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halter, entsprechend seiner gesetzlichen Verantwortlichkeit, ein größeres direktes Eingreifen in die Verwaltung zu ermöglichen, indem ihm der direkte Verkehr mit den Unterstaatssekretären und Vortragenden Räten erleichtert wird. Die Stelle des Staatssekretärs will man vorläufig unbesetzt lasten und wahrscheinlich aufheben. Ferner will man die Mitwirkung des Reichstages für die organischen Gesetze verwehren. Schließlich soll eine stramme F r em d e n p o l i z e i und die energische Bekämpfung auswärtiger Einflüsse dem Lande die notwendige Ruhe sichern.
O e st e r r e i ch.
Wien, 21. März. Der Kronprinz Viktor Emanuel soll sich mit der Erzherzogin Margarethe von Oesterreich verloben.
Wien, 20. März. Als Kaiser Franz Joseph gestern nachmittag am Pester Bahnhofe die auf der Durchreise nach Berlin begriffenen rumänischen Majestäten begrüßte, drückte er sein Bedauern darüber aus, daß er nicht selb st zur Kaiserfeier nach Berlin fahren könne, und bemerkte, er beneide das Königspaar um die schönen Tage, die es in Berlin verleben werde. Die hiesigen Journale feiern schon heute in Artikeln und Feuilletons schwungvoll das deutsche Kaiserfest.
Wien, 21. März. Die „Wiener Abendpost" bringt einen sympathischen Artikel anläßlich des Geburtstages Kaiser Wilhelms, worin es heißt: „Dieser so ereignisreiche und von schönsten Erfolgen gekrönte Lebenslauf des ehrwürdigen Herrschers auf dem deutschen Kaiserthrone, verbunden mit seinen anerkannten Vorzügen als Monarch und Friedenssürst, rechtfertigen wohl zur Genüge das lebhafte allgemeine Interesse, sowie die herzlichen Sympathien, welche der morgigen so bedeutsamen Gedenkfeier allseits entgegengebracht werden. Insbesondere sind es die Völker Oesterreich,Ungarns, deren erhabener Monarch durch Bande innigster Freundschaft mit dem kaiserlichen Jubilar verknüpft ist, welche die morgige erhebende Feier mit ihrer wärmsten Teilnahme begleiten und ihre besten Wünsche für das Wohlergehen Kaiser Wilhelms freudig mit den heißen Segenswünschen der ganzen deutschen Nation vereinen.
Hages-Weuigkeiten.
Calw, 23. März. Des Kaisers neunzigster Geburtstag wurde hier in großartiger Weise gefeiert. Schon am Vorabend des denkwürdigen Tages wurde hier die Nikolauskapelle auf der äußeren Brücke mit zahllosen Flämmchen beleuchtet, was einen allerliebsten Anblick gewährte. Am Gasthof z. Waldhorn waren an sämtlichen der Brücke zusehenden Fenstern Reihen von kleinen Lichtern aufgestellt, welche dem ganzen Gebäude ein impossantes Aussehen verliehen. Der Morgen des kaiserlichen Geburtstages begann mit Tagwache und Böllerschüssen, hernach ertönte vom Turme herab „Heil dir im Siegerkranz". Reicher Flaggenschmuck zierte die Stadt. Das Real- lyceum veranstaltete für seine Schüler eine besondere Feier im George« näum, wozu sich eine ziemlich zahlreiche Festversammlung eingefunden hatte. Eröffnet wurde dieselbe mit dem Choral „Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren"; hierauf folgten Deklamationen, welche alle einen der Bedeutung des Tages entsprechenden Gedanken ausführend, ihres guten Eindruckes nicht verfehlten, und Gesänge, die mit jugendlicher Frische und Feuer vorgetragen zur vollsten Geltung kamen. Die Festrede, von Hrn. Rektor Dr. Waizsäcker gehalten, führte in gediegenster Weise die Jugend- geschichle Kaiser Wilhelms vor und schloß mit der Mahnung an die Schüler, dem Jubilar als einem Vorbild von seltenster Pflichttreue nachzuahmen, um gute Deutsche zu werden. Ein Choral beendete die durch die schöne Dekoration der Rednertribüne auch äußerlich geschmückte, wohlgelungene Feier.
