die That aus Verzweiflung darüber begangen, daß ihm seine beiden Kinder an der Cholera verstorben waren und man seine Frau als Cholerakranke fort­geschafft hatte. Das Dienstmädchen einer in Barm deck wohnenden Herrschaft, von der die Frau und ein Sohn an der Cholera gestorben, sprang am Mittwoch Abend ins Wasser, wurde jedoch gerettet und ihrem Dienstherrn überliefert. Bald darauf stellten sich bei ihr Spuren von Geistesgestörtheit ein und mußte ihre Ueberführung in die Irrenanstalt erfolgen. Das furchtbare Schicksal seiner Herrschaft hatte das noch sehr jugendliche Mädchen so sehr erschüttert, daß es darüber den Verstand verlor.

lieber das Entstehen der Epidemie in Ham­burg enthalten die gestern erschienen Veröffentlich­ungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes folgende interessante Mitteilung:In Hamburg lassen sich die ersten Erkrankungen der Cholera bis zum 16. Aug. verfolgen, sie betrafen fast ausschließlich solche Personen, welche am Hafen beschäftigt waren oder auf der Elbe verkehrten. Die Seuche ist höchstwahr­scheinlich durch Auswanderer ans Rußland verschleppt worden und zwar in der Weife, daß aus der für diese Auswanderer erbauten Baracke die Schmutzwässer, welche von der Reinigung der Wäsche u. s. w. her­rührten, sowie die sämtlichen Fäcalien der Allswan. derer undesinfiziert in den nahen ELbarm gelangten, was um so gefährlicher war, als in nicht erheblicher Entfernung die Wasserentnahme für die Wasserleitung der Stadt Hamburg stattfindet. Die geschilderte Emschleppungsart ist durch die an Ort und Stelle im Aufträge des kaiserl. Gesundheitsamts von dem Geheimen Medizinal-Rat Professor Dr. Koch und Regierungs Rat Dr. Rats gemachten Beobachtungen fast zur Sicherheit geworden.

Hamburg, 3. Sept. Eine erhebliche Abnahme der Cholera ist seit gestern zu konstatieren. Heute sind nachmittags nur 66 Personen gestorben. Die Cholerakommission wandte sich an die Vertrau­ensleute der sozialistischen Vereine zur Stellung zu­verlässiger Hilfsmänner. Diese stellten sofort 400 vertrauenswürdige Arbeiter. 52 versorgungsbedürf­tige Kinder sind durch Vermittelung der Behörde unter Aufsicht von Volksschullehrern in einer frei­stehenden Volksschule utttergebracht worden. Das Amtsrichter-Kollegrum beschloß, einstweilen kleinere Freiheitsstrafen nicht vvllstrecken zu lassen. Apo­theker Dr. Reiche stellte 20,000 Portionen Cholera- mittel her, bestehend je aus Castoröl, Creolin und Opiumtropfen, zur nötigenfalls unentgeltlichen Ver­leitung an Bedürftige.

Hamburg, 5. Sept. Am Samstag wurden 325 Kranke und 197 Leichen transportiert; 45 bezw. 12 weniger als am Freitag, insgesamt sind bisher gemeldet 5623 Erkrankungen, 2518 Todesfälle.

Hamburg, 5. Sept. Gestern wurden 290 Cho­lerakranke und 158 Leichen transportiert. Die Ab­nahme gegen vorgestern beträgt 35 Kranke und 39 Sterbefälle. Es herrscht eine zuversichtlichere Stim­mung und Hoffnung aufweitere Abnahme der Krankheit.

In einzelnen Bezirken der preußischen Monarchie hat der Lehrermangel eine ungewöhnliche Höhe erreicht. Die Besetzung der erledigten Stellen und aller Klassen mit mehr als 70 bezw. 80 Schülern würde nach zuverlässigen Berechnungen die Anstel­lung von über 20000 Lehrern nötig machen. So lange nicht eine durchgreifende Aufbesserung der Gehaltsbezüge unserer Jugendbildner erfolgt, ist an eine erhebliche Milderung dieses beklagenswerten Lehrermangels nicht zu denken.

Wie dieNordd. Allg. Ztg." hört, ist der Aus­fall der Kaisermanöver des 8. und 16. Armee­korps an Allerhöchster Stelle beschlossen.

Der Kriegsmintster Generallieutcnant v. Kalten- born-Stachau ist vom Kaiser anläßlich des Se­dantages zum General der Infanterie ernannt worden.

