokris getöteten Personen beträgt 129, die Zahl der Verwundeten ist nicht sestgestellt, die Katastrophe ist größer als die, welche seiner Zeit Zante traf.

Amerika.

New-Aork, 23.^,April. Der Ausstand der Grubenarbeiter legt z. Z. die Kohlenindustrie in 6 Staaten lahm. Die täglichen Verluste werden auf 125 000 Doll, geschätzt. Die Trupps der Arbeitslosen setzen den Marsch auf Washington von zahlreichen Punkten der Union fort. Bis jetzt keine Unruhen.

Kleinere Mitteilungen.

Sickenhausen, 21. April. Gestern Mittag wurden hier zwei halbjährige Knaben, die am Keuch­husten gestorben waren, in ein gemeinsames Grab gebettet. Ein merkwürdiger Zufall hatte es gewollt, daß die Kinder, deren Mütter Schwestern sind und die am gleichen Tage geboren waren, auch nun am gleichen Tag und in der gleichen Stunde starben.

Die in Essen erscheinendeRheinisch-Westfäli­sche Zeitung" widmet Hrn. Dr. Lieber: Aufersteh­ungslied eines klerikaldemokratischen Muß­preußen. (Unter dem Freiheitsbaum zu singen):

Tot war ich der Welt als Politikus,

Sie war mir egal und zum Ueberdruß:

Egalite!

Ta erschien mir Windthorst im Sternengewand Und gebot zu ergreifen dieBruderhand ":

Fraternit ''!

! Nun regelt inRom wie in Fulda" mein Thee

> Auf's Neue den Stuhlgang bei jeglichem Weh:

! Lieberthee!*)

! *) Lieber ist bekanntlich Fabrikant einesGesund-

^ heitsthee's".

Geharnischte Worte. Fürst Bismarck hat bekannt­lich zu seinem Geburtstag einen Küraß aus Stahl, der ver­silbert ist, als vornehmstes Geschenk erhalten.Ich war schon immer für die Abrüstung!" sagte der Altreichskanz­ler, als er den Panzer anprobierte.Nun wird er wieder leicht in Harnisch geraten!" sagte Caprivi, als er las, daß dem Fürsten der Küraß gut passe und bequem sei. Ach, möchte mir der Reichstag doch auch 'mal 'neu Pan­zer schenken!" wünschte der Marineminister, als er im Etat eine frischgestrichene Fregatte entdeckte.O, daß ich meinen Panzer doch endlich auch versilbern könnte!" seufzte der Schneider Dome, als sich noch immer kein Käufer für die kugelsichere Erfindung melden wollte.

Berlin, 20. April. Witterungsbericht von Falb. Die Trockenperiode ist zu Ende. Sie erstreckte sich vom 18. März bis zum 11. 'April also genau von einer Mondnähe zur anderen (17. März und 11. April.) Eine stärkere Zunahme der Niederschläge trat aber erst mit dem 15. April ein. Sie erreichte am 18. ihren größten Betrag. An diesem Tage war ganz Mitteleuropa von einer flachen Luft-Depression überdeckt und gleichzeitig hatten nicht nur im Zentrum derselben, sondern auch an ihren äußersten Grenzen ausgiebige Niederschläge stattgefunden, die teil­weise mit Föhnsturm und Gewittern verbunden waren. Es werden an diesen' Tage von Paris und Umgebung, ebenso wie von ganz Südfrankreich heftige Gewitter, von Pest und dem südöstlichen Ungarn intensive Regengüsse gemeldet, während in der Adria ein starker Sturm tobte, als Ihre Majestät die Kaiserin von Deutschland auf der Rückfahrt nach Abbazia begriffen war. Da im Vorjahre die Trockenperiode vom 21. März bis 27. April, also um 12 Tage länger dauerte, als in diesem Jahre, so dürfen wir erwarten, daß die sie verursachenden Faktoren auch für die nächste Zeit in minderem Grade wirksam fein werden. Namentlich dürfen für den Südosten von Mittel-Europa vom 22. April ah die Niederschläge zunehmen, selbst wenn im Nordwesten die Golfdepressionen ausbleiben sollten. Auf jeden Fall aber erwarten wir stärkere Niederschläge, auch für den Nordwesten, um den 7. Mai und die folgen­den Tage.

