Stadtpfleger Haid anvertrauten Kassen sich auf über 20 000 belaufen. Stadtpfleger Haid, der sich nach der für ihn angeblich ungünstig ausgefallenen Kassenrevision entleibt hat, ist Witwer; bei seinen Mitbürgern galt er als ehrenhafter und wohlhabender Mann und erfreute sich eines seltenen Vertrauens.
Mannheim, 24. Juni. Die beiden Ersatzreservisten Falkenstein und Steinöhl von Mannheim hatten wegen Versäumnis der Kontrolversammlung je eine achtundvierzigstündige Mittelarreststrafe zu verbüßen. Am Samstag den 13. Juni, Punkt 6 Uhr, traten sie ihre Strafe im Militärgefängnis der Mannheimer Artillerie-Kaserne an. Am Montag abend wurden sie entlassen. Während dieser ganzen 49stsstündigen Haft erhielten die beiden Gefangenen absolut nicht die geringste Nahrung, weder Wasser noch Brot. Die schuldigen Vorgesetzten wurden bestraft. Der Feldwebel erhielt 10, der Unteroffizier 7 und der Gefreite 5 Tage Arrest.
Klage gegen Pfarrer Kneipp. Es wurde in letzter Zeit bekannt, daß gegen Pfarrer Kneipp in Wörishofen eine Klage auf fahrlässige Körperverletzung anhängig gemacht worden ist. Wie die „W. N. N." in Bestätigung eigener Informationen der neuesten Nummer der „Wörishofer Blätter" entnehmen, verhält sich die Sache in kurzem wie folgt: Ein Kaufmann Schneider, der in Wörishofen sich Kneipp'schen Güssen unterzogen, wurde kurz nachher von epileptischen Anfällen heimgesucht und befindet sich nunmehr im Jrrenhause. Nachdem Pfarrer Kneipp es abgelehnt hatte, eine Entschädigung zu zahlen, hat die Frau des Kaufmanns Schneider die oben erwähnte Klage gestellt. Die Sache scheint übrigens für den Angeklagten nicht ungünstig zu stehen, vornehmlich durch das Gutachten des Herrn Professors Grashey, der sich dahin ausgesprochen haben soll, daß S. schon paralytisch (durch Gehirnschlag gelähmt) nach Wörishofen kam und die Kneipp'sche Behandlung die weitere Erkran» kung des Patienten höchstens um einige Tage beschleunigt, nicht aber direkt hervorgerufen haben kann.
Den Hauptgewinn der Wormser Dombau- Lotterie im Betrag von 75 000 ^ hat die 16jährige Tochter einer mit 6 Kindern gesegneten sehr armen Witwe in dem Dorf Wahlscheid im Reg.-Bez. Trier gemacht. Nun ist sie eine „gute Partie."
Hamburg, 25. Juni. Aus dem ganzen Norden wird eine ungewöhnliche Hitze gemeldet; in Christia- uia stieg der Thermometer gestern auf 31 Grad.
Der Berliner Korrespondent der „Franks. Ztg." erfährt aus guter Quelle, im Herbst werden dem Reichstage erhebliche Mehrforderungen für die Armee zugehen.
Das Gefolge des Kaiserpaares auf der Reise nach Holland und England besteht aus 19 Personen, darunter der General-Adjutant von Wittich, außerdem 8 Personen zur Bedienung. In dem Gefolge befinden sich nur Offiziere und Hofbeamte. In Holland schließt sich Herzog Ernst Günther zu Schleswig-Holstein der Kaiserlichen Reisegesellschaft an. In Leith schiffen sich zur Begleitung des Kaisers auf der Reise nach Norwegen 17 Personen ein. Die Dienerschaft besteht aus 8 Personen. Am Abend des 15. Juli trifft der Kaiser in Bergen ein.
Unser Kaiser hat, nachdem für die Dauer seiner Abwesenheit alles Erforderliche in einer im Berliner Schlosse abgehaltenen längeren Kronrats- sitzung festgestellt worden ist, seine Sommerreisen angetreten, die ihn nach Holland, England und Norwegen führen werden. Zunächst ist der Monarch nach Kiel gereist, besucht dann Hamburg, Wilhelmshaven und Helgoland und schifft sich hierauf zusammen mit der Kaiserin nach Amsterdam und London ein. Die Heimkehr zu den Militär-Besichtigungen erfolgt im August. Der Reichskanzler von Caprivi bleibt auch in diesem Sommer in Berlin; er bedarf für seine Person keines Urlaubes, da er sich völlig wohl fühlt und scheint im Uebrigen auch kein Freund der modernen Bäderreiserei zu sein. Die preußischen Minister treten nach und nach ihren Urlaub an. Fürst Bismarck hat sich definitiv entschieden, den Sommer in Friedrichsruhe zu verbringen. Man kann gespannt sein, ob er bei der bevorstehenden Anwesenheit des Kaisers in Hamburg diesen begrüßen wird. Da der Besuch kein streng offizieller ist, ist die Anwesenheit des Fürsten nicht gerade geboten, sonst wäre sie, da Fciedrichsruhe ganz nahe bei Hamburg liegt, selbstverständlich.
