Häuser des Parlamentes Monate lang beraten; nachdem Die Vorlage vom Unterhaus angenommen war, wurde sie vom Oberhaus hinterher abgelehnt. Man kann also von Neuem ansangen. In der aus­wärtigen Politik hatte die Londoner Regierung eini­gen Streit mit dem jungen Khedive Abbas von Aegypten, der sich mit einein Male außerordentlich selbständig geberdete. Es gelang aber, ihn zur Ruhe zu bringen. Auch niit Frankreich gab es einen Hän­del wegen des ostasiatischen Königreiches Siam, welches die Franzosen sich gar zu gern selbst zu Gemüte geführt hätten. In Folge des britischen Widerspruches begnügten sich die Franzosen mit einem Stück, und da nun Frankreich und England hier mit ihrem Besitz unmittelbar aneinander heran gerückt sind, ist auch die Bildung einer neutralen Grenzzone zur Verhinderung erneuter Streitigkeiten vereinbart.

Die Franzosen haben reichlich tolle Geschichten getrieben; aber bei ihnen heißt es noch immer: Zu einem Ohr hinein, zum Anderen hinaus! Beim Be­ginn von 1893 stand der Panamaskandal in schön­ster Blüte, die bekanntesten Staatsmänner waren blosgestellt wegen Durchstechereien, und es gab Pro­zesse über Prozesse. Aber wie lange hat die Wir­kung gedauert? 'Nach einem Vierteljahr hatte man in Paris alles vergessen, und als dann General Dodds, welcher den Krieg gegen den Dahomeykönig Behanzin in Weslasrika geführt, heimkehrte, wurde er mit stürmischem Jubel empfangen. Verdient war der Ruhm freilich nicht so recht, denn trotz aller Versprechungen, daß binnen Kurzem aller Wi­derstand niedergeschlagen werde, dauert der Krieg heute noch an. Anarchistische Attentate, die zuletzt zu dem Bombenattental in der Kammer und damit zu Ausnahmegesetzen führten, haben den Parisern manchen unruhigen Tag bereitet, auch die umfang­reichen Pöbelkrawalle, die aus Studentenunruhen entstanden und zu Eigentumsbeschädigungen und Barrikadenbauten führten, haben eine unruhige Woche gebracht. Die Neuwahlen verliefen ruhig, sie brach­ten der republikanischen Mehrheit einen weiteren Zuwachs und zeigten damit, daß der Panamaskan­dal wirklich vergessen sei. Paris und ganz Frankreich standen aber auch aus den Kopf, als nun endlich die Meldung kam, der Zar habe die Erwiderung des französischen Flottenbesuches in Kronstadt besohlen und ein russisches Geschwader werde nach Toulon kommen, dessen Offiziere würden auch Paris besu­chen. Damit erschien den Franzosen der letzte Be­weis für die Existenz des russisch-französischen Bünd­nisses geliefert, ihrer Eitelkeit war ein riesengroßer Dienst erwiesen, und. wie sie sich nun ungeachtet aller Abwehrungen aus Petersburg wie die reinen Tollhäusler geberdet haben, ist ja zu bekannt, als daß noch einmal darauf eingegangen werden müßte. Auch die letzten Spionagegeschichten sind noch in Erinnerung. Während des Sommers starb der beste französische Staatsmann, der Jahre lang als Deutschfeind angefeindete Jules Ferry, und während der Russentage der Marschall Mac Mahon. Ohne eine Ministerkrisis konnte Las Jahr natürlich nicht verlausen. Das Ministerium Dupuy wurde von der Kammer im Stich gelassen und durch ein Ministe­rium Perier ersetzt, das einen so konservativen Cha­rakter trägt, wie seit etwa zwölf Jahren kein einzi­ges französisches Ministerium. Anfänglich mißtrauisch angesehen, hat es sich durch seine energischen Schritte gegen die anarchistischen Mordbuben rasch populär gemacht. Französische Anarchisten sind es auch wohl gewesen, die dem deutschen Kaiser und dem Reichs­kanzler Grafen Caprivi Packetchen mit Sprengstoff übersandten, dessen Explosion zum Glück verhindert ward. Einen überaus peinlichen Eindruck selbst in Frankreich hat die Freisprechung der wegen des Mordes der Italiener in Aigues Mortes Angeklag­ten gemacht. Aus Rußland ist wenig zu sagen. Der Zar lenkt nach wie vor eigenmächtig des Lan­des Geschicke, 'Nihilisten und Anarchfften machen immer wieder von sich reden und zwingen den all­mächtigen Herrscher zu den weitesten Vorsichtsmaß­regeln. Mit dem Volksleben steht es traurig und mie dem wirtschaftlichen nicht besser. Der Zollkrieg mit Deutschland hat dem ganzen Lande schweren 'Nachteil gebracht, aber der panslavistischen und deutsch­feindlichen Klique paßte er vortrefflich in den Kram. Da ist nichts zu hoffen.