Präzis 5 Uhr abends begann die Feier im gedrängt vollen Hörsaal des Georgenäums. Dieselbe wurde eingeleitet durch das Singen des Liedes: „Ich bin ein deutscher Knabe rc." seitens der oberen Knabenklasse, worauf die Schülerinnen der Mädchenmittelschule das Württemberger Lied anstimmten: „Von dir, o Vaterland, zu singen". Nachdem die Töne dieses herrlichen Liedes verklungen, hielt Hr. Helfer Braun einen zu aller Herzen sprechenden Vortrag, in welchem der Redner in markigen Zügen ein Lebensbild
unseres in Ehrfurcht geliebten Kaisers, besonders von der Zeit von Deutschlands tiefster Erniedrigung entwarf. Die Jugendjahre des Kaiser^ fallen in die Zeit von Deutschlands und Preußens Knechtung unter die rohe Gewalt des gefühllosen korsischen Emporkömmlings, Napoleon l. Wahrheitsgetreu verschwieg der Redner nicht, daß man damals in Preußen gewöhnt war, auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen auszuruhen. Die Folge davon wäre gewesen, daß Oesterreich in der blutigen Dreikaiserschlacht bei Austerlitz unterliegen mußte und es nun Napoleon leicht wurde, mit Preußen, dessen Militärwesen ganz verrottet war, dessen Volk in dieser traurigen Zeit im allgemeinen wenig patriotischen Geist zeigte und dessen Heer mitunter auch untaugliche Führer hatte, in der Schlacht von Jena und Auerflädt (1806) fertig zu werden. Nicht minder zum Herzen, namentlich an das der deutschen Mütter sprechend, war das Bild, das der Hr. Redner von der frommen Mutter unsers Kaisers, der Königin Luise, entrollte, hervorhebend, wie sie es besonders gewesen, die ihren hohen Gemahl aufgerichtet und ihren jugendlichen Prinzen eine edle Begeisterung für das Vaterland und wahre Gottesfurcht eingepflanzt habe. Und als sie vollends wider Willen und nur aus Liebe zu ihrem Gemahl und Vaterland sich zu Napoleon begeben habe, um günstige Friedensbedingungen auszuwirken, aber schnöde abgefertigt worden wäre, da sei sie es wieder gewesen, die ihre Söhne aufgefordert habe, einst Rächer der erlittenen Unbill und des Vaterlandes Schmach zu sein. Das der hohen, an gebrochenem Herzen im Jahr 1810 verstorbenen Mutter gegebene Gelöbnis hätten denn auch die Söhne, unser nunmehriger Kaiser voran, gehalten, so daß wir letzteren in den Befreiungskriegen von 1813—15 mit in den Kampf gegen Napoleon ziehen sehen. In dieser harten Schule der Demütigung sei unser Kaiser zum Jüngling und zum umsichtigen und thatkräftigen Mann herangereift, als welcher er seinen späteren hohen Aufgaben als Christ, Regent und Heerführer allseitig genügen konnte. In richtiger Auffassung der gegebenen Verhältnisse habe er sich nicht nur die Reorganisation des Heerwesens, sondern auch die Einigung der deutschen Stämme seine Hauptsorge sein lassen, namentlich nachdem er im Jahr 1861 seinem älteren Bruder in der Regierung gefolgt sei. Schon die Unterdrückung der Unruhen in Baden und Rheinhessen im Jahre 1849, besonders aber der deutsch-dänische Krieg 1864, der Krieg gegen Oesterreich 1866, durch welch letzteren dem Dualismus in Deutschland ein Ende gemacht wurden und vollends der für die deutschen Waffen so ruhmreiche deutsch-franz. Krieg 1870—71 und viele zweckmäßige Einrichtungen im neu erstandenen deutschen Reiche sind nicht nur Zeugen seiner ritterlichen Tapferkeit und Feldherrngröße, sondern auch seiner staatsmännischen Klugheit, nach welcher unser Kaiser jederzeit die geeigneten Männer auszuwählen und auf den rechten Posten zu stellen und als Mann des Friedens nicht nur Deutschland, sondern auch ganz Europa bis jetzt den Fneden zu erhalten verstanden habe. Und so möge denn die heutige Festfeler auch dazu dienen, unserem in Ehrfurcht geliebten frommen Kaiser in erneuter Liebe, Treue und Dankbarkeit zu dienen; möge ihm selbst aber ein heiterer, friedlicher Lebensabend beschieden sein und er einst geschmückt werden mit der Krone des ewigen Lebens!
Mit dem von den Schülerinnen der obern Mädchenklasse angestimmten Lied: „Heil dir im Siegeskranz" schloß die in jeder Hinsicht schöne, Alt und Jung befriedigende Feier.