Die „Boss. Ztg." hat einen ihrer Redakteure infolge der Entdeckung, daß er Jude sei, entlassen. (!)
Der „Pol. Korr." wird aus Petersburg geschrieben, eine handelspolitische Verständigung Rußlands mit Deutschland sei besonders bei dem Finanzminister Wischnegradski auf lebhaften Widerstand gestoßen; nun aber durch die Erklärung des Herrn v. Caprivi über die deutschen Getreidezölle sei ihr vollends jeder Boden entzogen worden.
Am 25. abends hat ein Unwetter einen großen Teil Mitteleuropas, insbesondere die Schweiz, Süd- und Westdeutschland, betroffen.
Drllerreich-Ungarn.
Wien, 25. Juni. In der heutigen Sitzung des Weltpostkongresses beantragte der französ. Generaldirektor Deselves die Wahl Washingtons als nächsten Kongreßort; dieser Antrag wurde unter lebhaftem Beifall einstimmig angenommen. Der nordamerikanische Delegierte Potter erklärte auf Anfrage des Sektionschefs v. Obentraut, er sei ermächtigt, den Kongreß nach Washington einzuladen und danke für die einstimmige Annahme des Antrages. Der Beratungsstoff des Kongresses ist erschöpft, es erübrigen nur noch redaktionelle Arbeiten und die Abfassung des Schlußprotokolls, nach dessen voraussichtlich in den ersten Julitagen erfolgender Unterzeichnung der Wiener Kongreß formell geschlossen werden wird.
Kaiser Franz Josef von Oesterreich weilt gegenwärtig in Fiume und wird dort sehr herzlich gefeiert. Die „Neue Freie Presse" erblickt in dem Besuch der britischen Flotte in Fiume aus Anlaß der Anwesenheit des Kaisers eine liebenswürdige Absicht. Das Blatt schließt aus den Erklärungen des englischen Staatssekretärs Fergusson im Unter- Haus, daß die Abmachungen der Kaisermächte mit Italien dem englischen Kabinett mitgeteilt seien, was die Innigkeit der Beziehungen darthue, welche durch den Besuch des Kaisers auf den britischen Schiffen eine neue Bekräftigung erhalte. Das Blatt hebt gleich dem „Neuen Wiener Tageblatt" hervor, die Interessengemeinschaft Oesterreichs und Englands, besonders für die Erhaltung des Friedens und des Gleichgewichtes im Mittelmeer bilde ein festeres Band als irgend eine geschriebene Abmachung.
Schwei?.
Die definitive amtliche Liste vom Eisenbahnunglück bei Mönchenstein verzeichnet 72 agnoszirte Tote und 10 Vermißte.
Der Erbauer der Mönchensteiner Brücke, der Jngenier Eissel, derselbe, der den Pariser Weltausstellungsturm erbaut hat, ist durch den Einsturz der Brücke um sein Renomms besorgt. Gleich nach der Katastrophe hatte er deshalb öffentlich erklärt, daß er die Brücke nach Plänen konstruiert habe, die ihm von der Direktion der Jura-Simplon-Bahn zugestellt worden seien, weshalb ihn keine Verantwortlichkeit treffe. Der „Berner Bund" hat aber bei der genannten Eisenbahndirektion Erkundigungen eingezogen und erfahren, daß Eiffel für die Brücke eigene Pläne angefertigt habe, sie sei also in vollem Umfang als eine Eiffelsche Brücke anzusehen. Dann adieu, Eiffelturm!
Basel, 26. Juni. Im Bötzberg-Tunel fand gestern Abend der Zusammenstoß eines Personenzuges mit einem Güterzuge statt; das Zugpersonal wurde leicht verwundet, während keine Reisende verletzt sind. Der Materialschaden ist unbedeutend und die Störung bereits behoben.
Bern, 25. Juni. In Beantwortung der Interpellation Baldingcrs, betreffend das Mönchensteiner Unglück, erklärte Bundespräsident Welti, sofort nach dem Unglück sei das Nötige angeordnet worden; Oberst Dumur habe die Räumungsarbeit zielbewußt und erfolgreich geleitet. Die Untersuchung der anderen Brücken habe bisher Anlaß zu Befürchtungen nicht gegeben. Viele Gerüchte (auch daß sich ein Lokomotivführer geweigert habe, die Brücke zu befahren) stellten sich als falsch heraus. Es sei zu erwarten, daß eine angemessenere Beurteilung des nationalen Unglücks eintrete.