Der Haupttummelplatz der Anarchisten mar im letzten Jahre Spanien, wo ein schweres Attentat

nur so das andere drängte. Namentlich ist Barce­lona der Schauplatz scheußlicher Verbrechen gewesen. Der Thätigkeit der Polizei ist es endlich gelungen, die Hauptführer der Verbrecher zu verhaften. Ein Feldzug gegen die Riffkabylen bei Melitta in 'Nord­afrika brachte anfänglich den Spaniern mehrere Schlappen, jetzt hat der Marschall Martine; Eam- pos die gefährdeten Positionen wieder errungen; der Streit dürfte durch Verhandlungen sein Ende finden. Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Spanien sind recht traurig, und das Gleiche gilt für Portugal. In Holland und Belgien hat es im letzten Jahre mancherlei bürgerliche Unruhen gege­ben, während geplante Reformen nicht zum Abschluß gelangen konnten. In den nordischen Reichen hat sich die politische Entwicklung ruhiger vollzogen, nur in Norwegen hat sich der Konflikt zwischen Krone und Volksvertretung verschärft. Die kleine Schweiz hat ihren Zollkrieg mit Frankreich tapfer durchge­führt; ein interessantes Ereignis war die Begegnung des deutschen Kaiserpaares in Luzern mit den Spi­tzen der Schweizer Behörden. Die Türkei dämmert im alten Schlendrian dahin. In Rumänien und Bulgarien geht die ruhige Entwicklung ihren Weg weiter. Fürst Ferdinands Vermählung bedeutet die Befestigung des Thrones in Sofia, in dem auch der vor Kurzem jäh verstorbene erste Bulgarensürst Ale­xander Battenberg seine Ruhestätte fand. Griechen­land ist bis zum gemeinen und betrügerischen Staats­bankerott angekommen, in Serbien hat der junge König Alexander durch seinen Staatsstreich seine Regentschaft gestürzt und selbst die Regierung über­nommen. Die Hoffnung, dem Parteihader ein Ende zu machen, hat sich aber nicht erfüllt. Immer tie­fer und tiefer ist das Land gesunken, und sehr trübe Tage stehen ihm wahrscheinlich ebenso bevor, wie den serbischen Staatsgläubigern.

Lages-Hleuiglieilen.

Deutsches Reich.

-j- Haiterbach, 14. Jan. Der vergangenen Don­nerstag Nachmittag, im hiesigen Gemeindewald ver­unglückte Bauer Johannes Welker aus Spielberg (siehe letzte Nummer des Gesellschafter) ist noch am gleichen Abend um 11 Uhr infolge eingetretener.Herz­lähmung verschieden, ohne vorher noch zum Bewußt­sein gekommen zu sein. Er erreichte ein Alter von nahezu 53 Jahren und wurde heute 'Nachmittag unter allgemeiner Teilnahme der hiesigen Einwohnerschaft zu Grabe getragen; überaus zahlreich hatte sich auch seine Heimatgemeinde Spielberg-Egenhausen zu sei­nen: Begräbnis eingefunden. Am Grabe sprach H. Stadlpsarrer Stockmayer ergreifende Trostesworte unter Zugrundlegung des Textes Luc. 12, 39. 40.

Stuttgart, 9. Jan. Der Ring, welcher der König bei der Beerdigung des Grafen von Tauben­heim verloren hat, wurde von einem schulpflichtigen Mädchen gesunden. Dasselbe durste den Ring Sr. Majestät persönlich überbringen und erhielt einen Finderlohn von 40 NN

Stuttgart, 11. Jan. König Wilhelm wird sich zum Geburtstage des Kaisers nach Berlin begeben.

