München, 30. Juni. In der gestrigen Versammlung der Centrumspartei des Freisinger Wahlkreises bezeichneten die Abgeordneten Soden, Orterer und Daller die Aeußerungen des Fürsten Bismarck gegenüber dem Berichterstatter der Wiener Neuen Fr. Presse als an Landesverrat streifend; die Bismarcktage erschwerten das Zusammenarbeiten mit den Nationalliberalen in manchen Zeitfragen. Gegenüber der Sozialdemokratie sei die Gemeinsamkeit der staatserhaltcnden Parteien erforderlich und ermöglicht.
München, 1. Juli. Fürst Bismarck hat nach seiner Ankunft in Kissingen dem Prinz-Regenten in einem ehrerbietigen Schreiben seinen Dank für die so überaus herzliche Aufnahme, die er überall in Bayern gefunden, ausgesprochen. Dem Vernehmen nach hat S. K. H. das Schreiben des Fürsten mit einem sehr huldvollen Telegramm beantwortet.
Die „Müncher N. N." sind in der Lage, eine Aeußerung eines Blattes mitteilen zu müssen, welche an Rohheit wohl Alles übertrifft, was während der Bismarcktage von der ultramontanen Presse geleistet worden ist, und das will gewiß viel heißen! Anläßlich des Umstandes, daß die Lokomotive des Bis- marck'schen Extrazuges mit einem Kranz geschmückt war, schreibt nämlich das Organ der unterfränkischen katholischen Geistlichkeit: „Gewisse Leute (die Bismarckverehrer) werden es sich künftig zur Ehre rechnen, sich von einer Lokomotive, die vor den Extrazug Bismarck's gespannt war, tot fahren zu lassen. Schade wäre es um sie allerdings nicht." Und ein solches Blatt giebt vor, die Religion zu verteidigen! Ein schwäbisches ultramontanes Blatt schreibt, zwei Augsburger seien nach München gereist, um Bismarck zu bitten, er möge doch dem Amtsbezirk des bismarcktreuen Herrn v. Fischer die Gelegenheit zum Ablecken der Kürassierstiefel verschaffen. Die „N. N." bemerken hiezu: Unseres Wissens haben gerade die Liberalen die Gewohnheit nicht, Fußbekleidungen Anderer abzulecken.
Graf Herbert Bismarck und seine junge Gemahlin, die ihren Aufenthalt in Schönhausen nehmen werden, treffen in den nächsten Tagen nach Beendigung ihrer Hochzeitsreise dort ein. Fürst Bismarck wird, nachdem er seine Kur in Kissingen beendet hat, dem Neuvermählten Paar in Schönhausen einen längeren Besuch abstatten.
Schon wieder ein neues Jnterwiew des Fürsten Bismarck durcheilt die Presse. Diesmal ist es ein Berichterstatter der Münchener „Neuesten Nachr.", den der Fürst in Kissingen empfing. Wir geben einige Sätze: Rache zu nehmen, ist nicht mein Zweck, noch meine Absicht, am allerwenigsten an meinem Nachfolger, der mir nie etwas zuleide gethan hat. Rach, süchtig bin ich durchaus nicht. Wenn ich bisweilen meine Stimme vernehmen lasse, so thue ich es zum Besten des Vaterlandes. Ich will, soweit meine Erfahrung und meine Autorität noch reichen, solche Handlungen der jetzigen Regierung, die ich der gedeihlichen Entwicklung dieses Landes für unzuträglich halte, beeinflussen und korrigieren. Die Handelsverträge widersprechen unseren Interessen, sie schädigen u. a. den Allgäu durch die Vieh- und Käsezölle und die Weingegenden und die Papierindustrie. Ich versichere nochmals, daß ich das Vertrauen des Kaisers Alexander III. im höchsten Maße genossen habe. — Als der Besucher die Frage einer „Versöhnung" mit Kaiser Wilhelm anregte, sagte der Fürst: Ich bin bei dem Kaiser in Ungnade gefallen und weiß heute noch nicht warum. Von einer Versöhnung kann man noch nicht sprechen. „Der Kaiser ist ja nicht," sagte Fürst Bismarck scherzend, „bei mir in Ungnade gefallen." Wenn Seine Majestät die Ungnade aufhevt, wäre das Verhältnis das alte. Ich glaube gewiß, daß Jntriguen mituntergelaufen sind. Das Ausscheiden aus dem Amte hätte mich nicht geschmerzt. Tief schmerzt mich aber die Form, wie es geschehen ist. Der Fürst sagte dann auf seine Dogge zeigend: Das ist noch ein Geschenk des jungen Kaisers. — Schließlich stellte Fürst Bismarck auch in Aussicht, er wolle nächsten Winter in den Reichstag kommen.