Bern, 26. Juni. Aus Emmenthal werden infolge des Hochwassers Bahnbetriebsstörungeir gemeldet. Die Linie Bern-Luzern ist bei Langenau etwa 2 Tage unpassierbar.
Frankreich.
Paris, 22. Juni. Heute findet eine Mobilisie
rung der französischen Flotte in einem Umfange und in einer dem Kriegsfälle so nahe gebrachten Weise statt, wie sie bisher noch nie vorgekommm ist. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Zahl der in Dienst zu stellenden Schiffe und Fahrzeuge, welche nicht weniger als 58 beträgt, als auch bezüglich der Verwendung der eingezogenen Reservisten. Im Ganzen sind es 8 Panzerschiffe und Fahrzeuge, 11 Kreuzer und 39 Torpedofahrzeuge und Boote mit rund 5400 Mann Besatzung.
Paris, 24. Juni. Die Fleischergesellen beschlossen gestern in einer von 2000 Personen besuchten Versammlung, sich den Bestrebungen der Bäckergesellen zur Unterdrückung der Stellenvermittlungsbureaus anzuschließen.
Paris, 25. Juni. Eine Versammlung von ungefähr 6000 Bäckern, welche heute Morgen im Tivoli Vauxhall stattfand, sprach sich einstimmig für die Unterdrückung der Stellenvermittlungsbureaus sowie für den sofortigen Streik aus.
Paris, 25. Juni. Das Zuchtpolizeigericht verurteilte heute nach Verhandlung bei geschlossenen Thüren einen Deutschen namens Schneider wegen photographischer Aufnahme Pariser Forts zu 5 Jahren Gefängnis und zu 3000 Frcs. Geldstrafe.
Die Zeitungen machen mit der Melinit-Affaire immer noch gewaltigen Spektakel und ziehen einen höheren Offizier nach dem andern hinein. In den Pariser militärischen Kreisen verdrießt diese völlig überflüssige Schnalzerei ungemein, sie wird auch keine weiteren Folgen haben. Die Angelegenheit wird vertraulich abgemacht werden.
Bulgarien.
Belgrad, 26. Juni. Die finanziellen Verhältnisse Serbiens gestalten sich derart ungünstig, daß in Berlin eine neue „Defizit-Anleihe" geplant wird. Keinem Offizier oder Beamten konnte das Gehalt pro Mai bezahlt werden.
In der Gerichtsverhandlung inBelgrad gegen die Teilnehmer an den Kravalleu bei der Abreise der Königin sind am Freitag die meisten Angeklagten? darunter die Generale Horvatovic und Leschjanin und die Obersten Franassovics und Derschkavic freigesprochen worden; nur gegen wenige Personen wird die Anklage aufrechterhalten.
Türkei.
Konstantinopel, 27. Juni. Der deutsche Kaiser richtete ein eigenhändiges Schreiben mit warmen Ausdrücken an den Sultan, in welchem er demselben für sein Entgegenkommen bei der schnellen Befreiung der Gefangenen von Tscherkesköi dankte und ihn bat, auch der Hohen Pforte, insbesondere dem Großvezier und dem Minister des Aeußeren, für deren Haltung zu danken. Der Sultan zeigte sich hocherfreut und beauftragte Herrn v. Radowitz seine herzliche Dankbarkeit zu übermitteln.
Griechenland.
Athen, 26. Juni. In Kreta soll vollständige Anarchie herrschen. Die Behörden verübten Grausamkeiten und deshalb empörten sich die Christen, was die Muselmänner und Truppen zu unerhörten Ausschreitungen veranlaßt.
Amerika.
Die Geschäftslage in Chile hat sich immer noch nicht gebessert, bares Geld fehlt fast ganz. Vom „Kriegsschauplätze" liegt etwas neues von Belang nicht vor.
Eine recht erbauliche Schilderung von dem Empfange, welchen der Präsident der schwarzen Republik Haiti, General Hippolyte, dem diplomatischen Corps bereitete, finden wir in einem Briefe des New-Dorker Herald aus Port-au-Prince. Die Konsuln waren, wie telegraphisch gemeldet, erschienen, um gegen die Vergewaltigung des mexikanischen Konsulats als Asylstätte für Flüchtlinge zu protestieren. Der schwarze Präsident benahm sich bei diesem Anlasse wie folgt: „Nachdem Herr Tweedy, der britische Konsul, in ziemlich freier Weise gesprochen, sprang der Präsident von seinem Stuhle mit den Worten auf: „Wagen Sie es, eine solche Sprache gegen mich, den Präsidenten dieses großen Landes, zu führen?" Er verließ hierauf den Saal, indem er die Thüre mit großem Geräusch hinter sich zuschlug. Die Diplomaten vernahmen dann im anstoßenden Zimmer Flötenspiel und schickten sich an, den Palast zu verlassen, als General Hippolyte