Von der Denkschrift des aus dem Jesuitenorden ausgetretenen Grafen Paul von Hoensbroech liegen jetzt in verschiedenen Blättern umfangreiche Auszüge vor. Zu Eingang der Denkschrift beruft sich Graf Hoensbroech auf das Zeugnis aller, die ihn gekannt, daß er den redlichsten Willen gehabt, ein wahrer Jesuit zu werden, und seine Bedenken und Zweifel immer wieder niedergekämpft habe. So habe er jahrelang dem Orden angehöct, ohne je in ihm heimisch zu werden; was er zur Verteidigung des Ordens geschrieben, sei aus dieser Stimmung heraus geschehen, ohne Heuchelei, in dem Bewußtsein: deine Bedenken müssen irrige sein. Außerdem hätten ihn die ungerechten Angriffe gegen den Orden aufgebracht. Als eine solche ungerechte Anklage bezeichnet Graf Hoensbroech namentlich diejenige über die Moral der Jesuiten. Als Hauptgrund, der ihn aus dem Orden vertrieben, ergiebt sich aus der weiteren Darstellung die systematische „Entleerung des individuellen Geisteslebens."
Der Gemeinderat zu Löbtau bei Dresden, der vor Kurzem eine neue Straße Ahlwardt-Straße getauft hatte, hat diesen Beschluß wieder aufgehoben und der Straße einen harmlosen Namen beigelcgt.
Berlin, 27. April. Die Antisemiten hielten gestern Abend eine zahlreich besuchte Versammlung ab. Werner bemängelte das Verhalten des Reichstages Ahlwardt gegenüber und entwickelte das antisemitische Programm. Alsdann besprach Ahlwardt unter großem Jubel zunächst die vorletzte Sitzung des Reichstags, er sehe seine Verurteilung, appelliere aber an das deutsche Volk, dieses solle der letzte Richter sein. Gegen die letzten Angriffe sei er un- empfindlich. Er halte seine Behauptung über den Jnvalidenfonds aufrecht. Mit der Ermahnung an die Versammlung, die antisemitische Bewegung zu unterstützen, schloß Ahlwardt unter stürmischem Beifall und Hochrufen.
In dem Bericht der Militär-Kommission befindet sich auch in den Aeußerungen des Grafen Caprivi über die auswärtige Lage, wie die „Frankfurter Ztg." mitteilt, ein Passus über die Zukunft des Dreibundes, der lautet: „Es sei auch in Erwägung zu ziehen, ob bei dem Ablauf der Vertragszeit eine vollständige oder zeitweise Erneuerung des Dreibundes völlig sicher sei. Schon sei ein Teil der Zeit abgelaufen. Die Erneuerung des Dreibundes sei allerdings wahrscheinlich, doch auch nicht absolut sicher. Die Handelsverträge haben das Bedürfnis gestärkt, das Band zwischen Oesterreich und Italien fester geknüpft, aber sicher sei nicht, ob die Basis bei der Erneuerung des Bündnisses gleich bleiben werde."
Berlin, 27. April. Der „Reichsanzeiger" ist zu der Erklärung ermächtigt, daß weder in der Unterhaltung des Kaisers mit dem Papst, noch in der Audienz des Staatssekretärs Marschaü beim Papst die Militärvorlage irgendwie erwähnt wurde. Der „Reichsanzeiger" konstatiert ferner, daß in den Besprechungen des Reichskanzlers mit hervorragenden Mitgliedern des Centrums niemals, weder von der einen noch von der anderen Seite, davon die Rede gewesen ist, für die Unterstützung der Militärvorlage Konzessionen auf kirchlichem Boden einzutauschen.
Berlin, 28. April. In der heutigen Sitzung der Ahlwardtkommission erschien Ahlwardt in einem höchst unanständigen Aufzuge, sodaß der Vorsitzende Graf Lallestcem ihn ausforderte, sich anständig zu benehmen. Ahlwardr gab zu, der gestern erwähnte Brief des Senatspräsidenten Kalindero sei gefälscht. Er habe für seine Behauptungen bezüglich des Jnvalidenfonds keine Beweise. Die übrigen Akten enthalte» nichts Belastendes.
Das preußische Slaatsministerium ist am Donnerstag unerwartet durch den Ministerpräsidenten Grafen Eulenburg zu einer Sitzung zusammenberufen worden. Wie in parlamentarischen Kreisen vermutet wurde, soll der Ministerrat durch aus Rom eingetroffene Telegramme veranlaßt worden sein.