Coburg, 9. Jan. Der Großherzog von Hessen verlobte sich abends mit der zweiten Tochter des Herzogs von Coburg, Prinzessin Viktoria. (Groß­herzog Ernst Ludwig von Hessen, Sohn des am 13. März 1892 verstarb. Großherzogs Ludwig IV., ist am 25. Novbr. 1868 zu Darmstadt geboren, seine Braut, Prinzessin Viktoria Melita von Sach­sen-Coburg und Gotha ist geboren in Malta am 26. Nov. 1876.)

Die Abhaltung einer Gewerbeausstellung in der Reichshauptstadt im Jahre 1896 erscheint jetzt, da auch die Reichsregierung dem Projekt sym­pathisch gegenübersteht, in: Prinzip gesichert. Wie groß die Teilnahme aus den Kreisen der deutschen In­dustriellen sein wird, bleibt selbstredend abzuwarten.

Berlin, 9. Jan. Der Zentralvorstand des Evangelischen Bundes" hat eineAnsprache an die evangelischen Deutschen" erlassen, worin gegen die Wiederzulassung der Jesuiten protestiert wird. Der Reichstagsbeschluß sei beschämend für unser Vaterland, und diejenigen Reichstagsabgeordneten, welche durch Fernbleiben von der Abstimmung den Sieg der Jesuitenpartei mit veranlaßt haben, haben eine schwere Verantwortung, und zwar nicht ' vor dem evangelischen Deutschland allein, aus sich ge­nommen. Wer in der Jesuitensrage nicht Farbe zu

bekennen wage, sei des 'Namens eines deutschen Reichsboten nicht wert. Auch die Vertreter der antijesuitischen Parteien seien zu tadeln- weil sie sich auf kurze Erklärungen beschränkt haben, anstatt die Gefahren, die unserem Vaterlande von der Rück­kehr des Jesuitenordens drohen, gründlich zu beleuch­ten und die Unwahrheiten seiner Fürsprecher gründ­lich zu widerlegen.

Besuch der kaiserlichen Familie in Loth­ringen. Aus Metz wird geschrieben: Es ist jetzt als ziemlich bestimmt anzuneymen, staß die gesamte kaiserliche Familie Anfang Juni hierher kommen wird. Die Kaiserin wird mit den Kindern eine Zeit lang auf Schloß Urville zubringen, der Kaiser aber nach einen, kurzen Aufenthalt' in Metz und Straßburg nach Berlin zurückkehren. Man nimmt an, daß der Aufenthalt der kaiserlichen Familie auf Schloß Urville mehrere Wochen dauern wird. , Berlin, 10. Jan. Am Samstag wurde, wie dieBerliner Ftg." mitteilt, der 500. Rechtsanwalt beim Landgericht I vereidigt.

Deutscher Reichstag. Am Mittwoch wurde die vor dem Weihnachtsfest begonnene Beratung ver Anträge der Centruins- und der konservativen Partei fortgesetzt, welche eine Reform der Alters- und Invalidenversicherung bezwecken. Abg. Singer (Soz.) fordert Erhöhung der Lei­stungen der Versicherung und wird deshalb jedem Anträge auf Einschränkung der heutigen Bestimmungen entgegen- treten. Sehr gut würde es sein, wenn die Rente ohne be­sonderen Nachweis der Arbeitsdauer gewährt würde; den faulen Arbeitern würde damit kein Gefallen gelhan, wie vor dem Feste behauptet, der Arbeiter leide unter Arbeits­mangel, nicht unter Faulheit. Die Sozialdemokratie sei die eigentliche Ursache, daß die Sozialgesetzgebung geschaf­fen sei. Abg. Böttcher (ntlb.) bestreitet das. Das Ge­setz sei im Bewußtsein der Pflicht geschaffen. Redner be­zweifelt nicht, daß eine Reform gelingen werde, aber man müsse doch erst Erfahrungen abwarten. Die Aushebung des Gesetzes sei von Niemandem verlangt worden; die vor dem Feste als unnötig erklärte Versicherung der landwirt­schaftlichen Arbeiter sei ebenso wichtig, wie die aller an­deren Arbeiter. Abg,. R ö ficke (lib.) warnt vor einer Nenderung des Gesetzes, da man während des 3jährigen Bestehens desselben viel zu wenig Erfahrungen gemacht habe. Abg.,Rickert (frs.) vermißt positive Vorschläge für die Reform des Gesetzes und macht für die Wirkung des­selben die frühere Reichstagsmehrheit verantwortlich. - Abg. Richter (frs.) wünscht Aufhebung des ganzen Gesetzes, das nicht einmal mehr bei seinen Schöpfern Zustimmung finde. Abg. Ulricks (Soz.) protestiert dagegen. Abg. Frhr. v. H a mm e rste-in (Ions.) betont, seine Partei wolle Vas Gesetz so reformieren,, daß es sich den heutigen, Berhäst- nffsen anpasse. Staatssekretär v. Bötticher ist zu Ur­formen bereit, glaubt aber, nicht, daß das Markensystem beseitigt werden könne. Uebrigens befreunde man' sich schon mehr und mehr mit dem Gesetz. Der Antrag- aus Reform des Markensystems wird angenommen. Donners­tag: Tabaksteuervorlage.