In dem Dorfe Lindenwalde bei Neidenburg (Ost­preußen) sind drei Wohngebäude und viele Wirtschaftsge­bäude niedergebrannt; drei Söhne eines Besitzers im Alter von 1420 Jahren sind in den Flammen umge­kommen.

Saargemünd, 20. April. Die Ehefrau Bou- langer aus Villingen bei Falkenberg wurde letzten Dienstag unter der Anschuldigung, ihren Mann durch Axthiebe getötet und den Leichnam sodann ver­brannt zu haben, verhaftet und in das hiesige Unter­suchungsgefängnis abgeführt. Die im Volke um­laufenden Gerüchte schmücken diese Mordthat mit allerlei grausigen Einzelheiten aus, die Mörderin hätte den Leichnam ihres Mannes erst gekocht und dann die von den Fleischteilen befreiten Knochenreste verbrannt. Festgestellt durch das eigene Geständnis der Angeschuldigten ist nur, daß die Frau Boulanger ihren Mann durch Axthiebe tötete, ihm fast den Hals vollständig durchschnitt und die Leiche dann zu verbrennen suchte. Entdeckt wurde das schon Ende Juli v. I. verübte Verbrechen durch die Auffindung von Knochen und Schädelresten, welche unter einem Steinhaufen vergraben waren. Diesen traurigen Ueberbleibseln ihres Mannes gegenübergestellt, zeigte die Mörderin keine Spur von Reue, erklärte viel­mehr nur, ihren Mann hätte das verdiente Los er­reicht. Die Verhaftete ist Mutter eines erst drei Wochen alten Kindes.

Furchtbares Erlebnis eines Kindes. Aus Wien wird berichtet: Der Kutscher A. Heidinjak und dessen Frau Anna haben sich in ihrer Wohnung erhängt. Die Eheleute hingen mit großer Liebe aneinander. Nach Angabe seiner Dienstgeber war H. im Dienste sehr pünktlich, versah seine Arbeit mit großer Genauigkeit, war aber als eigensinnig, in sich gekehrt und als Sonderling bekannt, der mit niemand verkehrte. Vor ungefähr 8 Tagen wurde er, da er sich eine Eigenwilligkeit zu Schulden kommen ließ, entlassen. Ge­stern abend nahm die Familie das Abendessen ein, worauf H. seinem 8 Jahre alten hübschen Knaben Anton alle Do­kumente, sowie seine Geldbörse mit 6 fl. 10 kr. mit dem Aufträge übergab, strengstes Stillschweigen zu halten. Er küßte das Kind inbrünstig mit dem Bemerken, dieses sei der letzte Kuß, doch konnte der Knabe den Sinn der Worte nicht deuten. Hierauf begaben sich alle zu Bett. Einige Stunden später erwachte der Kleine in Folge eines Ge­räusches und sah im Dämmerlichte den Vater an einem Stricke am Plafond hängen, während die Mutter auf dem Tische kniete, sich eine Rouleauxschnur um den Hals wand und den Tisch mit den Füßen ümwarf. Zweimal riß die Schnur, erst das dritte Mal gelang der Selbslmo'.d. Das alles sah der Knabe entsetzt an, doch, dem Gebote des Va­ters folgend, wagte er nicht, sich zu rühren oder um Hilfe zu rufen. Anfangs weinte und schluchzte er in sich hinein, doch endlich schlief er, von Mattigkeit übermannt, ein. Als er wieder aufwachte, war es Heller Morgen. Die Leichen der Eltern hingen tot und starr am Plafond; der Knabe kleidete sich ach um, den weiteren Weisungen des BatcrS folgend, aufs Land zu fahren. Er verließ ruhig Sie Woh­nung. Erst später wurde der Selbstmord von Nachbarn entdeckt. Der verwaiste Knabe wurde dein Asyl ;ür ver­lassene Kinder übergeben.

Redaktion, Truck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung (Emil Zaiser) Nagold.