In Berliner Blättern wird heute von neuem bestätigt, daß die Verhandlungen über die Militär- vorlagc mit Herrn v. Huene fortdauern, aber hinzugefügt, daß sür den Fall des Nichtzustandekommens einer Einigung mit dem Reichstag die Auflösung desselben feststehe. Mit besonderem Nachdruck wird aus Regierungskreisen versichert, daß keinerlei Hineinziehung kirchenpolitischer Fragen in die Verhandlungen über die Militärvorlage stattgefundcn habe.
i Berlin. 28. April. Der „Reichsanzeiger" I schreibt: Die Form. welche die „Köln. Bolksztg." einer an den Kardinal Ledochowski gerichteten Aeu- ßerung des Kaisers giedt, ist vollständig erfunden. Nach der Berliner „Tägl. Rundschau" hätte der Kaiser dem Sinne nach gesagt, daß dem Kardinal der Aufenthalt in Deutschland offen stehe; er sei sür die nicht verbüßten Strafen begnadigt und damit sei die Vergangenheit abgethan.
Die Kommission des Reichstags zur Untersuchung der Ahlwardt'schen Papiere überzeugte sich am Freitag zunächst, daß der angebliche Brief Calinderos aus zerrissenen Stücken besteht, von denen nicht erkennbar ist, ob sie zusammengehören. Das Datum fehlt. Ahlwardt giebt selbst zu, daß die Unterschrift und der ganze Brief gefälscht sein können. Dann wurde festgestellt, daß Ahlwardt für seine Behauptungen bezüglich des Jnvalidenfonds keine Beweise beibringt und daß bei Anlegung dieses Fonds alles der Ordnung gemäß zugegangen sei. Dann kamen die angeblichen II Originalbriefe in Sachen der rumänischen Eisenbahngesellschaft, die von Miquel herrühren sollen. Es ergab sich, daß sie sämtlich von Meißner geschrieben sind. Nichts rührt von Miquel her, auch nicht die Unterschrift. Bei einigen steht sogar neben „Miquel" der Name Meißner. Ahlwardt erschien vor der Kommission mit derartig zerrissenen Beinkleidern, daß der Vorsitzende ihn auffordern mußte, seine Blöße an der bedenklich- lichsten Stelle zu bedecken.
Schwei).
Aus der Schweiz, 24. April. Im Dorfe Biezwyl, drei Viertelstunden von Büren (Kanton Bern) entfernt, ist heute mittag ein großer Brand ausgebrochen. 30 Firsten sind abgebrannt, worunter das Schulhaus, das Postgebäude und die Käserei. Die Zahl der Obdachlosen beträgt gegen 200. Wassermangel und der Umstand, daß die meisten Häuser mit Stroh und Schindeln bedeckt waren, machten die Feuerwehr machtlos.
Bekrrreich-Angarn.
Wien, 28. April. Herr v. Giers hat sich zu politischen Persönlichkeiten über den Empfang in Wien und den Besuch Kaiser Franz Josephs dahingehend geäußert, es habe ihn auf das tiefste gerührt. Das letztere Ereignis sei ein wichtiges Friedenssympton, welches nicht ohne Politische Folgen bleiben werde.
Wien, 28. April. 700 Industrielle Reichenbergs erklärten den 1. Mai als vollen Arbeitstag. Alle an diesem Tage feiernden Arbeiter werden als kontraktbrüchig angesehen.
Prag, 28. April. Die Stadt Kreuzberg ist größtenteils niedergebrannt, von 190 Häusern sind 141 mit den Nebengebäuden zerstört.
Frankreich.
Paris, 28. April. Großes Aufsehen erregt eine von den Eisenbahnarbeitern herausgegebene Broschüre , worin dieselben zum Ausstand aufgefordert werden. Sie zählen bereits 350000 Mann, es fehle nur an der Organisation, um ihre Zwecke zu erreichen.
Italien.
Rom. Der Unfall be>m Besuch der Castelli Romani hätte schlimm ausfallen können. Der Wagen des Kaisers wurde durch die Ungeschicklichkeit des Postillons, der zu rasch umwendete, in einen Graben gestürzt. Der Kaiser und der Adjutant wurden abgeworfen, konnten aber sofort wieder aufstehen. ohne daß ihnen viel geschehen wäre. Der Kaiser spürte indes einen Schmerz an der Schulter.
Rom, 26. April. Nach französischen Blättern und nach der Wiener „N. Fr. Pr." soll der Kaiser zu den Künstlern u. a. gesagt haben, er wolle eine Schule in Rom gründen, wie die französische in der Villa Medicis. „Wir werden da vor allem die Architekten zum Studium hinschicken. Hätten wir das früher gethan, so wären wir nicht mit einem so trostlosen neuen Reichstagsgebäude beschenkt worden. Es würde dann überhaupt in Berlin anders aus- sehen. Die moderne deutsche Architektur hat uns arg mitgespielt. Von dem Niederwald-Denkmal, welches meine Frau den Bienenkorb nennt, bis zu den Häusern Berlins sind alle Werke wahre Muster menschlichen Ungeschmacks." Die uns vorliegenden deutschen Blätter berichten bis jetzt nichts über diese Aeußerungen.