Dortmund, 2. Sept. Den schwer heimgesuchten Hamburgern soll von hier aus Hilfe kommen. Der Barer des hier stationierten Aichungsinspektors der Provinz Westphalen, Hauptmann a. D. Will, ein Arzt in Ostpreußen, hat nach hinterlasfenen Schriften bei der Choleraepidemie, die in den 30er Jahren Ost­preußen heimsuchte, mit einem einfachen Mittel groß­artige Erfolge erzielt. Nach den Versicherungen des nnnmehr verstorbenen Arztes, (der Sohn bestätigt es) ist kein Kranker, der das Mittel rechtzeitig bekommen, an der Cholera gestorben. Das Mittel besteht aus Aether und Phosphor. Nach dem Gutachten des

Kreisphysikus, Geh. Rats Dr. Hagemann, ist es ge eignet, die Nerventhätigkeit anzuregen, worauf es bei den Cholerakranken hauptsächlich ankommt. Herr Will hat sich nunmehr mit Gerichtschemiker Dr. Kaysser hier in Verbindung gesetzt, der das Mittel in größeren Mengen angefertigt hat. Heute geht die erste Sendung nach Hamburg ab. Möge es den versprochenen Erfolg haben.

Berlin, 5. Sept. Der amtliche Cholerabericht lautet: In Hamburg wurden am 3. Sept. 528 Er krankungen und 379 Sterbefälle angemeldet, am 4. Sept. 501 Erkrankungen und 158 Sterbefälle; in Altona am 3. Sept. 17 Erkrankungen und 10 Sterbefälle; in anderen Orten der Provinz Schl es wig 15 Erkrankungen und 10 Sterbefälle.

Besterreich-Angarn.

August Bebel, auf einer Erholungsreise be griffen, sprach zu Wien in einer von etwa 4000 Arbeitern besuchten Versammlung der offiziellen sozi aldemokratischen Fraktion über die Ziele der Sozial demokratie, anfangs mit wenig Erfolg, da der nord deutsche Dialekt zu sehr befremdete, wirkte jedoch später, als er wärmer wurde, stark. Der Redner wies auf die Geschichte der ökonomischen Entwicklung hin und äußerte u. a., daß die Furcht vor dem Sozia lismus die Regierungen und die bürgerlichen Kreise beherrsche. Der Kleingewerbestand Oestreichs gehöre derzeit zwar noch der antisemitischen Partei an, doch sei der Haß gegen die Juden nichts als Neid. Das Interessanteste war die Bemerkung, daß Revolutionen, wie sie früher vorgekommen, für die. Zukunft un­möglich seien; man werde nicht mehr Barrikaden bauen, die Armee werde nicht mehr auf das Volk schießen, doch werde ein voraussichtlich kommender großer europäischer Krieg Aenderungen im Wirt­schaftsleben herbeiführen.

Wien, 5. Sept. Bebel, welcher am Samstag hier vor der sozialistisch-radikalen Partei sprach, reist nach Steiermark, um in mehreren Versammlungen zu sprechen.

Wien, 5. Sept. In den steierischen Alpen herrscht heute Schneefall. Hier haben wir vollstän digen Umschlag der Witterung; cs ist Regen und Kälte eingetreten.

Budapest, 3. Sept. Die Bauern in Kiszacs gerieten in Aufstand, weil der Bezirksarzt einen un­ter Cholerasymptomen Verstorbenen sezieren wollte. Die Leiche mußte unseziert bestattet werden.

In dem Dorfe Say dusch in Galizien wurde ein Meierhof durch einen Blitzschlag entzündet. Da­bei wurden von den dort einquartierten Mannschaften des 56. Regiments acht getötet, sieben verwundet.

Frankreich.

Paris, 5. Sept. Carnot ist heute mittag von Chambery nach Aix-les-Bains abgereist und daselbst nachmittags eingetroffen. Einem Pariser Telegramm derStraßb. Post" entnehmen wir u. a. über den Empfang: Im Rathaus empfing Carnot die Behör­den und eine Abordnung von Schulkindern. Ein Junge trat dabei in russischer Tracht auf und trug ein Sprüchlein vor des Inhalts: Weil sein Papa ihm gesagt habe, Rußland sei die Freundin Frank­reichs, darum sei er als Russe gekleidet. Natürlich küßte der lächelnde Carnot auch diesen Jungen, und zwar mit den Worten:Indem ich dich küsse, küsse ich Rußland." Allgemeiner Jubel brach nun aus und alle brachten Hochrufe auf Rußland, Frankreich, Carnot und die Republik aus.

Paris, 5. Sept. Aus Marseille wird gemel­det: Währtnd eines Stiergefechts kam es gestern zu schweren Unordnungen. Die Menge forderte die Abschlachtung des Kampfftieres, die spanischen Ma- tadore weigerten sich jedoch, zu kämpfen. Das Pub­likum demolierte darauf vollständig die innere Ein­richtung des Zirkus, warf Stühle und Thüren in die Arena, zündete dieselbe an und tanzte um das brennende Gebäude. Das Militär stellte die Ord­nung wieder her. Zahlreiche Verhaftungen wurden vorgenommen.

Der Schauspielerin Ehassaing in Paris wurden 80000 Francs sowie ihr ganzes Silbergeschirr ge­stohlen.

Portugal.

Lissabon. 5. Sept. Beschäftigungslose Leute zogen gestern vor das Arbeitsministerium und for­derten Arbeit. Der Minister erklärte die Erfüllung dieses Begehrens für üümöglich. Die Manifestanten versuchte» nun ins Ministerium einzudringen. Die

Polizei verhaftete viele Personen und stellte die Ruhe wieder her.