Frankfurt a. M., 1. Juli. Heute vormittag wurde der Lehrling des Bankgeschäfts Gebrüder Wolf auf der Treppe des Bankhauses von zwei In- dividuen überfallen, welche augenscheinlich wußten, daß der Lehrling soeben auf der Reichsbank einen Chek im Betrag von ISO 000 ^ einkassiert hatte. Die Räuber entflohen mit dem Gelds. Einer der
selben wurde festgenommen und bei ihm wurde glücklicherweise die geraubte Summe vorgefunden.
Köln, 30. Juni. Im Emsflusse bei Warendorf sind, wie die „Köln. Volks-Zeitung" meldet, gestern Abend ein junger Mann und fünf Mädchen durch Leckwerden des Schiffes, worin sie sich befanden, ertrunken. Zwei Personen wurden gerettet.
Der in Leipzig tagende deutsche Aerztetag hat darauf erneut aufmerksam gemacht, daß im Durchschnitt im Deutschen Reiche weit mehr Aerzte vorhanden sind, als gebraucht werden. Das Studium der Medizin ist weniger bemittelten jungen Leuten also nicht gerade zu empfehlen.
Aus Hamburg wird gemeldet: Die deutsche Bark Ramien aus Elsfleth, auf der Reise nach Montevideo begriffen, ist untergegangen. 15 Personen sind ertrunken.
Der Tabaks bau ist im Reichslande in stetem Rückgänge begriffen. Die Anbaufläche ist von rund 4000 Hektar im Jahre 1870 auf unter 2000 Hektar gesunken, und noch ist die rückläufige Bewegung in Folge der geringen Nachfrage und der damit zusammenhängenden niedrigen Preise nicht zum Abschluß gekommen.
Berlin, 29. Juni. Der Kaiser hat das Gesuch, daß preußische Militärkapellen auf der Chicagoer Weltausstellung konzertieren dürfen, abschlägig beschicken.
Berlin, 30. Juni. Die Stadtverordneten beschlossen, das Gehalt des ersten Bürgermeisters auf 30 000 vkL festzusetzen, jedoch den vom Ausschüsse beschlossenen Zusatz, „einschließlich Repräsentationskosten", zu streichen.
Zu den Artikeln der „Nordd. Mg. Ztg." gegen den Fürsten Bismarck sagt die „Nationalzeitung": „Man muß anerkennen, daß die Männer der heutigen Regierung schwer gereizt worden und kann trotzdem einzelne der in dem Artikel gebrauchten Ausdrücke beklagen. Wie dem auch sein mag: wem es um das Ansehen Deutschlands und um den inneren Frieden zu thun ist, der kann nur den einen Wunsch haben, daß dieser Streit von beiden Seiten eingestellt werde. Fürst Bismarck ist dem Anschein nach von neuem heftig dadurch aufgebracht worden, daß sein Wunsch, eine Audienz bei dem Kaiser Franz Joseph zu erhalten, vereitelt wurde. Aber nachdem Fürst Bismarck die ihm nach seiner Ansicht widerfahrene neue Herausforderung in schärfster Weise erwidert hat, darf an seinen Patriotismus der Appell gerichtet werden, d azu beizutragen, daß das traurige lolitische Schauspiel dieser Polemik ein schleuniges Ende finde."
Das Reichsgesetz über die Unterstützung von Familien der zu Friedensübungen einberufenen Mann- chaften vom 10. Mai d. I. tritt am 1. Juli d. I. in Kraft, worauf die Interessenten besonders hingewiesen werden.
Desterreich-Ungarn.
In Karlsbad, wo gegenwärtig die Kaiserin Elisabeth von Oesterreich zur Kur weilt, wird für die nächste Woche ein zweiter fürstlicher Gast erwartet, nämlich die Exkaiserin Eugenie von Frankreich.
Frankreich.
Die Franzosen wollen der Weltausstellung in Berlin Konkurrenz machen. Nach dem „Gaulois" wurde die französische Regierung offiziell verständigt, daß Deutschland eine Weltausstellung im Jahre 1900 organisieren werde. Der französische Ministerrat beschäftigte sich mit der Frage. Abg. Deloncle wird in der Kammer einen Antrag einbringen, in welchem er die Regierung auffordert, gegenüber dem Projekte Deutschlands ebenfalls 1900 in Paris eine Weltausstellung zu veranstalten. Dieser Antrag Deloncle's wird angeblich auf Wunsch der Regierung eingebracht, welche eine Gelegenheit wünschte, sofort zu erklären, daß Frankreich im Jahr 1900 nach der üblichen 11jährigen Frist eine Ausstellung veranstalten werde. Deloncle teilte in einem Gespräch mit, daß er ohne die Notifikation der deutschen Regierung seinen Antrag erst nächstes Jahr eingebracht haben würde. Deloncle betonte die „eminent friedliche Bedeutung" des Projektes. Gegen eine, deutsche Ausstellung in demselben Jahre werde kein Franzose etwas einwenden. Der friedliche Wettstreit der Nationen könne nur gute Folgen haben.