Rom, 26. April. Der „Polit. Korr." wird aus dem Vatikan gemeldet: Das Gespräch des deutschen Kaisers und des Papstes trug einen unge
wöhnlich herzlichen Charakter. Dasselbe betraf die kirchenpolinsche Situation Deutschlands sowie die allgemeine Lage des Papsttums, wobei alles vermieden wurde, was für den einen oder den anderen Teil hätte unangenehm werden können. Beide schieden von einander sehr befriedigt. — Es gilt als sicher, daß der Besuch eine weitere Annäherung zwischen dem Papst und dem deutschen Kaiser zur Folge haben werde. Es wäre aber ein Irrtum, anzunehmen, daß nunmehr die allgemeine Richtung der vatikanischen Politik geändert werden würde. Der Besuch des Kaisers hat jedoch dazu beigetragen, etwaige Mißverständnisse zu beseitigen und er wild die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Deutschland günstig beeinflussen. Diese waren bisher normale, dürften aber in Zukunft einen viel freundlicheren Charakter annehmen.
Rom, 27. April. Heute Mittag erfolgt die Abreise des Kaiserpaares nach Neapel; das Königspaar und ein zahlreiches Gefolge reisen mit dem Kaiserpaar.
Der „Reichsanzeiger" schreibt: Staatssekretär Fchr. v. Marsch all hatte am 26. in Rom eine längere Unterredung mit dem italienischen Minister des Auswärtigen, Brin. Die Audienz, welche Frhr. v. Marschall gestern beim Papst hatte, dauerte l'/s Stunden.
Neapel, 27. April. Die Majestäten trafen um 2 Uhr 18 Min. hier ein. Die Fahrt vom Bahnhof zum Schloß erfolgte wegen des Gedränges der Menschenmassen im Schritt. Die Bevölkerung brachte allenthalben die lebhaftesten Ovationen dar; an mehreren Stellen wurden Blumen gestreut. Die Musikkorps der Spalier bildenden Truppen spielten die pceuß. Bolkshymne. In der Bia di Toledo hatten einige hundert Vereine aus der Stadt und den Provinzen mit mehr als 100 Fahnen und 15 Musikkapellen Aufstellung genommen. Sie bereiteten den Einziehenden immer erneute stürmische Huldigungen. Der Jubel dauerte noch fort, als die Majestäten das Palais bereits betreten hatten. Veranlaßt durch die frenetischen Kundgebungen der Menge vor dem Palais traten die kaiserlichen und königlichen Majestäten auf den Balkon hinaus. Die Kaiserin und die Königin dankten der Menge durch Tücherschwenken. Inzwischen defilierten die Vereine unter Absingen der italienischen Nationalhymne. Der Verkehr auf den Straßen ist geradezu unmöglich geworden.
Neapel, 27. April. Die deutschen und italienischen Herrscherpaare, sowie der Prinz von Neapel und der Herzog der Abruzzen trafen nachmittags 2 llhr 18 Minuten am Bahnhofe ein, empfangen vom Herzog von Genua, den Behörden und dem Kommandanten des Schiffsjungenschulschiffes Nixe. Das Musikcorps spielte die preußische Hymne, das Geschwader gab 21 Ehrenschüsse. Der Sindaco überreichte der Kaiserin, der Präsident der Provinz Neapel der Königin einen Blumenstrauß. Auf dem Bahnhofsplatze kam es zu nicht enden wollenden Huldigungen der nach vielen Tausenden zählenden Volksmenge. Der Kaiser mit dem König, die Kaiserin mit der Königin fuhren in je einem offenen Wagen, die Begleitung in elf Wagen nach dem K. Palais. Die Straßen, besonders die Via Toledo, sind aufs prächtigste geschmückt. Die Truppen bildeten Reihe; 300 Vereine mit Fahnen und Musikcorps halten sich ausgestellt. Große Begeisterung herrschte allenthalben. Der Zug traf 3 llhr 15 Minuten im Palais ein.
Neapel, 28. April. Die Stadt war gestern abend glänzend illuminiert. In Lichtfarben zeigten sich die Wappen Deutschlands und Italiens. Der Wtllkommgruß der Stadt strahlte in bengalischen Flammen. Von dem Kirchturm von San Francesco leuchtete der Stern Savoyens zwischen mehrfarbigen Monogrammen des Kaisers und der Kaiserin. Die Majestäten besichtigten die Illumination vom Balkon und wohnten der Serenade bei. Donnernder Beifall, wurde laut bei dem Klang der Nationalhymnen. Ein Prachrfeuerwerk wurde auf dem Schloß San Elmo und von St. Martin abgebrannt. Die Majestäten zogen sich gegen 11 llhr unter brausendem Jubel der Volksmenge zurück.
Neapel, 29. April. Die zehnstündige Rundfahrt der Majestäten im Golfe ist prachtvoll verlaufen. Das Wetter war zunächst veränderlich, dann schön. Während der Fahrt veranstaltete der Panzer „Hum- bert" , welchen der Minister Brin erbaut hat, ein