Um 6V2 Uhr abends strömten schon zahlreiche Lampions dem Aufstellungsplatze, dem Brühl, zu und um 7 Uhr konnte der Festzug seinen projektierten Rundgang antreten. Die Beteiligung war eine großartige, die Vereine fast sämtlich vollzählig. Ein besonders hübsches Transparent trug der Turnverein, die Feuerwehr hatte Flambeaux. Der impossante, aus den Häusern prächtig anzusehende Zug bewegte sich zum Marktplatze, woselbst die Sänger des „Calwer Lieüerkranzes" und der „Concordia" das kernige, deutsche Bundeslied „Deutsche Völker allesamt, wo die alte Treue flammt" anstimmten. Inzwischen ließ sich das Festkomite angelegen sein, mit der Beleuchtung nicht zu kargen. Bengal. Licht erhellte in schönster Abwechslung den ganzen Marktplatz. Nach Schluß des Liedes sprach Hr. Stadtschultheiß Haffner folgendes: „Heil dem Kaiser! tönt es heule aus Millionen deutscher Zungen und so laßt auch uns einstimmen in den donnernden Jubelruf: Se. Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch!" Stürmisch hallte das Hoch durch die Nacht. Hierauf setzte der
Er hatte den letzten Freund so eigenthümlich betont, daß ich fühlte, wie es mir siedendheiß über das Gesicht lief.
Er mochte das bemerkt haben und fügte hinzu:
„Wir haben Sie alle gern — gewiß — Sie sind ein braver junger Mann; wir alle würden es gerne sehen, wenn Sie immer in Holland — in Amsterdam — in unserer Nähe bleiben würden."
Ich riß Augen und Ohren weit auf, und glaubte kaum beiden noch trauen zu dürfen.
„Aber sie müssen eine Stellung bekleiden — etwas Sicheres haben — ein junger Mann muß arbeiten — erwerben. Ich habe 40 Jahre gearbeitet und würde nie einen Schwiegersohn nehmen, der nicht auch seine Kraft tüchtig verwertet."
Schwiegersohn! Sapperment, der Wink war deutlich!
„Da haben Sie recht", antwortete ich, anfangs schüchtern, aber mehr und mehr warm werdend. „Auch ich arbeite gern und wenn auch das Unterrichten gerade nicht zu den leichtesten Arbeiten gehört — (ich dachte an mein Morgenelend) — so sehe ich mich doch längst schon nach einer festen Anstellung, als Lehrer an einem Institut — als Mitarbeiter eines Blattes — als Korrespondent rc. um, denn ich fühle recht gut, was Sie sagen, mein lieber — mein guter (beinahe hätte ich „Vater" gesagt) Herr van der Knypsen! Meine Bemühungen werden ja auch Erfolg haben —"
„Haben sie schon gehabt", fiel er mir lebhaft in die Rede, „haben sie schon! Ich wollte nur hören, wie Sie über den Punkt denken. So vernehmen Sie denn, daß ich eine hübsche Stellung für Sie in Aussicht habe. Madame Pippert, eine würdige Freundin von mir, sucht für ihr Privatinstitut einen deutschen Lehrer. Stellen Sie sich ihr morgen vor, ich habe Sie dringend empfohlen, und es ist schon so gut, als ob Sie engagiert wären. Wollen Sie?"
„Ob ich will?" rief ich gerührt, und faßte seine Hand, die ich herzlich drückte.
„Na, dann ist's ja gut", sagte er, „das Uebrige findet sich."
Bei den letzten Worten lächelte er so pfiffig, daß ich meiner Sache ganz gewiß war — hier erhielt ich keinen Korb, wenn ich anklopfte. Und merkwürdiger Weise traten auch in diesem Augenblick Mutter und Töchter, wie auf Verabredung, ein. Dieselben hatten sicher gehorcht, denn Nichts an ihnen deutete darauf hin, daß sie wirklich ausgewesen. Die Familie war heute besonders liebenswürdig — der Vater entwickelte beim unvermeidlichen Piquet einen gewaltigen Humor, Luise drückte mir zuweilen verstohlen die Hand — ich aber war überglücklich, aus welcher Stimmung mich sogar der abscheuliche Ledergeruch nicht bringen konnte, welcher mir die Ankunft meines Freundes van Bock ankündigte, für dessen Sticheleien ich heute nur ein mitleidiges Lächeln des Triumphes hatte.
Ich wußte ja, wie die Sachen hier standen — der dicke Lederhändler war ausgestochen! —
Gott segne das Piquetspiel! Mit diesem etwas ungöttlichen Wunsche schloß ich an diesem Abend die Augen und träumte wunderliche Träume, in welchem ich mich als holländischen Nabob, inmitten eines Haufens von Geldsäcken sah, während der blasse van Bock auf einem großen Ballen Leder saß und mich hohnlächelnd angrinste.
Am anderen Tage begab ich mich zur Dame Pippert, einer wunderbaren Gestalt, die mich anmutete, als ob sie seit drei Jahrhunderten auf der Erde umher- wandle, immer so alt wie jetzt und überhaupt nie jung gewesen sei. Sie war so mager, daß cs schien, als ob sie unmöglich einen Schatten werfen könne und ihr Gesicht glich einem Haubenkopf, an welchem durch die Länge der Zeit die Nase etwa- beschädigt worden war. Eine Hauptzierde ihrer Gestalt bildeten indessen ihre dunklen