Rußland.

Petersburg, 2. Sept. Professor Virchow hat heute Mittag um 1 Uhr die Heimreise angetreten. Der Minister für Volksaufklärung, Graf Deljanow, sowie Vertreter der Stadt und zahlreiche Aerzte gaben ihm bis zum Bahnhofe das Geleit.

St. Petersburg. 3. Sept. Ein großer hiesiger Gasthof zweiten Ranges wurde wegen Nichtbefolgung der Gesundheitsvorschriften auf zwei Wochen ge­schlossen und dem Wirt 200 Rubel Strafe auferlegt. Hiesige Aerzte erklären, die Cholera trete in St. Petersburg in eigentlicher Form, als sogenannte trockene Cholera" auf. Die Ausleerungen seien verhältnismäßig sehr gering, nichtsdestoweniger neh­men die Kräfte rasend schnell ab.

Was will der Zar? Daß die jetzigen russi­schen Zustände unhaltbar sind, empfindet Niemand stärker, als der Zar, der seit mehr als zehn Jahren von seinem Schreibtisch aus galvanische Versuche mit dem großen Leichnam anstellt, den man das russische Reich nennt. In der That, Rußland ist kein in europäischem Sinn geleiteter und geregelter Staatsorganismus, es entbehrt die rastlos schaffen­den Glieder, den regen Stoffumsatz, wie ihn die Weststaaten aufweifen. Das heilige Rußland aus seiner Erstarrung zu lebensfähigeren Zuständen all- mählich heranzuleiten, ist das Verlangen des Kaisers Alexanders III., der zwar die Wege des Kaisers Nikolaus wandelt, aber doch schließlich begreift, daß die Entwickelung der Staaten sich nicht nach einer umschriebenen Schablone richtet. Notgedrungen wird er ganz eigene und andere Wege einschlagen müssen, um zum Ziel zu gelangen. Nicht ohne Grund sind die seit Monaten in St. Petersburg und Moskau umgehenden Gerüchte von einer bevorstehenden Aen- derung der Regierungsweise. Es heißt, Kaiser Ale­xander habe die Absicht, euren verantwortlichen Ministerpräsidenten zu ernennen und so eine völlig einheitliche und konsequente Herrschaft zu ermöglichen. Es wäre ungefähr, von weiteren parlamentarischen Zuthaten abgesehen, der Zustand, wie er in Preußen durch die bekannte Kabinettsordre von 1852 geschaffen wurde. Ohne Zweifel würde, die Wahl einer ge­eigneten Persönlichkeit von hinreichend unabhängigem und entschiedenem Charakter vorausgesetzt, eine der­artige Veränderung für die innere Entwickelung Rußlands von wirklichem Nutzen werden können. Wenn man sich der bis in die Regierungszeit des jetzigen Zaren hinreichenden Thätigkeit des Grafen Loris-Melikow erinnert, so wird man die anregende und anfeuernde Wirksamkeit eines an der Spitze der verschiedenen Geschäftszweige stehenden Staatsmannes nicht gering anschlagen dürfen. Der jetzige Kaiser meint es entschieden gut mit seinem Volk, er besitzt den Willen, aber nicht die Macht, das heilige Ruß­land als ebenbürtiges Glied der europäischen Groß­staaten erscheinen zu lassen. Da eine wirksame Re­form von unten aus kaum zu erwarten ist und die Befugnisse der Stadtverwaltungen, die sich größeren Aufgaben gegenüber als unfähig und unzureichend erwiesen, beschränkt werden mußten, bleibt nichts übrig, als das künftige Heil des großen Reichs von oben her anzubahnen. Nach Asien hin steht Ruß­land gegenwärtig trotz Hungersnot, Finanzverlegen­heit und Cholera achtunggebietender als je zuvor und zwar Arm in Arm mit der Union und China auf dem Weltplan. Von dem jetzigen brittischen Kabinett hat es voraussichtlich keine derbe Anfecht­ung zu gewärtigen. Niemand wird Rußland hindern, daneben seine Umwandlungspläne im Innern mit aller Seelenruhe zu verfolgen. An schwierigen Auf­gaben fehlt es dem kommenden leitenden Staats­mann jedenfalls nicht. Möge sich nun Kaiser Ale­xander III. bei der Wahl seines künftigen ersten Ratgebers nicht vergreifen, damit endlich einmal die unheimliche Periode des Tastens und Experimen- tierens abgeschlossen und eine zielbewußte Reform­arbeit begonnen werden kann. Die ,)rage bleibt nur, ob sie der Zar auch ernstlich anfassen will.

Russische Beamte. In letzter Zeit ist wieder­holt gemeldet worden, daß selbst hochstehende russi­sche Beamte wegen begangener llnterschleife zur Ver- anwortung gezogen werden. Ihre Bestrafung ist strenger, als bisher üblich war, und es scheint, daß in Zukunft noch größere Strenge angewandt wird. Ob damit freilich eine sittliche Besserung des russi-