Die Pariser sind seit einigen Tagen durch die von neuem aufgetauchten Gerüchte von einem bevorstehenden Besuch des Zaren in Paris in angenehme
Aufregung versetzt worden. So sehr nahe scheint man indessen der Erfüllung des sehnlichen Wunsches noch nicht zu sein, denn es wird neuerdings mit Bezug auf diese Gerüchte von Pariser Blättern, wahrscheinlich auf einen Wink aus St. Petersburg, hervorgehoben, daß ein Besuch des Zaren in Paris immer nur als Antwort auf eine Reise des Präsi. denten der Republik nach St. Petersburg erfolgen könne. Der Zar sei, was seine Thronbesteigung beträfe, älter als Herr Carnot, und die strenge Etiquette des russischen Hofes widersetze sich schon deshalb einem ersten Besuch seinerseits in Paris. Ferner sei das Gerücht von einem Aufenthalt der Zarin auf französischem Boden mindestens verfrüht.
Paris, 2. Juli. Die Oiiolsra nostra«- Epidemie wird nun offiziell zugestanden. Die Hospitalverwaltung giebt als Ursache das Seinewasser an. Die Epideme existiert seit drei Monaten, und es sind 159 Todesfälle konstatiert, Die meisten bis jetzt vorgekommenen Fälle von Choleraformen lassen den Gesamtcharakter als einen lokalen betrachten. Es ist kein Fall indischer Cholera zu verzeichnen.
Italien.
König Humbert von Italien hat unmittelbar nach der Abreise von Frankfurt, von Schwetzingen aus, an den Kaiser nach Kiel eine lange herzliche Dankeskundgebung gerichtet, worin er sich für die liebenswürdige Aufnahme bedankt, seine lebhafte Freude über das innige Zusammensein ausdrückt, der warmen Begrüßung dankbar Erwähnung thut, die das deutsche Volk überall, wo das italienische Herrscherpaar erschienen sei, an den Tag gelegt habe, und auch den ausgezeichneten Eindruck hervorhebt, den das 13. Husarenregiment bei der Besichtigung gemacht habe. Kaiser Wilhelm hat diesen Gruß sofort aufs herzlichste und eingehendste beantwortet.
Bulgarien.
Sofia, 2. Juli. Der gestrige Berhändlungs- tag des Prozesses Beltscheff ergab eine erdrückende Belastung Rußlands. Der Angeklagte Popoff legte ein vollständiges Geständnis ab, wonach die Ermordung des Fürsten Ferdinand mit Hilfe russischen Geldes geplant war. Der ehemalige Minister Ka- raweloff billigte den Plan.
Rußland. ?
Ein Malheur kommt gewöhnlich nicht allein; so sagt man bekanntlich. Und für Rußland bewahrheitet sich dieser Satz jetzt Wort für Wort. Geld hatte man bekanntlich schon lange nicht mehr, alle in letzter Zeit erneut gemachten Anstrengungen, irgend wo Anleihen zu machen, haben sich als ganz erfolglos erwiesen. Nicht einmal die Franzosen haben Lust, zu Gunsten ihres Bundesbruders das Portemonnaie zu ziehen. Der bösen Nummer Eins folgt eine nicht minder böse Nummer Zwei. Es kann als Thatsache angesehen werden, daß in weiten russischen Gebieten in diesem Jahre eine abermalige Mißernte droht. Welche Folgen eine solche haben ünn, ist heute noch gar nicht abzusehen. Jedenfalls desteht kein Zweifel daran, daß diese Folgen recht, recht schwere sein werden. Zum dritten droht nun auch von Asien her die Cholera. Wenn diese Seuche in die Hungergebiete hinüb ergreift, müssen ihr mit Naturnotwendigkeit Tausende und Abertausende zum Opfer fallen. Der Zar kehrt in diesen Tagen von Kopenhagen in sein Reich zurück. Frohen Mutes rst er dabei ganz sicherlich nicht.
England.
Die Londoner Zeitungen beurteilen das Verhalten des Fürsten Bismarck meist sehr ungünstig. Die „Morgenpost" meint, man könne die Schlußfolgerung nicht vermeiden, daß der Fürst den Sinn der Huldigungen, deren Gegenstand er jüngst gewesen, tatsächlich mißverstanden habe. Das Blatt hofft, sein Patriotismus werde sich über seine Eigenliebe erheben, und er werde davon abstehen, einen Konflikt fortzusetzen, der nicht ermangeln könne, die ernstesten Folgen zu haben. Der „Standard" rät von einer gerichtlichen Verfolgung des Fürsten ab. Es werde am besten sein, wenn ihm gestattet werde, seiner üblen Laune unbehindert Luft zu machen. Der deutsche Kaiser und Graf Caprivi hätten jetzt die Sympathien der Welt; bei einer Anklage des Fürsten könnte sich dies sehr leicht ändern.
Das kommt davon! Im Lodoner Bezirke Nord- Lambeth kandidiert nun auch Stanley um einen Parlamentssitz. Als er nun in einer Wahlversammlung anftrat, wurde er so verhöhnt und verspottet, daß