Deutscher Reichstag. Donnerstagssitzung. Der Reichstag genehmigte bei mäßig besetztem Hause die Ver­längerung des Handelsprovisoriums mit Spanien und trat dann in die erste Beratung der Tabaksteueroorlage ein, die Staatssekretär Graf Posadowsky in einer sehr weit aus­gesponnenen Rede befürwortete. Redner legte dar, daß der Tabak ein Genußmittel sei, das nicht unbedingt erfor­derlich, bei uns doch viel weniger, als in anderen Staaten belastet sei, und darum recht wohl eine höhere Steuer ver­tragen könne. Teurschland habe überhaupt die niedrigsten indirekten Steuern und die heute geplante unbedeutende Erhöhung würde noch immer nicht zu den stark emporge­gangenen Arbeitslöhnen im Verhältnis stehen. Die Aus­gaben seien doch auch zur Sicherung des-Friedens bestimmt, woran ein zeder gleichmäßig interessiert sei. Wenn man nur den wohlhabenden Leuten die Lasten aufwälzen wolle, so würde bald eine Massenauswanderung entstehen. Die Tabakindustrie agitiere geschlossen gegen die Vorlage, aber darum sei sie doch nicht im Recht. Ein Konsumrückgang und ein Notstand der Arbeiter sei nicht zu befürchten. Tw Regierung halte die Tabaksteuer für durchaus angebracht und bleibe dabei stehen. Abg, Fritzen (Ctr.) fiiyrt aus, der Tabak sei ein unentbehrliches Reiz- und Genußmittel geworden, dessen Mehrbelastung Tausenden von Arbeitern die Entlassung bringen und weite Kreise auf das Schwerste schädigen würde. Auf die höc ere Tabaksteuer in Frankreich und England zu verweisen, sei nicht angebracht, weil jene Länder viel reicher als Deutschland seien. Für die gegen­wärtige Vorlage zu stimmen, sei seiner Partei unmöglich. Auf weitergehende Steuern könne man sich überhaupt nicht einlassen. 'Abg. Frhr. v. Stumm (freikons.) ist der An­sicht , daß der Regierung nach der Ablehnung der Bwr- steuer absolut nichts anderes übrig blieb, als den Tabar schärfer zur Steuer heranznziehen. Niemand konnte dar­über in, Unklaren sein. Wenn Arbeiterentlaffungen wirk­lich eintreten sollten, würden diese Leute leicht anderswo, z. B. in der Landwirtschaft, Arbeit finden. Abg. Basser­mann matliv.l betont, während der ganzen Wahlagitation sei den Wählern nachdrücklich versprochen, die neuen Mi­litärlasten sollten wohlhabenden Schultern auferlegt wer­den. Diesen Versprechungen entspreche die Tabaksteuer nicht, ebensowenig der ganzen soziale» Tendenz unserer Zeit. Redner wird gegen die Vorlage stimmen. Alsdann wird die Weilerberätüng bis zum Freitag vertagt.

WieDas Volk" hört, wird der Direktor der preußischen Staatsarchive Wirkt. Geh. Ober-Regie­rungsrat Professor Dr. v. Sybel binnen kurzem